TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/2 W191 2197015-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.09.2019
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Entscheidungsdatum

02.09.2019

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch

W191 2197015-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Rosenauer als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.05.2018, Zahl 1115383102-160705071, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.08.2019 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 10 und 57 Asylgesetz 2005, § 9 BFA-VG sowie §§ 46, 52 und 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach irregulärer und schlepperunterstützter Einreise in das Bundesgebiet am 19.05.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).

1.2. In seiner am selben Tag durchgeführten Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF im Beisein eines Dolmetsch für die Paschtu im Wesentlichen Folgendes an:

Er stamme aus (der Provinz) Laghman, sei Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und sunnitischer Moslem. Als Geburtsdatum wurde nach den Angaben des BF der XXXX festgehalten.

Er sei über Iran, Türkei, Bulgarien, Serbien und Ungarn bis nach Österreich gereist. Ein Dorfbewohner habe die Schleppung organisiert. Eine EURODAC-Anfrage ergab, dass der BF in Bulgarien und Ungarn erkennungsdienstlich behandelt worden war.

Als Fluchtgrund gab der BF an, dass sein Vater von den Taliban umgebracht worden sei.

1.3. Aufgrund seines äußeren Erscheinungsbildes hatte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA), Erstaufnahmestelle (EAST) Ost in Traiskirchen, Zweifel an dem vom BF angegebenen Alter (Aktenvermerk Indikatoren für Altersfeststellung vom "25.05.", Handwurzelröntgenaufnahme) und veranlasste eine sachverständige multifaktorielle medizinische Altersschätzung. Laut Gutachten vom 27.08.2015 (nach Begutachtung am 08.08.2016) wurde ein höchstmögliches Mindestalter zum Asylantragsdatum von 17,68 Jahren mit fiktivem Geburtsdatum XXXX festgestellt. Das behauptete Lebensalter sei mit dem festgestellten Mindestalter nicht vereinbar, die Differenz betrage 1,9 Jahre.

Mit Verfahrensanordnung vom 28.09.2016 - wobei eine nachweisliche Zustellung an den BF im Verwaltungsakt nicht einliegt - wurde dem BF das Geburtsdatum XXXX "zugewiesen".

1.4. Das BFA führte aufgrund der Angaben des BF und der EURODAC-Treffer Konsultationen gemäß Dublin-Vereinbarung mit dem Mitgliedstaat Ungarn bezüglich der Zuständigkeit für das Asylverfahren des BF, die negativ verliefen.

1.5. Bei seiner Einvernahme am 02.05.2018 vor dem BFA, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Paschtu, bestätigte der BF die Richtigkeit seiner bisher gemachten Angaben.

Seine Mutter lebe mit seinen vier jüngeren Geschwistern zu Hause in Laghman bei den drei Brüdern der Mutter (seinen Onkeln).

Zu seinen Fluchtgründen gab der BF an (Auszug aus der Einvernahmeniederschrift, Schreibfehler nicht korrigiert):

"[...] VP [Verfahrenspartei]: Mein Vater und ich haben auf die Tiere aufgepasst, als eines Tages die Taliban kamen. Sie übergaben meinem Vater einen Sack. Sie sagten zu ihm, dass sie in drei Tagen wieder kämen. Nach drei Tagen beschloss mein Vater den Sack der Polizei zu übergeben, da die Taliban nicht auftauchten. Am fünften Tag kamen dann aber die Taliban. Sie haben meinen Vater gefragt, warum er den Sack der Polizei übergeben hatte. Es wären Sachen von ihnen dort drinnen gewesen. Dann haben sie meinen Vater erschossen. Ich stand weiter weg. Nachdem sie meinen Vater erschossen haben, rannte ich nach Hause. Dann habe ich meiner Mutter davon erzählt. Meine Onkel kamen dann auch. Die Taliban haben dann auch versucht mich umzubringen, weil ich das Ganze ja gesehen habe. Darum lebten wir mit meinen Onkeln zusammen. Wir haben dann mit unseren Onkeln, im Distrikt Aningar [Anmerkung: richtig Alingar], im Dorf XXXX , gelebt. Meine Onkel wollten nicht, dass ich aus dem Haus gehe, da Gefahr für mich drohte. Er hat dann die Tiere verkauft und schickte mich dann weg.

