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PolizeirechtNorm
EGVG Art8 Abs1 lita Fall1 OrdnungsstörungBetreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Loebenstein und die Hofräte Dr. Zach, Dr. Jurasek, Dr. Draxler und Großmann als Richter, im Beisein des Schriftführers Finanzoberkommissär Dr. Schwärzler, über die Beschwerde der UR in V, vertreten durch Dr. Jürgen Hadler, Rechtsanwalt in Voitsberg, Hauptplatz 57, gegen den Bescheid der durch die Finanzprokuratur Wien I, Rosenbursenstraße 1, vertretenen Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 24. Oktober 1974, Zl. Pst 118/2-1974, betreffend Übertretungen des Art. VIII Abs. 1 EGVG 1950, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird bezüglich der Punkte 4) und 5) (Übertretungen des Art. VIII Abs. 1 lit. a dritter Fall und lit. b EGVG 1950) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben, bezüglich der anderen Punkte wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 2.460,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Bezirkshauptmannschaft Voitsberg, der von der Bundespolizeidirektion Graz gemäß § 29 a VStG 1950 die Durchführung der Strafverfahren übertragen wurde, erkannte die Beschwerdeführerin mit Straferkenntnis vom 20. Juni 1974 schuldig, sie habe am 9. April 1971 um 01.00 Uhr in der Griesgasse in Graz mit einer Frau gerauft, wodurch 1) der öffentliche Anstand gröblichst verletzt worden sei und 2) durch dieses Verhalten, das Ärgernis zu erregen geeignet sei und auch tatsächlich solches erregt habe, die Ordnung an einem öffentlichen Ort gestört worden sei; 3) habe sie in der Folge die Polizeibeamten im Funkstreifenwachzimmer auf unflätige und obszöne Weise beschimpft, wodurch der öffentliche Anstand gröblichst verletzt und
4) ungebührlicherweise störender Lärm erregt worden sei, 5) habe sie sich gegenüber den Polizeibeamten, ungeachtet vorausgegangener Abmahnungen, ungestüm benommen bzw. auf ungestüme Weise geweigert, den Anordnungen der Beamten Folge zu leisten. Die Beschwerdeführerin habe dadurch Verwaltungsübertretungen nach
1) Art. VIII Abs. 1 lit. a zweiter Fall, 2) Art. VIII Abs. 1 lit. a erster Fall, 3) Art. VIII Abs. 1 lit. a zweiter Fall, 4) Art. VIII Abs. 1 lit. a dritter Fall, 5) Art. VIII Abs. 1 lit. b EGVG 1950 begangen. Gemäß Art. VIII Abs. 1 Schlußsatz EGVG 1950 wurden gegen die Beschwerdeführerin zu 1) bis
5) Arreststrafen von je einer Woche, zusammen fünf Wochen, verhängt. Da die Beschwerdeführerin der Vorladung gegen Rückschein keine Folge geleistet habe, sei das Verfahren, wie angedroht, ohne ihre Anhörung durchgeführt worden. Bei der Strafbemessung seien als erschwerend das unbelehrbare Verhalten der Beschwerdeführerin sowie die einschlägige Vorstrafe, als mildernd die Einkommensverhältnisse angenommen worden.
Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Berufung, in der sie zugab, am 9. April 1974 in einen Raufhandel verwickelt gewesen zu sein und gegen eingreifende Polizeibeamte "Stellung genommen" zu haben. Es gehe aber nicht an, eine einzelne geschlossene und vom gleichen Vorsatz getragene Handlungsweise in ihre Einzelteile und Einzelphasen zu zerlegen, "um sodann auf Grund der einzelnen Teile dieser strafbaren Handlungen einzelne Tatbestände herauszukonstruieren und für diese einzelnen Tatbestände Strafen zu verhängen". Die Beschwerdeführerin habe sich gegen die Polizeiintervention gewehrt, weil sie der Meinung gewesen sei, daß sich diese Polizeiintervention nur gegen sie, nicht auch gegen ihre Widersacherin gerichtet habe; es sei daher der ganze Vorfall als eine Einheit zu betrachten. Die Behörde habe es offensichtlich unterlassen, den genauen Hergang bzw. den Anlaß der Auseinandersetzung zu untersuchen. Die Beschwerdeführerin sei an der Auseinandersetzung nicht schuld, sie könne daher nicht den öffentlichen Anstand verletzt und nicht die Ordnung an einem öffentlichen Ort gestört haben. Die Beschwerdeführerin sei unbescholten, ihre Handlungsweise sei keineswegs derart gewesen, daß man gegen sie eine derart hohe und strenge Strafe, wie eine unbedingte Arreststrafe, verhängen müsse. Falls die Beschwerdeführerin tatsächlich eine Verwaltungsübertretung begangen habe, hätte über sie eine angemessene Geldstrafe verhängt werden können.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde der Berufung keine Folge gegeben. In der Begründung wurde auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Erkenntnis vom 11. April 1951, Slg. N.F. Nr. 2032/A) verwiesen, wonach die Strafbestimmung des Art. VIII Abs. 1 lit. a EGVG drei voneinander unabhängige Tatbilder zum Inhalt habe, und gegebenenfalls jeder Tatbestand neben dem anderen zu bestrafen sei. Zu den einzelner Punkten des Schuldspruches der Behörde erster Instanz wurde ausgeführt: 1) Die Beschwerdeführerin habe sich bei der tätlichen und örtlichen Auseinandersetzung mit einer anderen Frauensperson durch das geschilderte Verhalten auf eine Ebene begeben, die eines gesitteten Menschen in der Öffentlichkeit unwürdig sei; 2) es sei unbestritten, daß das Verhalten der Beschwerdeführerin objektiv geeignet gewesen sei, Ärgernis zu erregen, und daß dadurch an einem öffentlichen Ort ein ordnungswidriger Zustand eingetreten sei; 3) die unflätige und obszöne Beschimpfung der Polizeibeamten im Funkstreifenwachzimmer sei ebenfalls als öffentliche Anstandsverletzung zu qualifizieren gewesen, sie sei der zu Punkt 1) angeführten öffentlichen Anstandsverletzung nachgefolgt und außerdem an einem anderen öffentlichen Ort gewesen, 4) der störende Lärm sei durch die gellenden lauten Schreie der Beschwerdeführerin im Zuge der Amtshandlung ungebührlicherweise erregt worden; 5) der strafbare Tatbestand des ungestümen Benehmens und der ungestümen Weigerung sei durch die Anzeige bzw. dienstliche Wahrnehmung der Polizeibeamten erwiesen. In Anbetracht der Schwere des Exzesses und der besonders groben Gesetzesverletzungen sei die verhängte Arreststrafe in der Dauer von insgesamt fünf Wochen gesetzlich gerechtfertigt. Eine ausnahmsweise Milderung der verhängten Strafen im Sinne des § 51 Abs. 4 VStG 1950 könne infolge Fehlens besonders berücksichtigungswürdiger Umstände nicht in Erwägung gezogen werden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes. In ihr wird ausgeführt, weder der erstinstanzliche Bescheid noch der angefochtene Bescheid würden feststellen, welcher Sachverhalt als erwiesen angenommen und den einzelnen Verurteilungen zugrunde gelegt worden sei. Es könne eine geschlossene und vom gleichen Vorsatz getragene Handlungsweise eines Täters nicht in ihre einzelnen Teile und einzelnen Phasen zerlegt werden, um sodann auf Grund dieser einzelnen Teile und Phasen einzelne Tatbestände zu konstruieren. Im Sinne der Bestimmungen des § 51 Abs. 4 VStG 1950 hätte, da die Beschwerdeführerin bis zur Tat unbescholten gewesen und auch nicht wegen Art. VIII EGVG 1950 straffällig geworden sei, eine Geldstrafe verhängt werden müssen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach Art. VIII Abs. 1 lit. a EGVG 1950 begeht eine Verwaltungsübertretung, wer 1) durch ein Verhalten, das Ärgernis zu erregen geeignet ist, die Ordnung an öffentlichen Orten stört oder 2) den öffentlichen Anstand verletzt oder
