TE Bvwg Erkenntnis 2019/8/13 W256 2192723-1

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Veröffentlicht am 13.08.2019
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Entscheidungsdatum

13.08.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W256 2192723-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Caroline KIMM als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA Eritrea, gegen Spruchpunkt I. des Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16. März 2018, Zl. XXXX zu Recht:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben, und dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte am 26. Februar 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Erstbefragung statt. Dabei gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt (wortwörtlich wiedergegeben) Folgendes an: "Ich habe mein Land verlassen, weil ich war beim Bundesheer auf unbestimmte Zeit. Sonst habe ich keine weiteren Fluchtgründe." Zu seinen Befürchtungen im Falle einer Rückkehr führte der Beschwerdeführer aus, auf ihn warte Gefängnis und die Todesstrafe.

Der Beschwerdeführer wurde am 4. August 2017 durch ein Organ der belangten Behörde einvernommen. Dabei wiederholte er im Wesentlichen sein bisheriges (Flucht)Vorbringen. Der Beschwerdeführer habe seit 1994 für unbestimmte Zeit den Militärdienst absolvieren müssen und sei er auch mehrmals wegen überzogenem Urlaub in Haft oder einem Umerziehungslager gewesen. Vor seiner Ausreise aus Europa habe er einfach seinen Dienst verlassen und sei er dorthin nicht mehr zurückgekehrt.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), der Status eines subsidiär Schutzberechtigten wurde ihm jedoch zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung zugesprochen (Spruchpunkt III.). Begründend führte die belangte Behörde zu Spruchpunkt I. im Wesentlichen aus, dem - sich mit den im Bescheid enthaltenen Länderinformationen deckenden - Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers werde Glauben geschenkt, allerdings könne daraus keine asylrelevante Verfolgung abgeleitet werden. Den Länderinformationen könne nicht entnommen werden, dass eine illegale Ausreise per se schon zur Flüchtlingseigenschaft führe. Ebenso wenig werde die Möglichkeit einer Einziehung in den Nationaldienst nach der Rückkehr als asylrechtlich relevant angesehen, da es sich nicht um eine Maßnahme handle, die aus asylrechtlich relevanten Motiven erfolge. Eine asylrechtlich relevante Verfolgung sei nur dann anzunehmen, wenn es sich bei dem Beschwerdeführer um eine in den Augen der eritreischen Behörden missliebige Person handle. Derartige Umstände lägen beim Beschwerdeführer jedoch nicht vor, da sich der Beschwerdeführer nicht (Exil)politische engagiert habe. Auch die in Zusammenhang mit der Wehrdienstverweigerung stehenden Strafbestimmungen würden nicht an eine bestimmte politische Haltung oder an bestimmte Persönlichkeitsmerkmale anknüpfen, sondern allein an den Umstand, dass sich die Betroffenen dem Wehr- oder Nationaldienst entzogen hätten. Hinweise darauf, dass allein der Umstand der illegalen Ausreise zum Zweck der Wehrdienstentziehung auf eine politische Gegnerschaft, die zu einer verschärften Ahndung führen würde, schließen lassen würde, seien ebenfalls nicht erkennbar. Misshandlungen, Folter und Willkür treffe in Eritrea weite Teile der Bevölkerung. Eine politisch motivierte Verfolgung sei daher nicht anzunehmen.

Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheids richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Beschwerdeführer habe bei einer Rückkehr aufgrund seiner Wehrdienstverweigerung mit schwerer Strafe und der Gefahr zu rechnen, dass er während der Haft Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt sei. Auch wenn die Todesstrafe nicht praktiziert werde, würden unmenschliche Haftbedingungen regelmäßig zum Tod von Häftlingen führen. Dem Beschwerdeführer würde aufgrund seiner Wehrdienstverweigerung und seiner illegalen Ausreise eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werden, welche Verfolgungshandlungen hoher Intensität nach sich ziehen würden.

Die belangte Behörde legte die Beschwerde samt dem Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vor.

Aufgrund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 19. Dezember 2018 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung W256 zugewiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person

Der - im Spruch genannte - Beschwerdeführer besitzt die Staatsangehörigkeit von Eritrea (angefochtener Bescheid Seite 14).

Er hat von 1994 bis 1996 sowie von 1998 bis zu seiner Ausreise den Militärdienst in unterschiedlichen Bereichen in Eritrea verrichtet. In dieser Zeit wurde ihm 3 Mal Urlaub für jeweils 2 Monate gewährt. Da er diesen Zeitraum immer überschritten hat, verbrachte er jeweils mehrere Monate in einem Umerziehungslager oder in einem Gefängnis (angefochtener Bescheid Seite 4 u 32ff).

Der Beschwerdeführer hat vor seiner Ausreise im Jahr 2015 den Militärdienst unerlaubt verlassen (angefochtener Bescheid Seite 4 u 32ff).

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten (Strafregisterabfrage vom 12. August 2019).

zur Lage in Eritrea

Die Menschenrechtslage bleibt in Eritrea weiterhin beunruhigend. Die Ausübung von Grundrechten, wie z.B. Rede- und Meinungsfreiheit, Versammlungs- und Religionsfreiheit, ist nicht oder nur extrem eingeschränkt möglich. In der am 23.5.1997 von der Nationalversammlung angenommenen Verfassung, die bis heute nicht in Kraft getreten ist, sind in den Artikeln 14 bis 24 die Grundrechte niedergelegt. Sie werden von staatlichen Organen nicht respektiert. Nach nicht nachprüfbaren, aber glaubhaft erscheinenden Angaben von Menschenrechtsorganisationen und dem US-Außenministerium setzen die Sicherheitskräfte mit Zustimmung der Regierung exzessive Gewalt ein, die oftmals auch zum Tode führt. Dies betrifft häufig Wehrdienstflüchtlinge sowie Personen, die aus religiösen und politischen Gründen inhaftiert werden (angefochtener Bescheid Seite 17).

Das geltende Strafgesetz verbietet Folter. Trotzdem wird Folter gegenüber Gefangenen, insbesondere während der Befragung, angewandt. Auch sollen Deserteure, Wehrdienstflüchtige und Wehrdienstverweigerer verschiedener religiöser Gruppen physisch und psychisch misshandelt werden. Es sind keine Fälle bekannt, in denen die Anwendung von Folter zu Sanktionen geführt hätte. Gefangene werden unter schlechten Bedingungen in unterirdischen Zellen oder in Schiffscontainern eingesperrt. Sie erhalten weder ausreichend Nahrung, noch sauberes Trinkwasser. Schlafgelegenheiten und der Zugang zu sanitären Einrichtungen und Tageslicht ist unzureichend. In einigen Fällen kamen diese Haftbedingungen Folter gleich (angefochtener Bescheid Seite 12).

zum Wehrdienst

Der obligatorische Nationaldienst ("national service") dauert für Männer und Frauen offiziell 18 Monate, kann aber nach wie vor auf unbestimmte Zeit verlängert werden und kommt der Zwangsarbeit gleich. Die Militärdienstleistenden erhalten nur eine geringe Besoldung, mit der sie die Grundbedürfnisse ihrer Familien nicht decken können. Im Frühjahr 2016 wurde angekündigt, dass die Gehälter im nationalen Nationaldienst erhöht werden. Die Dienstverpflichtung kann oftmals über mehrere Jahre andauern - in einigen Fällen bis zu 20 Jahre lang (angefochtener Bescheid Seite 14).

Aufgrund des Ausnahmezustands werden die Dienstverpflichteten nach der militärischen Grundausbildung z.B. beim Straßen- und Dammbau, in der Landwirtschaft, aber auch in allen Bereichen der staatlichen Verwaltung und Wirtschaft eingesetzt. Entgegen der 2014 und 2015 gemachten Ankündigungen haben die eritreischen Behörden den Nationaldienst bisher nicht auf die gesetzlich vorgesehenen 18 Monate beschränkt. Der Dienst ist weiterhin zeitlich unbefristet und dauert meist mehrere Jahre (angefochtener Bescheid Seite 14).

Die Behörden teilen die Rekruten entweder in eine Armeeeinheit oder in einen zivilen Job ein. Sie haben weder Einfluss auf ihre Einteilung, noch eine Möglichkeit, diesen Dienst zu verlassen (angefochtener Bescheid Seite 15).

Ein Recht zur Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen und einen Ersatzdienst gibt es nicht. Wehrdienstverweigerung wird mit Umerziehungslageraufenthalten oder mit Gefängnis bestraft. Die Anzahl der Wehrdienstverweigerer und der Fahnenflüchtigen ist steigend. Dem versucht das Regime durch häufige Razzien in den Nachtclubs von Asmara, Keren, Dekemhare und Massawa entgegen zu wirken. Dennoch ist es möglich, aus gesundheitlichen Gründen vom Wehrdienst befreit zu werden. Laut Gesetz, § 15 des "National Service" heißt es, dass körperlich Behinderte, Blinde und Personen mit schweren psychischen Erkrankungen vom nationalen Dienst befreit werden können. Ärzte führen medizinische Untersuchungen durch, um die Fähigkeit zu beurteilen, aber die Militärbehörden entscheiden endgültig über eine Befreiung. Alle diese Freistellungen (außer für ehemalige Kämpfer) gelten nur temporär und können jederzeit aufgehoben werden (angefochtener Bescheid Seite 16).

zu den Haftbedingungen

Die Haftbedingungen sind z.T. unmenschlich hart und lebensbedrohlich. Auch die hygienischen Zustände und die medizinische Versorgung in den Gefängnissen und Straflagern sollen völlig unzureichend sein. Die Länge der Haftstrafe ist oft unbestimmt. Es gibt keine unabhängige Kontrolle der Haftanstalten (angefochtener Bescheid Seite 20).

zur Todesstrafe

Die Todesstrafe kann bei Hochverrat, Spionage, Kriegsverbrechen, Mord usw. ausgesprochen werden. Abgeschafft wurde sie durch das neue Strafgesetzbuch u.a. für Fälle von Fahnenflucht, Befehlsverweigerung sowie Feigheit vor dem Feind. Seit der Unabhängigkeit soll noch kein Todesurteil verhängt worden sein. Allerdings soll es infolge von Folter und unmenschlichen Haftbedingungen zu häufigen Todesfällen, aber auch zu Erschießungen im Militär kommen. Art. 300 des Strafgesetzbuches legt überdies zusätzlich fest, dass eine Desertion in Kriegszeiten eine Gefängnisstrafe von 5 Jahren bis lebenslänglich mit sich zieht, in schlimmen Fällen sogar die Todesstrafe (angefochtener Bescheid Seite 21).

zur Rückkehr

Soweit einem Rückkehrer die (bloße) illegale Ausreise, das Umgehen der nationalen Dienstpflicht oder sogar Fahnenflucht vorgeworfen werden können, muss davon ausgegangen werden, dass die Betroffenen sich bei einer Rückkehr nach Eritrea wegen dieser Delikte zu verantworten haben. Die Bestrafung kann von einer bloßen Belehrung bis zu einer Haftstrafe reichen. Derzeit beträgt die Haftdauer für illegale Ausreise zwischen einigen Monaten und maximal 2 Jahren, abhängig von den Umständen (angefochtener Bescheid Seite 28).

Die Behandlung von Rückkehrern hängt hauptsächlich von 2 Faktoren ab: Ob sie freiwillig oder mit Zwang nach Eritrea zurückgekehrt sind sowie welchen Nationaldienst-Status sie vor ihrer Ausreise hatten. Zum Umgang der eritreischen Behörden mit zwangsweise zurückgeführten Personen liegen nur vereinzelte Informationen vor. Im Gegensatz zu freiwilligen Rückkehrern konnten die Zurückgeführten ihren Status bei den Behörden nicht regeln. Alle vorliegenden Informationen deuten darauf hin, dass in so einem Fall der Nationaldienst-Status überprüft und anschließend wie bei Aufgriffen im Inland verfahren wird. Dabei ist aber eine Verschärfung der Strafe aufgrund der illegalen Ausreise nicht ausgeschlossen (angefochtener Bescheid Seite 28).

Nach anderen Angaben werden Personen, die nach Eritrea zwangsweise repatriiert werden, dort als schwere Straftäter oder gar als Verräter erachtet, da angenommen wird, dass diese das Land illegal verlassen haben. In der Regel werden Rückkehrer also bei ihrer Ankunft verhaftet und befragt. Rückkehrer werden unter besonders harten Bedingungen inhaftiert (angefochtener Bescheid Seite 28).

Im Umgang mit freiwilligen Rückkehrern aus der Diaspora bestehen Richtlinien, die vorsehen, dass Diaspora-Eritreer, die ihre Dienstpflicht nicht erfüllt haben, ihren Status bei der eritreischen Behörde regeln und anschließend straffrei nach Eritrea zurückkehren können. Falls sie sich mindestens 3 Jahre im Ausland aufgehalten haben, können sie den "Diaspora Status" beantragen. Dieser befreit sie von der Pflicht, Nationaldienst zu leisten. Aufgrund der Regelung des Status spielt bei den freiwilligen Rückkehrern der Nationaldienst-Status zumindest unmittelbar keine große Rolle. Aus Deutschland reisten zwischen 2011 bis 2013 8 Asylantragssteller freiwillig nach Eritrea zurück (angefochtener Bescheid Seite 29).

