TE Lvwg Erkenntnis 2017/3/9 VGW-151/059/1495/2017

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.03.2017
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

09.03.2017

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht
60/04 Arbeitsrecht allgemein
62 Arbeitsmarktverwaltung
E2D Assoziierung Türkei
E2D E02401013
E2D E05204000
E2D E11401020

Norm

NAG §8 Abs1 Z2
NAG §24 Abs2
NAG §24 Abs4
NAG §26
NAG §41a
NAG §64
AuslBG §3 Abs2
AuslBG §4c Abs1
ARB1/80 Art. 6

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Dr. Schattauer über die Beschwerde der Frau C. K., geb.: 1992, STA: Türkei, Wien, S.-gasse, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien, Magistratsabteilung 35 - Einwanderung, Staatsbürgerschaft - Einwanderung der Bezirke ..., vom 13.01.2017, Zahl MA35-9/2923070-06, mit welchem der Antrag vom 02.09.2016 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Rot-Weiß-Rot - Karte (plus)" gemäß § 24 Abs. 4 (oder § 26) iVm § 41a iVm § 64 NAG, BGBl. l Nr. 100/2005 idgF, iVm Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19.09.1980, abgewiesen wurde,

zu Recht erkannt:

I. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG wird der Beschwerdeführerin in Anwendung des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19.9.1980 über die Entwicklung der Assoziation (Assoziationsabkommen ARB 1/80) nach den Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) ein Aufenthaltstitel “Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ (§ 8 Abs. 1 Z 2 NAG) für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an

den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

Entscheidungsgründe

Beschwerdegegenstand:

Vorliegende Beschwerde richtet sich gegen die Versagung der mit Zweckänderungsantrag vom 2.9.2016 beantragten Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot Karte plus“ durch den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 13.1.2017. In der Begründung dieses Bescheides führt die belangte Behörde aus, dass die Beschwerdeführerin, obzwar in den Anwendungsbereich des Assoziationsabkommens ARB 1/80 fallend, zuletzt im Besitz einer gültigen Aufenthaltsbewilligung „Studierende“, ihre aus diesem Abkommen ableitbaren Rechte wahren könne, weil ihr erforderlichenfalls eine Beschäftigungsbewilligung seitens des AMS für eine Vollzeitbeschäftigung ausgestellt werden bzw. eine solche verlängert werden könne.

Ebendies bestreitet die Beschwerdeführerin in der gegen diesen Bescheid Beschwerde und begehrt, ihrer Beschwerde stattzugeben und den beantragten Aufenthaltstitel zu erteilen.

Beschwerdeverfahren:

Die belangte Behörde legte die Beschwerde unter Anschluss des Verwaltungsaktes dem Verwaltungsgericht Wien mit Schreiben vom 24.1.2017 zur Entscheidung vor.

Im Beschwerdeverfahren erfolgte die Beweisaufnahme durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt sowie Anforderung eines aktuellen Versicherungsdatenauszuges der Wiener Gebietskrankenkasse betreffend die Beschwerdeführerin.

Sachverhalt:

Aus dem unbedenklich erscheinenden Akteninhalt sowie dem eingeholten Versicherungsdatenauszug ergeben sich folgende Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist am ...1992 geboren und türkische Staatsangehörige. Sie stellte am 17.8.2011 einen Erstantrag auf Erteilung einer „Aufenthaltsbewilligung Studierender“ und wurde ihr dieser Aufenthaltstitel erteilt und fortan im Jahresabstand verlängert. Seit dem Sommersemester 2012 ist sie zum Bachelorstudium ... zugelassen und gemeldet.

Sie übte neben dem Studium in der Zeit von 4.4.2014 bis 30.6.2014 eine geringfügige Beschäftigung aus, ebenso in der Zeit von 7.4.2015 bis 31.7.2016 und anschließend seit 1.8.2016 bis laufend eine Vollzeitbeschäftigung, dies jeweils und seit 7.4.2015 ohne Unterbrechung, beim nämlichen Dienstgeber. Die zuletzt erteilte Beschäftigungsbewilligung gilt für die Zeit von 7.7.2016 bis 6.7.2017. Ihr Einkommen aus der Beschäftigung als Kellnerin beläuft sich demnach zuletzt auf rund € 1420,-- brutto. Am 2.9.2016 wurde der gegenständliche Verlängerungs- und Zweckänderungseintrag eingebracht, mit dem die Beschwerdeführerin nunmehr die Erteilung einer Rot-Weiß-Rot-Karte plus begehrte.

