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StVONorm
AVG §73 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Jurasek und die Hofräte Dr. Pichler und Dr. Domittner als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schwaighofer, über die Beschwerde des WS in W vertreten durch Dr. Harald Ofner und Dr. Peter Schmautzer, Rechtsanwälte in Wien XVI, Schuhmeierplatz 14, gegen die Wiener Landesregierung wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in einer Verwaltungsstrafsache nach der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung des Beschwerdeführers gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien vom 29. Dezember 1981, Zl. 10.819/S/81/RSch/Fl wird gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 in Verbindung mit § 24 VStG 1950 Folge gegeben; das angefochtene Straferkenntnis wird behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 lit. a VStG 1950 eingestellt.
Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 8.610,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Am 6. Juni 1981 erstattete der Sicherheitswachebeamte H.S. - in der Folge Meldungsleger genannt - auf Grund eigener dienstlicher Wahrnehmungen die Anzeige, der männliche Lenker des Kraftfahrzeuges Marke Ford, Farbe grün, mit dem pol. Kennzeichen W nn habe am 31. Mai 1981 um 7.51 Uhr in Wien 1, Stephansplatz 7 - Rotenturmstraße das dort deutlich sichtbar angebrachte Verkehrszeichen gemäß § 52 Z. 24 StVO (Halt) nicht beachtet, sondern sei mit seinem Fahrzeug, ohne anzuhalten, Richtung Rotenturmstraße weitergefahren, wodurch mehrere Fahrzeuglenker, die aus Richtung Brandstätte gekommen seien, zum unvermittelten Abbremsen genötigt worden seien. Er - der Meldungsleger - habe den Lenker in Wien 1, Rotenturmstraße 5 (Taxistandplatz) anhalten können. Der Lenker sei von der Anzeigeerstattung in Kenntnis gesetzt worden. Der Lenker hätte die Bezahlung einer Organmandatsstrafe (S 200,--) abgelehnt gehabt.
Nachdem die gegen den Beschwerdeführer erlassene Strafverfügung vom 13. August 1981 der Bundespolizeidirektion Wien zufolge rechtzeitig erhobenen Einspruches außer Kraft getreten war, rechtfertigte sich der Beschwerdeführer unter anderem damit, am Tattag sei zur Tatzeit überhaupt kein Verkehr gewesen und er habe nach kurzem Anhalten (gemeint bei der Kreuzung Stephansplatz-Rotenturmstraße) sofort weiterfahren können. Der Beschwerdeführer stellte hiezu den Antrag, den Meldungsleger ergänzend dahingehend zu vernehmen, ob er - der Beschwerdeführer - Fahrzeuge zum Abbremsen oder Ablenken genötigt habe.
In seinem Bericht vom 19. Oktober 1981 hielt der Meldungsleger seine in der Anzeige vom 6. Juni 1981 gemachten Angaben vollinhaltlich aufrecht. Durch das Nichtbeachten der "Stoptafel" seien mehrere aus Richtung Brandstätte kommende Fahrzeuglenker zu unvermitteltem Abbremsen ihrer Fahrzeuge genötigt worden.
Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Innere Stadt, vom 29. Dezember 1981 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 31. Mai 1981 um 7.51 Uhr in Wien 1, Stephansplatz 7 - Rotenturmstraße als Lenker des Kraftfahrzeuges "W nn" das dort angebrachte Verkehrszeichen "Halt" nicht beachtet, sondern sei ohne anzuhalten Richtung Rotenturmstraße weitergefahren und habe dadurch mehrere Fahrzeuglenker zu unvermitteltem Abbremsen genötigt; der Beschwerdeführer habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 19 Abs. 7 StVO begangen. Gemäß § 99 Abs. 3 lit. a leg. cit. wurde gegen den Beschwerdeführer eine Geldstrafe von S 500,-- (Ersatzarreststrafe 30 Stunden) verhängt.
Dagegen erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig das Rechtsmittel der Berufung, in der er unter anderem ausführte, der Meldungsleger habe erst am Ende seines Berichtes (gemeint ist der Bericht vom 19. Oktober 1981) und völlig aus dem Zusammenhang gerissen ausgeführt, daß durch das Nichtbeachten der Stoptafel mehrere aus Richtung Brandstätte kommende Fahrzeuglenker zu unvermitteltem Abbremsen ihrer Fahrzeuge genötigt worden seien. Diese Angabe des Meldungslegers sei erstens sehr ungenau, zweitens stelle sie bereits eine rechtliche Beurteilung eines Sachverhaltes dar. Der Meldungsleger hätte angeben müssen, um welche Fahrzeuge es sich gehandelt habe, welche Fahrgeschwindigkeit diese Fahrzeuge eingehalten, auf welcher Wegstrecke sie diese Geschwindigkeit reduziert und welche Fahrgeschwindigkeit sie nach dem Bremsvorgang eingehalten hätten.
Da die belangte Behörde über diese Berufung nicht innerhalb der im § 27 VwGG 1965 genannten Frist entschied, erhob der Beschwerdeführer am 26. Juli 1982 gemäß Art. 132 B-VG Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.
Der nach Einleitung des Vorverfahrens über Weisung der belangten Behörde von der Bundespolizeidirektion Wien als Zeuge vernommene Meldungsleger gab in seiner Einvernahme am 20. September 1982 niederschriftlich unter anderem an, er verweise auf seine bisherigen Angaben und ergänze: Zur Tatzeit habe von seinem Standort aus unbehinderte Sicht bestanden. Es seien zwei oder drei Fahrzeuglenker zu unvermitteltem Bremsen gezwungen worden.