3) ungebührlicherweise störenden Lärm erregt. Die Tatbestände nach Art. VIII Abs. 1 lit. a EGVG 1950 schließen einander nicht aus, vielmehr umfaßt die Strafbestimmung des Art. VIII Abs. 1 lit. a EGVG 1950 drei Tatbestände. Hat jemand durch verschiedene selbständige Taten mehrere Verwaltungsübertretungen begangen oder fällt eine Tat unter mehrere einander nicht ausschließende Strafdrohungen, so sind gemäß § 22 Abs. 1 VStG 1950 die Strafen nebeneinander zu verhängen. Es werden daher, hat jemand auch nur durch eine Tat gegen mehrere der in Art. VIII Abs. 1 lit. a EGVG 1950 genannten Strafdrohungen verstoßen, auch mehrere Strafen zu verhängen sein (siehe z.B. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. Juli 1932, Zl. 897/31, bei Mannlicher Das Verwaltungsverfahren, 7. Auflage, Seite 760, VIII, 2, b, vom 11. April 1951, Zl. 1988/50, Slg. N.F. Nr. 2032/A, vom 20. Mai 1964, Zl. 1035/63, vom 7. Februar 1967, Zl. 838/65, vom 12. März 1968, Zl. 1400/67, Slg. N.F. Nr. 7308/A, und vom 20. Februar 1973, Zl. 2219/71), und zwar auch dann, wenn den Täter für mehrere Tathandlungen einen einheitlichen Willensertschluß gehabt hat (siehe z.B. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. Oktober 1959, Zl. 2316/58, bei Mannlicher a.a.O., Seite 997, 22, 2, h).
Die Beschwerdeführerin wurde mit dem angefochtenen Bescheid der Übertretungen aller drei Tatbilder des Art. VIII Abs. 1 lit. a und des Tatbildes des Art. VIII Abs. 1 lit. b EGVG 1950 in insgesamt fünf Fällen schuldig erkannt. Für die Verwirklichung des Tatbildes der Störung der Ordnung an öffentlichen Orten im Sinne der Bestimmungen des Art. VIII Abs. 1 lit. a erster Fall EGVG 1950 ist es nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erforderlich, daß durch das Verhalten ein Zustand herbeigeführt wird, der der Ordnung, wie er an öffentlichen Orten gefordert werden muß, widerspricht; Ärgernis liegt erst dann vor, wenn eine Ordnungsstörung bei unbefangenen Menschen die lebhafte Empfindung des Unerlaubten und Schändlichen hervorzurufen geeignet ist. Die Eignung der Verhaltens, Ärgernis zu erregen, ist vom Willen des Täters unabhängig; zu Aufsehen oder einem Zusammenlaufen von Menschen und dergleichen muß es nicht führen (siehe z.B. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. Oktober 1951, Zl. 2962/50, Slg. N.F. Nr. 2263/A; vom 8. Februar 1965, Zl. 1330/64, Slg. N.F. Nr. 6581/A, vom 11. März 1969, Zl. 648/68, Slg. N.F. Nr. 7527/A, vom 2. April 1974, Zl. 991/73, vom 21. Mai 1974, Zl. 1762-1764/73, und vom 17. Dezember 1974, Zl. 1829/73).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes wird der Tatbestand des Art. VIII Abs. 1 lit. a zweiter Fall EGVG 1950 (Anstandsverletzung) durch ein Verhalten erfüllt, das mit den allgemeinen Grundsätzen der Schicklichkeit nicht im Einklang steht und das einen groben Verstoß gegen diejenigen Pflichten darstellt, die jedermann in der Öffentlichkeit zu beachten hat. Bei der Beurteilung der Verletzung jener Formen des äußeren Verhaltens, die nach Auffassung gesitteter Menschen der Würde des Menschen als sittliche Person bei jedem Heraustreten aus dem eigenen Privatleben in die Öffentlichkeit entsprechen, ist ein objektiver Maßstab anzulegen (siehe z.B. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. März 19681 Zl. 1400/67, Slg. N.F. Nr. 7308/A, vom 6. November 1973, Zl. 1351/72, und vom 14. Jänner 1975, Zl. 1447/74).
