TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/21 G307 2124281-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.10.2019
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Entscheidungsdatum

21.10.2019

Norm

B-VG Art. 133 Abs4
FPG §66 Abs1
FPG §70 Abs3
NAG §55 Abs3

Spruch

G307 2124281-2/20E

G307 2124278-2/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus MAYRHOLD als Einzelrichter über die Beschwerde 1. der XXXX, geb. XXXX sowie der XXXX, geb. am XXXX, beide StA. Deutschland, beide vertreten durch RA Mag. Doris EINWALLNER in 1050 Wien, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.06.2017, Zahlen XXXX sowie XXXX nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht erkannt:

A) Den Beschwerden wird s t a t t g e g e b e n und die bekämpften

Bescheide a u f g e h o b e n

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Schreiben vom 17.04.2013, Zahlen XXXX und XXXX, teilte das Amt der XXXX Landesregierung der Landespolizeidirektion XXXX (im Folgenden: LPD XXXX) mit, dass die Beschwerdeführerinnen (im Folgenden: BF1 und BF2, zugleich BF) am 06.07.2012 einen Antrag auf Ausstellung einer Anmeldebescheinigung eingebracht hätten, diese jedoch aufgrund fehlender Eigenmittel die Voraussetzung zur Ausstellung einer solchen nicht erfüllten, weshalb um die Prüfung einer möglichen Aufenthaltsbeendigung ersucht werde.

2. Mit Schreiben vom 29.04.2013, Zahl XXXX, wurden die beiden BF von der beabsichtigten Ausweisung ihrer Personen seitens der LPD XXXX in Kenntnis gesetzt und diesen zugleich die Möglichkeit zur dahingehenden Stellungnahme binnen zwei Wochen eingeräumt.

3. Mit am 23.05.2013 bei der LPD XXXX eingelangtem Schreiben nahmen die BF durch ihre Rechtsvertreterin (im Folgenden: RV) dazu Stellung.

4. Mit Schriftsatz vom 29.01.2015, Zahlen XXXX und XXXX, wurden die BF erneut von der beabsichtigten Ausweisung ihrer Personen seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) in Kenntnis gesetzt und diesen zugleich die Möglichkeit zur dahingehenden Stellungnahme binnen zwei Wochen ab Erhalt dieser Schreiben eingeräumt.

5. Mit per Telefax am 23.03.2015 beim BFA eingebrachten sowie jeweils am 05.02.2015 und 24.06.2015 beim BFA eingelangten Schreiben nahmen die BF durch ihre RV hiezu erneut Stellung und brachten diverse Unterlagen in Vorlage.

6. Mit Schriftsatz vom 13.10.2015, Zahlen XXXX und XXXX, wurden die BF abermals von der beabsichtigten Ausweisung ihrer Personen seitens des BFA in Kenntnis gesetzt und diesen zugleich die Möglichkeit zur diesbezüglichen Stellungnahme binnen zwei Wochen ab Erhalt dieser Schreiben eingeräumt.

7. Mit am 02.11.2015 beim BFA eingelangten Schreiben nahmen die BF durch ihre RV wiederholt dazu Stellung.

8. Mit Bescheiden des BFA, der RV der BF zugestellt am 18.03.2016, wurden diese gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.) und diesen gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt (Spruchpunkt II.).

9. Mit Beschlüssen des Bundesverwaltungsgerichtes (im Folgenden: BVwG), Gz.: G307 2124281-1/2E und G307 2124278-1/2E vom 01.08.2016 wurden die zuvor genannten Bescheide behoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückverwiesen.

10. Am 07.03.2017 fand eine niederschriftliche Einvernahme der BF im Aufenthaltsbeendigungsverfahren vor dem BFA statt.

11. Mit weiterem Schreiben vom 27.04.2017 wurden die BF erneut zur Stellungnahme binnen 14 Tagen ab dessen Erhalt aufgefordert.

12. Mit per Telefax am 17.05.2017 beim BFA übermitteltem Schreiben nahmen die BF durch ihre RV dazu Stellung.

13. Mit den weiteren Bescheiden des BFA vom 29.06.2017, der RV der BF zugestellt am 04.07.2017, wurden die BF gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.) und diesen gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt (Spruchpunkt II.).

14. Mit am 17.07.2017 beim BFA eingebrachtem Schriftsatz erhoben die BF durch ihre RV Beschwerde gegen den zuvor genannten Bescheid beim BVwG.

15. Mit Erkenntnissen des BVwG vom 31.01.2018, Zahlen G307 2124278-2/2E und G307 2124281-2/2E wurden diese Beschwerden als unbegründet abgewiesen und die Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht für zulässig erklärt.

16. Als Folge der dagegen an den Verwaltungsgerichtshof (VwGH) erhobenen außerordentlichen Revision wurde mit Erkenntnis desselben vom 30.08.2018, Zahl Ra 2018/21/0047 bis 0048-12, die bekämpfte Entscheidung des BVwG wegen Verletzung von Verfahrensschritten aufgehoben.