Insgesamt scheint die Einstellung der eritreischen Regierung Flüchtlingen gegenüber ambivalent zu sein: Einerseits versucht sie mit drakonischen Maßnahmen (angeblicher Schießbefehl bei Fluchtversuchen, nicht näher bekannte Strafen nach fehlgeschlagenen Fluchtversuchen, Bestrafung von nahen Angehörigen bei erfolgreicher Flucht, Verweigerung von Reisepässen und Ausreisegenehmigungen) zu verhindern, dass Eritreer sich der nationalen Dienstpflicht entziehen. Andererseits scheint die Regierung den Exodus, soweit er sich trotz der drastischen Gegenmaßnahmen nicht verhindern lässt, zu nutzen, um potentielle Regimegegner loszuwerden, die im Lande herrschende Arbeitslosigkeit zu lindern und durch die Einhebung einer 2 prozentigen sogenannten "Aufbausteuer" von im Ausland lebenden Eritreern Deviseneinnahmen zu erzielen. Geflüchtete Eritreer erhalten im Ausland in der Regel problemlos eritreische Pässe, sofern sie die geforderte "Aufbausteuer" entrichten. So ist es gängige Praxis der eritreischen Auslandsvertretungen z.B. im Sudan, Flüchtlingen neue eritreische Ausweispapiere auszustellen, wenn diese ein Reuebekenntnis unterschreiben und die Aufbausteuer entrichten (angefochtener Bescheid Seite 29).

2. Beweiswürdigung:

Die einzelnen Feststellungen beruhen jeweils auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen und im Übrigen in der Beschwerde unbestrittenen Feststellungen. Das Bundesverwaltungsgericht sieht keine Veranlassung an diesen Feststellungen zu zweifeln.

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten - im angefochtenen Bescheid enthaltenen - Quellen. Dass sich seither in Bezug die herangezogenen Passagen eine Lageveränderung ergeben hätte, ist (auch unter Berücksichtigung der aktuellen Informationen) nicht hervorgekommen.

3. Rechtliche Beurteilung:

zu Spruchpunkt A.

zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

Unter "Verfolgung" im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen (vgl. bspw. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 5. September 2016, Ra 2016/19/0074 u.v.a).

§ 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005 umschreibt "Verfolgung" als jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie), worunter - unter anderem - Handlungen fallen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist. Dazu gehören insbesondere das durch Art. 2 EMRK geschützte Recht auf Leben und das in Art. 3 EMRK niedergelegte Verbot der Folter (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Dezember 2016, Ra 2016/18/0083).

Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer im gesamten Verfahren vorgebracht, ihm drohe aufgrund seiner Flucht aus dem Militärdienst asylrelevante Verfolgung im Falle einer Rückkehr nach Eritrea.

Die belangte Behörde hat das (auch nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts) in sich und mit den Länderberichten stimmige Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers nicht in Zweifel gezogen, diesem aber mangels Verknüpfung mit einem Konventionsgrund die Asylrelevanz abgesprochen. So treffe im Falle einer Wehrdienstentziehung jeden Eritreer gleichermaßen Strafverfolgung und könne die Flucht und auch die drohende Strafverfolgung im vorliegenden Fall nicht auf politische Motive zurückgeführt werden.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Asylwerbers auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen - wie etwa der Anwendung von Folter - jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Ist Letzteres der Fall, so kann dies aber auch auf der - generellen - Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung beruhen, womit unabhängig von einer der Wehrdienstverweigerung bzw. Desertion im konkreten Fall wirklich zugrundeliegenden religiösen oder politischen Überzeugung der erforderliche Zusammenhang zu einem Konventionsgrund gegeben wäre (VwGH, 21.3.2002, 99/20/0401 u.v.m.).

