Entscheidungsdatum
30.04.2019Norm
AsylG 2005 §57Spruch
W144 2217854-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Huber über die Beschwerde von XXXX alias XXXX alias XXXX alias XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Algerien alias Marokko, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.04.2019, Zahl XXXX , zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird gemäß § 57 AsylG 2005 idgF und § 61 Abs. 1 Z 2 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
I.1. Der Beschwerdeführer (BF) stellte vormals im November 2005 im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz, der letztlich mit Bescheid UBAS vom 30.05.2008 rechtskräftig abgewiesen wurde; unter einem wurde die Ausweisung des BF nach Algerien für zulässig erklärt.
Der BF weist laut Strafregister der Rep. Österr. im Bundesgebiet folgende gerichtliche Verurteilungen auf:
01) LG XXXX vom 24.04.2006 RK 24.04.2006
PAR 27/1 27 ABS 2/2 SMG
Freiheitsstrafe 3 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre
Jugendstraftat
Vollzugsdatum 07.11.2008
zu LG XXXX RK 24.04.2006
Bedingte Nachsicht der Strafe wird widerrufen
LG XXXX vom 12.10.2006
Zahl: XXXX
02) LG XXXX vom 12.10.2006 RK 12.10.2006
PAR 83/1 84 ABS 2/1 StGB
PAR 27/1 27 ABS 2/2 SMG
Freiheitsstrafe 5 Monate
Jugendstraftat
Vollzugsdatum 21.02.2007
03) LG XXXX vom 22.01.2007 RK 22.01.2007
PAR 127 130 (1. FALL) 125 StGB
Freiheitsstrafe 4 Monate
Zusatzstrafe gemäß §§ 31 und 40 STGB unter Bedachtnahme auf LG XXXX RK 12.10.2006
Jugendstraftat
Vollzugsdatum 07.11.2008
zu LG XXXX RK 22.01.2007
zu LG XXXX RK 12.10.2006
zu LG XXXX RK 24.04.2006
Aus der Freiheitsstrafe entlassen am 29.04.2007, bedingt, Probezeit 3 Jahre
Anordnung der Bewährungshilfe
LG XXXX vom 12.03.2007
zu LG XXXX RK 22.01.2007
zu LG XXXX RK 24.04.2006
zu LG XXXX RK 12.10.2006
Bedingte Entlassung aus der Freiheitsstrafe wird widerrufen
LG XXXX vom 20.09.2007
04) LG XXXX vom 20.09.2007 RK 12.03.2008
PAR 15 142/1 PAR 127 StGB
Datum der (letzten) Tat 02.07.2007
Freiheitsstrafe 12 Monate
Jugendstraftat
Vollzugsdatum 08.07.2008
05) LG XXXX vom 17.07.2009 RK 21.07.2009
Zahl: XXXX
PAR 107/1 U 2 125 StGB
Datum der (letzten) Tat 22.05.2009
Freiheitsstrafe 5 Monate
Junge(r) Erwachsene(r)
Vollzugsdatum 22.10.2009
06) LG XXXX vom 12.07.2010 RK 15.07.2010
PAR 27 ABS 1/1 (1.2. FALL) U ABS 2 27 ABS 1/1 (1.2. FALL) 27 ABS 1/1 (8. FALL)
27/3 SMG
Freiheitsstrafe 9 Monate
Junge(r) Erwachsene(r)
Vollzugsdatum 20.11.2010
In der Folge, genauer Zeitpunkt unbekannt, begab sich der BF offensichtlich nach Italien, da er dort jedenfalls am 07.11.2015 einen weiteren Asylantrag stellte.
Am 25.02.2019 reiste der BF sodann aus Frankreich über die Schweiz kommend ins Bundesgebiet ein und wurde er am 26.02.2019 in XXXX bei der Weitergabe von Kokain auf frischer Tat betreten.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) richtete am 15.03.2019 unter Hinweis auf den italienischen Eurodac-Treffer ein auf Art. 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Italien. Italien akzeptierte dieses Ersuchen durch Fristablauf gem. Art 25 Abs. 2 Dublin III-VO mit Ablauf des 29.03.2019.
In der Folge konnte der BF am 09.04.2019 festgenommen und ins PAZ XXXX (- aufgrund seines hohen Gewaltpotentials und Vorliegen von Eigen- und Fremdgefährdung in einen besonders gesicherten Haftraum) verbracht werden.
In der folgenden Einvernahme vor dem BFA gab er am 09.04.2019 im Wesentlichen an, dass er nach Marokko, wo er Familie habe, gebracht werden wolle (- er wolle freiwillig nach Marokko reisen, um 18.00 Uhr ginge seiner Information nach ein Flug, den er nehmen wolle) und nicht nach Italien. Er habe in Italien nie einen Asylantrag gestellt. Im Heimatland sei er zuletzt 2016 gewesen. Seinen Reisepass habe er bei seinem Bruder in Frankreich, er könnte diesen besorgen. In Österreich habe er seine 13-jährige Tochter besuchen wollen, diese heiße (wörtlich: (!)) " XXXX oder XXXX oder so. Er wisse es nicht mehr genau.". Sein richtiger Name laute " XXXX ,
geboren am XXXX ... - er wolle das nicht, er bleibe bei seinem
anderen Namen." Im Übrigen erklärte der BF, dass er nicht drogensüchtig sei, dass er im Bundesgebiet niemals einer Beschäftigung nachgegangen sei, dass er keine Deutschkurse besucht und abgesehen von seiner Tochter niemanden hier habe. Bei seiner letzten Kontrolle sei er gefragt worden, ob er einen Asylantrag stellen wolle, doch habe er gesagt, dass er Österreich ohnehin verlassen wolle.