Die Beschwerdeführerin ist unbescholten. Ihr Reisepass ist bis 15.4.2021 gültig. Sie verfügt über eine Wohnmöglichkeit in einem Studentenheim „für die Dauer der Aufenthaltsbewilligung“. Bei Antragstellung wurde ein Studienerfolg im Ausmaß von 17,5 ECTS-Credits bzw. 14,5 positiven Semesterstunden nachgewiesen.

                                 

Da sich der entscheidungserhebliche Sachverhalt zur Gänze aus dem Akteninhalt ergibt und nur eine rechtliche Beurteilung des unstrittigen Sachverhaltes zu treffen ist, konnte von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

Das Verwaltungsgericht hat erwogen:

Rechtsgrundlagen:

§ 8 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) in der geltenden Fassung lautet (auszugsweise):

„Arten und Form der Aufenthaltstitel

§ 8. (1) Aufenthaltstitel werden erteilt als:

1. Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte“, der zur befristeten Niederlassung und zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit, für die eine schriftliche Mitteilung oder ein Gutachten gemäß §§ 20d Abs. 1 Z 1 bis 4 oder 24 AuslBG erstellt wurde, berechtigt;

2. Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“, der zur befristeten Niederlassung und zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 17 AuslBG berechtigt;

3. Aufenthaltstitel „Blaue Karte EU“, der zur befristeten Niederlassung und zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit, für die eine schriftliche Mitteilung gemäß § 20d Abs. 1 Z 5 AuslBG erstellt wurde, berechtigt;

4. „Niederlassungsbewilligung“, die zur befristeten Niederlassung und zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit berechtigt;

5. „Niederlassungsbewilligung – ausgenommen Erwerbstätigkeit“, die zur befristeten Niederlassung ohne Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt;

6. „Niederlassungsbewilligung – Angehöriger“, die zur befristeten Niederlassung ohne Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt; die Ausübung einer Erwerbstätigkeit ist nur auf Grund einer nachträglichen quotenpflichtigen Zweckänderung erlaubt;

7. Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ für die Dokumentation des unbefristeten Niederlassungsrechts, unbeschadet der Gültigkeitsdauer des Dokuments;

8. Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ für die befristete Niederlassung mit der Möglichkeit, anschließend einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ (Z 7) zu erhalten;

9. (Z 9 Anm.: aufgehoben durch BGBl. I Nr. 68/2013)

10. „Aufenthaltsbewilligung“ für einen vorübergehenden befristeten Aufenthalt im Bundesgebiet zu einem bestimmten Zweck (§§ 58 bis 69).

(2)...“

§ 24 und 26 NAG lauten (auszugsweise):

Verlängerungsverfahren

§ 24. (1) Verlängerungsanträge (§ 2 Abs. 1 Z 11) sind vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels, frühestens jedoch drei Monate vor diesem Zeitpunkt, bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen; § 23 gilt. Danach gelten Anträge als Erstanträge. Nach Stellung eines Verlängerungsantrages ist der Antragsteller, unbeschadet der Bestimmungen nach dem FPG, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Über die rechtzeitige Antragstellung kann dem Fremden auf begründeten Antrag eine einmalige Bestätigung im Reisedokument angebracht werden, die keine längere Gültigkeitsdauer als drei Monate aufweisen darf. Diese Bestätigung berechtigt zur visumfreien Einreise in das Bundesgebiet. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, Form und Inhalt der Bestätigung durch Verordnung zu regeln.