Wie den (von der belangten Behörde übernommenen) Feststellungen zu entnehmen ist, wird Wehrdienstverweigerung in Eritrea mit Umerziehungslageraufenthalten oder mit Gefängnis bestraft. Die Haftbedingungen sind zum Teil unmenschlich hart und lebensbedrohlich. Das geltende Strafgesetz verbietet zwar Folter. Trotzdem wird Folter gegenüber Gefangenen, insbesondere während der Befragung angewandt. Auch sollen Deserteure, Wehrdienstflüchtige und Wehrdienstverweigerer verschiedener religiöser Gruppen physisch und psychisch misshandelt werden. Selbst die Sicherheitskräfte setzen mit Zustimmung der Regierung exzessive Gewalt u.a. gegen Wehrdienstflüchtlinge ein, die oftmals auch zum Tode führt. Im Falle einer zwangsweisen Rückführung eines Wehrdienstflüchtlings nach Eritrea ist zudem eine Verschärfung der Strafe aufgrund der illegalen Ausreise nicht auszuschließen, wobei festzuhalten ist, dass bereits die Haftdauer für "nur" illegale Ausreise schon zwischen einigen Monaten und 2 Jahren dauern kann.

Eine solche mit einer Verweigerung des Militärdienstes einhergehende drohende harte Bestrafung kann nicht als legitimes Mittel eines Staates zur Durchsetzung der Wehrpflicht verstanden werden (VwGH, 21.02.2017, Ra 2016/18/0203 u.w.). Diese Unverhältnismäßigkeit der Sanktion begründet allerdings - wie oben aufgezeigt - nur dann Asylrelevanz, wenn sie auf der Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung beruht.

Den Feststellungen ist zu entnehmen, dass Eritrea ein Recht zur Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen und einen Ersatzdienst nicht kennt. Schon allein damit wird deutlich zum Ausdruck gebracht, dass allfällige politische oder religiöse Beweggründe von Wehrdienstverweigerern in Eritrea nicht toleriert werden (siehe dazu ausführlich VwGH, 21.3.2002, 99/20/0401). Dafür spricht auch der Umstand, dass die Art der Behandlung im Falle einer Rückkehr nach Eritrea vom Nationaldienst-Status des Rückkehrenden abhängig gemacht wird und lediglich im Falle einer freiwilligen, sich zum Staat bekennenden Rückkehr ("Reuebekenntnis", "Diaspora-Status") der Nationaldienst-Status zumindest vorerst keine Rolle spielt.

Es kann daher nicht angezweifelt werden, dass Eritrea Wehrdienstverweigerung als gegen den Staat gerichtet und damit als oppositionelle Gesinnung versteht und insofern übermäßig streng bestraft (siehe VwGH, 27.09.2001, 99/20/0409, wonach schon die übermäßige Strenge einer in den Gesetzen des Herkunftsstaates vorgesehenen Bestrafung als mögliches Indiz dafür gewertet werden kann, dass dem Täter eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werde und dies der Grund für die Höhe der Strafdrohung sei).

Angesichts dieser Ausführungen kann der Beurteilung der belangten Behörde, die dem Beschwerdeführer drohende Strafverfolgung sei nicht politisch motiviert und damit nicht asylrelevant, nicht gefolgt werden.

Da der Beschwerdeführer im gesamten Staatsgebiet der gleichen - oben beschriebenen - Situation ausgesetzt wäre, ist auch ein Ausweichen in einen anderen Landesteil nicht in Betracht zu ziehen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden, wobei lediglich der Vollständigkeit halber darauf hinzuweisen ist, dass der gegenständliche Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz am 26. Februar 2016 und damit nach dem 15. November 2015 gestellt wurde; die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 finden daher gemäß § 75 Abs. 24 leg.cit. im vorliegenden Fall Anwendung.

zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben, da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde unstrittig und damit geklärt ist. Das Bundesverwaltungsgericht ist von Tatsachen ausgegangen, die bereits im Bescheid auf unbedenkliche Weise festgestellt, und vom Beschwerdeführer bestätigt bzw. nicht substantiiert bestritten worden sind. Allein diese Tatsachen hat das Bundesverwaltungsgericht seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt (siehe dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 28. Mai 2014, 2014/20/0017 und -0018). Dem Bundesverwaltungsgericht lag sohin kein Beschwerdevorbringen vor, das mit den Parteien mündlich zu erörtern gewesen wäre.

zu Spruchpunkt B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Weder mangelt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. die oben angeführten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes), noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; diese ist auch nicht uneinheitlich.

Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage liegen nicht vor.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung, Flüchtlingseigenschaft,
Wehrdienstverweigerung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W256.2192723.1.00

Zuletzt aktualisiert am

18.02.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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