Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §45 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Enzlberger, über die Beschwerde des R in Löffelbach/Hartberg, vertreten durch Dr. Christian Strobl, Rechtsanwalt in Hartberg, Raimund-Obendrauf-Straße 9, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 15. Juli 1997, Zl. 11-39 Schi 9-97, betreffend Versagung einer Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 13.100,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde ein Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppe B gemäß § 64 Abs. 2 KFG 1967 abgewiesen.
In seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof macht der Beschwerdeführer der Sache nach Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend; er beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die bekämpfte Entscheidung beruht auf der Annahme, dem Beschwerdeführer fehle wegen mangelnder Bereitschaft zur Verkehrsanpassung die zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe B erforderliche geistige Eignung. Diese Annahme stützt sich auf das Gutachten eines Amtsarztes vom 25. April 1997, laut dem beim Beschwerdeführer derzeit keine ausreichende Bereitschaft zur Verkehrsanpassung gegeben sei. Diese ärztliche Beurteilung folgt dem Befund einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle vom 4. März 1997. In der darin enthaltenen "Zusammenfassung der Befunde/Gutachten" heißt es dazu, es bestünden wesentliche Gefährdungsmomente seitens der Persönlichkeit des Beschwerdeführers. Er sei "in einem standardisierten Verfahren (FRF) durch deutlich erhöhte kraftfahrspezifische Risikobereitschaft charakterisiert". Überdies belegten wiederholt gesetzte Verkehrsübertretungen reduzierte Lernfähigkeit bzw. -bereitschaft, zumal trotz negativer Verhaltenskonsequenzen (Sachschäden und Geldstrafen) keine nachhaltige Einstellungs- bzw. Verhaltensänderung erfolgt sei. Die psychologische Analyse der Vorgeschichte zeige deutlich erhöhte Alkoholverträglichkeit. Dies ergebe sich aus den Angaben zur subjektiven Spürgrenze sowie daraus, daß der Beschwerdeführer eine rechtserhebliche Alkoholisierung überhaupt nicht verspürt, sondern sich voll fahrtauglich gefühlt habe. Die psychologische Problematik der erhöhten Alkoholverträglichkeit bestehe darin, daß eine körpereigene Rückmeldung erst zu einem Zeitpunkt erfolge, in dem die Willenskontrolle durch die Alkoholwirkung bereits beeinträchtigt sei und somit die Gefahr bestehe, daß trotz verspürter Alkoholwirkung auf das Autofahren nicht verzichtet werde. Die Wahrscheinlichkeit neuerlicher alkoholassoziierter Auffälligkeit im Straßenverkehr sei daher wesentlich erhöht.
Die Schlußfolgerung, dem Beschwerdeführer fehle die nötige Bereitschaft zur Verkehrsanpassung, beruht auf den Annahmen des Vorliegens einer "deutlich erhöhten kraftfahrspezifischen Risikobereitschaft", einer "reduzierten Lernfähigkeit bzw. -bereitschaft" und einer "deutlich erhöhten Alkoholverträglichkeit". Diese drei Annahmen sind ihrerseits bereits Schlußfolgerungen, die allerdings mangels ausreichender Grundlagen im verkehrspsychologischem Befund nicht nachvollziehbar sind.
Die erstgenannte Annahme stützt sich offensichtlich auf die Ergebnisse von Tests zur Prüfung fahrverhaltensrelevanter Einstellungs- und Persönlichkeitsmerkmale. Laut Befund wurden dazu drei Testverfahren angewendet. In Bezug auf zwei davon heißt es allerdings (Seite 6 des Befundes), deren Ergebnisse seien wegen inadäquater Beantwortungstendenz bzw. wegen Orientierung der Antworten an sozialer Erwünschtheit nicht interpretierbar. Was den sohin als alleinige Beurteilungsgrundlage verbleibenden "Fragebogen zur Risikobereitschaft (FRF)" anlangt, so findet sich dazu die Aussage: "normabweichende Werte in den Risikobereitschaftsfaktoren 2 und 3". In einer Beilage zum verkehrspsychologischen Befund sind zwar hinsichtlich der Risikobereitschaftsfaktoren 1, 2 und 3 die jeweils ermittelten Testwerte angegeben, nicht jedoch die der oben wiedergegebenen Beurteilung zugrundegelegten, nach dem Erkenntnisstand der Verkehrspsychologie maßgebenden Grenzwerte. Damit ist die in Rede stehende Beurteilung nicht nachvollziehbar. Es ist mangels Bezugnahme auf den jeweiligen Grenzwert nicht ersichtlich, ob dieser erreicht oder verfehlt wurde (und in welchem Ausmaß).
In Ansehung der weiteren zwei Annahmen ("reduzierte Lernfähigkeit bzw. -bereitschaft" und "deutlich erhöhte Alkoholverträglichkeit") ist nicht ersichtlich, auf welche mit den spezifischen Methoden der Verkehrspsychologie ermittelten Ergebnisse sich diese Annahmen stützen. Dieser Mangel kann nicht mit dem Hinweis auf "wiederholt gesetzte Verkehrsübertretungen" ausgeglichen werden, denn bei diesen handelt es sich um Indizien, die bloß den Verdacht auf das Fehlen der nötigen Bereitschaft zur Verkehrsanpassung begründen können. Ein solcher Verdacht bedarf sodann der Erhärtung durch spezifische verkehrspsychologische Methoden. Die Begehung strafbarer Handlungen allein bildet nach dem Gesetz (§ 66 KFG 1967) nur im Zusammenhang mit der Prüfung der Verkehrszuverlässigkeit einer Person eine ausreichende Beurteilungsgrundlage. Um diese Eignungsvoraussetzung geht es hier aber nicht.
In Bezug auf die "erhöhte Alkoholverträglichkeit", derentwegen der Beschwerdeführer vielfach zu spät eine relevante Beeinträchtigung durch Alkohol bemerkt, ist mangels näherer Ausführungen nicht ersichtlich, inwiefern dieser Umstand die Annahme fehlender Bereitschaft zur Verkehrsanpassung, bei der es um die innere Einstellung einer Person zu den im Straßenverkehr zu beachtenden Regeln geht, stützen könnte. Denn selbst eine hohe Alkoholverträglichkeit, verstanden als mangelhafte Wahrnehmung einer Alkoholbeeinträchtigung, berechtigt - weil es dabei nicht um die besagte "Einstellung" geht - für sich allein noch nicht zum Schluß auf das Fehlen der erforderlichen Bereitschaft zur Verkehrsanpassung. Ist diese aber gegeben, dann ist eine Alkoholverträglichkeit der Verkehrssicherheit nicht abträglich, weil dann ohnedies die erforderliche Zurückhaltung beim Konsum von Alkohol im Zusammenhang mit dem Lenken von Kraftfahrzeugen geübt wird.
Aufgrund der aufgezeigten Mängel bildet der verkehrspsychologische Befund und damit auch das ihm folgende ärztliche Gutachten keine taugliche Grundlage für den angefochtenen Bescheid. Dieser war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Anspruch auf Schriftsatzaufwandersatz besteht nach der zitierten Verordnung nur in Höhe von S 12.500,--.
Wien, am 25. August 1998
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1997110257.X00Im RIS seit
19.03.2001