Das ungebührliche Erregen störenden Lärms im Sinne der Bestimmungen des Art. VIII Abs. 1 lit. a dritter Fall EGVG 1950 ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dann gegeben, wenn das Tun oder Unterlassen, das zur Erregung des Lärmes führt, gegen ein Verhalten verstößt, wie es im Zusammenleben mit anderen verlangt werden muß, das heißt, es muß jene Rücksichten vermissen lassen, die die Umwelt verlangen kann, wobei zur Strafbarkeit genügt, daß die Lärmerregung nach einem objektiven Maßstab geeignet erscheint, von nichtbeteiligten Personen als ungebührend und störend empfunden zu werden (siehe z. B. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Oktober 1948, Zl. 1192/47, Slg. N.F. Nr. 543/A, vom 14. Dezember 1951, Zl. 853/49, Slg. N.F. Nr. 2375/A, vom 25. September 1973, Zl. 444/72, Slg. N.F. Nr. 8469/A, vom 17. Dezember 1974, Zl. 1829/73, und vom 18. Februar 1975, Zl. 468/74).
Gemäß Art. VIII Abs. 1 lit. b EGVG 1950 begeht eine Verwaltungsübertretung, wer sich ungeachtet vorausgegangener Abmahnung gegenüber einem obrigkeitlichen Organ, während es in rechtmäßiger Ausübung seines Amtes oder Dienstes begriffen ist, ungestüm benimmt oder auf ungestüme Weise weigert, einer Anordnung Folge zu leisten. Unter einem ungestümten Benehmen ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein solches Verhalten zu verstehen, durch das die jedem Staatsbürger gegen das Einschreiten eines obrigkeitlichen Organes zuzubilligende Abwehr vermeintlichen Unrechts derart überschritten wird, daß diese Abwehr zufolge des Tones des Vorbringens, der zur Schau gestellten Gestik oder durch beides zusammen bereits als ein aggressives Verhalten gedeutet werden muß (siehe z.B. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Mai 1932, Zl. A 315/30, Slg. Nr. 17.192 A, vom 14. September 1966, Zl. 1027/66, Slg. N.F. Nr. 6978/A, vom 16. Juni 1970, Zl. 971/69, Slg. N.F. Nr. 7815/A, und vom 2. April 1974, Zl. 991/73).
Der Spruch eines Verwaltungsstraferkenntnisses hat, wenn er nicht auf Einstellung lautet, gemäß § 44 a VStG 1950 unter anderem zu enthalten: a) die als erwiesen angenommene Tat; b) die Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist;
c) die verhängte Strafe und die angewendete Gesetzesbestimmung. Es müssen im Spruch eines Straferkenntnisses alle jene Tatmerkmale enthalten sein, die zur Individualisierung und Konkretisierung des inkriminierten Verhaltens erforderlich sind (siehe z.B. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. September 1965, Zl. 2113/64, Slg. N.F. Nr. 6769/A, vom 25. Mai 1972, Zl. 2237/71, vom 6. November 1973, Zl. 1351/72, und vom 20. Juni 1973, Zl. 5/73). Die Umschreibung der im Spruch eines Straferkenntnisses als erwiesen angenommenen Tat kann hinsichtlich der einzelnen Sachverhaltselemente (z.B. Ort und Zeit der Begehung) nicht durch die Begründung des Berufungsbescheides ersetzt werden (siehe z.B. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. Februar 1958, Zl. 2780, 2781/55, Slg. N.F. Nr. 4549/A, vom 17. Dezember 1963, Zl. 1625/62, Slg. N.F. Nr. 6185/A, und vom 18. September 1973, Zl. 269, 271/72).
