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72 Wissenschaft, HochschulenNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch die neuerliche Zurückweisung von Anträgen auf Gewährung von Akteneinsicht und auf Zustellung des Bescheides betreffend die Verleihung der Planstelle eines Universitätsprofessors wegen entschiedener Sache; kein Vorliegen einer identen Sache aufgrund entscheidungsrelevanter Änderung der SachlageSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wissenschaft, Verkehr und Kunst) ist schuldig, dem Beschwerdeführer, zu Handen seines Rechtsvertreters, die mit 15.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.a) Der Beschwerdeführer bewarb sich seinerzeit - neben anderen Personen - um die öffentlich ausgeschriebene Planstelle eines Ordentlichen Universitätsprofessors für Geburtshilfe und Gynäkologie an der Medizinischen Fakultät der Universität Graz.
Im Besetzungsvorschlag der vom Fakultätskollegium der Medizinischen Fakultät der Universität Graz eingesetzten Berufungskommission wurde der Beschwerdeführer an erster Stelle gereiht. Nachdem der Beschwerdeführer erfahren hatte, daß mit dem an zweiter Stelle gereihten Kandidaten (Dr. R.W.) Berufungsverhandlungen aufgenommen worden seien, stellte er mit Schreiben vom 29. März 1991 an den Bundesminister für Wissenschaft und Forschung die Anträge,
"1. mir den Bescheid, mit welchem die Planstelle eines ordentlichen Universitätsprofessors für Geburtshilfe und Gynäkologie an der medizinischen Fakultät der Universität Graz besetzt wird, zuzustellen, und
2. mir im laufenden Besetzungsverfahren zwecks Parteiengehörs Akteneinsicht zu gewähren und die Möglichkeit zu einer Stellungnahme einzuräumen."
Der Bundesminister für Wissenschaft und Forschung wies diese Anträge mit Bescheid vom 31. Juli 1991 zurück: Dem Antragsteller sei weder ein Rechtsanspruch auf Aufnahme von Berufungsverhandlungen noch auf Begründung eines öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses zum Bund eingeräumt, weshalb ihm die Parteistellung fehle.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer seinerzeit eine auf Art144 Abs1 B-VG gegründete Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Diese wurde mit Erkenntnis vom 16. März 1995, B1077/91, abgewiesen. Der Zurückweisungsbescheid vom 31. Juli 1991 sei im Ergebnis richtig:
Der Verfassungsgerichtshof ging davon aus, daß ein Bescheid vom Verfassungsgerichtshof aufgrund der Sach- und Rechtslage zu überprüfen sei, die zum Zeitpunkt seiner Erlassung bestand. Da zum Zeitpunkt der Erlassung des (damals) angefochtenen Bescheides (22. August 1991) noch keine Ernennung aufgrund des Besetzungsvorschlages erfolgt gewesen sei (das Ernennungsdekret sei erst am 14. Oktober 1991 an Dr. R.W. zugestellt worden), sei zum genannten Zeitpunkt die vom Beschwerdeführer begehrte Zustellung des Ernennungsbescheides von vornherein nicht in Betracht gekommen. Angesichts des zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides noch nicht abgeschlossenen Besetzungsverfahrens sei - im Hinblick auf §17 AVG - auch der über den Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht ergangene zurückweisende Bescheid nicht zu beanstanden.
b) In der Folge stellte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 26. Juli 1995 die Anträge,
"1. mir in den Akt GZ ........ über das Besetzungsverfahren
des Dr. R.W. Akteneinsicht zu gewähren,
2. mir den Bescheid GZ ......, mit welchem Dr. R.W. als
Ordinarius für Geburtshilfe und Gynäkologie an der Medizinischen Fakultät der Universität Graz bestellt wurde, zuzustellen."
Der Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Kunst wies diese Anträge mit Bescheid vom 30. Oktober 1995 gemäß §68 Abs1 AVG wegen entschiedener Sache zurück.
2. Gegen den zuletzt erwähnten Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde. Darin macht der Beschwerdeführer geltend, in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden zu sein. Er beantragt, den angefochtenen Bescheid kostenpflichtig aufzuheben.
3. Der Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Kunst (nunmehr: Bundesminister für Wissenschaft, Verkehr und Kunst) als belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er die Abweisung der Beschwerde begehrt.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Die Behörde hat mit dem nunmehr bekämpften Bescheid die Anträge des Beschwerdeführers zurückgewiesen und diesem daher eine Sachentscheidung verweigert.
Sie hätte den Beschwerdeführer damit dann im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt, wenn die Verweigerung der Sachentscheidung zu Unrecht erfolgt wäre.
2. Die Behörde meint, die Anträge vom 29. März 1991 und vom 26. Juli 1995 seien inhaltlich ident. Sie seien zurückzuweisen, weil entschiedene Sache (res judicata) gegeben sei.
Mit dieser Meinung ist die Behörde im Unrecht:
Res judicata (§68 Abs1 AVG) liegt nach übereinstimmender Judikatur (vgl. VfSlg. 9764/1983, 11688/1988 und 12514/1990) und Literatur (s. z.B. Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Aufl., Wien 1996, Anm. 3 ff. zu §68 AVG; Walter-Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, 12. Aufl., Wien 1996, Anm. 4 zu §68 AVG; Ringhofer, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, I. Band, Wien 1987, Anm. 12 zu §68 AVG) nur dann vor, wenn seit Erlassung des ersten Bescheides die maßgebende Sach- und Rechtslage in den entscheidungswichtigen Punkten unverändert geblieben ist. Im vorliegenden Fall hat sich - entgegen der Meinung der belangten Behörde - die Sachlage in entscheidungsrelevanter Weise gewandelt, weshalb eine andere (neue) Sache vorliegt, auf die sich die Rechtskraft des ersten Bescheides nicht erstreckt. Die seinerzeitige Entscheidung hing nämlich - nach der auch in der nunmehrigen Beschwerdesache maßgebenden Rechtsansicht, die der Verfassungsgerichtshof im Erk. B1077/91 geäußert hat (s.o. I.1.a) - wesentlich davon ab, ob das Ernennungsdekret an Dr. R.W. bereits zugestellt worden war. Am 22. August 1991 (dem Zeitpunkt der Erlassung des ersten Bescheides) war dies noch nicht der Fall (das an Dr. R.W. gerichtete Dekret wurde diesem erst am 14. Oktober 1991 ausgefolgt), wohl aber am 16. November 1995 (Zeitpunkt der Zustellung des - nunmehr bekämpften - zweiten Bescheides).
Die Behörde hätte daher die mit 26. Juli 1995 datierten Anträge des Beschwerdeführers nicht wegen entschiedener Sache zurückweisen dürfen, sondern wäre verpflichtet gewesen, über diese in der Sache zu entscheiden.
Der Beschwerdeführer wurde sohin durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt. Der Bescheid war mithin aufzuheben, ohne daß auf das Beschwerdevorbringen weiter einzugehen war.
3. Dem Beschwerdeführer waren gemäß §88 VerfGG die als "Schriftsatzaufwand" verzeichneten Kosten in der Höhe von 15.000 S zuzusprechen.
In diesen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 2.500 S enthalten.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.
Schlagworte
Verwaltungsverfahren, Akteneinsicht, Rechtskraft Bescheid, res iudicataEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1996:B4016.1995Dokumentnummer
JFT_10039075_95B04016_00