Der BF hat aktuell keinen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet gestellt.
Mit Mandatsbescheid des BFA vom 09.04.2019 wurde über den BF die Schubhaft verhängt.
Mit Schreiben vom 26.03.2019, zugestellt am 26.03.2019 gewährte das BFA dem BF Parteiengehör zur beabsichtigten Außerlandesbringung und setzte diesen darüber in Kenntnis, dass er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte und dass er über keine Aufenthaltsberechtigung und über keinen rechtmäßigen Wohnsitz verfüge. Es sei beabsichtigt, eine Anordnung zur Außerlandesbringung zu erlassen; Länderinformationsblätter bezüglich des zuständigen Mitgliedstaates könne der BF in den Amtsstunden des BFA einsehen. In weiterer Folge wurde der BF aufgefordert, Fragen u.a. zu seinen persönlichen Verhältnissen samt familiären Anknüpfungspunkten, ob er Opfer von Menschenhandel oder Gewalt sei und zu allfälligen Unterkunftsmöglichkeiten zu beantworten.
Abschließend wurde der BF darüber belehrt, dass das Verfahren ohne nochmalige Anhörung seiner Person aufgrund der Aktenlage fortgeführt werde, falls er zur beabsichtigten Vorgangsweise der Behörde keine Stellungnahme erstatte. Der Bescheid werde auf Grundlage des Ergebnisses der Beweisaufnahme erlassen werden, soweit nicht eine allfällige Stellungnahme anderes erfordere.
Mit dem angefochtenen Bescheid des BFA vom 16.04.2019 wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 61 Abs. 1 Z 2 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer die Anordnung der Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG seine Abschiebung nach Italien zulässig ist.
Begründend führte das BFA nach Darlegung des Verfahrensganges und Feststellungen über das italienische Asylverfahren im Wesentlichen aus, dass die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG von Amts wegen zu prüfen sei, wenn ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte und nicht in den Anwendungsbereich des sechsten Hauptstücks des Fremdenpolizeigesetzes falle. Im Fall des BF seien die Voraussetzungen zur Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besondere Schutz gemäß § 57 AsylG nicht gegeben, diesbezügliche Umstände hätten weder aus den persönlichen Angaben des BF noch aus den sonstigen Ermittlungsergebnissen festgestellt werden können. Daher sei ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht zu erteilen.
Im Hinblick auf die Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 1 Z. 2 FPG führte das BFA unter Darlegung näherer Erwägungen weiter aus, dass sich im Fall des BF ergebe, dass er in Italien einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe und Italien dafür zuständig sei, dieser Staat habe auch seine Wiederaufnahme auch akzeptiert. Eine Anordnung zur Außerlandesbringung, die in das Privat- und Familienleben des Fremden eingreife, sei gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten sei. Der BF führe im Bundesgebiet kein im Sinne des Art. 8 EMRK schützenswertes Privat- oder Familienleben.
Der im Spruch genannte Staat sei bereit, den BF einreisen zu lassen und seinen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen. Es bestehe in Italien, einem Mitgliedstaat der EU als Rechts- und Wertegemeinschaft keine hinreichende Gefahr einer Verletzung der EMRK im gegenständlichen Fall. Eine systematische, notorische Verletzung fundamentaler Menschenrechte in Deutschland sei keinesfalls zu erkennen. Ein von ihm im besonderen Maße substantiiertes glaubhaftes Vorbringen betreffend außergewöhnliche Umstände, die die Gefahr einer Verletzung seiner Rechte gemäß Art. 3 EMRK im Falle einer Überstellung ernstlich für möglich erscheinen ließen, seien nicht hervorgekommen. Eine Anordnung zur Außerlandesbringung habe zur Folge, dass seine Abschiebung in den Zielstaat zulässig sei.
Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die Sachverhaltsfeststellungen sowie die Beweiswürdigung zur Lage im Mitgliedstaat wurden im angefochtenen Bescheid im Wesentlichen folgendermaßen zusammengefasst (unkorrigiert):
? Zur Lage im Mitgliedstaat:
1. NEUESTE EREIGNISSE - INTEGRIERTE KURZINFORMATIONEN
KI vom 26.2.2019, Änderungen bei der Versorgung von Asylwerbern (Salvini-Gesetz) und neuer Circular Letter (relevant für Abschnitt 3/Dublin-Rückkehrer, Abschnitt
6/Unterbringung und Abschnitt 7/Schutzberechtigte)
Mit dem Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem
Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018; umgangssprachlich als "Salvini-Dekret" bzw.