LA [Leiter der Amtshandlung]: Möchten Sie noch weitere Ergänzungen zu Ihrem Fluchtgrund vorbringen?

VP: Ich hatte meinen Onkel gefragt, wie ich denn von hier weggehen sollte, er meinte, dass ganz viele Leute unterwegs sind und ich diesen einfach folgen sollte.

[...]

LA: Warum hat Ihr Vater den Sack denn gleich am dritten Tag der Polizei übergeben?

VP: Nachdem drei Tage vergangen waren, am vierten Tag, hat mein Vater den Sack übergeben. Am fünften Tag kamen dann die Taliban.

LA: Warum hat Ihr Vater nicht länger abgewartet?

VP: Er hatte Angst. Er fragte sich, was da wohl drinnen wäre.

LA: Wissen Sie, was in dem Sack drinnen war?

VP: Sie haben den Sack meinem Vater übergeben. Ich habe nicht hineingesehen. Ich weiß nicht, was drinnen war.

LA: Wo hat Ihr Vater diesen Sack aufbewahrt?

VP: Mein Vater hat ihn mit nach Hause genommen. Wenn er dann wieder auf den Berg ging, dann nahm er den Sack wieder mit.

LA: Warum haben die Taliban Ihrem Vater den Sack anvertraut?

VP: Es war sonst niemand anders da. Wir gingen ja immer zum Berg rauf und wieder runter.

LA: Warum sind die Taliban Ihnen nicht direkt nach der Ermordung Ihres Vaters hinterher, wenn diese wussten, dass Sie diese dabei beobachten haben?

VP: Als ich den Schuss gehört habe, rannte ich los. Sie kamen mir nicht hinterher, da dort das Dorf anfing. Es waren dort schon mehr Häuser.

LA: Wie lange benötigten Ihre Onkel, bis diese bei Ihnen zu Hause waren?

VP: Es waren etwa 1-2 Tage.

LA: Warum kamen die Taliban nicht in der Zwischenzeit zu Ihnen nach Hause und ermordeten Sie in Ihrem Heim?

VP: Sie kannten unser Haus nicht, unser Haus war ja im Dorf.

LA: Wie lange hielten Sie sich noch zu Hause auf, bis Sie zu einem Ihrer Onkel übersiedelten?

VP: An dem Tag, an dem mein Onkel zu uns kam, sind wir dann auch mit ihm mitgegangen.

LA: Wie weit ist das Dorf XXXX von Ihrem Heimatdorf entfernt?

VP: Etwa 25 Minuten mit dem Auto.

LA: Wer hat sich in diesen 1-2 Tagen um die Tiere am Berg gekümmert, bis Ihr Onkel bei Ihnen zu Hause war?

VP: Die Ziegen kommen dann von selber nach Hause. Als mein Onkel zu uns kam, hat er auch die ganzen Ziegen in sein Dorf XXXX mitgenommen.

LA: Wie lange hielten Sie sich bei Ihrem Onkel auf, bis Sie nach Europa ausreisten?

VP: 3 Jahre.

LA: Also ist dieser Vorfall im Jahr 2013 passiert?

VP: Ich kenne mich da nicht aus.

LA: Gab es außer der Ermordung Ihres Vaters einen Vorfall, weswegen Sie Afghanistan verlassen mussten?

VP: Nein, sonst ist nichts passiert. Drei Jahre hat mein Onkel bei sich aufgenommen. Aber ich wurde immer älter. Und desto älter ich wurde, desto mehr drohte mir Gefahr.

Vorhalt:

LA: Warum droht Ihnen mehr Gefahr, wenn Sie älter sind?

VP: Weil meine Onkel sagten, wenn ich älter bin, werden mich die Taliban auf jeden Fall umbringen. Darum wäre es besser, wenn ich nach Europa ausreise.

Vorhalt:

LA: Warum war es Ihnen nicht möglich in eine andere Provinz umzusiedeln? Es gibt auch relativ sichere Gebiete, wie etwa Balkh, Herat oder Kabul?