17. Am 01.10.2019 fand vor dem BVwG, Außenstelle Graz, eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an welcher die beiden BF und deren RV teilnahmen sowie XXXX sowie XXXX als Zeuginnen befragt wurden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Die BF führen die im Spruch genannten Identitäten (Namen und Geburtsdatum) und sind Staatsangehörige der Bundesrepublik Deutschland. BF1 ist die Mutter der BF2.

1.2. BF1 belegte in Deutschland das Gymnasium mit anschließender Reifeprüfung und studierte sodann in Deutschland wie Österreich Volkswirtschaft, die Abschlussprüfung absolvierte sie jedoch nicht, danach nahm sie eine sozialpädagogische Ausbildung in Anspruch.

1.3. BF2 absolviert seit XXXX2015 die Externistenausbildung, welche auf die Ablegung der Reifeprüfung abzielt, die mit Herbst 2020 geplant ist. Sodann beabsichtigt sie, Humanmedizin zu studieren. Der Vater der BF2, XXXX befindet sich bereits in Pension und leistet ihr keinen Unterhalt. Bis zu ihrer Volljährigkeit erhielt BF2 einen monatlichen staatlichen Unterhaltsvorschuss in der Höhe von rund €

140,00. Derzeit bekommt sie weder staatliche noch vaterschaftliche Unterhaltsleistungen. Der Kontakt zum Vater beschränkt sich auf seltene Treffen, zuletzt nur 1 Mal im Jahr. Einer Beschäftigung geht BF2 derzeit nicht nach.

1.4. Die BF reisten zuletzt am 04.07.2012 ins Bundesgebiet ein, wo sie seither ununterbrochen aufhältig sind. Darüber hinaus weist BF1 zwischen 1983 bis 09.08.2001 (BF2 seit 14.12.1999) einen durchgehenden Aufenthalt im Bundesgebiet auf, während BF1 vom 13.01.1992 bis zum 31.05.1993 sowie vom 01.07.1999 bis zum 31.01.2000 erwerbstätig war, wobei sie damals (auch) Kurse für arbeitslose Menschen hielt. Die BF kehrten jedoch im Jahre 2002 nach Deutschland zurück, wo sie sich bis zur gegenständlichen Einreise durchgehend aufhielten. Der Grund lag einerseits in der kurzen Dauer der Beziehung der BF1 mit dem Kindesvater der BF2 von 1998 bis 2002. Außerdem war BF1 nach der Trennung vom Kindesvater und gleichzeitig Lebensgefährten (LG) auf sich selbst gestellt, hatte psychische Probleme und war sowohl im Hinblick auf die Betreuung von BF2 wie finanziell auf die Unterstützung ihrer Eltern angewiesen. In Deutschland war BF1 rund 1 Jahr (2003 bis 2004) in einer Tagesstätte für psychisch kranke Menschen tätig, ehe sich ihr Gesundheitszustand verschlechterte und sie dort Sozialhilfe beantragte. Ferner war ihr der berufliche Zugang in ihrem Heimatland erschwert, weil die in Österreich beanspruchte sozialpädagogische Ausbildung mit jener in Deutschland nicht konform ging.

1.5. BF1 war in Österreich zwischen 13.01.1992 und 13.06.2001 bei 3 Arbeitgebern in 3 Arbeitsverhältnissen tätig. Dazwischen bezog sie unter anderem Krankengeld, Notstands-, Überbrückungs-, eine Beihilfe gemäß § 20 Abs. 2 Arbeitsmarktförderungsgesetz (AMFG), Urlaubsabfindung, Urlaubsentschädigung, Wochengeld sowie Arbeitslosenunterstützung. Seit dem 01.05.2008 erhält sie eine Berufsunfähigkeitspension.

1.6. BF1 hatte nicht die Absicht, dauerhaft nach Deutschland zurückzukehren, sondern, bis sich ihre Lage wieder stabilisiert hat.

1.7. In Österreich verfügt BF1 über insgesamt 5 bis 6 enge Freundinnen, deren Bekanntschaft bis in die 90iger Jahre zurückgeht. Insbesondere pflegt BF1 namentlich mit XXXX, XXXX und XXXX enge Beziehung. Diese äußert sich etwa darin, dass die BF1 und die Genannten einander besuchen, teilweise ein- bis zweiwöchige Zeitspannen miteinander verbringen und immer wieder treffen.

Die Beziehung zu den in Deutschland lebenden Eltern wie den beiden Schwestern beschränken sich auf zeitweilige Kurzbesuche, zumeist zu den Feiertagen, Ostern und Weihnachten.