"Salvini-Gesetz" bekannt), sind eine Reihe von Änderungen verbunden, die sich derzeit in Umsetzung befinden und zu denen nun mehr
Informationen vorliegen:
Humanitärer Schutzstatus:
Vor der Einführung des neuen Dekrets standen in Italien drei
Schutzformen zur Verfügung: internationaler Schutz, subsidiärer Schutz und humanitärer Schutz. Letzterer wurde für die Dauer von zwei Jahren gewährt, wenn "besondere Gründe", insbesondere "humanitären
Charakters" vorlagen. Zwischen 2014 und 2018 war der humanitäre Schutz die häufigste in Italien zuerkannte Schutzform. Nach der neuen Rechtslage ist der Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen an eine restriktive und vor allem taxative Liste von Gründen gebunden, aus denen eine befristete Aufenthaltserlaubnis (unterschiedlicher Dauer) erteilt werden kann:
1. für medizinische Behandlung ("cure mediche") (1 Jahr gültig;
verlängerbar);
2. Spezialfälle ("casi speciali" ):
a) für Opfer von Gewalt oder schwerer Ausbeutung
b) Für Opfer häuslicher Gewalt (1 Jahr gültig);
c) bei außergewöhnlichen Katastrophen im Herkunftsland (6 Monate gültig; verlängerbar);
d) in Fällen besonderer Ausbeutung eines ausländischen Arbeitnehmers, der eine Beschwerde eingereicht hat und an einem Strafverfahren gegen den Arbeitgeber mitwirkt;
e) bei Handlungen von besonderem zivilem Wert (zu genehmigen vom Innenminister auf Vorschlag des zuständigen Präfekten) (2 Jahre gültig; verlängerbar);
f) wenn zwar kein Schutz gewährt wurde, der Antragsteller aber faktisch nicht außer Landes gebracht werden kann ("protezione speciale" = non-refoulement).
Die Territorialkommissionen der nationalen Asylbehörde sind nach der neuen Rechtslage nicht mehr für die Prüfung der humanitären Gründe zuständig. Wenn kein Asylstatus oder subsidiärer Schutz zuerkannt wird, prüfen sie nur noch, ob Gründe gegen eine Ausweisung vorliegen. Ist das der Fall, leiten sie dies an die Quästuren weiter, welche für die Prüfung der humanitären Gründe zuständig sind. Begründet wurde dieser Schritt damit, dass ein zu weiter Ermessensspielraum in der Vergangenheit zu einem Ausufern der humanitären Aufenthaltstitel geführt hat (rund 40.000 in den letzten drei Jahren), jedoch zumeist ohne dass eine soziale und berufliche Eingliederung der Betroffenen stattgefunden hätte. Es kommt jedoch zu keiner Aberkennung bestehender humanitärer Titel. Diejenigen, die bereits einen (alten) Titel aus humanitären Gründen zuerkannt bekommen haben, können weiterhin alle damit verbundenen Ansprüche geltend machen. Abgelaufene (alte) Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen, werden jedoch nicht erneuert (VB 22.2.2019) und können auch durch rechtzeitigen Antrag nicht mehr verlängert werden. Sie können jedoch bei rechtzeitiger Antragstellung und Erfüllung der Voraussetzungen, in einen anderen Titel umgewandelt werden (Aufenthaltstitel für Arbeit, Familienzusammenführung, etc. oder in einen humanitären Titel neuer Rechtslage) (VB 25.2.2018). Ansonsten läuft der Titel ab und der Aufenthalt in Italien ist nicht mehr rechtmäßig (VB 22.2.2019).
Versorgung:
Weitgehende Änderungen gibt es auch im Unterbringungssystem. Das bisherige System (CARA als Erstaufnahme, SPRAR als kommunal organisierte Unterbringung und Integration für Asylwerber und Schutzberechtigte, CAS als Notmaßnahme für Bootsflüchtlinge welche mittlerweile ca. 80% des italienischen Unterbringungssystems ausmachen) wird völlig neu organisiert. Künftig wird zwischen einer Erstaufnahme und einer sekundären Versorgungsschiene unterschieden (VB 19.2.2019).
Die Erstaufnahmeeinrichtungen ("prima accoglienza") werden CAS und CARA ersetzen. Zielgruppe dieser Einrichtungen sind Asylwerber (auch in einem Beschwerdeverfahren oder in Dublin-out-Verfahren bis zur Überstellung) sowie ausdrücklich auch Dublin-Rückkehrer. Fremde, die in Italien bereits einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, werden in jener Region untergebracht, in welcher der Antrag ursprünglich eingebracht wurde. In allen anderen Fällen ist jene Region zuständig, in der sich der Flughafen befindet, an dem der Fremde ankommt. Für diese Erstaufnahmeeinrichtungen wurden seitens des italienischen Innenministeriums neue Ausschreibungsspezifikationen ausgearbeitet, die bereits durch den italienischen Rechnungshof genehmigt und an die Präfekturen übermittelt wurden. Die Ausschreibung und staatliche Verwaltung/Kontrolle der Einrichtungen obliegt nach wie vor den Präfekturen. Seitens des italienischen Innenministers wurde betont, dass die Einhaltung sämtlicher europarechtlicher Bestimmungen (hier insbesondere die Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU) unter Wahrung der menschlichen Würde jedenfalls sichergestellt sei. Herkunft, religiöse Überzeugung, Gesundheitszustand, Vulnerabilität sowie die Familieneinheit finden Berücksichtigung. Bei den Kernleistungen (Sozialbetreuung, Information, soziokulturelle Mediation, sanitäre Einrichtungen sowie Startpaket, Taschengeld und Telefonkarte) soll es zu keiner Kürzung oder Streichung kommen. Integrationsmaßnahmen werden im neuen System nur noch Schutzberechtigten zukommen. Bei den Ausschreibungsspezifikationen wird zwischen kollektiven und individuellen (z.B. Selbstversorger) Unterbringungsplätzen unterschieden. Die Versorgung sieht unter anderem folgende Leistungen vor:
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Unterbringung, Verpflegung
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Sozialbetreuung, Information, linguistisch-kulturelle Mediation
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notwendige Transporte
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medizinische Betreuung: Erstuntersuchung, ärztliche Betreuung in den Zentren zusätzlich zum allgemeinen Zugang zum nationalen Gesundheitsdienst
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Hygieneprodukte
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Wäschedienst oder Waschprodukte
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Erstpaket (Kleidung, Bettzeug, Telefonkarte)
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Taschengeld (€ 2,50/Tag/Person bis zu € 7,50/Tag für eine Kernfamilie) - Schulbedarf - usw.