Zu dieser Zeugeneinvernahme rügte der Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom 1. Oktober 1982, der Meldungsleger sei wieder nicht konkret genug zur Frage der angeblichen Behinderung vorrangberechtigter Fahrzeuge vernommen worden. Der Meldungsleger hätte gefragt werden müssen, um welche Fahrzeuge es sich gehandelt habe, welche Fahrgeschwindigkeit diese Fahrzeuge eingehalten, auf welcher Wegstrecke sie diese Geschwindigkeit reduziert und welche Fahrgeschwindigkeit sie nach dem Bremsvorgang eingehalten hätten. Ohne Klärung dieser Fragen sei der Sachverhalt nicht genau genug ermittelt, um Gegenstand einer rechtlichen Beurteilung sein zu können.
Die belangte Behörde legte mit Schriftsatz vom 12. Oktober 1982 die Verwaltungsstrafakten mit dem Bemerken vor, die Berufungsentscheidung sei innerhalb der achtwöchigen Frist nicht möglich gewesen, da die Ermittlungsergebnisse insbesondere im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer am 1. Oktober 1982 gestellten Beweisanträge eine erschöpfende Beurteilung der Geschehnisse noch nicht zulassen würden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG 1965 gebildeten Senat erwogen:
Die Zulässigkeit der vorliegenden Säumnisbeschwerde ist gegeben, weil im Hinblick auf die gemäß § 24 VStG 1950 auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwendenden Bestimmungen des § 66 Abs. 4 AVG 1950 über die Berufung gegen ein erstinstanzliches Straferkenntnis Entscheidungspflicht besteht. (Vgl. unter anderem die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshof es vom 19. Oktober 1965, Slg. Nr. 6786/A, vom 25. Mai 1979, Zl. 485/78 und vom 24. April 1981, Zl. 02/2340/79.)
§ 19 Abs. 7 StVO 1960 - dessen Übertretung allein dem Beschwerdeführer angelastet wurde - bestimmt, daß derjenige, der keinen Vorrang hat (der Wartepflichtige), durch Kreuzen, Einbiegen oder Einordnen die Lenker von Fahrzeugen mit Vorrang (die Vorrangberechtigten) weder zu unvermitteltem Bremsen noch zum Ablenken ihrer Fahrzeuge nötigen darf.
Der Beschwerdeführer hat nicht bestritten, daß er zur Tatzeit am Tatort (vom Stephansplatz in die Rotenturmstraße) mit seinem Taxi gefahren ist - dem Kennzeichen kommt im Beschwerdefall keine wesentliche Bedeutung zu, da es sich nicht um ein Tatbestandsmerkmal handelt, es kann der der Erstbehörde unterlaufene Schreibfehler von der Berufungsbehörde entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers berichtigt werden - und daß vor der Kreuzung des Stephansplatzes mit der Brandstätte und der Rotenturmstraße ein Vorschriftszeichen gemäß § 52 Z. 24 (Halt) angebracht war. Dieses Zeichen zeigt an, daß an einer Kreuzung anzuhalten und gemäß § 19 Abs. 4 StVO Vorrang zu geben ist. Daraus folgt u.a., daß der Beschwerdeführer gegenüber Fahrzeuglenkern, die von der Brandstätte kamen, der Wartepflichtige war. Der Beschwerdeführer bestreitet jedoch, andere Fahrzeuglenker zu unvermitteltem Bremsen genötigt zu haben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinen Erkenntnissen vom 22. Oktober 1982, Zl. 80/02/2243, und vom 30. März 1984, Zl. 83/02/0232 - auf deren Entscheidungsgründe unter Erinnerung an Art. 14 Abs. 4 der hg. Geschäftsordnung BGBl. Nr. 45/1965, verwiesen wird - ausgesprochen, daß bei einer Vorrangverletzung gemäß § 19 Abs. 7 StVO 1960 der Sachverhalt insofern zu konkretisieren ist, daß die ungefähre Entfernung der Fahrzeuge voneinander und die von ihnen ungefähr eingehaltene Geschwindigkeit festzustellen ist.
Der vom Verwaltungsgerichtshof am 7. Mai 1984 als Zeuge vernommene Meldungsleger konnte sich infolge der langen, seit dem Tag der Tat verstrichenen Zeit nicht mehr hinlänglich an den gegenständlichen Vorfall erinnern, insbesondere konnte er nicht mehr konkrete Angaben über die von den beteiligten Fahrzeugen ungefähr eingehaltenen Geschwindigkeiten und die Entfernung dieser Fahrzeuge voneinander machen.
Auf Grund dieses Ermittlungsergebnisses kann nicht mit der für einen Schuldspruch in einem Strafverfahren erforderlichen Sicherheit als erwiesen angenommen werden, der Beschwerdeführer habe die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nach § 19 Abs. 7 StVO 1960 begangen (vgl. auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. Jänner 1982, Zl. 81/02/0244). Der Berufung des Beschwerdeführers war daher stattzugeben und das gegen ihn geführte Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 lit. a VStG 1950 einzustellen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf § 47, § 48 Abs. 1 lit. a und b sowie § 55 Abs. 1 VwGG 1965 in Verbindung mit Art. I A Z. 1 der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 221/1981. Das auf den Ersatz von Verhandlungsaufwand gerichtete Begehren war schon deshalb abzuweisen, da keine mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof durchgeführt wurde.
Wien, am 18. Mai 1984
Schlagworte
DevolutionEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1984:1982020150.X00Im RIS seit
19.02.2020Zuletzt aktualisiert am
19.02.2020