(4) Mit einem Verlängerungsantrag (Abs. 1) kann bis zur Erlassung des Bescheides ein Antrag auf Änderung des Aufenthaltszwecks des bisher innegehabten Aufenthaltstitels oder auf Änderung des Aufenthaltstitels verbunden werden. Sind die Voraussetzungen für den beantragten anderen Aufenthaltszweck oder Aufenthaltstitel nicht erfüllt, ist darüber gesondert mit Bescheid abzusprechen und der bisherige Aufenthaltstitel mit dem gleichen Aufenthaltszweck zu verlängern, soweit die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen.“

Zweckänderungsverfahren

§ 26. Wenn der Fremde den Aufenthaltszweck während seines Aufenthalts in Österreich ändern will, hat er dies der Behörde im Inland unverzüglich bekannt zu geben. Eine Zweckänderung ist nur zulässig, wenn der Fremde die Voraussetzungen für den beantragten Aufenthaltstitel erfüllt und ein gegebenenfalls erforderlicher Quotenplatz zur Verfügung steht. Sind alle Voraussetzungen gegeben, hat der Fremde einen Rechtsanspruch auf Erteilung dieses Aufenthaltstitels. Liegen die Voraussetzungen nicht vor, ist der Antrag abzuweisen; die Abweisung hat keine Auswirkung auf das bestehende Aufenthaltsrecht.

§ 3 Abs. 2 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) lautet:

„Voraussetzungen für die Beschäftigung von Ausländern

… (2) Ein Ausländer darf, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, eine Beschäftigung nur antreten und ausüben, wenn für ihn eine Beschäftigungsbewilligung oder Entsendebewilligung erteilt oder eine Anzeigebestätigung ausgestellt wurde oder wenn er eine für diese Beschäftigung gültige „Rot-Weiß-Rot – Karte“, „Blaue Karte EU“ oder „Aufenthaltsbewilligung – Künstler“ oder eine „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“, eine „Aufenthaltsberechtigung plus“, einen Befreiungsschein (§ 4c) oder einen Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ oder „Daueraufenthalt – EU“ besitzt.

§ 4c AuslBG lautet (auszugsweise):

„Türkische Staatsangehörige

(1) Für türkische Staatsangehörige ist eine Beschäftigungsbewilligung von Amts wegen zu erteilen oder zu verlängern, wenn sie die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 erster und zweiter Unterabsatz oder nach Art. 7 erster Unterabsatz oder nach Art. 7 letzter Satz oder nach Artikel 9 des Beschlusses des Assoziationsrates EWG-Türkei - ARB - Nr. 1/1980 erfüllen.

Die maßgeblichen Bestimmungen des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) normieren Folgendes:

„Gemäß Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses hat ein türkischer Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehört, in diesem Mitgliedstaat

         -        nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;

         -        nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung - vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs - das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedsstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;

         -        nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.

Gemäß Art. 6 Abs. 2 des ARB 1/80 werden der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit werden zwar nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeiten erworbenen Ansprüche.“

Rechtliche Beurteilung:

Der Verwaltungsgerichtshof führt in ständiger Rechtsprechung (z.B. VwGH 26.6.2012, 2010/09/0234) aus, dass der etwaige soziale Zweck der Studenten oder Au-Pair Kräfte erteilten Einreisegenehmigung und des ihnen eingeräumten Rechts zu arbeiten für sich genommen nichts daran ändert, dass die von diesen ausgeübte Tätigkeit regulär ist, und dass er daher kein Hindernis für ihre Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaates ist. Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erfasst somit türkische Staatsangehörige, die im Aufnahmemitgliedstaat die Eigenschaft als Arbeitnehmer haben, ohne jedoch zu verlangen, dass sie als Arbeitnehmer in die Gemeinschaft eingereist sind. Sie können diese Eigenschaft nach ihrer Einreise in die Gemeinschaft erlangt haben. Auch die eventuelle Befristung des Arbeitsvertrages kann kein Hindernis für die Anwendung von Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 darstellen (vgl. EuGH Urteil 24. Januar 2008 in der Rechtssache C-294/06, Payir, mit näherer Begründung).