Nach Auskunft des italienischen Innenministeriums sind Plätze für Familien sowie allein reisende Frauen (mit Kindern) vorgesehen. In den Spezifikationen sind Personalschlüssel, Reinigungsintervalle, Melde- und Aufzeichnungsverpflichtungen des Betreibers in Bezug auf Leistungen an die Bewohner, An-/Abwesenheiten etc. festgelegt. Die Präfekturen sind zu regelmäßigen, unangekündigten Kontrollen berechtigt und verpflichtet (VB 19.2.2019).
Die sekundären Aufnahmeeinrichtungen (früher SPRAR) heißen ab sofort SIPROIMI ("Sistema di protezione per titolari di protezione internazionale e per minori stranieri non accompagnati" - Schutzsystem für international Schutzberechtigte und unbegleitete minderjährige Fremde) und stehen Personen mit internationalem Schutz und unbegleiteten Minderjährigen zur Verfügung sowie Personen, die nach der neuen Rechtslage einen Aufenthaltstitel wegen besonders berücksichtigungswürdiger Umstände haben ("neue" humanitäre Titel). In diesen Einrichtungen werden zusätzlich zu den oben beschrieben Leistungen auch Maßnahmen mit dem Ziel einer umfassenden Integration (Gesellschaft, Arbeitsmarkt, Sprache, etc.) geboten (VB 19.2.2019).
Personen mit humanitärem Schutz nach alter Rechtslage, die sich mit Stichtag 05.10.2018 noch in einem SPRAR/SIPROIMI befanden, können dort für den vorgesehenen Zeitraum bzw. bis zum Ende des Projektzeitraumes weiterhin bleiben. Jene Fremde mit humanitärem Schutz nach alter Rechtslage, die sich noch in einer Erstaufnahmeeinrichtung befinden, verbleiben dort so lange, bis ihnen von der Quästur der Aufenthaltstitel ("permesso di soggiorno") übergeben wurde und werden danach aus dem Aufnahmesystem entlassen (VB 19.2.2019).
In den letzten Jahren war das italienische Aufnahmesystem angesichts der zahlreichen Anlandungen von Migranten von Überforderung und dem Versuch geprägt, möglichst viele
Unterbringungsplätze in möglichst kurzer Zeit zu schaffen. Dabei entstanden verschiedene
Arten von Unterbringungszentren auf Projektbasis in Gemeinden, Regionen und zentraler Ebene mit nur grob festgelegt Zielgruppen. Mit der Neustrukturierung wurde ein differenziertes Aufnahmesystem geschaffen, das auch der Kritik des italienischen Rechnungshofes Rechnung trägt, der die undifferenzierte Unterbringung bzw. Erbringung insbesondere von kostspieligen Integrationsmaßnahmen an Migranten ohne dauerhaften Aufenthaltstitel bemängelt hat. So werden Asylwerber zukünftig in den
Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht. Personen mit Schutzstatus bzw. einer der neuen Formen des humanitären Schutzes sowie allein reisende Minderjährige erhalten Zugang zu den sekundären Aufnahmeeinrichtungen, in denen zusätzlich integrative Leistungen angeboten werden. Durch die neuen Vergabekriterien wurde auch auf den Vorwurf reagiert, die Aufnahmeeinrichtungen außerhalb des SPRAR seien inhomogen und würden keine einheitlichen Standards sicherstellen. Durch die Staffelung der Strukturen nach Unterbringungsplätzen mit entsprechend angepasstem Personalstand und Serviceleistungen kann seitens der Präfekturen im Rahmen der Vergabeverfahren auf den Bedarf und die Gegebenheiten vor Ort im jeweiligen Fall eingegangen werden, wodurch sich die Kosten von €
35/Person/Tag auf € 19-26/Person/Tag senken sollen. Dass eine solche Restrukturierung ohne Einbußen bei der Qualität oder dem Leistungsangebot (so der Vorwurf bzw. die Befürchtung der Kritiker) machbar ist, erscheint angesichts der vorliegenden Unterlagen aus Sicht des VB nachvollziehbar (VB 19.2.2019).
Auch die medizinische Versorgung von Asylwerbern ist weiterhin gewährleistet. Es wurde oft kritisiert, dass durch das neue Gesetz Asylwerber von der medizinischen Versorgung abgeschnitten würden, weil deren Registrierung bei den Gemeinden ("residenza") nicht mehr vorgesehen ist. Letzteres ist grundsätzlich richtig, allerdings unterscheidet Italien beim "Wohnsitz" zwischen "residenza" und "domicilio" (VB 19.2.2019). Nach der neuen Rechtslage ist die Einschreibung beim Nationalen Gesundheitsdienst für Asylwerber auf Basis des "domicilio" garantiert (CILD 1.2.2019), welcher üblicherweise im Aufnahmezentrum liegt. Somit ist auch für Asylwerber weiterhin die Ausstellung einer Gesundheitskarte ("tessera sanitaria") möglich, mit welcher sie Zugang zu den Leistungen erhalten. Zusätzlich sind in den Erstaufnahmezentren Ärzte beschäftigt, die neben medizinischen Erstuntersuchungen und Notfallmaßnahmen auch die nationalen Gesundheitsdienste entlasten sollen. Der Zugang zu medizinischer Notversorgung in öffentlichen Spitälern bleibt weiterhin bestehen, auch für illegale Migranten (VB 19.2.2019).
