TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/5 W274 2184625-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.09.2019
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Entscheidungsdatum

05.09.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W274 2184625-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch Mag. LUGHOFER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , XXXX geb. XXXX , StA. Iran, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, Alserstraße 20/5, 1090 Wien gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.01.2018, Zl. 1082803802-151100825/BMI-BFA_KNT_RD, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht:

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Der Beschwerdeführer stellte am 16.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab er bei der Erstbefragung an, er sei vor drei Jahren zum Christentum konvertiert. Christen würden im Iran verhaftet und schlecht behandelt werden. Aufgrund seines Glaubenswechsels habe er den Iran verlassen müssen, er habe Angst vor dem iranischen Staat.

Am 03.03.2017 erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden kurz: BFA). Dabei bekundete der BF, seit seinem 17. Lebensjahr am Christentum interessiert gewesen zu sein. Er habe sich im Jahr 2013 in der Türkei taufen lassen, zuvor sei er Schiit gewesen. Er habe sich in der Türkei bei der UN registrieren lassen, weshalb er sich dort legal aufgehalten habe, bevor er aus wirtschaftlichen Gründen die Türkei verlassen habe. Er habe sich etwa vier Jahre in der Türkei aufgehalten und sei während dieser Zeit auch drei Mal in den Iran gereist. Geboren und aufgewachsen sei er in Rasht, wo er sieben Jahre die Schule besucht habe. Anschließend habe er seinen Militärdienst geleistet und den Iran verlassen, um in der Türkei zu arbeiten. Sein Vater und seine Geschwister würden im Iran leben, seine Mutter sei bereits verstorben. Er habe aber keinen Kontakt zu seiner Familie im Iran, weil er konvertiert sei und sie nicht mit ihm reden würden. Zum ersten Mal sei sein Interesse am Christentum durch einen Freund in Istanbul geweckt worden, der ihn in die Kirche mitgenommen habe. Als er das letzte Mal in den Iran gereist sei, habe seine Familie seine Bibel entdeckt und ihn als Ungläubigen beschimpft. Deshalb sei er in die Türkei zurückgereist und nicht mehr in den Iran gekommen. Seine Familie sei religiös, sein Onkel Mitglied der "Gotteswächter". In der Folge wurde der Beschwerdeführer zu seinem Wissensstand bzw. zur Ausübung seines christlichen Glaubens befragt.

Eine weitere - ergänzende - niederschriftliche Einvernahme erfolgte am 16.11.2017. Dabei gab der BF an, seine bisher vorgelegten Dokumente von seinem Onkel mütterlicherseits geschickt erhalten zu haben. Er habe zuvor in der Türkei einen Antrag auf internationalen Schutz bei UNHCR gestellt. Er habe zweieinhalb Jahre nach seiner Anmeldung einen negativen Bescheid bekommen. Leistungen habe er von UNHCR keine erhalten. Er erkläre sich mit einer Anfrage bei UNHCR hinsichtlich seines Status einverstanden. Es folgten weitere Fragen hinsichtlich der vom Beschwerdeführer vorgebrachten Hinwendung zum christlichen Glauben bzw. dazu, wie er diesen in Österreich praktiziere.

Mit Anfrage vom 22.11.2017 richtete das BFA an UNHCR eine Anfrage betreffend Verfahrensstand und -ausgang des von UNHCR geführten Asylverfahrens des BF. Mit Schreiben vom 09.01.2018 wurde mitgeteilt, dass die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers mit Entscheidung vom 04.09.2013 verneint wurde, weil das Vorbringen des Beschwerdeführers als unglaubwürdig eingestuft worden sei.

Mit dem im Spruch genannten Bescheid wies das BFA den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran ab (Spruchpunkte I. und II.), sprach aus, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.) nicht erteilt werde, erließ eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und bemaß die Frist für seine freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1-3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.). Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass ein Fluchtgrund - wie zuvor bereits im Verfahren von UNHCR in 2. Instanz geprüft - mangels Glaubwürdigkeit nicht festgestellt habe werde können. Darüber hinaus habe auch nicht festgestellt werden können, dass die iranischen Behörden vom christlichen Interesse des Beschwerdeführers Kenntnis hätten. Ebensowenig habe eine Integrationsverfestigung des Beschwerdeführers in Österreich festgestellt werden können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die gegen alle Spruchpunkte gerichtete Beschwerde "wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, insbesondere Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens, infolge mangelhafter Beweiswürdigung und rechtlicher Beurteilung", in der der BF insbesondere ausführt, die Behörde habe sein Vorbringen nicht zu seinen Gunsten ausgelegt, er habe aufgrund der ihm zugewiesenen Unterkunft und der sprachlichen Barrieren Schwierigkeiten gehabt, in der christlichen Gemeinde in Österreich Fuß zu fassen, er habe jedoch ernsthaft und aus innerster Überzeugung den Glauben gewechselt. Der BF beantragte primär, ihm den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, in eventu, den Status eines subsidiär Schutzberechtigten bzw. einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründe.

Am 07.03.2019 wurde der Beschwerdeführer in einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht einvernommen.

Die Beschwerde ist nicht berechtigt.

Aufgrund der bisherigen Verfahrensergebnisse im Zusammenhalt mit den Ergebnissen der mündlichen Verhandlung vor Gericht steht nachfolgender Sachverhalt fest:

Die Situation im Iran stellt sich derzeit wie folgt dar:

Allgemeine Lage: Iran ist eine islamische Republik mit etwa 80 Millionen Einwohnern. Staatsoberhaupt und Revolutionsführer ist Ayatollah Seyed Als Khamene-i, Präsident seit 2013 Hassan Rohani. Dem Staatsoberhaupt unterstehen u.a. die Revolutionsgarden (Pasdaran) und die mehrere Millionen Mitglieder umfassenden Basij-Milizen. Islamische und demokratische Elemente bestehen nebeneinander. Eine demokratische Verfassung im europäischen Sinn besteht nicht. Die allgemeine Sicherheitslage ist mit Ausnahme der Provinzen Sistan-Belutschistan, Kurdistan und West-Aserbaidschan, in denen es immer wieder zu Konflikten zwischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppen und Anschlägen gegen die Sicherheitskräfte kommt, ruhig, wobei latente Spannungen bestehen. Die verfassungsrechtlich festgeschriebene Unabhängigkeit der Justiz unterliegt Begrenzungen. Vor allem der Sicherheitsapparat nimmt in Einzelfällen massiven Einfluss auf die Urteilsfindung. Allgemein erfüllen Gerichtsverfahren internationale Standards nicht. Obwohl nach der Verfassung primär kodifiziertes Recht anzuwenden ist, kann im Zweifelsfall nach der iranischen Verfassung die Scharia vorrangig angewandt werden. Nach wie vor werden Körperstrafen und Todesstrafe angewandt. Es kommt immer wieder zu willkürlichen Verhaftungen, insbesondere im Zusammenhang mit politischer Überzeugung. Basij-Kräfte sind eine freiwillige paramilitärische Gruppierung, die oft bei der Unterdrückung von Oppositionellen oder der Einschüchterung von Zivilisten, die den strikten Moralkodex nicht befolgen, involviert sind. Die Revolutionsgarden (Sepah-e Pasadaran-e Enghelab-e Islami - IRGC) sind herausragend im Sicherheitsapparat, sie sind eine Parallelarmee und haben Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchsetzt. Sie verfügen über eigene Gefängnisse. Mit willkürlichen Verhaftungen muss im Iran gerechnet werden. Auffälliges Hören von (westlicher) Musik, die Äußerung einer eigenen Meinung zum Islam, gemeinsame Autofahrten junger nicht verheirateter Männer und Frauen, gemischtgeschlechtliche Partys oder das Verstoßen gegen Bekleidungsvorschriften kann den Unmut zufällig anwesender Basijs bzw. mit diesen sympathisierenden Personen hervorrufen. Es kann auch zu einem Verprügeln durch Basij kommen. Die genaue Überwachungskapazität der iranischen Behörden ist unbekannt.