VP: Die Taliban lassen dich nirgendwo in Ruhe.

LA: Wussten die Taliban denn, das Sie sich bei Ihrem Onkel aufhielten?

VP: Nein, mein Onkel hielt mich drei Jahre lang versteckt.

Vorhalt:

LA: Warum sollten Sie für die Taliban immer noch so wichtig sein, als dass diese Sie nach über zwei Jahren, in welchen Sie sich im Ausland aufhielten, sich immer noch die Mühe auf sich nehmen und Sie immer in gesamt Afghanistan ausfindig machen wollen würden?

VP: Das weiß ich nicht, aber wenn ich zurückgehen sollte, würden sie mich umbringen. [...]"

Dem BF wurde angeboten, "landeskundliche Feststellungen zum Staat Afghanistan" (wohl das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA) auszuhändigen, worauf er verzichtete.

1.6. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit Bescheid vom 03.05.2018 den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 19.05.2016 gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und verband diese Entscheidung in Spruchpunkt IV. gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (in der Folge FPG). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF "2 Wochen" [richtig: 14 Tage] ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.)

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Der BF habe keine Verfolgung im Sinne des AsylG glaubhaft gemacht und es bestünden keine stichhaltigen Gründe gegen eine Abschiebung des BF nach Afghanistan. Im Falle der Rückkehr drohe ihm keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde.

Zwar sei die Sicherheitslage in seiner Heimatprovinz Laghman unsicher, jedoch sei eine "innerstattliche" Fluchtalternative in Mazar-e Sharif möglich. Er sei ein junger, arbeitsfähiger Mann, der Arbeitserfahrung als Tierhüter sowie Angehörige in Laghman, von welchen er Unterstützung bekommen könne, habe.

Der BF erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des BF nach Afghanistan. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der BF bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien.

Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass der BF bezüglich seiner behaupteten Herkunftsregion, Volks- und Staatsangehörigkeit aufgrund seiner Sprach- und Lokalkenntnisse glaubwürdig wäre. Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan wären glaubhaft, weil sie verlässlichen, seriösen, aktuellen und unbedenklichen Quellen entstammten, deren Inhalt schlüssig und widerspruchsfrei sei.

Der BF habe eine aktuelle asylrelevante Verfolgung nicht glaubhaft gemacht, zumal das fluchtauslösende Ereignis (Tötung seines Vaters durch die Taliban) bereits drei Jahre vor der Flucht des BF stattgefunden habe.

Subsidiärer Schutz wurde ihm nicht zuerkannt, da ihm im Falle einer Rückkehr eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar-e Sharif offen stünde.

1.7. Gegen diesen Bescheid brachte der BF mit Schreiben seines zur Vertretung bevollmächtigten Rechtsberaters vom 22.05.2018 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) ein.

In der Beschwerdebegründung wurde im Wesentlichen das Vorbringen des BF im Verfahren zusammengefasst wiederholt. Es enthielt weitgehend allgemeine Ausführungen zu Afghanistan (etwa Auszüge aus und Hinweise auf diverse Berichte), aber keine konkret den BF betreffenden Angaben. Auch mit der Beschwerde wurden keinerlei Belege für seine Identität oder sein Fluchtvorbringen vorgelegt.

Beantragt wurde unter anderem die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.

1.8. Mit Schreiben der Staatsanwaltschaft Salzburg vom 13.02.2019 an das BFA wurde mitgeteilt, dass von der Verfolgung des BF wegen des Verdachtes der Begehung einer Tat nach § 27 Abs. 1 Suchtmittelgesetz (SMG) vorläufig zurückgetreten worden sei.

Im Abschluss - Bericht der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom 03.03.2019 wurde ausgeführt, dass der BF im Zeitraum der letzten Monate eine unbekannte Menge Marihuana an viele nicht identifizierte Abnehmer, hauptsächlich im Umfeld des Hauptbahnhofes Salzburg, gewinnbringend verkauft habe. Durch übersetzte WhatsApp und Facebook-Sprachnachrichten und gesicherte Lichtbilder auf seinem Mobiltelefon sei dies untermauert worden.

Laut Meldung der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom 11.03.2019 wurden der BF und ein anderer afghanischer Asylwerber angezeigt, sich gegenseitig (leicht) am Körper verletzt zu haben.

Mit Schreiben der Staatsanwaltschaft Salzburg vom 03.04.2019 an das BFA wurde mitgeteilt, dass gegen den BF wegen des Verdachtes der Begehung einer Tat nach § 83 StGB (Strafgesetzbuch, Körperverletzung) Anklage erhoben worden sei.

1.9. Das BVwG führte am 20.11.2017 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Paschtu durch, zu der der BF persönlich in Begleitung seines Vertreters erschien. Die belangte Behörde entschuldigte ihr Fernbleiben.

Der BF gab an, er sei gesund. Er spreche Paschtu und ein bisschen Dari, sei aber Analphabet und habe es daher auch nicht geschafft, Deutsch zu lernen.

Zu seiner Altersangabe befragt gab der BF an, er habe angegeben, was ihm seine Mutter gesagt habe, sein genaues Geburtsdatum kenne er nicht.

Zu seinen Lebensumständen in Afghanistan befragt gab der BF an (Auszug aus der Verhandlungsschrift):

"[...] RI [Richter]: Haben Sie in Ihrem Herkunftsstaat eine Schul- oder Berufsausbildung absolviert?

BF: In Afhganistan habe ich keine Schule besucht, ich war Schäfer.

RI: Womit haben Sie sich in Ihrem Herkunftsstaat Ihren Lebensunterhalt verdient bzw. wer ist für Ihren Lebensunterhalt aufgekommen?

BF: Mein Onkel mütterlicherseits.

RI: Immer schon oder ab wann?

BF: Ich weiß es nicht. Er hat die Reise organisiert, und dann bin ich aus Afghanistan ausgereist.

RI: Ich habe gemeint, ob nicht ursprünglich Ihr Vater für Sie gesorgt hat, und wenn ja, wie lange?

BF: Ja, mein Vater hat für mich gesorgt.

RI: Bis wann, wie lange?

BF: Ich weiß es nicht. Er hat für uns gesorgt, er brachte Lebensmittel nach Hause.

RI: Wann haben Sie Afghanistan verlassen?

BF: Vor meiner Einreise nach Österreich.

RI: Wo haben Sie in Afghanistan noch Verwandte?

BF: In Alingar leben meine Onkel mütterlicherseits, und in Karghai leben andere Verwandte von uns. [...]"

Zu seinem derzeitigen Tagesablauf befragt sagte der BF: "Nachts bin ich wach, tagsüber schlafe ich." Er nehme keine Medikamente, besuche keine Kurse oder Schulen, sei kein Mitglied in einem Verein und gehe keinen sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach.

Auf die Frage, ob er in Österreich von einem Gericht wegen einer Straftat verurteilt woprden sei, gab der BF an (Auszug aus der Verhandlungsschrift):

BF: [...] Ja, das habe ich. Ich war zusammen mit meinen Freunden unterwegs, und aufgrund dessen musste ich vor einem Gericht erscheinen.

RI: Wann waren Sie unterwegs mit den Freunden, und wann mussten Sie vor Gericht erscheinen?

BF: Ich kann mich nicht mehr an den Tag erinnern. Ich war vor etwa sechs bis sieben Monaten mit Freunden unterwegs. Es war mit einem Zimmerkollegen. Er hatte falsche Sachen in seinem Rucksack. Er wurde von der Polizei durchsucht. Danach gab es einen Gerichtstermin. Der Täter ist bereits nach Frankreich geflohen.

RI: Wie geht es mit Ihrem Verfahren weiter?

BF: Ich bin vom Gericht freigesprochen worden bzw. das Verfahren wurde eingestellt. Das Gericht sagte mir, ich solle ab jetzt nicht mehr streiten. Sie gaben mir eine Chance.

RI: Aber das Streiten war ja nicht Gegenstand des Verfahrens, sondern die Sachen im Rucksack?

BF: Das meine ich auch, dass der Gegenstand die Sachen im Rucksack waren und auch der Streit an sich, weil die Vorfälle miteinander in Zusammenhang stehen.