Diese Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes sind auf den gegenständlichen Sachverhalt anwendbar. Die Beschwerdeführerin ist unbestritten seit über einem Jahr in einem von einer arbeitsmarktrechtlichen Bewilligung gedeckten Arbeitsverhältnis. Sie ist seit nunmehr mehr als vier Jahren mit einer mehrmals verlängerten Aufenthaltsbewilligung – Studierender im Bundesgebiet rechtmäßig aufhältig. Sie ist unbestritten legal eingereist und unbescholten. Nach der zitierten Rechtsprechung des VwGH ist Art. 6 ARB 1/80 auch anzuwenden, wenn ein legal eingereister und legal aufhältiger türkischer Staatsbürger die Eigenschaft als Arbeitnehmer und Angehöriger des regulären Arbeitsmarktes erst nach seiner Einreise in die Gemeinschaft (EU) erlangt hat.

Die Beschwerdeführerin hat durch den vorliegenden Zweckänderungsantrag unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, ihren Aufenthaltszweck ändern und weiterhin in Österreich erwerbstätig sein zu wollen. Da die Beschwerdeführerin seit über einem Jahr dem regulären österreichischen Arbeitsmarkt beim gleichen Arbeitgeber angehört, ist Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 auf sie anwendbar und ihr ein Aufenthaltstitel zu erteilen, der ihr die Möglichkeit verschafft, diese Beschäftigung ohne Einschränkungen fortzusetzen. Soweit die belangte Behörde in ihrem Bescheid ausführt, dass die der Beschwerdeführerin aus dem ARB 1/80 erwachsenden Rechte im Grunde der arbeitsmarktrechtlichen Bewilligung gewahrt blieben, übersieht diese jedoch, dass auch in der für die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung – Studierender erforderlichen Verpflichtung, Studienerfolgsnachweise zu erbringen, eine Einschränkung zu erblicken ist.

Zum Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung einer „Rot-Weiß-Rot Karte plus“:

Dem Wortlaut des ARB 1/80 sind nach der aktuellen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine expliziten aufenthaltsrechtlichen Vergünstigungen zu entnehmen (vgl. Akyürek, Das Assoziationsabkommen EWG-Türkei, 124). Allerdings impliziert ein Recht auf Beschäftigung notwendigerweise ein Aufenthaltsrecht. Dieses Aufenthaltsrecht als Folge des Rechts auf Zugang zum Arbeitsmarkt und auf die tatsächliche Ausübung einer Beschäftigung ist ab diesem Zeitpunkt unmittelbar aus dem ARB 1/80 herzuleiten und wird nicht erst durch die Erteilung einer entsprechenden nationalen Erlaubnis begründet. Deshalb hat eine Aufenthaltserlaubnis für die Anerkennung des Aufenthaltsrechtes nur eine deklaratorische Bedeutung und Beweisfunktion (vgl. auch dazu Akyürek, a.a.O., 124f, sowie das hg. Erkenntnis vom 10.11.2009, 2008/22/0687).

Ein türkischer Staatsangehöriger ist nicht von vornherein niederlassungsberechtigt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 04.11.2008, 2008/22/0559). Ab dem Zeitpunkt, ab dem er aufgrund eines legalen Aufenthaltes und einer entsprechenden (bewilligten) Beschäftigung eine Berechtigung nach Art. 6 ARB erlangt habe, war er jedoch im Sinn des § 21 Abs. 2 Z 2 NAG ("Fremde, die bisher rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen waren, auch wenn sie zu dieser Niederlassung keine Bewilligung oder Dokumentation nach diesem Bundesgesetz benötigt haben") rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen (vgl. VwGH vom 10.11.2009, 2008/22/0687 mit weiteren Judikaturhinweisen).

Fallbezogen hat die Beschwerdeführerin aufgrund der von ihr ausgeübten Beschäftigung eine Rechtsposition gemäß Art 6 erster Spiegelstrich erlangt und gilt somit auch als niedergelassen.

Eine Niederlassungsbewilligung gäbe der Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 1 Z 4 NAG in der geltenden Fassung lediglich die Berechtigung zur befristeten Niederlassung und zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit, die aber nicht von Art. 6 ARB umfasst ist (vgl. VwGH 23.06.3015, Ro 2014/22/0038).