1.8. BF1 leidet an einer Schilddrüsenunterfunktion, medikamentös behandelter Parkinson sowie Retinitis pigmentosa. Die letztere Erkrankung führt schlussendlich zur Erblindung und wurde ihr im Alter von 30 Jahren diagnostiziert. Aus diesem Grund wurde BF1 am XXXX2012 vom Bundessozialamt XXXX ein Behindertenausweis ausgestellt, wonach der Grad der Behinderung 100 % beträgt. Sowohl das Sehvermögen als auch der Zustand aufgrund der Parkinson-Krankheit haben sich zusehends verschlechtert. BF1 bezieht seit XXXX2008 eine Berufsunfähigkeitspension in der Höhe von €

285,14. BF1 wurde Pflegestufe 4 zugesprochen, wobei ihr dieses mit Bescheid XXXX2012 - damals auf Höhe der Stufe 3 - zuerkannt wurde. Ursprünglich wurden ihr insgesamt rund € 1.400,00 monatlich auf deren Konto überwiesen. Davon entfallen € 677,60 auf das Pflegegeld, € 501,91 auf die Ausgleichszulage, € 285,14 auf die Berufsunfähigkeitspension und werden der BF1 € 49,01 an Krankenversicherungsbeitrag abgezogen. Die Höhe der aus Deutschland bezogenen Berufsunfähigkeitspension beträgt rund € 160,00 monatlich. Somit stehen der BF1 im Monat rund € 1.560,00 zur Verfügung. Der Stand auf dem Konto der BF1, XXXX mit Stichtag 30.08.2019 betrug €

4.396,27. BF1 konsumiert den Dienst "Essen auf Rädern".

1.9. BF1 lebt derzeit in einer 60 m² großen Wohnung, wofür sie €

700,00 monatlich samt Betriebskosten zu bezahlen hat. BF2 lebt derzeit alleine in einer etwa 40 m² großen Wohnung in der XXXX. Die monatliche Miete inklusive Betriebskosten beträgt rund € 400,00. Dieser Betrag wird jeden Monat von der Großmutter der BF2 auf deren Konto bei der XXXX, IBAN XXXXüberwiesen. BF2 ist ledig und keinen Sorge- oder Unterhaltspflichten ausgesetzt. Ihr Freundeskreis ist zum Großteil im schulischen Bereich angesiedelt. So pflegt sie etwa mit XXXX, einer Schulkollegin, eine sehr gute Freundschaft. Das gleiche gilt für XXXX, die Tochter der oben genannten XXXX. BF2 besuchte auch die Tanzschule XXXX in XXXX und gewann dort einen weiteren Freund namens XXXX.

1.10. Das Verhältnis zwischen den beiden BF ist eng. Sie sehen einander häufig. Diese Treffen gestalten sich derart, dass die sie gemeinsam kochen, BF2 der BF1 bei der Reinigung ihrer Wohnung hilft. Umgekehrt nimmt BF2 die Unterstützung der BF1 in schulischen und seelischen Belangen in Anspruch.

1.11. Beide BF sind strafrechtlich unbescholten. BF1 ist zudem arbeitsunfähig. BF2 ist gesund.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.2. Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund des vorliegenden Aktes durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt:

2.2.1. Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zu Identität, Staatsangehörigkeit, Familienstand, Wohnsitz und zwischenzeitlichem Aufenthalt in Deutschland getroffen wurden, beruhen diese auf den Feststellungen im angefochtenen Bescheid, den Ausführungen in den Stellungnahmen, der Beschwerde, dem Inhalt des auf die beiden BF lautenden Auszuges aus dem zentralen Melderegister (ZMR) sowie dem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG).

Beide BF legten einen auf ihren Namen ausgestellten, deutschen Personalausweis vor, an deren jeweiliger Echtheit und Richtigkeit keine Zweifel aufgekommen sind.

Die Schul- und Universitätsausbildung der BF1 hat diese widerspruchsfrei während des Verfahrens dargetan und wurde die Hochschulausbildung von den beiden in der Verhandlung befragten Zeuginnen bestätigt.

Die aktuell von der BF2 absolvierten Externistenausbildung folgt dem Inhalt der Bestätigung der Externistenprüfungskommission des Stadtschulrates XXXX vom XXXX2018.

Die strafrechtliche Unbescholtenheit ist dem Amtswissen des erkennenden Gerichtes durch Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich zu entnehmen.

Die in Österreich seitens der BF1 ausgeübten Beschäftigungen wie der Bezug der unter I.1.5. erwähnten staatlichen Leistungen ist aus dem Inhalt der auf ihren Namen lautenden Sozialversicherungsdatenauszug ersichtlich.

Existenz und Namen des Vaters wie die fehlenden Unterhaltsleistungen seinerseits folgen den übereinstimmenden Angaben der beiden BF in der Verhandlung und sind ferner dem Umstand zu entnehmen, dass der Kindesvater der BF2 laut seinem Sozialversicherungsdatenauszug in den letzten Jahren über weite Teile kein Einkommen, sondern nur Notstands-, Überbrückungshilfe oder Arbeitslosenunterstützung bezogen hat. Da die BF2 nunmehr volljährig ist, wurde der staatliche Unterhaltsvorschuss gegenüber der BF2 mit Vollendung des 18. Lebensjahres eingestellt. Dass noch keine Klage auf weitere Unterhaltsleistungen gegen den Vater eingebracht wurde, hat diese in der Verhandlung bestätigt.

Der letzte Einreisezeitpunkt der BF ergibt sich aus dem Bescheidinhalt und ist mit dem Inhalt des jeweiligen ZMR-Auszuges in Einklang zu bringen.