Im Sinne des Tarakhel-Urteils stellte Italien im Februar 2015 in einem Rundbrief eine Liste von Einrichtungen zur Verfügung, welche für die Unterbringung von Familien geeignet sind, welche als Dublin-Rückkehrer nach Italien kommen. Im Sinne der neuenRechtslage im Land hat Italien am 8. Jänner 2019 einen neuen Rundbrief versendet und auf die geänderten Gegebenheiten reagiert. Es wird darin bestätigt, dass in Übereinstimmung mit dem neuen Gesetz 132/2018, gemäß der Dublin-VO rücküberstellte Antragsteller nicht in SIPROIMI, sondern im Rahmen der Erstaufnahme (s.o.) untergebracht werden. Italien garantiert, dass diese Zentren dafür geeignet sein werden, um alle Arten von Betroffenen zu betreuen und die Einhaltung ihrer Grundrechte zu gewährleisten, vor allem die Familieneinheit und den Schutz Minderjähriger (MdI 8.1.2019).
Quellen:
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CILD - Coalizione Italiana Libertà e Diritti Civili (1.2.2019):
ANAGRAFE E DIRITTI: COSA CAMBIA COL DECRETO SALVINI. Know Your Rights,
https://immigrazione.it/docs/2019/know-your-rights.pdf, Zugriff 26.2.2018
-
MdI - Ministero dell'Interno (8.1.2019): Circular Letter, per E-Mail
-
VB des BM.I Italien (25.2.2019): Auskunft des VB, per E-Mail
-
VB des BM.I Italien (22.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail
-
VB des BM.I Italien (19.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail
KI vom 18.12.2018, Sicherheits- und Immigrationsdekret (Salvini-Dekret); Asylstatistik
(relevant für Abschnitt2/ Allgemeines zum Asylverfahren; Abschnitt 3/Dublin-
Rückkehrer, Abschnitt 6/Unterbringung und Abschnitt 7/Schutzberechtigte)
Das Sicherheits- und Immigrationsdekret des italienischen Innenministers Matteo Salvini ist am 28.11.2018 vom italienischen Parlament endgültig als Gesetz angenommen worden (GF 3.12.2018; vgl. DS 28.11.2018, INT 27.11.2018).
Es sieht eine Reihe von Änderungen im Asylbereich vor. Um die wichtigsten zu nennen: Der humanitäre Aufenthalt, zuletzt die am häufigsten verhängte Schutzform in Italien, wird künftig nur noch für ein Jahr (bislang zwei Jahre) und nur noch als Aufenthaltstitel für "spezielle Fälle" vergeben, nämlich wenn erhebliche soziale oder gesundheitliche Gründe vorliegen, bzw. wenn im Herkunftsland außergewöhnliche Notsituationen herrschen. Schutzberechtigten, die bestimmte Straftaten begehen, kann der Status leichter wieder aberkannt werden. Ebenso können Migranten, denen bereits die italienische Staatsbürgerschaft verliehen wurde, diese wieder verlieren, wenn sie wegen Terrorismusdelikten verurteilt werden. Die Aufenthaltsdauer in den Abschiebezentren wird von maximal 90 auf 180 Tage verdoppelt. Es wird insgesamt weniger Geld für den Bereich Immigration zur Verfügung gestellt, dafür mehr für die Repatriierung. Das SPRAR-System der Unterbringung soll künftig nur noch für unbegleitete minderjährige Asylwerber und anerkannte Schutzberechtigte zugänglich sein, während andere Asylwerber bis zum Abschluss ihres Verfahrens in den CAS/CARA bleiben sollen. Auch ist vorgesehen, dass besetzte Gebäude geräumt und Besetzer bestraft werden sollen. Italien wird hinkünftig eine Liste sicherer Herkunftsstaaten führen (GF 3.12.2018; vgl. INT 27.11.2018, SO 29.11.2018).
Vulnerable Asylwerber mit Ausnahme unbegleiteter Minderjähriger haben demnach keinen
Zugang zum SPRAR-System mehr. Diese Personen werden nun im Rahmen des CASSystems untergebracht. Das italienische Innenministerium hat hierzu bekannt gegeben, dass für CAS daher neue Ausschreibungsbedingungen ausgearbeitet wurden, die seitens der Präfekturen in Zukunft bindend herangezogen werden müssen. Es steht derzeit noch eine abschließende Prüfung durch den italienischen Rechnungshof aus, daher wurden diese noch nicht veröffentlicht. Seitens des italienischen Innenministeriums wurde jedoch betont, dass die Einhaltung sämtlicher europarechtlicher Bestimmungen (hier insbesondere die Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU) unter Wahrung der menschlichen Würde jedenfalls sichergestellt sei. Bei den Kernleistungen (Sozialbetreuung, Information, soziokulturelle Mediation, sanitäre Einrichtungen sowie Startpaket, Taschengeld und Telefonkarte) komme es zu keiner Kürzung oder Streichung. Lediglich Integrationsmaßnahmen seien in der neuen Systematik Personen mit internationalem Schutz vorbehalten (VB 17.12.2018).
Von der Neuregelung des Aufnahmesystems in Italien sind auch Dublin-Rückkehrer betroffen. Diese werden bereits aktuell nicht mehr im Rahmen des SPRAR-Systems, sondern im CAS untergebracht und laut italienischem Innenministerium kann eine adäquate Unterbringung sichergestellt werden (VB 17.12.2018).