Mit dem FNG-Anpassungsgesetz, BGBl. I Nr. 38/2013, wurden u.a. die Vorgaben der Richtlinie 2011/98/EU über ein einheitliches Verfahren zur Beantragung einer kombinierten Erlaubnis für Drittstaatsangehörige, sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufzuhalten und zu arbeiten, sowie über ein gemeinsames Bündel von Rechten für Drittstaatsarbeitnehmer, die sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten (im Folgenden: Rahmenrichtlinie), ABl. Nr. L 343 vom 23.12.2011 im Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz umgesetzt. Damit wurde ein einheitliches Antragsverfahren für die Erteilung einer kombinierten Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis für bestimmte Drittstaatsangehörige eingeführt. Die bis 31.12.2013 im NAG vorgesehene Niederlassungsbewilligung zwecks Ausübung einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit mit entsprechender arbeitsmarktrechtlicher Bewilligung ist sohin mit 01.01.2014 entfallen.

Die Beschwerdeführerin stützte ihren Zweckänderungsantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels in Anwendung des Assoziationsabkommens.

Das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz kennt allerdings keinen gesonderten Aufenthaltstitel für türkische Staatsangehörige, welche Ansprüche aus Art 6 oder 7 ARB 1/80 ableiten können.

Als Aufenthaltstitel, die zu einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit berechtigen finden sich im NAG: die „Rot-Weiß-Rot – Karte“, die „Blaue Karte EU“ gemäß §§ 41 und 42 NAG, Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“, Aufenthaltstitel „Angehöriger“ sowie ein „Daueraufenthalt–EG“. Die Voraussetzungen für die genannten Aufenthaltstitel sind bei der Beschwerdeführerin nicht gegeben. Sie ist weder Schlüsselkraft, übt keine hochqualifizierte Tätigkeit aus und ist auch nicht Familienangehörige oder Angehörige im Sinne des NAG. Dass die Beschwerdeführerin die Voraussetzungen gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 NAG erfüllte, wurde nicht nachgewiesen, ein entsprechender Antrag auf Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels wurde auch nicht gestellt.

Der noch in Betracht kommende (und beantragte) Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ berechtigt die Beschwerdeführerin zu einem befristeten Aufenthalt im Bundesgebiet und zu einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit und umfasst einen unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt. Das Verwaltungsgericht Wien verkennt nicht, dass die Beschwerdeführerin unmittelbar aus Art 6 ARB 1/80 noch keinen unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt ableiten kann. Für die Beschwerdeführerin, welche auch als niedergelassen anzusehen ist, kommt nach dem Gesagten entsprechend dem beantragten Aufenthaltszweck aber kein anderer Aufenthaltstitel als „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ in Betracht, ungeachtet dessen, dass dem erteilten Aufenthaltstitel selbst nur deklarative Wirkung zukommt. Die sonst für die Erteilung des Aufenthaltstitels allgemeinen und besonderen Voraussetzungen sind – soweit diesen in Anwendung der Stillhalteklausel nach Art 13 ARB 1/80 Beachtung zukommt – im Falle der Beschwerdeführerin erfüllt.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Die ordentliche Revision ist zulässig, da eine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Es fehlt an einer Rechtsprechung, welcher Aufenthaltstitel nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz in der geltenden Fassung BGBl. I Nr. 122/2015 einem aufenthaltsberechtigten türkischen Staatsangehörigen, welcher Ansprüche nach Art. 6 erster Spiegelstrich des ARB 1/80 bereits erworben hat und beabsichtigt weiter einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, zu erteilen ist.

Schlagworte

Zweckänderungsantrag, Recht auf Beschäftigung, Aufenthaltsrecht, kein unbeschränkter Zugang zum Arbeitsmarkt, deklarative Wirkung des Aufenthaltstitels, Aufenthaltstitel für aufenthaltsberechtigte türkische Staatsangehörige

Anmerkung

VwGH v. 29.1.2020, Ro 2017/22/0009; Aufhebung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2017:VGW.151.059.1495.2017

Zuletzt aktualisiert am

18.02.2020
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten