Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §52;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Enzlberger, über die Beschwerde des L in T, vertreten durch Dr. Werner Posch, Rechtsanwalt in Gloggnitz, Hauptstraße 37, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 11. März 1996, Zl. I/7-St-R-9512, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A, B und F gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 für die Dauer seiner gesundheitlichen Nichteigung zum Lenken von Kraftfahrzeugen entzogen.
Der Verfassungsgerichtshof hat mit Beschluß vom 2. Oktober 1996, B 1225/96, die Behandlung der zunächst an ihn gerichteten Beschwerde abgelehnt und diese gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
In seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend; er beantragt, den angefochtenen Bescheid aus diesem Grund kostenpflichtig aufzuheben. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die bekämpfte Entziehungsmaßnahme beruht auf der Annahme, der Beschwerdeführer sei nicht geeignet, Kraftfahrzeuge der Gruppe B oder einer sonstigen Gruppe zu lenken. Diese Annahme fußt auf der Beurteilung eines medizinischen Amtssachverständigen der belangten Behörde, der in seinem Gutachten vom 9. Februar 1996 die besagte Eignung des Beschwerdeführers "wegen seiner herabgesetzten Aufmerksamkeits-, Konzentrations- und Reaktionsleistung und der allgemeinen Verlangsamung" verneinte. Der Sache nach handelt es sich dabei um die Verneinung der nötigen kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers (§ 30 Abs. 1 zweiter Satz KDV 1967). Hiebei stützte sich der Amtssachverständige einerseits auf den Befund einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle vom 19. Mai 1995 und andererseits auf den Befund einer Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie an der Universitätsklinik für Psychiatrie in Wien vom 24. Jänner 1996. Die Beurteilung im erstgenannten Befund lautet zusammenfassend, im Leistungsbereich sei die reaktive Dauerbelastbarkeit derzeit nicht ausreichend gegeben; sie sei auch im Altersnormvergleich unzureichend. Das Reaktionsverhalten in Einfachwahlsituationen wäre von der Reaktionszeit her noch ausreichend; die Reaktionssicherheit sei jedoch beeinträchtigt. Insgesamt sei daher die kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit unzureichend.
Der Befund vom 24. Jänner 1996 zählt zunächst die zur Feststellung der einzelnen Komponenten der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit angewendeten Untersuchungsverfahren auf, gibt jeweils eine globale Beurteilung der erzielten Ergebnisse und trifft in einer ersten Zusammenfassung dazu die Aussage, "daß beim Patienten Aufmerksamkeitsdefizite vorhanden waren, er imponierte negativ". In der abschließenden Zusammenfassung heißt es, es habe sich bei der Untersuchung des Beschwerdeführers ein subdepressives Zustandsbild mit reduziertem Antrieb und reduzierter Konzentration sowie unzureichend ausgebildeten Brems-, Steuerungs- und Kontrollmechanismen gefunden. In der psychologischen Testuntersuchung zur Feststellung der psychophysischen Leistungsfähigkeit seien an den Prüfgeräten zum Untersuchungszeitpunkt Scores erhebbar gewesen, die derzeit global unter den Erwartungen lägen, sodaß der Beschwerdeführer derzeit nicht den Anforderungen für den Führerschein der Gruppe B entspreche.
Die genannten Befunde weisen Mängel auf, die die Nachvollziehbarkeit der darin vorgenommenen Beurteilung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers ausschließen. Im Befund vom 24. Jänner 1996 fehlen sowohl die bei den einzelnen Komponenten der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit ermittelten Testwerte als auch die der Beurteilung der erzielten Testergebnisse jeweils zugrundegelegten, nach dem Erkenntnisstand der Verkehrspsychologie maßgebenden Grenzwerte. Aus einer Beilage zum Befund der verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle vom 19. Mai 1995 sind zwar die bei den einzelnen Tests erzielten Ergebnisse ersichtlich. Auch in diesem Befund fehlt aber die Angabe der der abschließenden Beurteilung zugrundegelegten, nach dem Erkenntnisstand der Verkehrspsychologie maßgebenden Grenzwerte. Mangels Bezugnahme auf den jeweiligen Grenzwert ist daher nicht ersichtlich, ob dieser erreicht oder verfehlt wurde (und in welchem Ausmaß). Das auf die besagten Befunde gestützte Gutachten, auf welches die belangte Behörde ihre Entscheidung stützte, ist sohin nicht schlüssig. Der angefochtene Bescheid beruht insofern auf einem mangelhaften Ermittlungsverfahren. Er war aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Bei diesem Ergebnis konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG von der beantragten mündlichen Verhandlung abgesehen werden.
Der Zuspruch von Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 25. August 1998
Schlagworte
Anforderung an ein GutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1996110316.X00Im RIS seit
19.03.2001