Die Höhe der aktuell bezogenen Leistungen der BF1 ist dem Schreiben der Pensionsversicherungsanstalt vom Jänner 2019, Zahl XXXXzu entnehmen. Ferner deckt sich dieser Betrag mit den Buchungsvorgängen auf dem Konto der BF1, welcher zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung das unter II.1.8. angeführte Guthaben auswies.

Das gute, jahrzehntelange, enge freundschaftliche Verhältnis insbesondere zu XXXX, XXXX und XXXX haben sowohl BF1 selbst als auch die beiden erstgenannten im Rahmen ihrer Zeugenaussagen in der mündlichen Verhandlung dargetan.

Zeitpunkt, Zeitspanne, Begleitumstände und Grund für die "Heimkehr" nach Deutschland im Jahr 2002 ergeben sich aus den ausführlichen, nachvollziehbaren Ausführungen der BF1 in der mündlichen Verhandlung und decken sich mit den Aussagen der bereits mehrfach erwähnten Zeuginnen. Dabei ist sowohl dem Inhalt der Ausführungen der BF1 als auch der Anfang der 2000er Jahre bestandenen familiären Umstände wie dem Ende der Beziehung mit dem Kindesvater zu entnehmen, dass ihr vor dem Hintergrund des sich damals schon verschlechternden Gesundheitszustandes und ihrer kritischen finanziellen Situation fast keine andere Möglichkeit offenstand, als nach Deutschland zurückzuziehen. Das Vorbringen der BF1, sie hätte sich nicht wieder nach Deutschland zurückbegeben, wäre diese Gesamtsituation nicht eingetreten, ist daher nachvollziehbar.

Die in Österreich seitens der BF1 ausgeübten Beschäftigungen und die dazwischen liegenden Zeiten staatlicher Unterstützungen spiegeln sich im Inhalt des auf ihren Namen lautenden Sozialversicherungsdatenauszuges wieder. Ihre Parkinson-Krankheit ist dem Inhalt des am 10.01.2017 erstellten Befundberichtes der XXXX zu entnehmen. Die Retinitis pigmentosa und die kontinuierliche Verschärfung dieser Krankheit sind aus dem an das Arbeits- und Sozialgericht der XXXX, Augenärztin in XXXX, wie den eigenen plausiblen Ausführungen der BF1 zu entnehmen. Die Inanspruchnahme des Dienstes "Essen auf Rädern" hat BF1 in der mündlichen Verhandlung eingeworfen haben sich gegenteilige Anhaltspunkte nicht aufgetan.

Die regelmäßige finanzielle Unterstützung der BF2 durch deren Großmutter und zugleich Mutter der BF1 in der Höhe von € 400,00 ergibt sich aus deren Angaben in der mündlichen Verhandlung, dem Vorbringen der BF1 wie den Kontobewegungen auf dem Konto der BF2. Auch der Bestand der von BF2 bewohnten Unterkunft sowie die dadurch entstehenden Kosten folgt ihren wie den Aussagen der BF1 in der mündlichen Verhandlung und der Überweisung an die Wohnungseigentümerin XXXX, die sich ebenso aus dem Inhalt der vorgelegten Kontoauszüge der BF2 ergibt. Die Existenz der von BF1 gemieteten Wohnung samt Kosten hat diese in der mündlichen Verhandlung glaubhaft dargetan und entspricht deren Miethöhe für diese Größe in der dortigen Lage der Lebenserfahrung.

Die 100%ige Behinderung der BF1 ist aus dem in der Verhandlung vorgelegten Behindertenausweises des Bundessozialamtes ersichtlich.

Das enge familiäre Verhältnis zwischen BF1 und BF2 ergibt sich einerseits aus deren langjähriger gemeinsamer Haushaltsführung und die de facto alleinige Erziehung der BF2 durch ihre Mutter. Andererseits haben beide BF in der mündlichen Verhandlung die gegenseitige Unterstützung bekräftigt. Auch die beiden Zeuginnen bestätigten in mehrerlei Belange die starke Bindung zwischen BF1 und BF2.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

3.1. Zur Stattgebung der Beschwerde:

3.1.1. Gemäß § 2 Abs. 4 FPG gilt als Fremder, jeder der die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt (Z 1 leg cit) und als EWR-Bürger, jener Fremder der Staatsangehöriger einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) ist (Z 8 leg cit).

Die BF sind aufgrund ihrer deutschen Staatsbürgerschaft sohin EWR-Bürgerin im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.

3.1.2. Der mit "Ausweisung" betitelte § 66 FPG lautet:

"§ 66. (1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(4) (Anm.: aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)"

Der mit "Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate" § 51 NAG lautet:

"§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;

2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder

3. als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.

(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs. 1 Z 1 bleibt dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er

1. wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;

2. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt;

3. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt, oder

4. eine Berufsausbildung beginnt, wobei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.

(3) Der EWR-Bürger hat diese Umstände, wie auch den Wegfall der in Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die näheren Bestimmungen zur Bestätigung gemäß Abs. 2 Z 2 und 3 mit Verordnung festzulegen."

Der mit "Bescheinigung des Daueraufenthalts von EWR-Bürgern" betitelte § 53a NAG lautet:

"§ 53a. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.

(2) Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird nicht unterbrochen von

1. Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr;

2. Abwesenheiten zur Erfüllung militärischer Pflichten oder

3. durch eine einmalige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Entbindung, schwerer Krankheit, eines Studiums, einer Berufsausbildung oder einer beruflichen Entsendung.

(3) Abweichend von Abs. 1 erwerben EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 vor Ablauf der Fünfjahresfrist das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sie

1. zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das Regelpensionsalter erreicht haben, oder Arbeitnehmer sind, die ihre Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Vorruhestandsregelung beenden, sofern sie diese Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet mindestens während der letzten zwölf Monate ausgeübt und sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben;

2. sich seit mindestens zwei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben und ihre Erwerbstätigkeit infolge einer dauernden Arbeitsunfähigkeit aufgeben, wobei die Voraussetzung der Aufenthaltsdauer entfällt, wenn die Arbeitsunfähigkeit durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit eingetreten ist, auf Grund derer ein Anspruch auf Pension besteht, die ganz oder teilweise zu Lasten eines österreichischen Pensionsversicherungsträgers geht, oder

3. drei Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet erwerbstätig und aufhältig waren und anschließend in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwerbstätig sind, ihren Wohnsitz im Bundesgebiet beibehalten und in der Regel mindestens einmal in der Woche dorthin zurückkehren;

Für den Erwerb des Rechts nach den Z 1 und 2 gelten die Zeiten der Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Zeiten der Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet. Zeiten gemäß § 51 Abs. 2 sind bei der Berechnung der Fristen zu berücksichtigen. Soweit der Ehegatte oder eingetragene Partner des EWR-Bürgers die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt oder diese nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat, entfallen die Voraussetzungen der Aufenthaltsdauer und der Dauer der Erwerbstätigkeit in Z 1 und 2.

(4) EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 sind, erwerben ebenfalls das Daueraufenthaltsrecht, wenn der zusammenführende EWR-Bürger das Daueraufenthaltsrecht gemäß Abs. 3 vorzeitig erworben hat oder vor seinem Tod erworben hatte, sofern sie bereits bei Entstehung seines Daueraufenthaltsrechtes bei dem EWR-Bürger ihren ständigen Aufenthalt hatten.

(5) Ist der EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 im Laufe seines Erwerbslebens verstorben, bevor er gemäß Abs. 3 das Recht auf Daueraufenthalt erworben hat, so erwerben seine Angehörigen, die selbst EWR-Bürger sind und die zum Zeitpunkt seines Todes bei ihm ihren ständigen Aufenthalt hatten, das Daueraufenthaltsrecht, wenn

1. sich der EWR-Bürger zum Zeitpunkt seines Todes seit mindestens zwei Jahren im Bundesgebiet ununterbrochen aufgehalten hat;

2. der EWR-Bürger infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit verstorben ist, oder

3. der überlebende Ehegatte oder eingetragene Partner die österreichische Staatsangehörigkeit nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat."

Der mit "Nichtbestehen, Fortbestand und Überprüfung des Aufenthaltsrechtes für mehr als drei Monate" betitelte § 55 NAG lautet:

"§ 55. (1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

(2) Der Fortbestand der Voraussetzungen kann bei einer Meldung gemäß §§ 51 Abs. 3 und 54 Abs. 6 oder aus besonderem Anlass wie insbesondere Kenntnis der Behörde vom Tod des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers oder einer Scheidung überprüft werden.

(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.

(4) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§ 9 BFA-VG), hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dies der Behörde mitzuteilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.

(5) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung von Drittstaatsangehörigen, die Angehörige sind, aber die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, ist diesen Angehörigen ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" quotenfrei zu erteilen.

(6) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist ein nach diesem Bundesgesetz anhängiges Verfahren einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird."

Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 BFA-VG lautet:

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und

Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden, wenn

1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, es sei denn, eine der Voraussetzungen für die Erlassung eines Einreiseverbotes von mehr als fünf Jahren gemäß § 53 Abs. 3 Z 6, 7 oder 8 FPG liegt vor, oder

2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt."

3.1.3. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihres Briefverkehrs.

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit ein Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, wie sie eine Ausweisung eines Fremden darstellt, kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob die Ausweisung einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt:

Zu den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten Grundsätzen zählt unter anderem, dass das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens, das Vorhandensein einer "Familie" voraussetzt. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern bzw. von verheirateten Ehegatten, sondern auch andere nahe verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine hinreichende Intensität für die Annahme einer familiären Beziehung iSd. Art. 8 EMRK erreichen. Der EGMR unterscheidet in seiner Rechtsprechung nicht zwischen einer ehelichen Familie (sog. "legitimate family" bzw. "famille légitime") oder einer unehelichen Familie ("illegitimate family" bzw. "famille naturelle"), sondern stellt auf das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens ab (siehe EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 454; 18.12.1986, Johnston u.a., EuGRZ 1987, 313; 26.05.1994, Keegan, EuGRZ 1995, 113; 12.07.2001 [GK], K. u. T., Zl. 25702/94; 20.01.2009, Serife Yigit, Zl. 03976/05). Als Kriterien für die Beurteilung, ob eine Beziehung im Einzelfall einem Familienleben iSd. Art. 8 EMRK entspricht, kommen tatsächliche Anhaltspunkte in Frage, wie etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Art und die Dauer der Beziehung sowie das Interesse und die Bindung der Partner aneinander, etwa durch gemeinsame Kinder, oder andere Umstände, wie etwa die Gewährung von Unterhaltsleistungen (EGMR 22.04.1997, X., Y. und Z., Zl. 21830/93; 22.12.2004, Merger u. Cros, Zl. 68864/01). So verlangt der EGMR auch das Vorliegen besonderer Elemente der Abhängigkeit, die über die übliche emotionale Bindung hinausgeht (siehe Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention3 [2008] 197 ff.). In der bisherigen Spruchpraxis des EGMR wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Europäischen Kommission für Menschenrechte auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