Laut offizieller italienischer Statistik wurden im Jahr 2018 bis zum 14. Dezember 52.350 Asylanträge in Italien gestellt. Mit selbem Datum waren 2018 bereits 53.834 Anträge negativ erledigt (inkl. Unzulässige), 6.852 erhielten Flüchtlingsstatus, 4.132 erhielten subsidiären Schutz, 19.884 erhielten humanitären Schutz. 7.651 Antragsteller waren nicht mehr auffindbar (MdI 14.12.2018).
Quellen:
-
DS - Der Standard (28.11.2018): Salvini pflügt Italiens Asylrecht radikal um,
https://derstandard.at/2000092626603/Salvini-pfluegt-via-Sicherheitsdekret-italienischesAsylrecht-um, Zugriff 5.12.2018
-
GF - Guida Fisco (3.12.2018): Decreto Sicurezza: riassunto del testo e cosa prevede su immigrazione, https://www.guidafisco.it/decreto-sicurezza-testo-cos-e-cosa-prevedecambia-salvini-immigrazione-2157, Zugriff 5.12.2018
-
MdI - Ministero dell'Interno (14.12.2018): Commissione Nazionale per il Diritto di Asilo, per E-Mail
-
INT - Internazionale (27.11.2018): Cosa prevede il decreto sicurezza e immigrazione,
https://www.internazionale.it/bloc-notes/annalisa-camilli/2018/11/27/decreto-sicurezzaimmigrazione-cosa-prevede, Zugriff 18.12.2018
-
SO - Spiegel Online (29.11.2018): Italien verschärft seine Einwanderungsgesetze drastisch, http://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlinge-italien-verschaerft-seineeinwanderungsgesetze-drastisch-a-1241091.html, Zugriff 5.12.2018
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VB des BM.I Italien (17.12.2018): Bericht des VB, per E-Mail
2. ALLGEMEINES ZUM ASYLVERFAHREN
In Italien existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlichen
Beschwerdemöglichkeiten (AIDA 21.3.2018; für ausführliche Informationen siehe dieselbe Quelle).
Laut offizieller italienischer Statistik wurden 2018 bis zum 21. September 42.613 Asylanträge in Italien gestellt. Mit selbem Datum waren 2018 38.512 Anträge negativ erledigt (inkl. unzulässige),
4.756 erhielten Flüchtlingsstatus, 2.838 erhielten subsidiären Schutz, 17.728 erhielten humanitären Schutz. 5.433 Antragsteller waren nicht mehr auffindbar (MdI 21.9.2018).
Die Asylverfahren nehmen je nach Region sechs bis fünfzehn Monate in Anspruch. Wenn
Rechtsmittel ergriffen werden, kann sich diese Dauer auf bis zu zwei Jahren erstrecken (USDOS 20.4.2018).
Am 24.9.2018 hat Italiens Regierung ein Dekret verabschiedet, das Verschärfungen im Asylrecht vorsieht. Der Schutz aus humanitären Gründen würde weitgehend abgeschafft werden, besetzte Häuser sollen geräumt werden und deren Bewohnern drohen Haftstrafen. Auch die Regelungen für den Verlust des Schutzanspruchs würden verschärft werden. Das vom Kabinett einstimmig verabschiedete Dekret bleibt unter Juristen jedoch umstritten. Es muss nun vom Präsidenten unterzeichnet und dann innerhalb von 60 Tagen auch noch vom Parlament verabschiedet werden, bevor es in Kraft treten kann. In Anbetracht der umstrittenen Materie, kann es also noch zu einer Abschwächung des Dekrets kommen (NZZ
25.9.2018).
Quellen:
-
AIDA - Asylum Information Database (21.3.2018): Italian Council for Refugees (CIR) / Association for Legal Studies on Immigration (ASGI): Country Report: Italy,
http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 3.8.2018
-
MdI - Ministero dell'Interno (21.9.2018): Commissione Nazionale per il Diritto di Asilo, per E-Mail
-
NZZ - Neue Zürcher Zeitung (25.9.2018): Italien verschärft sein Asylrecht: Der Schutz aus humanitären Gründen wird abgeschafft, https://www.nzz.ch/international/italien-verschaerftsein-asylrecht-ld.1422862, Zugriff 25.9.2018
-
USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017: Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430262.html, Zugriff 24.9.2018
3. DUBLIN-RÜCKKEHRER
Wenn Italien einer Überstellung ausdrücklich zustimmt, wird der Flughafen angegeben, welcher der für das konkrete Asylverfahren zuständigen Quästur am nächsten liegt. Wenn Italien durch Fristablauf zustimmt, landen Rückkehrer üblicherweise auf den Flughäfen RomFiumicino und Mailand-Malpensa. Ihnen wird am Flughafen von der Polizei eine Einladung (verbale di invito) ausgehändigt, der zu entnehmen ist, welche Quästur für ihr Asylverfahren zuständig ist. Die Quästuren sind oft weit von den Ankunftsflughäfen entfernt und die Asylwerber müssen auf eigene Faust und zumeist auch auf eigene Kosten innerhalb weniger Tage dorthin reisen, was bisweilen problematisch sein kann(AIDA 21.3.2018).
Die Situation von Dublin-Rückkehrern hängt vom Stand ihres Verfahrens in Italien ab:
1. Wenn ein Rückkehrer noch keinen Asylantrag in Italien gestellt hat, kann er dies tun, so wie jede andere Person auch (AIDA 21.3.2018).
2. Ist das Verfahren des Rückkehrers in der Zwischenzeit positiv ausgegangen, hat er eine Aufenthaltserlaubnis erhalten (AIDA 21.3.2018).
3. Ist das Verfahren des Rückkehrers noch anhängig, wird es fortgesetzt und er hat dieselben Rechte wie jeder andere Asylwerber auch (AIDA 21.3.2018).
4. Wenn das Verfahren vor endgültiger Entscheidung unterbrochen wurde, etwa weil sich der Antragsteller diesem entzogen hat, und der Betreffende wird von Italien im Rahmen von Art. 18(1)(c) zurückgenommen, wird das Verfahren auf Antrag wieder aufgenommen (EASO 12.2015).
5. Bei Rückkehrern, die unter Art. 18(1)(d) und 18(2) fallen und welche Italien verlassen haben, bevor sie über eine negative erstinstanzliche Entscheidung informiert werden konnten, beginnt die Rechtsmittelfrist erst zu laufen, nachdem der Rückkehrer von der Entscheidung in Kenntnis gesetzt wurde (EASO 12.2015; vgl. AIDA 21.3.2018).
6. Wurde der Rückkehrer beim ersten Aufenthalt in Italien von einer negativen Entscheidung in Kenntnis gesetzt und hat dagegen nicht berufen, kann er zur Außerlandesbringung in ein Schubhaftlager gebracht werden (AIDA 21.3.2018).
7. Hat sich der Rückkehrer dem persönlichen Interview nicht gestellt und sein Antrag wurde daher negativ beschieden, kann er nach Rückkehr ein neues Interview beantragen (AIDA 21.3.2018).
(Für weitere Informationen, siehe Kapitel 6.3. Dublin-Rückkehrer.) Quellen:
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AIDA - Asylum Information Database (21.3.2018): Italian Council for Refugees (CIR) / Association for Legal Studies on Immigration (ASGI): Country Report: Italy,
http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 3.8.2018
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EASO - European Asylum Support Office (12.2015): Quality Matrix Report: Dublin procedure, per E-Mail
4. UNBEGLEITETE MINDERJÄHRIGE ASYLWERBER (UMA) / VULNERABLE
In Italien gelten folgende Personenkreise als vulnerabel:
Minderjährige, unbegleitete
Minderjährige, Schwangere, alleinstehende Eltern mit minderjährigen Kindern, Opfer von
Menschenhandel, Opfer von Genitalverstümmelung und ernsthaft physisch oder psychisch Kranke sowie Alte, Behinderte, und Opfer von Folter, Vergewaltigung oder anderen Formen physischer, psychischer oder sexueller Gewalt. In Italien ist kein eigener Identifizierungsmechanismus für Vulnerable vorgegeben. Es gibt lediglich Leitfäden des
Gesundheitsministeriums. Die Identifizierung ist in jeder Phase des Verfahrens durch am Verfahren beteiligte Personen, Beamte oder Betreuer möglich. Die zuständige erstinstanzliche Asylbehörde kann zur Absicherung eine medizinische Untersuchung verlangen. Wenn im Zuge des Interviews ein Vertreter der Behörde den Verdacht hat, es mit einer vulnerablen Person zu tun zu haben, kann er diese speziellen Diensten zuweisen. Wenn die Vulnerabilität eines Antragstellers festgestellt wurde, ist dessen Zugang zu angemessener medizinischer und psychologischer Versorgung und Betreuung sicherzustellen. Vulnerable werden im Verfahren prioritär behandelt (AIDA 21.3.2018).
Beim Schutz von Minderjährigen sind deren Reifegrad und Entwicklung zu berücksichtigen und es ist im besten Interesse des Kindes zu handeln. Der Schutz asylwerbender Minderjähriger wurde durch Gesetz 47/2017 gestärkt, das auch Regeln für die
Altersfeststellung festlegt. Es besagt, dass in Ermangelung von Ausweispapieren und bei Zweifeln am Alter des Antragstellers, die Staatsanwaltschaft am Jugendgericht eine sozialmedizinische Untersuchung anordnen kann. Die Untersuchung wird im multidisziplinären Ansatz von entsprechend geschulten Fachkräften durchgeführt, mit möglichst nicht-invasiven Methoden und unter Achtung der Integrität der Person (AIDA 21.3.2018; vgl. CoE/GoI 10.4.2018).
Derzeit wird NGOs zufolge Gesetz 47/2017 aber nicht effektiv umgesetzt und das Alter lediglich mittels Handwurzelröntgen festgestellt und auch keine Schwankungsbreite berücksichtigt. Bis zum Ergebnis dauert es oft Monate und in dieser Zeit wird der Betroffene oft als Erwachsener behandelt. Für medizinische Untersuchungen ist jedenfalls die Zustimmung des Minderjährigen bzw. dessen Vormunds einzuholen (AIDA 21.3.2018). .
Wird den Behörden die Existenz eines unbegleiteten Minderjährigen bekannt, ist dies umgehend dem Staatsanwalt am Jugendgericht zur Kenntnis zu bringen, damit das Jugendgericht einen Vormund bestimmen kann, der für Schutz und Wohlergehen des
Minderjährigen während des gesamten Asylverfahrens und danach zuständig ist. In der
Zwischenzeit kann der Leiter der Unterbringung den UM beim Stellen eines Asylantrags unterstützen, aber der Vormund muss den UM auf den folgenden Stufen des Verfahrens vertreten. Derzeit ist die gebräuchlichste Vorgehensweise, dass der Bürgermeister der Gemeinde, in der der UM untergebracht ist, als Vormund eingesetzt wird und diese Aufgabe an Personen innerhalb der Gemeinde delegiert, die mit sozialen Aufgaben betraut sind. Ein Vormund kann maximal drei Minderjährige betreuen. Die Jugendgerichte führen zu diesem Zweck ein Register freiwilliger Vormunde, die von Amts wegen entsprechend geprüft und geschult werden (AIDA 21.3.2018).