Der Spruch des erstinstanzlichen Straferkenntnisses vom 20. Juni 1974, der von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid unverändert übernommen wurde, lautet: "Die Beschuldigte ... hat am 9. 4. 1974 um 01.00 Uhr in der Griesgasse in Graz mit einer Frau gerauft, wodurch 1) der öffentliche Anstand gröblichst verletzt wurde und 2) durch dieses Verhalten, das Ärgernis zu erregen geeignet ist und auch tatsächlich solches erregt hat, wurde die Ordnung an einem öffentlichen Orte gestört und 3) hat sie in der Folge die Polizeibeamten im Funkstreifenwachzimmer auf unflätige und obszöne Weise beschimpft, wodurch der öffentliche Anstand gröblichst verletzt und 4) ungebührlicherweise störender Lärm erregt wurde und 5) hat sie sich gegenüber den Polizeibeamten, ungeachtet vorausgegangener Abmahnungen ungestüm benommen bzw. sich auf ungestüme Weise geweigert, den Anordnungen der Beamten Folge zu leisten." In den Punkten 1) und 3) des Bescheides wurde der Beschwerdeführerin zur Last gelegt, den
öffentlichen Anstand verletzt zu haben. Der Vorwurf, den
öffentlichen Anstand verletzt zu haben, bedarf neben einer Darstellung des maßgebenden Verhaltens einer Würdigung dahingehend, ob die Grenzen der von jedermann in der Öffentlichkeit zu beobachtenden Pflichten der guten Sitten überschritten worden seien. Eine Beschimpfung bedeutet nicht schon grundsätzlich und in jedem Fall eine dem Anstandsgebot zuwiderlaufende Verletzung der Menschenwürde und der guten Sitten (siehe z.B. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 7. Februar 1967, Zl. 1202/65, vom 16. Februar 1971, Zl. 1695/70, und vom 6. November 1973, Zl. 1351/72). Die belangte Behörde hat ihren Verpflichtungen zur Konkretisierung der Tat in beiden Fällen entsprochen; im ersten Fall erblickt die Anstandsverletzung in dem Raufen in der Öffentlichkeit in Graz, in der Griesgasse; zu Punkt 3) führt sie diesbezüglich an, die Beschwerdeführerin habe die Polizeibeamten auf unflätige und obszöne Weise beschimpft. Sowohl durch das Beschimpfen auf unflätige und obszöne Weise als auch durch das Raufen in der Öffentlichkeit wird der öffentliche Anstand verletzt (siehe z.B. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. Jänner 1975, Zl. 1447/74). Ein Raufen in der Öffentlichkeit ist auch geeignet, Ärgernis zu erregen; es erscheint daher auch der Punkt 2) des Straferkenntnisses genügend konkretisiert.
Nicht jede Beschimpfung auf einem Wachzimmer ist schon die Erregung von ungebührlicherweise störendem Lärm. Vielmehr ist zur Erfüllung des Tatbestandes des Art. VIII Abs. 1 lit. a dritter Fall EGVG 1950, wie bereits ausgeführt, erforderlich, daß hiedurch ein solcher Lärm erregt wird, der nach einem objektiven Maßstab geeignet erscheint, als ungebühren und störend empfunden zu werden. Wieso durch die Beschimpfung auch ungebührlicherweise störender Lärm erregt wurde, ist im Spruch des Straferkenntnisses nicht gesagt; erst in der Begründung wird auf Seite 2 unter Punkt 4) ausgeführt, der ungebührliche störende Lärm sei durch die gellenden lautenden Schreie der Beschwerdeführerin - also nicht durch die Beschimpfungen - im Zuge der Amtshandlung erregt worden. Durch die Begründung kann aber, wie ebenfalls bereits oben ausgeführt, die Umschreibung der im Spruch des Straferkenntnisses als erwiesen angenommenen Tat nicht ersetzt werden. Dieser Teil des Spruches des angefochtenen Bescheides entspricht nicht den gesetzlichen Erfordernissen.