Wie der Verfassungsgerichtshof (VfGH) bereits in zwei Erkenntnissen vom 29.09.2007, Zl. B 328/07 und Zl. B 1150/07, dargelegt hat, sind die Behörden stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art. 8 EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügt. In den zitierten Entscheidungen wurden vom VfGH auch unterschiedliche - in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) fallbezogen entwickelte - Kriterien aufgezeigt, die in jedem Einzelfall bei Vornahme einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art. 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht:

-

die Aufenthaltsdauer, die vom EGMR an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft wird (EGMR 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 16.09.2004, Ghiban, Zl. 11103/03, NVwZ 2005, 1046),

-

das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80, 9473/81, 9474/81, EuGRZ 1985, 567; 20.06.2002, Al-Nashif, Zl. 50963/99, ÖJZ 2003, 344; 22.04.1997, X, Y und Z, Zl. 21830/93, ÖJZ 1998, 271) und dessen Intensität (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00),

-

die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

-

den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (vgl. EGMR 04.10.2001, Adam, Zl. 43359/98, EuGRZ 2002, 582; 09.10.2003, Slivenko, Zl. 48321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.06.2005, Sisojeva, Zl. 60654/00, EuGRZ 2006, 554; vgl. auch VwGH 05.07.2005, Zl. 2004/21/0124; 11.10.2005, Zl. 2002/21/0124),

-

die Bindungen zum Heimatstaat,

-

die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (vgl. zB EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 11.04.2006, Useinov, Zl. 61292/00), sowie

-

auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 05.09.2000, Solomon, Zl. 44328/98; 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07).

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) sind die Staaten im Hinblick auf das internationale Recht und ihre vertraglichen Verpflichtungen befugt, die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden zu überwachen (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80 ua, EuGRZ 1985, 567; 21.10.1997, Boujlifa, Zl. 25404/94; 18.10.2006, Üner, Zl. 46410/99; 23.06.2008 [GK], Maslov, 1638/03; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07). Die EMRK garantiert Ausländern kein Recht auf Einreise, Aufenthalt und Einbürgerung in einem bestimmten Staat (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09).

Hinsichtlich der Rechtfertigung eines Eingriffs in die nach Art. 8 EMRK garantierten Rechte muss der Staat ein Gleichgewicht zwischen den Interessen des Einzelnen und jenen der Gesellschaft schaffen, wobei er in beiden Fällen einen gewissen Ermessensspielraum hat. Art. 8 EMRK begründet keine generelle Verpflichtung für den Staat, Einwanderer in seinem Territorium zu akzeptieren und Familienzusammenführungen zuzulassen. Jedoch hängt in Fällen, die sowohl Familienleben als auch Einwanderung betreffen, die staatliche Verpflichtung, Familienangehörigen von ihm Staat Ansässigen Aufenthalt zu gewähren, von der jeweiligen Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse ab. Von Bedeutung sind dabei das Ausmaß des Eingriffs in das Familienleben, der Umfang der Beziehungen zum Konventionsstaat, weiters ob im Ursprungsstaat unüberwindbare Hindernisse für das Familienleben bestehen, sowie ob Gründe der Einwanderungskontrolle oder Erwägungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung für eine Ausweisung sprechen. War ein Fortbestehen des Familienlebens im Gastland bereits bei dessen Begründung wegen des fremdenrechtlichen Status einer der betroffenen Personen ungewiss und dies den Familienmitgliedern bewusst, kann eine Ausweisung nur in Ausnahmefällen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bedeuten (EGMR 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07, mwN; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09; 03.11.2011, Arvelo Aponte, Zl. 28770/05; 14.02.2012, Antwi u. a., Zl. 26940/10).

3.2. Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes erweist sich die gegenständliche Beschwerde als begründet. Dies aus folgenden Erwägungen:

3.2.1. Gemäß § 23 Paßgesetz BGBl. I 422/1969 bedürfen Fremde zur Einreise in das Bundesgebiet außer einem gültigen Reisedokument (§ 22) eines österreichischen Sichtvermerkes, soweit nicht etwas anderes durch zwischenstaatliche Vereinbarungen bestimmt wird.

Gemäß § 87 Abs. 3 FRG BGBl. I 838/1992 und § 113 Abs. 3 Fremdengesetz 1997, BGBl. I 75/1997 behalten jeweils vor Inkraftreten der zuvor genannten Gesetze ausgestellte Sichtvermerke weiterhin deren Gültigkeit.

Gemäß § 16 Abs. 3 Z 2 Fremdengesetz 1997 idF. BGBl. I 75/1997, wird ein Einreise- und Aufenthaltstitel gegenstandslos, wenn der Fremde Österreicher oder EWR-Bürger wird.

Der mit "Sichtvermerksfreiheit und Aufenthaltsberechtigung von EWR-Bürgern" betitelte § 46 Fremdengesetz 1997 idF. BGBl. I 75/1997 lautete:

"§ 46. (1) EWR-Bürger genießen Sichtvermerks- und Niederlassungsfreiheit.

(2) EWR-Bürger, die nicht über ausreichende eigene Mittel zu ihrem Unterhalt oder über keine Krankenversicherung verfügen, die alle Risken abdeckt, sind nur dann zur Niederlassung berechtigt, wenn sie der Behörde

1. eine Einstellungserklärung ihres Arbeitgebers oder eine Arbeitsbescheinigung vorlegen können oder

2. nachweisen können, daß sie eine selbständige Erwerbstätigkeit ausüben oder

3. glaubhaft machen, daß sie innerhalb eines Zeitraumes von sechs Monaten nach der Einreise begründete Aussicht auf Aufnahme einer Erwerbstätigkeit haben oder

4. nachweisen können, daß ihnen als Familienangehöriger eines zum Aufenthalt berechtigten EWR-Bürgers Unterhalt gewährt wird."

Gemäß § 10 Abs. 3 Z 5 FPG werden Aufenthaltstitel und Dokumentationen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes gegenstandslos, wenn die Abwesenheitsdauer des Fremden vom Bundesgebiet mehr als zwei aufeinanderfolgende Jahre beträgt.

3.2.2. BF1 wurde am XXXX1989 ein unbefristeter Sichtvermerk für Österreich ausgestellt und kehrte diese im Jahre 2002 nach Deutschland zurück, wo sie bis zu ihrer gegenständlichen Wiedereinreise am 04.07.2012 durchgehend aufhältig war. Mit Inkraftreten des Fremdengesetzes 1997 wurde der unbefristete Sichtvermerk der BF aufgrund deren EWR-Bürger-Eigenschaft gegenstandslos und kam dieser iSd. oben zitierten Normen ein - unionsrechtliches - sichtvermerksfreies Aufenthaltsrecht in Österreich zu.

Da die BF sich jedoch mehr als zwei Jahre durchgehend außerhalb Österreichs aufgehalten hat, kam es mit zum Erlöschen aller sich aus dem seinerzeitigen Aufenthalt der BF ergebenen - unionsrechtlichen - Aufenthaltsberechtigungen für Österreich und hat die BF mit ihrer neuerlichen Einreise am 04.07.2012 einen neuen Aufenthalt begründet.

Insofern können die BF auch nicht auf einen 10jährigen durchgehenden Aufenthalt iSd. § 66 Abs. 3 FPG zurückblicken.

Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat in dem, im vorliegenden Fall erlassenen Erkenntnis unter anderem erwogen, dass die Revisionswerberinnen schon in den Zulassungsausführungen der Revision zutreffend darauf hingewiesen hätten, dass das BVwG in Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes von der Durchführung der in der Beschwerde beantragten Verhandlung abgesehen habe.

Die beiden Revisionswerberinnen (BF1 und BF2) seien deutsche Staatsangehörige und damit EWR-Bürgerinnen. Da sie in Österreich nicht erwerbstätig seien, käme ihnen ein Aufenthaltsrecht in Österreich nur zu, wenn sie die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Z 2 NAG erfüllten, wenn sie also für sich und ihre Familienangehörigen (das wäre fallbezogen die jeweils andere Revisionswerberin) über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügten, sodass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssten.

Dass die Erstrevisionswerberin (hier: BF1) Ausgleichszulage beziehe, stehe allerdings vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union dem Bestand eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts nicht zwingend entgegen. Demnach sei nämlich bei der Beurteilung, ob ein Unionsbürger über ausreichende Existenzmittel verfüge, um ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 1 lit. b der Freizügigkeitsrichtlinie - in Österreich umgesetzt durch § 51 Abs. 1 Z 2 NAG - in Anspruch nehmen zu können, eine konkrete Prüfung der wirtschaftlichen Situation jedes Betroffenen vorzunehmen, ohne die beantragten Sozialleistungen zu berücksichtigen, was notwendig impliziere, dass die Beantragung von Sozialleistungen und allenfalls ein Bezug derselben nicht schon per se bedeutet, dass keine ausreichenden Existenzmittel vorlägen (VwGH 21.12.2017, Ra 2017/21/0132, Rn. 10, mit Verweis auf EuGH 11.11.2014, Dano, C-333/13, Rn. 80, und EuGH 19.9.2013, Brey, C-140/12, Rn. 63 ff).