RI: Es ist im April eine Information gekommen, dass eine Anklage wegen Körperverletzung erhoben wurde. Was ist da passiert?

BF: Ich war bereits bei einem Gericht. Das Gericht sagte mir, ich solle keine Straftat mehr begehen, nämlich ein Jahr lang.

RI: Laut diesem Bericht handelte es sich um eine gegenseitige Körperverletzung zwischen Ihnen und einem anderen Asylwerber. Was ist da passiert?

BF: Er hat mich geschlagen bzw. verletzt. Die Narbe sieht man (Anmerkung: der BF zeigt auf eine Narbe links von seinem linken Auge). Es gibt auch Fotos von meiner Verletzung, die ich auf meinem Mobiltelefon habe.

RI: Darf ich Einsicht nehmen?

BF: In Salzburg bin ich am Hauptbahnhof vom Täter angegriffen worden. Zuerst begann er, auf mich einzuschlagen, dann schlug ich ihn in Notwehrsituation zurück. Es gab einen Freund des Täters, der auch dort anwesend war. Dieser Freund des Täters hat gegen mich ausgesagt. Nach dem Vorfall habe ich ihn angezeigt. Ich wollte nicht mit jemandem streiten.

BF zeigt die Fotos her. Sie zeigen eine klaffende Wunde links neben dem linken Auge.

RI: Was für eine Verletzung hatte der Andere?

BF: Er wurde nicht verletzt. Ich habe ihn nicht geschlagen.

RI: Wieso wird dann gegen Sie wegen Körperverletzung Anklage erhoben?

BF: Ich wollte ihm entkommen. Nachdem er auf mich eingeschlagen hat, wollte ich ihn loswerden und mich verteidigen. Kann sein, dass er dabei ein oder mehrere Schläge abbekommen hat. [...]"

Der BF gab an, er habe nach Hause keinen Kontakt mehr.

Zu seinen Fluchtgründen befragt gab er an (Auszug aus der Verhandlungsschrift):

"RI: Warum haben die Taliban Ihrem Vater einen Sack übergeben und ihm gesagt, er soll darauf aufpassen, und nach drei Tagen kommen sie wieder und wollen ihn abholen?

BF: Ich weiß es nicht, was sich in dem Sack befand. Die Taliban gaben den Sack meinem Vater, sie sagten, dass sie in drei Tagen wiederkommen würden, um diesen abzuholen. Den Sack gaben sie ab, weil sie wussten, dass wir die Tiere in die Berge treiben.

RI: Und Ihr Vater hat nicht hineingeschaut?

BF: Nein.

RI: Hat er nicht gewusst, dass das gefährlich ist, einen Sack der Taliban der Polizei zu geben?

BF: Er konnte den Sack nicht öffnen, deshalb hat er ihn der Polizei übergeben.

RI: Was könnte da drinnen gewesen sein?

BF: Ich weiß es nicht, was drinnen gewesen sein könnte.

RI: Was könnte das für einen Sinn gehabt haben?

BF: Die Taliban dachten sich, dass wir Schäfer sind und die Tiere in die Berge treiben und uns jeden Tag dort aufhalten. Sie würden kommen und den Sack wieder abholen.

RI: Wie alt war Ihr Vater, als er gestorben ist?

BF: Ungefähr 53 Jahre.

RI: Wieso wissen Sie das?

BF: Meine Mutter hat es mir gesagt.

RI: Warum haben Sie dann zunächst drei Jahre bei Ihrem Onkel verbracht und sind erst dann ausgereist?

BF: Ich war jung. Mein Onkel sagte mir, dass ich Probleme bekommen werde. Ich solle nach Europa reisen.

RI: Wie ist das passiert, als Ihr Vater getötet wurde? Zu welcher Tageszeit sind die Taliban gekommen?

BF: Ich weiß es nicht genau, aber ich glaube, es war am späten Nachmittag oder am frühen Abend.

RI: Aber Sie waren doch dabei?

BF: Ich habe nicht auf die Uhr geschaut.

RI: Wie viele Taliban waren es?