Auch 2017 wurden grausame und unmenschliche Strafen (zB. Peitschenhiebe, Amputationen) vollstreckt. Die Todesstrafe steht auf Mord, Sexualdelikte, gemeinschaftlichen Raub, wiederholten schweren Diebstahl, Drogenschmuggel, schwerwiegende Verbrechen gegen die Staatssicherheit, Abfall vom islamischen Glauben und homosexuelle Handlungen. Der Häufigkeit nach wird sie primär bei Drogendelikten, dann Mord und Sexualdelikten angewandt. Laut AI wurden 2017 mindestens 507 Personen hingerichtet. Auch 2016 war Iran mit hoher Wahrscheinlichkeit das Land mit der weltweit höchsten Hinrichtungszahl im Verhältnis zur Bevölkerung.

Sicherheitsbehörden: Diverse Behörden teilen sich die Verantwortung für die innere Sicherheit; etwa das Informationsministerium, die Ordnungskräfte des Innenministeriums und die Revolutionsgarden welche direkt dem Obersten Führer Khamenei berichten. Die Basij-Kräfte, eine freiwillige paramilitärische Gruppierung mit lokalen Niederlassungen in Städten und Dörfern, sind zum Teil als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug innerhalb der Revolutionsgarden tätig. Basij Einheiten sind oft bei der Unterdrückung von politischen Oppositionellen oder bei der Einschüchterung von Zivilisten, die den strikten Moralkodex nicht befolgen, involviert (US DOS 20.4.2018). Die Polizei unterteilt sich in Kriminalpolizei, Polizei für Sicherheit und öffentliche Ordnung (Sittenpolizei), Internetpolizei, Drogenpolizei, Grenzschutzpolizei, Küstenwache, Militärpolizei, Luftfahrtpolizei, eine Polizeispezialtruppe zur Terrorbekämpfung und Verkehrspolizei. Die Polizei hat auch einen eigenen Geheimdienst. Eine Sonderrolle nehmen die Revolutionsgarden (Sepah-e Pasdaran-e Enghelab-e Islami - IRGC) ein, deren Auftrag formell der Schutz der Islamischen Revolution ist. Als Parallelarmee zu den regulären Streitkräften durch den Staatsgründer Khomeini aufgebaut, haben sie neben ihrer herausragenden Bedeutung im Sicherheitsapparat im Laufe der Zeit Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchsetzt und sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Militärisch kommt ihnen eine höhere Bedeutung als dem regulären Militär zu. Sie verfügen über eigene Gefängnisse und eigene Geheimdienste sowie engste Verbindungen zum Revolutionsführer. Das Ministerium für Information ist als Geheimdienst (Vezarat-e Etela'at) mit dem Schutz der nationalen Sicherheit, Gegenspionage und der Beobachtung religiöser und illegaler politischer Gruppen beauftragt. Aufgeteilt ist dieser in den Inlandsgeheimdienst, Auslandsgeheimdienst, Technischen Aufklärungsdienst und eine eigene Universität. Dabei kommt dem Inlandsgeheimdienst die bedeutendste Rolle bei der Bekämpfung der politischen Opposition zu. Der Geheimdienst tritt bei seinen Maßnahmen zur Bekämpfung der politischen Opposition nicht als solcher auf, sondern bedient sich überwiegend der Sicherheitskräfte und der Justiz. Das reguläre Militär (Artesh) erfüllt im Wesentlichen Aufgaben der Landesverteidigung und Gebäudesicherung. Neben dem "Hohen Rat für den Cyberspace" beschäftigt sich die iranische Cyberpolice mit Internetkriminalität mit Fokus auf Wirtschaftskriminalität, Betrugsfällen und Verletzungen der Privatsphäre im Internet sowie der Beobachtung von Aktivitäten in sozialen Netzwerken und sonstigen politisch relevanten Äußerungen im Internet. Sie steht auf der EU-Menschenrechtssanktionsliste.

Der Oberste Rechtsgelehrte hat höchste Autorität unter allen Sicherheitsorganisationen. Straffreiheit bleibt weiterhin ein Problem innerhalb des Sicherheitsapparates. Menschenrechtsgruppen beschuldigen reguläre und paramilitärische Sicherheitskräfte (wie zum Beispiel die Basij), zahlreiche Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben. Es gibt keinen transparenten Mechanismus, um Missbräuche der Sicherheitskräfte zu untersuchen oder zu bestrafen. Es gibt nur wenige Berichte, dass die Regierung Täter diszipliniert. Eine nennenswerte Ausnahme stellt der Fall des früheren Teheraner Staatsanwaltes dar, der im November 2017 für seine mutmaßliche Verantwortung für Folter und Todesfälle unter Demonstranten im Jahr 2009 zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde.

Die Regierung hat volle Kontrolle über die Sicherheitskräfte und über den größten Teil des Landes, mit Ausnahme einiger Grenzgebiete. Irans Polizei ist traditionellerweise verantwortlich für die innere Sicherheit und im Falle von Protesten oder Aufständen. Sie wird von den Revolutionsgarden (IRGC) und den Basij Milizen unterstützt. Im Zuge der steigenden inneren Herausforderungen verlagerte das herrschende System die Verantwortung für die innere Sicherheit immer mehr zu den IRGC. Die Polizeikräfte arbeiten ineffizient. Getrieben von religiösen Ansichten und Korruption, geht die Polizei gemeinsam mit den Kräften der Basij und der Revolutionsgarden rasch gegen soziale und politische Proteste vor, sind aber weniger eifrig, wenn es darum geht, die Bürger vor kriminellen Aktivitäten zu schützen.

Mit willkürlichen Verhaftungen kann und muss jederzeit gerechnet werden, da vor allem die Basijis nicht nach iranisch-rechtsstaatlichen Standards handeln. Auch Verhaltensweisen, die an sich (noch) legal sind, können das Misstrauen der Basijis hervorrufen. Basijis sind ausschließlich gegenüber dem Obersten Führer loyal und haben oft keinerlei reguläre polizeiliche Ausbildung, die sie mit rechtlichen Grundprinzipien polizeilichen Handelns vertraut gemacht hätten. Basijis haben Stützpunkte u.a. in Schulen, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist. Schätzungen über die Zahl der Basijis gehen weit auseinander. Viele Schätzungen nehmen an, dass heute mehrere Millionen Basijis in Iran tätig sind. Bereits auffälliges Hören von (insb. westlicher) Musik, die Äußerung der eigenen Meinung zum Islam oder gemeinsame Autofahrten junger nicht miteinander verheirateter Männer und Frauen kann den Unwillen zufällig anwesender Basijis bzw. mit diesen sympathisierenden Personen hervorrufen. Willkürliche Verhaftungen oder Verprügeln durch Basijis können in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden. Zu Verhaftungen kommt es immer wieder auch, wenn (junge) Menschen gemischtgeschlechtliche Partys feiern oder sie sich nicht an die Bekleidungsvorschriften halten. Manchmal kann bei Frauen schon ein zu kurzer/enger Mantel oder das Hervortreten von Haarsträhnen unter dem Kopftuch, bei Männern zu eng anliegende Jeans, das Tragen von Goldschmuck oder ein außergewöhnlicher Haarschnitt für eine Verhaftung reichen.

Die Revolutionsgarden sind eng mit der iranischen Wirtschaft verbunden (FH 1.2018). Die Elitetruppe der Islamischen Republik betreibt den Imam Khomeini International Airport in der iranischen Hauptstadt und verfügt damit allein durch Start- und Landegebühren über ein äußerst lukratives Geschäft. Auch an den anderen Flug- und Seehäfen im Land kontrollieren die Truppen der 'Sepah Pasdaran' Irans Grenzen. Sie entscheiden, welche Waren ins Land gelassen werden und welche nicht. Sie zahlen weder Zoll noch Steuern. Sie verfügen über Land-, See- und Luftstreitkräfte, kontrollieren Irans strategisches Waffenarsenal und werden auf eine Truppenstärke von mehr als 120.000 geschätzt. Außerdem sind die Revolutionswächter ein gigantisches Wirtschaftsunternehmen, das Augenkliniken betreibt, Kraftfahrzeuge, Autobahnen, Eisenbahnstrecken und sogar U-Bahnen baut. Sie sind eng mit der Öl- und Gaswirtschaft des Landes verflochten, bauen Staudämme und sind im Bergbau aktiv (DW 18.2.2016). Heute gehören Khamenei und den Revolutionsgarden rund 80% der iranischen Wirtschaft. Sie besitzen außer den größten Baufirmen auch Fluggesellschaften, Minen, Versicherungen, Banken, Elektrizitätswerke, Telekommunikationsfirmen, Fußballklubs und Hotels. Für die gesammelten Auslandsaktivitäten gibt das Regime Milliarden aus.