Der Anforderung, eine konkrete Prüfung der wirtschaftlichen Situation der Revisionswerberinnen vorzunehmen, habe das BVwG zwar dem Grunde nach entsprochen. In diesem Sinn habe es insbesondere auf die Erkrankungen der Erstrevisionswerberin und den darauf zurückzuführenden Erhalt von Pflegegeld Bezug genommen, sei aber einerseits davon ausgegangen, dass dieses zur Finanzierung von Betreuungsleistungen herangezogen werde und andererseits, dass die notwendigen Unterhaltskosten "insgesamt höher anzusetzen seien als im Allgemeinen".

Diese Überlegungen zur Verwendung des Pflegegeldes und zu einem erhöhten Unterhaltsbedarf der Erstrevisionswerberin seien vom BFA noch nicht angestellt worden; dieses hätte das Pflegegeld ohne Weiteres den der Erstrevisionswerberin zur Verfügung stehenden Mitteln zugezählt. Auch die Revisionswerberinnen selbst hätten sich zur Verwendung des Pflegegeldes und zu einem allfälligen erhöhten Unterhaltsbedarf der Erstrevisionswerberin nicht geäußert. Wenngleich die diesbezüglich angestellten Erwägungen des BVwG für sich betrachtet nicht unplausibel seien, so hätte es diesbezüglich daher nicht von einem geklärten Sachverhalt im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA-VG ausgehen dürfen und wäre somit zunächst unter diesem Gesichtspunkt zur Durchführung der beantragten Beschwerdeverhandlung verpflichtet gewesen.

Das BVwG wäre jedenfalls, auch wenn die Revisionswerberinnen nicht über ausreichende Existenzmittel verfügten und Sozialhilfe unangemessen in Anspruch nähmen, unter dem Blickwinkel der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG iVm § 66 Abs. 2 FPG zur Durchführung der beantragten Beschwerdeverhandlung verpflichtet gewesen.

In Entsprechung des dieser Entscheidung zu entnehmenden Erfordernisses der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde darin der maßgebliche Sachverhalt ermittelt und die aktuelle Situation der beiden BF erörtert, woraus sich nunmehr ein - im Vergleich zum ursprünglich beschwerdeabweisenden Erkenntnis des BVwG - geändertes Bild ergab.

Die aktuelle Aufenthaltsdauer der BF überschreitet einen Zeitraum von fünf Jahren.

Laut Judikatur des VwGH sind bei der Berechnung der finanziellen Mittel jedenfalls bereits zuerkannte Sozialleistungen, wozu auch die Ausgleichszulage zählt (EuGH 19.09.2013, C-140/12), nicht zu berücksichtigen (vgl. VwGH 09.08.2016, Ro 2015/10/0050; 26.01.2017, Ra 2016/21/0177). Pflegegelder können nur dann als - freies - Einkommen gerechnet werden, wenn diese nicht an Dritte zum Zwecke der Betreuung und/oder Deckung der besonderen Aufwandskosten verwendet werden (vgl. VwGH 18.03.2010, 2008/22/0632: Umkehrschluss). BF1 stehen insgesamt rund € 1.600,00 monatlich zur Verfügung. Davon entfallen etwa € 285,00 auf die in Österreich bezogene Berufsunfähigkeitspension, € 680,00 auf das Pflegegeld der Stufe 4, € 500,00 auf die Ausgleichszulage und € 160,00 auf die aus Deutschland erlangte Pension. Rund € 49,00 werden ihr an Krankenversicherungsleistungen abgezogen. Lässt man die Ausgleichszulage als Sozialleistung angesichts der zitierten höchstgerichtlichen Judikatur unberücksichtigt, verbleiben BF1 monatlich rund € 1.100,00 zur Sicherung ihrer Existenz. BF2 ist zwar volljährig, jedoch noch nicht selbsterhaltungsfähig und mit BF1 mitversichert. Ihr wird von ihrer Großmutter monatlicher Unterhalt von € 400,00 gewährt und stehen beiden BF somit insgesamt etwa €

1.500,00 ohne Miteinbeziehung der Ausgleichszulage zur Verfügung.

BF1 nimmt keine fremde Hilfe in Anspruch und bezieht nur das Essen auf Rädern. Auch sonst kann davon ausgegangen werden, dass das Pflegegeld daher als Einkommen zu werten ist. Die Wohnung verursacht ihr - wie bereits oben erwähnt - Kosten in der Höhe von insgesamt €

700,00 monatlich.

Der Richtsatz des § 293 Abs. 1 lit. a sub lit bb ASVG im Fall der BF1 beträgt € 882,78. Für die BF2 tritt gemäß § 252 Abs. 1 iVm § 293 Abs. 1, letzter Satz ASVG ein Betrag von € 120,96 hinzu. Somit müssten den beiden BF monatlich insgesamt € 1.003,74 zur Verfügung stehen. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass beide BF über hinreichende finanzielle Mittel zur Deckung ihres Lebensunterhaltes iSd. § 51 Abs. 1 Z 2 NAG verfügen.

Nach herrschender Meinung und Judikatur des EuGH ist die Festsetzung fixer Betragsgrenzen an sich unzulässig, jedoch die Bezugnahme auf Sozialhilferichtwerte, insofern zulässig ist, als die Höhe der verl

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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