Das ungestüme Verhalten, dessen die Beschwerdeführerin im Punkt 5) des angefochtenen Bescheides schuldig erkannt worden ist, ist ein Tatbestandsmerkmal der strafbaren Handlung, es hat daher schon der Spruch den Sachverhalt zu enthalten, der die Qualifikation als "ungestüm" rechtfertigt (siehe z.B. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 2. Dezember 1953, Zl. 3036/52, und vom 14. September 1966, Zl. 1027/66, Slg. N.F. Nr. 6987/A). Punkt 5) des Spruches des angefochtenen Bescheides beschränkt sich jedoch nur darauf auszusprechen, daß sich die Beschwerdeführerin gegenüber den Polizeibeamten ungeachtet vorausgegangener Abmahnung ungestüm benommen bzw. sich auf ungestüme Weise geweigert hat, deren Anordnungen Folge zu leisten. Auch dieser Teil des Spruches des angefochtenen Bescheides entspricht daher nicht den gesetzlichen Erfordernissen.
Die Verhängung der primären Arreststrafe begründet die belangte Behörde mit der Schwere des Exzesses und den besonders groben Gesetzesverletzungen. Der Bescheid der ersten Instanz verweist auch noch auf die einschlägige Vorstrafe der Beschwerdeführerin. Tatsächlich wurde die Beschwerdeführerin, wie aus den vorgelegten Unterlagen hervorgeht, von der Behörde erster Instanz mit Straferkenntnis vom 23. Oktober 1973, Zl. 18 Ri 33/1- 1973, wegen Übertretung des Art. VIII Abs. 1 lit. a dritter Fall EGVG 1950 mit einer Geldstrafe von S 400,-- (Ersatzarreststrafe drei Tage) bestraft. Die Behauptungen in der Berufung und in der Beschwerde, die Beschwerdeführerin sei unbescholten, sind daher unrichtig, vielmehr ist die Beschwerdeführerin einschlägig vorbestraft. Im Hinblick auf diese Vorstrafe und das Verhalten der Beschwerdeführerin am 9. April 1974 sowie unter Bedachtnahme darauf, daß die belangte Behörde von dem höchstzulässigen Strafausmaß - gemäß Art. VIII Abs. 1 Schlußsatz EGVG 1950 S 1.000,-
- oder Arrest bis zu zwei Wochen - jeweils nur zur Hälfte Gebrauch gemacht hat, kann der Verwaltungsgerichtshof nicht finden, daß die belangte Behörde bei der Strafbemessung gesetzwidrig vorgegangen wäre (siehe z.B. Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. September 1973, Zl. 775/72, und vom 14. Jänner 1975, Zl. 1447/74).
Der angefochtene Bescheid war daher hinsichtlich seiner Punkte 4) (Lärmerregung) und 5) (ungestümes Benehmen) gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben, bezüglich der anderen Punkte war die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Der Kostenausspruch gründet sich auf die 47 ff VwGG 1965 im Zusammenhang mit Art. I Z. 1 der Verordnung Bundeskanzlers vom 19. Dezember 1974, BGBl. Nr. 4/1975.
Wien, am 25. November 1975
Schlagworte
Geldstrafe und ArreststrafeSpruch Begründung (siehe auch AVG §58 Abs2 und §59 Abs1 Spruch und Begründung) Tatvorwurf Beschreibung des in der BegründungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1975:1974002287.X00Im RIS seit
18.02.2020Zuletzt aktualisiert am
18.02.2020