Längst ist aus den Revolutionsgarden ein bedeutender Machtfaktor geworden - gesellschaftlich, wirtschaftlich, militärisch und politisch. Sehr zum Leidwesen von Hassan Rohani. Der wiedergewählte Präsident versucht zwar, die Garden und ihre Chefebene in die Schranken zu weisen. Es gelingt ihm nur kaum. Die paramilitärischen Einheiten schalten und walten nach wie vor je nach Belieben. Nicht nur in Iran, sondern in der Region. Es gibt nur wenige Konflikte, an denen sie nicht beteiligt sind. Libanon, Irak, Syrien, Jemen - überall mischen die Revolutionsgarden mit und versuchen, die islamische Revolution zu exportieren. Ihre Al-Quds-Brigaden sind als Kommandoeinheit speziell für Einsätze im Ausland trainiert.

Berichten zufolge, versucht die Regierung die wirtschaftliche Dominanz der Revolutionsgarden (IRGC), die zu Korruption führte, einzudämmen. Es sollen zumindest ein Dutzend Mitglieder der IRGC und den IRGC nahestehende Geschäftsleute inhaftiert worden sein, und andere sollen gezwungen worden sein, Einkünfte aus verdächtigen Geschäftsvereinbarungen zurückzuzahlen.

In Bezug auf die Überwachung der Bevölkerung ist zu sagen, dass nicht bekannt ist, wie groß die Kapazität der iranischen Behörden ist, jeden zu überwachen. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen, haben aber eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen.

Allgemeine Menschenrechtslage: Zu den größten menschenrechtlichen Problemen gehören die hohe Anzahl an Exekutionen, Folter, harsche und lebensbedrohliche Haftbedingungen, willkürliche Verhaftungen, politische Gefangene, widerrechtliche Einmischung in die Privatsphäre, schwerwiegende Einschränkungen der Meinungs-, Presse-, Internet-, Versammlungs-, Vereinigungs- und Religionsfreiheit. Weiters Frauen- und LGBTI-Rechte und eingeschränkte politische Partizipation, sowie Korruption. Es gab nur wenige Unternehmungen seitens der Regierung, diese Probleme zu untersuchen, gerichtlich zu verfolgen und zu bestrafen. Straffreiheit bleibt weiterhin ein Problem in Iran (US DOS 20.4.2018). Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamischen Grundsätze in Frage stellt. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weit gefasste Straftatbestände (vgl. Art. 279 bis 288 iStGB sowie Staatsschutzdelikte insbesondere Art. 1 bis 18 des 5. Buches des iStGB). Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, können der Spionage beschuldigt werden (AA 8.12.2016). Besonders unter Druck stehen Mitglieder bzw. Gründer von Menschenrechtsorganisationen (zumeist Strafverteidiger bzw. Menschenrechtsanwälte), wie etwa des "Defenders of Human Rights Center", deren Gründungsmitglieder nahezu allesamt wegen ihrer Tätigkeit hohe Haftstrafen verbüßen. Zum Teil wurden auch Körperstrafen sowie Berufs- und Reiseverbote über sie verhängt. Es ist davon auszugehen, dass sie in Haftanstalten physischer und schwerer psychischer Folter ausgesetzt sind. Oft werden auch Familienmitglieder und Freunde von Strafverteidigern unter Druck gesetzt (verhört oder verhaftet). Die Tätigkeit als Frauen- und Menschenrechtsaktivist wird regelmäßig strafrechtlich verfolgt (Vorwurf der Propaganda gegen das Regime o.ä.) und hat oft die Verurteilung zu Haft- oder auch Körperstrafen zur Folge.

Die Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs-, Versammlungs- und Religionsfreiheit waren 2017 weiterhin stark eingeschränkt. Die Behörden inhaftierten zahlreiche Personen, die friedlich Kritik geäußert hatten. Die Gerichtsverfahren waren in aller Regel unfair. Folter und andere Misshandlungen von Gefangenen waren noch immer an der Tagesordnung und blieben straflos. Es wurden weiterhin Auspeitschungen, Amputationen und andere grausame Körperstrafen vollstreckt. Die Behörden billigten, dass Menschen wegen ihres Geschlechts, ihres Glaubens, ihrer politischen Überzeugung, ethnischen Zugehörigkeit, sexuellen Orientierung, Geschlechtsidentität oder einer Behinderung in starkem Maße diskriminiert und Opfer von Gewalt wurden. Hunderte Menschen wurden hingerichtet, einige von ihnen in der Öffentlichkeit. Tausende saßen weiterhin in den Todeszellen, darunter Personen, die zur Tatzeit noch minderjährig waren. Ende Dezember 2017 gingen Tausende Menschen auf die Straße, um gegen Armut, Korruption und politische Unterdrückung zu protestieren. Es waren die größten Kundgebungen gegen die iranische Führung seit 2009 (AI 22.2.2018). Vereinzelt wurden auch Rufe nach einem Ende der Islamischen Republik laut. Einige Personen wurden bei Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitsbehörden getötet und hunderte wurden inhaftiert (FH 1.2018). Laut dem rezenten Bericht der UN-Sonderberichterstatterin über die Menschenrechtssituation in Iran wurden bei den Protesten 22 Personen getötet, die Polizei bestätigte mindestens 1.000 Verhaftungen landesweit, ein Mitglied des Parlamentes sprach von 3.700 Verhafteten. Angeblich wurde eine große Anzahl an Studenten, die nicht an den Demonstrationen teilnahmen, präventiv in Haft genommen.

Im März 2017 verlängerte der UN-Menschenrechtsrat das Mandat der UN-Sonderberichterstatterin über die Menschenrechtssituation in Iran. Die iranische Regierung verweigerte sowohl der Sonderberichterstatterin als auch anderen UN-Experten weiterhin die Einreise. Im Mai wurde Präsident Hassan Rohani für eine zweite Amtszeit gewählt. Der Wahl ging ein Zulassungsprozess voraus, der von Diskriminierung geprägt war: Der Wächterrat schloss Hunderte Menschen aufgrund ihres Geschlechts, ihres Glaubens oder ihrer politischen Überzeugung von einer Kandidatur aus. Dass Personen, die für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sein sollen, zu Ministern ernannt wurden, stieß in der Öffentlichkeit auf Kritik. Die EU und die iranische Regierung berieten über eine Wiederaufnahme des Menschenrechtsdialogs. Gleichzeitig verbüßten mehrere iranische Menschenrechtsverteidiger Gefängnisstrafen, weil sie Kontakt zu Vertretern der EU und der UN hatten. Die Regierungen Australiens, Schwedens, der Schweiz und weiterer Länder nahmen bilaterale Gespräche mit Iran über Menschenrechte auf.

Wie schon 2013 versprach Rohani auch im Wahlkampf 2017, die Bürgerrechte und die Meinungsfreiheit zu stärken. In seiner ersten Amtszeit von 2013-17 konnte die Regierung den Erwartungen nach einer Liberalisierung im Innern allerdings nicht gerecht werden. Die Menschenrechtslage in Iran bleibt vier Jahre nach Amtsantritt einer gemäßigten Regierung trotz gradueller Verbesserungen im Bereich der Kunst- und Pressefreiheit nahezu unverändert kritisch. Regimegegner sowie religiöse und ethnische Minderheiten sind nach wie vor regelmäßig Opfer staatlicher Repressionen. Beunruhigend ist die außerordentlich hohe Anzahl an Hinrichtungen.

Meinungs- und Pressefreiheit: Die iranische Verfassung garantiert zwar Meinungs- und Medienfreiheit, aber nur insoweit Aussagen nicht "schädlich" für die grundlegenden Prinzipien des Islams oder die "Rechte der Öffentlichkeit" sind (ÖB Teheran 9.2017). In der Praxis sehen sich Meinungs- und Pressefreiheit mit starken Einschränkungen konfrontiert (AA 2.3.2018, vgl. BTI 2018, AI 22.2.2018). So spiegelt zwar die iranische Presselandschaft eine gewisse Bandbreite unterschiedlicher Positionen innerhalb des politischen Spektrums wider. Geprägt wird sie dennoch von einer Vielzahl höchst wandelbarer, da nicht schriftlich fixierter "roter Linien" des Revolutionsführers. Bei Abweichungen drohen Verwarnungen, Publikationsverbote, strafrechtliche Sanktionen etwa wegen "Propaganda gegen das System" bis hin zum Verbot von Medien, sowohl von reformorientierten wie auch von konservativen Zeitungen. Auch 2016 und 2017 wurden reformorientierte wie konservative Zeitungen mit zeitweisen Publikationsverboten belegt, u.a. im Januar 2016 "Bahar", im Juni 2016 die Reformzeitung "Qanun" und die konservative Website "Jahan" und für einen Tag im November 2017 sogar die dem Revolutionsführer nahestehende erzkonservative Keyhan, weil die den Konflikt zwischen Iran und Saudi-Arabien wider das nationale Sicherheitsinteresse angeheizt hatte (AA 2.3.2018). "Propaganda" gegen den Staat ist mit einer einjährigen Freiheitsstrafe sanktioniert, wobei "Propaganda" nicht definiert ist. Zeitungen und Medien sind daher stets der Gefahr ausgesetzt, bei regierungskritischer oder für hohe Regimevertreter unliebsamer Berichterstattung geschlossen zu werden - dies gilt auch für Regimemedien. Oft werden in diesem Zusammenhang die Zeitungsherausgeber verhaftet. Mitarbeiter von ausländischen Presseagenturen sowie unabhängige Journalisten sind Berichten zufolge oft mit Verzögerungen bei Gewährung der Presselizenz durch die iranischen Behörden, Verhaftungen sowie Einschüchterung ihrer Familienmitglieder konfrontiert. Insbesondere im Zusammenhang mit politischen Ereignissen, wie z.B. Wahlen, war in den letzten Jahren immer wieder ein verstärktes Vorgehen gegen Journalisten zu beobachten. Meist werden dabei unverhältnismäßig hohe Strafen wegen ungenau definierten Anschuldigungen wie etwa "regimefeindliche Propaganda" verhängt (ÖB Teheran 9.2017).

Religionsfreiheit: In Iran leben ca. 82 Millionen Menschen, von denen ungefähr 99% dem Islam angehören. Etwa 90% der Bevölkerung sind Schiiten, ca. 9% sind Sunniten und der Rest verteilt sich auf Christen, Juden, Zoroastrier, Baha'i, Sufis, Ahl-e Haqq und nicht weiter spezifizierte religiöse Gruppierungen (BFA Analyse 23.5.2018). Der Islam schiitischer Prägung ist im Iran Staatsreligion. Gleichwohl dürfen die in Art. 13 der iranischen Verfassung anerkannten "Buchreligionen" (Christen, Juden, Zoroastrier) ihren Glauben im Land relativ frei ausüben. In Fragen des Ehe- und Familienrechts genießen sie verfassungsrechtlich Autonomie. Jegliche Missionstätigkeit kann jedoch als "mohareb" (Krieg gegen Gott) verfolgt und mit dem Tod bestraft werden. Auch unterliegen Vertreter religiöser Minderheiten Beschränkungen beim Zugang zu höheren Staatsämtern. Nichtmuslime sehen sich darüber hinaus im Familien- und Erbrecht nachteiliger Behandlung ausgesetzt, sobald ein Muslim Teil der relevanten Personengruppe ist.

Anerkannte religiöse Minderheiten - Zoroastrier, Juden, (v.a. armenische und assyrische) Christen - werden diskriminiert, nicht anerkannte nicht-schiitische Gruppen - Bahá'í, konvertierte evangelikale Christen, Sufi (Derwisch-Orden), Atheisten - werden in unterschiedlichem Grad verfolgt. Sunniten werden v.a. beim beruflichen Aufstieg im öffentlichen Dienst diskriminiert. Vertreter von anerkannten religiösen Minderheiten betonen immer wieder, wenig oder kaum Repressalien ausgesetzt zu sein. Sie sind in ihrer Religionsausübung - im Vergleich mit anderen Ländern der Region - nur relativ geringen Einschränkungen unterworfen (religiöse Aktivitäten sind nur in den jeweiligen Gotteshäusern und Gemeindezentren erlaubt; christliche Gottesdienste in Farsi sowie missionarische Tätigkeiten sind generell verboten). Darüber hinaus haben sie gewisse anerkannte Minderheitenrechte, etwa - unabhängig von ihrer zahlenmäßigen Stärke - eigene Vertreter im Parlament sowie das Recht auf Alkoholkonsum bei religiösen Riten und im Privatbereich, wenn keine Moslems anwesend sind. Es gibt Berichte von gesellschaftlicher Diskriminierung von Bahai aufgrund ihrer Religion. Dennoch geht die Verfolgung hauptsächlich von staatlichen Akteuren aus. Der Auswanderungsdruck ist auf Grund der für alle Iraner geringeren wirtschaftlichen Perspektiven auch bei den Angehörigen der anerkannten religiösen Minderheiten weiterhin groß.

Das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit wird sowohl durch Gesetze als auch im täglichen Leben systematisch verletzt. Die Behörden zwangen weiterhin Personen aller Glaubensrichtungen einen Kodex für Verhalten in der Öffentlichkeit auf, der auf einer strikten Auslegung des schiitischen Islams gründete. Muslime, die keine Schiiten waren, durften weder für das Amt des Präsidenten kandidieren noch andere hochrangige politische Ämter bekleiden. Das Recht, eine Religion zu wechseln oder aufzugeben, wurde weiterhin verletzt. Personen, die zum Christentum übergetreten waren, erhielten hohe Gefängnisstrafen, die in einigen Fällen von zehn bis 15 Jahren reichten. Es gab weiterhin Razzien in Hauskirchen. Personen, die sich zum Atheismus bekannten, konnten jederzeit willkürlich festgenommen, inhaftiert, gefoltert und anderweitig misshandelt werden. Sie liefen Gefahr, wegen "Apostasie" (Abfall vom Glauben) zum Tode verurteilt zu werden.

Auch die Aussagen und Ansichten von schiitischen Geistlichen werden beobachtet. Schiitische Religionsführer, die die Politik der Regierung oder des Obersten Führers Khamenei nicht unterstützen, können sich auch Einschüchterungen und Repressionen bis hin zu Haftstrafen gegenübersehen.

Laut der in den USA ansässigen NGO "United for Iran" waren 2016 198 Gefangene wegen "Feindschaft gegen Gott", 31 wegen "Beleidigung des Islam" und 12 wegen "Korruption auf Erden" inhaftiert.

Ethnische Minderheiten

Iran gehört mit etwa 80 Millionen Einwohnern zu den 20 bevölkerungsreichsten Ländern der Erde. Das Bevölkerungswachstum beträgt etwa 1,3%. Dabei ist die iranische Gesellschaft weit heterogener als die offizielle Staatsdoktrin glauben machen will. Nur etwa 51% der Iraner sind Perser. Dazu kommt die Volksgruppe der Aseris mit 24% der Gesamtbevölkerung, etwa 8% Gilakis und Mazanderanis, 7% Kurden, 3% Araber und je etwa 2% Turkmenen, Luren und Balutschen. Die diesbezüglich genannten Zahlen variieren teils beträchtlich. Zudem leben viele Flüchtlinge im Land, von denen die afghanischen mit etwa zwei Millionen weiterhin die größte Gruppe stellen, gefolgt von irakischen. Insgesamt ist Iran im Moment das viertgrößte Aufnahmeland für Flüchtlinge weltweit. Die ethnischen Minderheiten des Iran leben eher in den Grenzregionen des Landes zu seinen Nachbarn, die Kurden etwa im Nordwesten, die Araber in der Region um den Persischen Golf. Dennoch sind Entwicklungen wie etwa im Irak oder Afghanistan in Iran nicht zu erwarten. Abseits eines gern gepflegten Patriotismus zur eigenen Ethnie sind separatistische Bewegungen ethnischer Minderheiten kein ein vielen Nachbarstaaten vergleichbares Problem. Sie beschränken sich auf einige Gruppierungen in Balutschistan und Kurdistan, wobei gerade hier die Regierung immer wieder gern selbst Separatismus unterstellt, um diesem mit Gewalt zuvorzukommen).

Es sind keine Rechtsverletzungen gegen Mitglieder ethnischer Minderheiten aus rein ethnischen Gesichtspunkten bekannt. Von Diskriminierungen im Alltag (rechtlich, wirtschaftlich und/oder kulturell, z.B. Zugang zu Wohnraum, Wasser und Bildung) wurde jedoch betreffend u.a. Angehöriger der arabischen Gemeinschaft der Ahwazi, Aseris, Belutschen, Kurden und Turkmenen berichtet. Der Gebrauch ihrer jeweiligen Muttersprache in Behörden und Schulen ist weiterhin verboten, trotz entsprechender Zusagen von Präsident Rohani während seines Wahlkampfes im Jahr 2013. Menschen, die sich für Minderheitenrechte einsetzten, wurden bedroht, festgenommen und bestraft (ÖB Teheran 9.2017).

Der Vielvölkerstaat Iran verfolgt gegenüber ethnischen Minderheiten grundsätzlich eine auf Ausgleich bedachte Politik, v.a. die Aseri sind in Staat und Wirtschaft sehr gut integriert (AA 2.3.2018). Die Infrastruktur von Regionen, wo Minderheiten wohnen, sind allerdings zum Teil stark vernachlässigt (BMI 2015). In der Provinz Sistan und Belutschistan berichteten viele Dorfbewohner, dass es ihnen an Wasser, Elektrizität, Schulen und Gesundheitseinrichtungen mangele. In der verarmten Provinz sind die Analphabeten-Quote bei Mädchen und die Kindersterblichkeit sehr hoch. Angehörigen ethnischer Minderheiten, die die Verletzung ihrer Rechte kritisieren, drohen willkürliche Inhaftierung, Folter und andere Misshandlungen, grob unfaire Gerichtsverfahren, Gefängnisstrafen und die Todesstrafe. Geheimdienste und Sicherheitsorgane beschuldigten Aktivisten, die sich für die Rechte von Minderheiten einsetzten, sie würden "separatistische Strömungen" unterstützen, die Irans territoriale Integrität bedrohten.

Grundversorgung

Die Grundversorgung ist in Iran gesichert, wozu neben staatlichen Hilfen auch das islamische Spendensystem beiträgt. Der Mindestlohn liegt bei ca. 9,3 Mio. IRR im Monat (ca. 200 Euro). Das durchschnittliche Monatseinkommen pro Kopf liegt bei ca. 400 Euro (AA 2.3.2018).

Seit dem Amtsantritt der Regierung Rohani 2013 konnte sich die iranische Wirtschaft etwas erholen. Der Abschwung der Wirtschaft (-6,6 % im Jahr 2012; -1,9 % im Jahr 2013) konnte 2014 gestoppt werden. Im Jahre 2016 konnte die Regierung schon ein Wirtschaftswachstum von 4,6% verzeichnen. Das weitere Wachstum ist wesentlich von den Sanktionserleichterungen abhängig und ohne einen stark zunehmenden Außenhandel nicht realistisch. Seit Anfang 2014 ist es der iranischen Regierung gelungen, den Abwärtstrend des Rial zu stoppen. Im iranischen Jahr 1394 (2014/2015) betrug die durchschnittliche Inflation 14,7%; derzeit liegt sie bei ca. 10%. Es ist abzusehen, dass sich die Währung durch die positiven Impulse des Atomabkommens auf die iranische Wirtschaft auch zukünftig stabil halten wird. Die Aufhebung der Sanktionen hat nur sehr langsam Konsequenzen für den Durchschnittsiraner. Kritiker warten ungeduldig auf die Schaffung von Arbeitsplätzen und ein Wirtschaftswachstum, das nicht nur in der Ölwirtschaft, sondern auch in der Privatwirtschaft, etc, zu spüren ist. In seiner zweiten Amtszeit setzt Präsident Rohani daher verstärkt auf den weiteren Ausbau der Wirtschaft. Ausländische Investoren sollen für den iranischen Markt gewonnen werden, um Arbeitsplätze zu schaffen. Eine nachhaltige Erholung der iranischen Wirtschaft wird nämlich auch davon abhängen, ob es der Regierung gelingt, die Devisenknappheit und das Inflationsproblem langfristig unter Kontrolle zu bringen. Devisenreserven befinden sich Großteils im Ausland und können von der iranischen Regierung nur eingeschränkt verwendet werden. Beide Problembereiche sind eng mit dem Zugang zu ausländischen Devisenquellen und Investitionen aus dem Ausland verbunden. Gegenwärtig halten sich sowohl einheimische als auch ausländische Investoren aufgrund der derzeit noch nicht absehbaren politischen Risiken mit Investitionen zurück.

Aufgrund der im Vergleich zu Europa extrem jungen Bevölkerung strömen jedes Jahr viele Berufseinsteiger auf den Arbeitsmarkt. Um diesen Menschen Arbeit zu geben, wäre die Schaffung von rund 1 Mio. Arbeitsplätzen pro Jahr erforderlich. Die Arbeitslosenrate in Iran betrug im Juni 2016 nach offiziellen Statistiken 10,7% mit Tendenz nach oben. Inoffiziellen Zahlen zufolge ist der Wert jedoch fast doppelt so hoch. Neben Arbeitslosigkeit spielt in Iran auch Unterbeschäftigung eine Rolle. Ausgebildete Arbeitskräfte (Facharbeiter, Uni-Absolventen) finden oft keine ihrer Ausbildung entsprechenden Jobs. Daraus folgen soziale Spannungen aber auch ein gewaltiger "brain drain", der die iranische Gesellschaft und Wirtschaft nachhaltig beeinträchtigen wird. Ende Dezember 2017 entstanden Proteste aufgrund der schlechten ökonomischen Lage in einigen Städten (FH 1.2018).

Die iranische Wirtschaft ist weitestgehend zentralisiert und steht fast komplett unter staatlicher Kontrolle. So haben viele iranische Unternehmen neben wirtschaftlichen, auch politische Ziele zu erfüllen. Durch regelmäßige staatliche Eingriffe über Preisregulierungen und Subventionen, die in aller Regel politische Ursachen haben, konnte sich bisher kaum eine eigenständige Wirtschaft entwickeln. Privatwirtschaft gibt es vor allem auf dem Basar, in der Landwirtschaft und im Dienstleistungsgewerbe. Erst in den letzten Jahren wurden, vor allem durch die 2001 gegründete Iranian Privatization Organization, vermehrt Anstrengungen zur Privatisierung weiterer Teile der Wirtschaft unternommen. Der wichtigste Sektor der iranischen Wirtschaft ist die Erdöl- und Erdgasproduktion. Die Ölförderung ist durch die National Iranian Oil Company monopolisiert, 80-85% der staatlichen Einnahmen stammen aus dem Ölverkauf. Da zudem etwa 60% dieses Budgets in die Finanzierung staatlicher Unternehmen und Institutionen fließen, ist Iran nahezu komplett von den Einnahmen aus dem Ölexport abhängig. Nicht nur die Wirtschaft, auch der Lebensstandard vieler Iraner hängt vom Ölpreis ab. Hindernisse bei der Modernisierung iranischer Förderanlagen und Raffinerien führten nicht zuletzt dazu, dass in den letzten Jahren immer wieder große Mengen an Benzin importiert werden mussten, um den heimischen Bedarf zu decken. Da Benzin staatlich subventioniert ist, kostete dies den Staat in den letzten Jahren etwa 11% des BIP. Hob er den Benzinpreis an oder begrenzte die ausgegebenen Rationen, führte das immer wieder zu teils gewaltsamen Ausschreitungen. Vor diesem Hintergrund darf man davon ausgehen, dass der Modernisierung der Infrastruktur des Erdölsektors nach dem Ende der Sanktionen eine hohe Priorität eingeräumt werden wird.

Ein wichtiger, in nicht wenigen Bereichen sogar zentraler Faktor der iranischen Wirtschaft sind die halbstaatlichen religiösen Stiftungen, die Bonyads. Heute gibt es etwa 120 davon. Hier verschmelzen Religion, Politik und Wirtschaft am deutlichsten. Entsprechend islamischer Grundsätze ist die Hauptaufgabe einer religiösen Stiftung die öffentliche Wohlfahrt, etwa in Form des Erhalts von Straßen oder der Pflege eines Pilgerzentrums. Daneben sind viele der Stiftungen heute jedoch international agierende Großkonzerne. Die größte Stiftung des Landes ist die Ostan-e Qods-e Rezavi, die Imam Reza Stiftung, die sich der Instandhaltung des religiösen Zentrums in Maschhad widmet. Daneben ist die Stiftung jedoch im (Teil-)Besitz zahlreicher Industrieunternehmen, wie etwa der Teheraner Busgesellschaft, und setzt jährlich geschätzte 14 Milliarden Dollar um. Zudem ist sie der größte Grundbesitzer des Landes. Die Bonyad-e Mostazafan wa Dschanbazan, die Stiftung der Unterdrückten und Kriegsveteranen, offiziell zuständig für die Versorgung der Kriegsversehrten und Armen, steht hingegen hinter der National Iranian Oil Company.

Sozialbeihilfen

Alle angestellten Arbeitnehmer unterliegen einer Sozialversicherungspflicht, die die Bereiche Rente, Unfall und Krankheit umfasst. Der Rentenanspruch entsteht in voller Höhe nach 30 Einzahlungsjahren. Nachdem in die Sozialversicherungskasse zwei Jahre eingezahlt wurde, entsteht für Angestellte ein monatlicher Kindergeldanspruch i.H.v. 800.000 IRR (ca. 20 Euro) pro Kind.

Ebenfalls besteht ab diesem Zeitpunkt ein Anspruch auf Arbeitslosengeld i.H.v. 70-80% des Gehaltes, das für mindestens ein Jahr gezahlt wird. Schließlich erhält ein geringer Teil der nicht oder gering verdienenden iranischen Bevölkerung zur Sicherung der Grundversorgung monatlich 450.000 IRR (ca. 11 Euro, sog. Yarane). Dabei handelt es sich jedoch um ein auslaufendes System, das keine Neuaufnahmen zulässt. Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer und ihre Familien sind nicht bekannt. Im Übrigen gibt es soziale Absicherungsmechanismen, wie z.B. Armenstiftungen, Kinder-, Alten-, Frauen- und Behindertenheime. Hilfe an Bedürftige wird durch den Staat, die Moscheen, religiöse Stiftungen, Armenstiftungen und oft auch durch NGOs oder privat organisiert (z.B. Frauengruppen).

Kostenfreie Bildung und Gesundheitsversorgung sind als Teil des Sozialwesens für alle iranischen Bürger gewährleistet. Weitere Leistungen können vom Arbeitgeber angeboten werden.

Eine staatliche Arbeitslosenhilfe gibt es nicht, es sei denn der Rückkehrer oder dessen Arbeitgeber haben monatliche Beiträge an eine entsprechende Versicherungsfirma gezahlt. Die Mitgliedschaft in der Sozialversicherung ist für alle Arbeitnehmer verpflichtend. Die Sozialversicherung sichert allen Arbeitnehmern einen Schutz bei Arbeitslosigkeit, Krankheit, Alter und Berufsunfällen zu. Von 15.000 Obdachlosen in Iran im Jahr 2015 waren 5.000 Frauen. Arbeitnehmer im Alter von 18 bis 65 Jahren werden vom Sozialversicherungssystem erfasst. Die Finanzierung ist zwischen Arbeitnehmer (7% des Lohns), Arbeitgeber (20-23%) und dem Staat, welcher den Beitrag des Arbeitnehmers um weitere 3% erhöht, aufgeteilt. Das Sozialversicherungssystem ist für Selbständige zugänglich, sofern diese zwischen 12% und 18% ihres Einkommens freiwillig zahlen. Beamte, Soldaten, Polizisten und die Revolutionsgarden (IRGC) haben ihre eigenen Rentensysteme.

Es gibt einige NGOs, die gezielt in Not geratene Personen unterstützen. Dazu zählt zum Beispiel BEHZISTI, welche beispielsweise Drogensüchtigen, alleinerziehenden Müttern, Personen mit Einschränkungen etc. hilft. Zu den Dienstleistungen zählen unter anderem Sozial-psychologische Betreuung, Beratungsgespräche, Unterkünfte, Rehabilitationsleistungen etc. Der Zugang ist für alle Bürger gleich, dennoch gibt es zusätzliche Unterstützungen, die von den Communities/Organisationen getragen werden: Z.B. The Imam Khomeini Relief Foundation eine gemeinnützige Organisation, die im März 1979 gegründet wurde und ärmliche Familien unterstützt.

Der Kampf gegen die Armut wird vor allem unter religiösen Vorzeichen geführt. Die großen religiösen Stiftungen haben hier theoretisch ihren Hauptaufgabenbereich. Außerdem liegt die Versorgung der Armen in der Verantwortung der Gesellschaft, das Almosengeben ist eine der Säulen des Islam. Die blauen Spendenbehälter, vom Staat aufgestellt um die sadeqe, die Almosen, zu sammeln, finden sich in jeder Straße. Ein Ansatz, gerade der Armut auf dem Land entgegenzuwirken, ist Bildung. Der Staat schickt beispielsweise Studenten, die als Pflichtteil des Studiums in Dörfern abgelegener Regionen unterrichten müssen. Viele weitere staatliche Anstrengungen zur Bekämpfung der Armut werden jedoch dadurch behindert, das der Staat selbst aufgrund des Verfalls des Ölpreises in finanziellen Schwierigkeiten steckt.

Medizinische Versorgung: Im Gesundheitswesen zeigt sich ein Stadt-Land-Gefälle. Zwar ist es fast flächendeckend - laut WHO haben 98% aller Iraner Zugang zu ärztlicher Versorgung (100% in Städten, 95% auf dem Land), aber die Qualität schwankt. Die medizinische Versorgung ist in Teheran und anderen großen Städten ausreichend bis gut (GIZ 3.2018c). Die spezialisierte, medizinische Versorgung ist in weiten Landesteilen medizinisch, hygienisch, technisch und organisatorisch nicht auf der Höhe der Hauptstadt und nicht vergleichbar mit europäischem Standard. In Teheran ist die medizinische Versorgung in allen Fachdisziplinen meist auf einem recht hohen Niveau möglich (AA 18.6.2018a). Auch wenn der Zugang zu gesundheitlicher Erstversorgung größtenteils gewährleistet ist, gibt es dennoch gravierende Qualitätsunterschiede einzelner Regionen. Zum Beispiel liegt der Unterschied der Lebenserwartung im Vergleich mancher Regionen bei 24 Jahren. Folgende sieben Provinzen weisen eine niedrigere Qualität als die Referenz-Provinz Teheran auf:

Gilan, Hamadan, Kermanschah, Khuzestan, Tschahar Mahal und Bachtiyari, Süd-Chorasan sowie Sistan und Belutschistan. Politische Reformen wurden bereits unternommen, um einen gleichmäßigeren Zugang zu Gesundheitsdiensten zu schaffen. Nichtsdestotrotz gibt es noch eine Vielzahl an Haushalten, die sich keine ausreichende gesundheitliche Versorgung leisten können. Gesundheitsdienste sind geographisch nicht nach Häufigkeit von Bedürfnissen, sondern eher nach Wohlstand verteilt.

Rückkehr: Allein der Umstand, dass eine Person einen Asylantrag gestellt hat, löst bei Rückkehr keine staatlichen Repressionen aus. In der Regel dürften die Umstände der Wiedereinreise den iranischen Behörden gar nicht bekannt werden. Trotzdem kann es in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt kommen.

Bisher wurde kein Fall bekannt, in dem Zurückgeführte im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert wurden. Personen, die das Land illegal verlassen und sonst keine weiteren Straftaten begangen haben, können von den iranischen Auslandsvertretungen ein Passersatzpapier bekommen und nach Iran zurückkehren.

Zum Thema Rückkehrer gibt es kein systematisches Monitoring das allgemeine Rückschlüsse auf die Behandlung von Rückkehrern zulassen würde. In Einzelfällen konnte im Falle von Rückkehrern aus Deutschland festgestellt werden, dass diese bei niederschwelligem Verhalten und Abstandnahme von politischen Aktivitäten, mit Ausnahme von Einvernahmen durch die iranischen Behörden unmittelbar nach der Einreise, keine Repressalien zu gewärtigen hatten. Auch IOM Iran, die in Iran Unterstützungsleistungen für freiwillige Rückkehrer im Rahmen des ERIN-Programms anbietet, unternimmt ein Monitoring nur hinsichtlich der wirtschaftlichen Wiedereingliederung der Rückkehrer, nicht jedoch im Hinblick auf die ursprünglichen Fluchtgründe und die Erfahrungen mit Behörden nach ihrer Rückkehr. Australien zahlt Rückkehrhilfe an eine bislang überschaubare Gruppe an Rückkehrern in Teheran in Euro aus.

Iraner, die im Ausland leben, sich dort öffentlich regimekritisch äußern und dann nach Iran zurückkehren, können von Repressionen bedroht sein (AA 2.3.2018). Wenn Kurden im Ausland politisch aktiv sind, beispielsweise durch Kritik an der politischen Freiheit in Iran in einem Blog oder anderen Online Medien, oder wenn eine Person Informationen an die ausländische Presse weitergibt, kann das bei einer Rückreise eine gewisse Bedeutung haben. Die Schwere des Problems für solche Personen hängt aber vom Inhalt und Ausmaß der Aktivitäten im Ausland und auch vom persönlichen Aktivismus in Iran ab (auszugsweise Wiedergabe des LIB der Staatendokumentation Iran, Stand 14.6.2019, beruhend auf den dort ersichtlichen Quellen).

Der nunmehr 31-jährige BF wurde am XXXX in Rasht, der Hauptstadt der iranischen Provinz Gilân, geboren, wo er aufgewachsen ist und auch die Grundschule besucht hat. Er ist Staatsangehöriger des Iran und kam als schiitischer Muslim zur Welt. Nicht festgestellt werden konnte, dass er bereits als Kind oder Jugendlicher etwas vom Christentum gehört hat. Er ist väterlicherseits azerischer, mütterlicherseits gilakischer Abstammung. Er hat 3 Schwestern, 2 Brüder und einen Vater, die alle in Rasht leben. Die Mutter ist verstorben. Er war zunächst als Portier in einem Reisebüro tätig und absolvierte sodann vom 18. bis zum 21. Lebensjahr den Militärdienst. Er lebte bis zu seiner Ausreise aus dem Iran etwa 2012 im elterlichen Haus. Nicht festgestellt werden konnte, wie der BF genau in den Jahren nach dem Militärdienst bis zur Ausreise seinen Lebensunterhalt verdiente. Teilweise war er als Hilfsarbeiter in der Textilbranche tätig.

Der BF verließ den Iran etwa Anfang 2012 in Richtung Türkei, um dort in der Textilbranche zu arbeiten, allenfalls bei der Rückreise Textilien, die er in der Türkei kaufte, im Iran gewinnbringend zu veräußern. Er reiste einige Male zwischen dem Iran und der Türkei hin und her, wobei die Anzahl und die Zeiträume dieser Reisen konnten nicht festgestellt werden konnten.

Der BF wurde über Antrag am 11.3.2013 vom UNHCR-Büro in der Türkei registriert und damit ein Verfahren zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft eingeleitet. Nach einer Befragung durch UNHCR am 27.8.2013 wurde die Flüchtlingseigenschaft des BF mit Entscheidung von UNHCR vom 4.9.2013 verneint. Diese Entscheidung wurde im Rahmen eines UNHCR-internen Beschwerdeverfahrens am 31.10.2014 bestätigt. Wesentlich war, dass das Vorbringen des BF betreffend seine Konversion zum Christentum sowie seine Fluchtgründe als nicht glaubhaft eingestuft wurden (Schreiben UNHCR Büro Österreich zu UNHCR-Registrierungsnummer: 385-13C01585 vom 9.1.2018 samt näheren Ausführungen über die Aussagen des BF vor UNHCR-Türkei und dessen beweiswürdigende Überlegungen).

Im Rahmen seines Türkei-Aufenthalts bekam der BF in Istanbul bzw in Yalova 2012 /2013 Kontakt zur dort ansässigen christlichen "Lighthouse Church" (ISIK KILISESI), wobei nicht festgestellt werden konnte, wann genau und unter welchen genauen Umständen dies geschah. Nicht festgestellt werden konnten auch die näheren organisatorischen Umstände dieser Gemeinschaft bzw deren Positionierung im christlichen Spektrum. Der BF hält diese Kirche für "protestantisch". Nicht festgestellt werden konnte, über welchen Zeitraum der BF Gottesdienste dieser Gemeinschaft besuchte und zu welchem Grad er dort integriert wurde. Er wurde in dieser Kirche am 9.6.2013 getauft (Bestätigung AS 139).

Nicht festgestellt werden konnte, dass er 2012 seinem Vater bzw sonstigen Familienmitgliedern eine mitgebrachte Bibel zeigte bzw eine solche "entdeckt" wurde und dies den Vater bzw die Familie so erboste, dass der BF aus dem Iran endgültig ausreisen mußte. Nicht festgestellt werden konnte auch, dass der Kontakt des BF zu seinem Vater bzw seiner sonstigen Familie damit endgültig beendet wurde.

Nach Ablehnung der Flüchtlingseigenschaft durch UNHCR Türkei kam der BF im August 2015 mit dem großen Flüchtlingsstrom ohne gültige Einreisedokumente nach Österreich. Er war zunächst für 2 Wochen in einem Asylquartier in Krumpendorf, von September bis Dezember 2015 in einem Privatquartier in Sittersdorf und ist seit Dezember 2015 in einem anderen Quartier des gleichen Unterkunftgebers in Eisenkappel-Vellach (beides an der kärntnerisch-slowenischen Grenze), ausserhalb des Ortszentrums, untergebracht.

Der BF hat insoferne Interesse am Christentum, als er auf einem farsisprachigen und einem türkischsprachigen Radiosender ("Mojdeh" und "Light") religiöse Sendungen hört und Predigten auf You Tube anschaut. Seinen - muslimischen - Mitbewohnern in der Unterkunft hat der BF nicht direkt mitgeteilt, Christ zu sein. Nicht festgestellt werden konnte, dass die Mitglieder von seinem Interesse für das Christentum wissen und er deshalb Nachteile in Kauf nehmen mußte (Erniedrigungen, Beleidigungen). Der BF hat niemals mit den vor Ort befindlichen katholischen Kirchen bzw protestantischen Kirchen in weiterer Umgebung (Völkermarkt im gleichen Bezirk, Klagenfurt) näheren Kontakt aufgenommen bzw regelmäßig dort Gottesdienste besucht.

Nicht festgestellt werden konnte, dass der BF zum gegenwärtigen Zeitpunkt derartig innerlich den christlichen Glauben angenommen hat, dass er das Bedürfnis hätte, diesen auch unter geänderten Bedingungen, wie einer Rückkehr in den Iran, innerlich und äußerlich auszuleben.

Er hat einige Male gemeinnützige Arbeiten für die Gemeinde verrichtet (6 oder 7 mal Straße kehren). Der BF ist im Wesentlichen gesund und arbeitsfähig. Er ist in Österreich nicht berufstätig und befindet sich in Grundversorgung. Er besuchte vorübergehend einen Deutschkurs, ohne bislang ein Deutsch-Zertifikat erworben zu haben. Er hat keine nennenswerten Deutschkenntnisse und ist in Österreich unbescholten.

Beweiswürdigung:

Neben der unmittelbaren Vernehmung vor Gericht und den Protokollen der Erstbefragung und vor dem BFA (3.3. und 16.11.2017) stand dem Gericht das Schreiben von UNHCR Österreich, mit dem - zeitnahe - Vernehmungsergebnisse mit dem BF in einem förmlichen Verfahren vor UNHCR-Türkei wiedergegeben werden, als weitere Erkenntnisquelle zur Verfügung. Zeugen wurden weder namhaft gemacht, noch ergaben sich mögliche von amts wegen zu ladende Zeugen aus dem Akt.

Glaubhaft waren zunächst die Angaben des BF zu seinem familiären Herkommen und seinem schulischen und beruflichen Werdegang. An der Identität bestanden schon für das BFA im Entscheidungszeitpunkt keine Zweifel mehr.

Aufgrund der - wie im Folgenden dargestellt - unvollständigen und weitgehend widersprüchlichen Angaben zur Zeit nach dem Militär, den Reisen in die Türkei, den ersten Kontakten zu Christen, dem "Entdecken" der Bibel des BF durch den Vater und den Kontakt zur Lighthouse Church in der Türkei samt Taufe konnten nur die getroffenen ("Mindest-) Feststellungen bzw darüber hinaus Negativfeststellungen getroffen werden:

Laut UNHCR habe der BF angegeben, am 16.4.2012 im Haus eines iranischen Christen - Amin Bozorgzadeh Eman - in Rasht zum Christentum konvertiert sein. Er habe seinen Vater von der Konversion informiert, woraufhin ihn dieser aus dem Haus geworfen habe. Aus Furcht vor dem Vater, den Brüdern und Nachbarn habe er den Iran am 25.5.2012 verlassen (UNHCR - Schreiben).

Vor dem BFA gab der BF am 3.3.3017 an, die ersten Kontakte mit dem Christentum habe er im Haus seines Freundes in Istanbul gehabt (AS 76). Auch am 16.11.2017 gab der BF an, sein Interesse am Christentum habe begonnen, als ihn in der Türkei Freunde zur Kirche eingeladen hätten (AS 112). Am 3.3.2017 gab er an, zuletzt sei er im Winter 2012 in den Iran eingereist. Er habe heimlich eine Bibel mitgenommen, weil er gerne darin lese. Die Familie habe die Bibel bei ihm entdeckt und ihn beschimpft, sodass er habe flüchten müssen (AS 74).

Vor Gericht gab der BF demgegenüber - nicht in Einklang zu bringend - an, als er zu Hause gewesen sei, sei er froh gewesen, dass er endlich seinem Vater und seiner Schwester über seine Erfahrungen erzählen könne bzw ihnen die Bibel zeigen könne. Erst als er ihnen die Bibel gezeigt habe, hätten sie ihm Vorwürfe gemacht (Protokoll BVwG S 12). Er habe etwa 2 Monate danach seinen Asylantrag in der Türkei gestellt.

Selbst unter Zubilligung zeitlicher Unschärfen ist dies mit der Angabe gegenüber UNHCR nicht in Einklang zu bringen, wonach er im Mai 2012 "aus Furcht, dass ihm der Vater, die Brüder und Nachbarn Probleme bereiten könnten" in die Türkei eingereist sei. Sollte man die Aussage vor UNHCR, "den Rest seiner Zeit im Iran habe er bei seiner Schwester verbracht", auf weitere Aufenthalte im Iran beziehen (einmal gibt der BF an, dreimal, einmal fünfmal in den Iran wiedereingereist zu sein), so gab er unmißverständlich vor dem BFA an, zuletzt im Winter 2012 in den Iran eingereist zu sein. Bei diesem Anlaß habe der Vater die Bibel bei ihm entdeckt (AS 74).

Aufgrund seiner Aussage vor Gericht, er sei schon ca. ein Jahr und fünf oder acht Monate vor dem Tauftermin erstmals in der Kirche Jalowa gewesen, müßte er - ausgehend von der Taufe am 9.6.2013 - schon 2011 in Jalowa gewesen sein, also schon etwa eineinhalb Jahre vor seiner Registrierung bei UNHCR im März 2013. Über ausdrückliche Frage vor Gericht gab der BF aber an, erst nach dem Asylantrag in der Türkei (2013) sich aus zwei Möglichkeiten die Stadt Yalova ausgesucht zu haben (Protokoll BvWG, S 12, 13).

Da der BF vor dem BFA nur angab, als Schneider in der Türkei tätig gewesen zu sein, war es auch nicht glaubhaft, wenn er vor Gericht von mehreren längeren Türkeibesuchen sprach, die auch dem Zweck des Handels mit türkischen Kleidungsstücken im Iran gedient hätten.

Der BF bestätigte über Nachfrage vor dem BFA, jener "sehr religiöse Onkel, der für den Staat arbeite", habe ihm die vorgelegten Dokumente "Identitätskarte, Führerschein und Taufschein" nach Österreich geschickt (AS 72, 73, 115). Es ist auszuschließen, dass das als am gefährlichsten bezeichnete Familienmitglied, der als Mitglied der "Gotteswächter" bezeichnete Onkel (AS 75), dem BF Unterlagen, noch dazu einen Taufschein nachschickt. Die Erklärung, er habe damals nicht gewußt, dass der BF Christ sei, ist dazu untauglich, weil dies ja aus dem Taufschein hervorgeht (selbst ohne Kenntnis der englischen Sprache).

Daraus folgt für das Gericht die Unglaubwürdigkeit des Umstandes, dass der Kontakt des BF zu seiner Familie unterbrochen wurde.

Die Unglaubwürdigkeit des Umstandes, dass der BF bereits als Kind oder Jugendlicher näheren Kontakt zu Christen hatte, folgt der Aussage, in der Türkei hätten ihn seine Freunde in die Kirche eingeladen, er habe nicht gewußt, was Christentum bedeutet, er sei Moslem gewesen.

Vor dem Hintergrund dieser wesentlichen Widersprüche ist die Glaubwürdigkeit des BF generell herabgesetzt. Aufgrund dessen und des Umstandes, dass keine persönliche Glaubensmotivation des BF (persönliche Erlebnisse, Einfluß durch nahe Bezugspersonen) ersichtlich war, ist durch die äußere - nachträgliche - Bestätigung der Taufe ("Den Original- Taufschein habe ich in der Türkei weggeworfen", AS 72) allein kein Beweiswert in Richtung einer inneren Konversion gegeben. Wenn der BF vor Gericht versuchte, Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Ergebnisse des Verfahrens vor UNHCR zu wecken, so geht das Gericht entgegen den Angaben des BF davon aus, dass solche Ermittlungsverfahren unter hohen rechtsstaatlichen Standards durchgeführt werden, sodass weder anzunehmen ist, dass dem BF keine Protokolle bzw Entscheidungen ausgefolgt wurden, noch, dass er Fragen in vorgegebenem Sinne beantworten mußte (BF BVwG, S 3f).

Für das Gericht ist es zwar nachvollziehbar, dass es aufgrund der "Stationierung" des BF in der Kärntner Grenzregion nicht einfach gewesen wäre, sich in eine christliche Gemeinde zu integrieren. Nach seinen Angaben hat er diesbezüglich aber auch keine ernsthaften bzw beharrlichen Versuche gemacht ("Ich habe ein Gefühl gehabt, dass ich

zu ihrer Gesellschaft nicht dazu passe. ... Deshalb bin ich nicht

hingegangen", Prot BVwG S 8; "Da die persisch-sprachige Gemeinde Klagenfurt weit weg war, habe ich mich nicht darum gekümmert", wie oben, S 9). Vor dem BVwG berief sich der BF einerseits auf die weite Entfernung seines Wohnortes zur nächstgelegenen Kirche (Prot. S 8), andererseits auf die sprachlichen Barrieren, weil die Messen lediglich auf Slowenisch abgehalten würden. Nach telefonischer Information des Richters vor der Verhandlung durch den örtlichen Pfarrer gibt es nicht bloß eine Sonntagsmesse (auf Deutsch und Slowenisch), sondern auch Familienmessen (nur auf Deutsch) in der Gemeinde sowie weitere deutschsprachige Messen im näheren Umfeld. Dem Vorhalt des Gerichts hielt der BF nichts entgegegn.

Nach Ansicht des Gerichts ist aufgrund der Tatsache, dass sich die feststellbaren "christlichen Aktivitäten" des BF daher auf gelegentliches Hören bzw Sehen von christlichen Sendern beschränkte, wobei auch keine Gelegenheit zu einem Austausch mit anderen Asylwerbern bestand, von einer Verinnerlichung des christlichen Glaubens nicht die Rede sein kann, sondern lediglich von einem Interesse im Sinne einer Beschäftigung während des bisweilen sicher langen Tages in der Flüchtlingsunterkunft. Daher kann auch dem Umstand eines gewissen Glaubenswissens, das der BF vor dem BFA und dem BVwG gezeigt hat, keine entscheidende Bedeutung zukommen. Die Negativfeststellung betreffend Erniedrigungen und Beleidigungen des BF als Christ durch Mitbewohner folgt dem Umstand, dass der BF dies nur allgemein und ohne konkrete Schilderung (BVwG S 6) behauptete. Angesichts dieser Behauptung geht das Gericht auch nicht davon aus, dass der BF muslimischen Mitbewohnern gegenüber angibt: "Christus heilt und hilft Euch" (BVwG S 10).

Die sonstigen Feststellungen zur Integration beruhen auf den im Übrigen glaubwürdigen Angaben des BF.

Zwar ist der BF betreffend seine Beweisrüge zunächst auf die nach der Verhandlung ergänzten Feststellungen zu verweisen. Davon abgesehen ist die Behauptung einer mangelhaften Beweiswürdigung der belangten Behörde nicht näher substantiiert. Wenn der BF meint, die Behörde begründe nicht, weshalb sie seine konkreten Kenntnisse über die chri

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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