BF: Ich weiß es nicht. Ich habe sie nicht gezählt, aber es waren viele Taliban. Ich stand weit weg.

RI: Was hat Ihre Mutter dazu gesagt?

BF: Meine Mutter war zu Hause.

RI: Ja, aber Sie haben Ihrer Mutter erzählt, dass Ihr Vater erschossen worden ist. Was hat sie gesagt?

BF: Sie begann zu weinen und zu schreien, dann versammelten sich die Dorfbewohner bei uns.

RI: Wann ist der Vater beerdigt worden?

BF: Ich weiß es nicht, wann er beerdigt wurde. Seine Leiche wurde ins Dorf gebracht und dann beerdigt. Ich weiß es daher nicht, weil ich damals sehr klein war.

RI: Sie waren immerhin 15 Jahre alt?

BF: Ich weiß nicht, wie alt ich damals war, weil ich Analphabet bin. Bei meiner Ausreise aus Afghanistan sagte meine Mutter, dass ich 16 Jahre alt sei.

RI: Aber auch, wenn Sie 13 Jahre alt gewesen sind, hätten Sie sich doch daran erinnert, dass Sie beim Begräbnis des Vaters dabei waren?

BF: Das Datum bzw. den Tag der Beerdigung weiß ich nicht. Ich bin Analphabet, ich habe mir dies nicht gemerkt.

RI: Können Sie sich nicht erinnern, ob Sie beim Begräbnis dabei waren?

BF: Ich war nicht anwesend bei der Beerdigung.

RI: Was würde Ihnen konkret passieren, wenn Sie jetzt wieder in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten?

BF: Gott weiß es."

Das erkennende Gericht brachte weitere Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF in das Verfahren ein (aufgelistet unter Punkt 2.).

Es folgte dem BFV [Vertreter des BF] Kopien dieser Erkenntnisquellen aus und gab ihm die Möglichkeit, dazu sowie zu den bisherigen Angaben des BF eine mündliche Stellungnahme abzugeben oder Fragen zu stellen. Dieser gab dazu an (Auszug aus der Verhandlungsschrift):

"BFV: Ich habe keine Fragen. Ich verweise auf die bisherigen Anträge in der Beschwerde und füge hinzu, dass Afghanistan nach wie vor ein instabiles und unsicheres Land ist. Laut den neuen UNHCR-Richtlinien wird Folgendes gesagt: Die Sicherheitslage in Kabul weise einen negativen Trend auf, wodurch Angehörige der zivilen Bevölkerung, die am alltäglichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben in Kabul teilnehmen, einem Risiko ausgesetzt sind, der allgemeinen Gewalt zum Opfer zu fallen, von der die Stadt betroffen ist. Hinsichtlich der Zumutbarkeit von Kabul als mögliche Flucht- oder Neuansiedlungsalternative wird besonders auf die Grenzen der Aufnahmefähigkeit der Stadt hingewiesen. Zugleich wiesen Studien darauf hin, dass Kabul überproportional von der steigenden Armut im Land betroffen sei und besonders in Slums und anderen informellen Siedlungen keine gesicherte Versorgung mit Nahrungsmitteln gegeben sei. Vor diesem Hintergrund kommt UNHCR zum Ergebnis, dass in Kabul im Allgemeinen keine interne Flucht- oder Neuandsiedlungsalternative zur Verfügung steht. Auch in den Städten Mazar-e Sharif und Herat ist die Situation nach wie vor angespannt, dennoch ist festzuhalten, dass die afghanische Regierung die Kontrolle über Mazar-e Sharif und Herat Stadt sowie größere Transitrouten hat, auch sind Mazar-e Sharif und Herat über den Luftweg aufgrund des vorhandenen Flughafens sicher erreichbare Städte. Aus dem vorliegenden Berichtsmaterial geht hervor, dass Terroranschläge in diesen Städten - insbesondere auf Einrichtungen mit Symbolcharakter - nicht auszuschließen sind und in unregelmäßigen Abständen auch stattfinden. Daher würde eine Abschiebung eine Verletzung von

Artikel 2, 3 der EMRK bedeuten."

Dem BFA wurde die Verhandlungsschrift samt Beilagen übermittelt.

2. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

* Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragung am 19.05.2016 und der Einvernahme vor dem BFA am 02.05.2018, das eingeholte medizinische multifaktorielle sachverständige Altersgutachten vom 27.08.2016 sowie die Beschwerde vom 22.05.2018

* Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat des BF im erstbehördlichen Verfahren (offenbar Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Aktenseiten 216 bis 315)

* Einvernahme des BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 12.08.2019

* Einsichtnahme in folgende in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG zusätzlich in das Verfahren eingebrachte Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF:

o Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat sowie in der Provinz Laghman (Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018, zuletzt aktualisiert am 04.06.2019)

3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):

Folgende Feststellungen werden aufgrund des glaubhaft gemachten Sachverhaltes getroffen:

3.1. Zur Person des BF:

3.1.1. Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des BF ist Paschtu, er spricht auch etwas Dari. Er ist ledig und hat keine Kinder.

Der BF stammt aus einem Dorf in der Provinz Laghman und lebte dort als Schäfer mit seinen Eltern, zwei Schwestern und zwei Brüdern. Er besuchte keine Schule. In Laghman leben weitere Verwandte (Onkel) des BF.

3.1.2. Der Vater des BF bestritt den Lebensunterhalt für die Familie, bis er laut Angabe des BF - ca. drei Jahre vor seiner Ausreise - von den Taliban getötet wurde.

3.1.3. Der BF verließ Afghanistan aus angegebenen Gründen und reiste schlepperunterstützt bis nach Österreich, wo er am 19.05.2016 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

3.1.4. Der BF ist gesund, jung und im erwerbsfähigen Alter. Er hat den Großteil seines Lebens in Afghanistan verbracht und ist mit den kulturellen Traditionen und Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut.

3.1.5. Der BF ist in Österreich zwar strafgerichtlich unbescholten, aber wegen des Verdachtes der Begehung von Suchtgiftdelikten und von Körperverletzung (im Streit mit einem anderen afghanischen Asylwerber) aufgefallen.

Er hat trotz seines mehr als dreijährigen Aufenthaltes in Österreich keine Deutschkursbestätigungen vorgelegt und verfügt kaum über Deutschkenntnisse. Er besucht keine Schulen oder Kurse, ist nicht Mitglied in einem Verein und hat keine sozialen, kulturellen oder sportlichen Tätigkeiten oder näheren persönlichen Beziehungen angegeben.

3.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

3.2.1. Der BF wurde nach eigenen Angaben in seinem Herkunftsstaat niemals inhaftiert, ist nicht vorbestraft und hatte mit den Behörden seines Herkunftsstaates weder auf Grund seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwelche Probleme. Der BF war nicht politisch tätig und gehörte keiner politischen Partei an.

3.2.2. Der BF hat sein Vorbringen, dass sein Vater ca. drei Jahre vor der Ausreise des BF aus Afghanistan von den Taliban wegen Verrates getötet worden und der BF daher ebenfalls in Lebensgefahr sei, nicht glaubhaft gemacht.

3.3. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:

3.3.1. Dem BF würde derzeit bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Laghman aufgrund der dort vorherrschenden Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.

3.3.2. Dem BF steht im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan eine Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif (wie auch in Kabul) als zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung.

Er hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihm dabei ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde oder er Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Der BF ist gesund, jung, im erwerbsfähigen Alter und männlich. Dass sein allgemeiner Gesundheitszustand erheblich beeinträchtigt wäre, hat er im Verfahren weder behauptet, noch ist es dem erkennenden Gericht sonst bekannt geworden. Es ist daher anzunehmen, dass der BF im Herkunftsstaat in der Lage sein wird, sich notfalls mit Hilfstätigkeiten ein ausreichendes Auskommen zu sichern und daher nicht in eine hoffnungslose Lage zu kommen, zumal er über Berufserfahrung (als Viehhüter) verfügt.

Zwar hielt sich der BF noch nie in Mazar-e Sharif auf, jedoch leben in Afghanistan noch mehrere Verwandte (Onkel) des BF, auf deren Unterstützung er als Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen zählen darf, zumal ein Onkel auch seine Ausreise organisiert hat.

3.3.3. Der BF kann von Österreich aus die Stadt Kabul und weiter von dort Mazar-e Sharif sicher mit dem Flugzeug erreichen.

3.4. Zur Lage im Herkunftsstaat des BF:

Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan vom 29.06.2018 (zuletzt aktualisiert am 04.06.2019, Schreibfehler teilweise korrigiert):

"[...] 2. Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.01.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.09.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.09.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.02.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.01.2017; vgl. USDOS 20.04.2018, USDOS 15.08.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.01.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.02.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.04.2018; vgl. USDOS 15.08.2017).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).

Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht Am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.01.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20.10.2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.04.2018; vgl. AAN 22.01.2017, AAN 18.12.2016).

Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.08.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 06.05.2018).

Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 06.05.2018).

Parteienlandschaft und Opposition

Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.01.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.09.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.01.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 03.05.2017). Am 04.05.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 04.05.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u.a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung, sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vgl. Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.03.2018).

Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezb-e Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara) (AB 18.11.2017; vgl. AAN 06.05.2018).

Unterstützer des weiterhin politisch tätigen ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai gründeten im Oktober 2017 eine neue politische Bewegung, die Mehwar-e Mardom-e Afghanistan (The People's Axis of Afghanistan), unter der inoffiziellen Führung von Rahmatullah Nabil, des ehemaligen Chefs des afghanischen Geheimdienstes (NDS). Später distanzierten sich die Mitglieder der Bewegung von den politischen Ansichten Hamid Karzais (AAN 06.05.2018; vgl. AAN 11.10.2017).

Anwarul Haq Ahadi, der langjährige Anführer der Afghan Mellat, eine der ältesten Parteien Afghanistans, verbündete sich mit der ehemaligen Mujahedin-Partei Harakat-e Enqilab-e Eslami-e Afghanistan. Gemeinsam nehmen diese beiden Parteien am New National Front of Afghanistan teil (NNF), eine der kritischsten Oppositionsgruppierungen in Afghanistan (AAN 6.5.2018; vgl. AB 29.05.2017).

Eine weitere Oppositionspartei ist die Hezb-e Kongara-ya Melli-ye Afghanistan (The National Congress Party of Afghanistan) unter der Führung von Abdul Latif Pedram (AB 151.2016; vgl. AB 295.2017).

Auch wurde die linksorientierte Hezb-e-Watan-Partei (The Fatherland Party) wieder ins Leben gerufen, mit der Absicht, ein wichtiges Segment der ehemaligen linken Kräfte in Afghanistan zusammenzubringen (AAN 06.05.2018; vgl. AAN 21.08.2017).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Am 28.02.2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.03.2018; vgl. TS 28.02.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 07.03.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.03.2018; vgl. TD 07.03.2018, NZZ 28.02.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.04.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel 3. "Sicherheitslage").

Am 19.05.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.05.2018).

Am 07.06.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.06.2018 - 20.06.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich Am 04.06.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 07.06.2018; vgl. Reuters 07.06.2018, RFL/RL 05.06.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 05.06.2018). Die Taliban selbst gingen am 09.06.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.06.2018; vgl. TH 10.06.2018, Tolonews 09.06.2018).

[...]

3. Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.02.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.)

[...]

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.02.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 09.03.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (UNGASC 15.03.2016).

[...]

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.08.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östliche Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.02.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.02.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.02.2018).

[...]

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 06.06.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.02.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.02.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.02.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.02.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.02.2018, NZZ 21.03.2018, UNGASC 27.02.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.03.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 01.06. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.02.2018; vgl. Slate 22.04.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.03.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.03.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.01.2018; vgl. BBC 29.01.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.01.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.01.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.05.2018; AD 20.05.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.02.2018), [...]

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei zwölf Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 07.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 07.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 07.11.2017)

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

[...]

Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung:

Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.05.2018; vgl. DW 06.05.2018, AJ 06.05.2018, Tolonews 06.05.2018, Tolonews 29.04.2018, Tolonews 220.4.2018).

[...]

Zivilist/innen

[...]

Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 201

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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