Laut italienischen Gesetzen ist bei der Unterbringung auf spezifische Bedürfnisse der
Asylwerber Rücksicht zu nehmen. Dies gilt insbesondere für Vulnerable. Legislativdekret
142/2015 sieht einen Gesundheitscheck in der Erstaufnahme vor, um auch spezielle
Unterbringungsbedürfnisse erkennen zu können. Diese speziellen
Unterbringungsmöglichkeiten sind auch in den SPRAR-Strukturen sicherzustellen. Die Bewertung spezieller Bedürfnisse wird in den Unterbringungseinrichtungen vorgenommen, allerdings nicht systematisch und je nach Qualität und Finanzlage des jeweiligen Zentrums unterschiedlich. Bei Familien ist auf jeder Unterbringungsstufe die Familieneinheit zu berücksichtigen. In der Praxis kann es vorkommen, dass der Familienvater bei den Männern untergebracht wird und die Mutter mit den Kindern bei den Frauen. Es ist auch möglich, dass eine Aufteilung auf verschiedene Zentren stattfindet, wobei die Kinder üblicherweise bei der Mutter bleiben. Familien können aus temporären Strukturen auf freie Plätze in SPRAR transferiert werden, da diese besser für Familien geeignet sind. Solche Transfers sind abhängig von der Zusammensetzung der Familie, Vorliegen von Vulnerabilität bzw. Gesundheitsproblemen und der Warteliste für SPRAR-Plätze (AIDA 21.3.2018).
Bei UMA ist bei der Unterbringung das beste Interesse des Kindes durch Gespräche zu evaluieren und zu berücksichtigen. In Erstaufnahmeeinrichtungen (etwa 60 mit zusammen 950 Plätzen sind für UMA geeignet) dürfen diese nur für begrenzte Zeit untergebracht werden. Laut Gesetz sind UM binnen zehn Tagen zu identifizieren und binnen 30 Tagen in eine SPRAR-Unterbringung zu verlegen. In dieser Zeit soll die Feststellung des Alters und der individuellen Bedürfnisse geschehen. Im Feber 2018 gab es landesweit 3.488 speziell für UMA gewidmete Plätze im SPRAR. Für UM gibt es, zum Unterschied von erwachsenen Asylwerbern, keinen zentralen Verteilungsmechanismus zwischen den Regionen. Folglich konzentrieren sich UM besonders in Sizilien, Kalabrien und der Lombardei (AIDA 21.3.2018; vgl. FMR 2.2018).
Bei einer Verknappung der Unterbringungsplätze in der Erstaufnahme können UM notfalls auch in CAS untergebracht werden (Ende 2017 gab es 77 CAS für UM in Italien), was von NGOs kritisiert wird. UM dürfen nicht in Zentren für Erwachsene oder Schubhaftzentren untergebracht werden, trotzdem gab es 2017 Fälle in denen Minderjährige in Zentren für Erwachsene oder gar nicht untergebracht wurden. UM werden jedenfalls bis sechs Monate nach Erreichen der Volljährigkeit untergebracht (AIDA 21.3.2018).
Es gibt Berichte über Probleme bei der Überweisung Vulnerabler und unbegleiteter Minderjähriger an geeignete Einrichtungen (USDOS 20.4.2018).
Unbegleitete Minderjährige dürfen nicht in CPR untergebracht werden. Behauptet ein
Insasse eines CPR minderjährig zu sein, wird eine Altersfeststellung angeordnet und der
Betreffende bis zum Vorliegen des Ergebnisses in einer Unterbringungseinrichtung für Minderjährige untergebracht (CoE/GoI 10.4.2018).
In Italien herrscht Schulpflicht bis zum Alter von 16 Jahren, das gilt auch für Fremde, die sich in Italien aufhalten, selbst wenn dieser Aufenthalt illegal ist. Diese Kinder haben Zugang zu öffentlichen Schulen wie italienische Kinder und haben dieselben Rechte auf Berücksichtigung besonderer Bedürfnisse. Einige Schulen zögern jedoch, eine hohe Zahl ausländischer Kinder zuzulassen. Die Schulen nahe den Aufnahmezentren haben oft nicht genug Plätze zur Verfügung und bisweilen verhindern auch die Eltern der ausländischen Kinder, oder die Kinder selbst, den Schulbesuch (AIDA 21.3.2018).
Laut offizieller italienischer Statistik wurden 2018 bis 21. September 3.286 unbegleitete minderjährige Asylwerber im Land registriert. Mit selbem Datum waren 2018 1.453 Anträge negativ erledigt (inkl. unzulässige), 329 erhielten Flüchtlingsstatus, 135 erhielten subsidiären Schutz, 4.798 erhielten humanitären Schutz. 183 Antragsteller waren nicht mehr auffindbar (MdI 21.9.2018).
Quellen:
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AIDA - Asylum Information Database (21.3.2018): Italian Council for Refugees (CIR) / Association for Legal Studies on Immigration (ASGI): Country Report: Italy,
http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 3.8.2018
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CoE - Council of Europe - European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (10.4.2018): Response of the Italian Government to the report of the European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT) on its visit to Italy from 7 to 13 June 2017,
https://www.ecoi.net/en/file/local/1428939/1226_1523350752_2018-14-inf-eng-pdf.pdf,
Zugriff 25.9.2018