Entscheidungsdatum
08.07.2019Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W184 2171292-1/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Werner PIPAL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.09.2017, Zl. 1088946508/151434699, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.07.2019 zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 10, 57 AsylG 2005, §§ 52, 55 FPG und § 9 BFA-VG als unbegründet abgewiesen.
B)
Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Die beschwerdeführende Partei, ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, brachte nach der illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 26.09.2015 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz ein.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde folgende Entscheidung über diesen Antrag getroffen:
"I. Der Antrag auf internationalen Schutz wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen.
II. Der Antrag auf internationalen Schutz wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen.
III. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt.
Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-VG wird eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen.
Es wird gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist.
IV. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung."
Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens wurden im angefochtenen Bescheid folgendermaßen zusammengefasst (gekürzt und teilweise anonymisiert durch das Bundesverwaltungsgericht):
"A) Verfahrensgang
...
Bei der niederschriftlichen Erstbefragung bei der Polizeiinspektion ... am 26.09.2015 gaben Sie vor einem Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes, zum Fluchtgrund und einer allfälligen Rückkehrgefährdung befragt, im Wesentlichen Folgendes an:
...
Ich will in Österreich bleiben, weil mein Leben in Afghanistan in Gefahr ist. Vor zwei Jahren ist mein Bruder, welcher auch bei der Armee war, spurlos verschwunden. Ich wurde von den Taliban bedroht. Vor Angst bin ich geflüchtet.
Bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für
Fremdenwesen und Asyl ... am 06.06.2017 ... gaben Sie vor einem
Organwalter des Bundesamtes im Wesentlichen Folgendes an:
...
F: Verstehen Sie den Dolmetscher einwandfrei?
A: Ja.
F: Steht Ihrerseits etwas einer Einvernahme am heutigen Tag entgegen? Sind Sie heute körperlich und geistig gesund und können Sie sich auf das Geschehen, welches zu Ihrer Ausreise führte, konzentrieren?
A: Ja, es geht mir gut.
F: Haben Sie im Verfahren bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht und wurden Ihnen diese jeweils rückübersetzt und korrekt protokolliert?
A: Ja, es wurde mir aber nicht rückübersetzt. Und ich konnte auch nicht über alles erzählen, was mir wichtig ist.
...
F: Sie wurden vom Bundesamt angeschrieben, dass Sie Dokumente vorlegen sollen, insbesondere Dokumente, die Ihre Identität bezeugen. Haben Sie solche Dokumente?
A: Ja, eine Deutschkursbestätigung und eine Bestätigung über
gemeinnützige Arbeit ... Ich werde noch einer Bestätigung meiner
Arbeit bei der afghanischen Armee nachreichen.
...
F: Besitzen oder besaßen Sie einen Reisepass oder ein anderes Dokument, das Ihre Identität bezeugen kann?
A: Ich hatte eine Tazkira und sie wird mir nachgeschickt.
F: Sind Sie in Ihrem Heimatland oder in einem anderen Land von einem Gericht verurteilt worden?
A: Keine Verurteilung.
F: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie oder anderen Angehörigen in Ihrem Heimatland?
A: Ja, zu meinem Schwager, er lebt in XXXX . Ich habe auch noch Kontakt zu Freunden, sie wohnen auch in XXXX bzw. Kabul.
F: Wie ist der Kontakt und wie häufig?
A: Über Facebook.
F: Und was ist mit Ihren Eltern?
A: Mein Vater ist gestorben, vor circa zehn Jahren, und mit meiner Mutter habe ich Kontakt durch meinen Schwager.
F: Wovon lebt Ihre Familie in Ihrem Herkunftsstaat?
A: Wir haben Grundstücke und Kühe und davon lebt die Familie. Mein Onkel unterstützt auch unsere Familie.
F: Was arbeitet Ihr Onkel?
A: Er hat auch Grundstücke und lebt von der Landwirtschaft.
F: Wie haben Sie in Afghanistan gelebt?
A: Normal.
F: Können Sie mir kurz beschreiben, wie Sie vor Ihrer Ausreise gelebt haben?
A: Ich war zuerst bei der Armee, eineinhalb Jahre, und dann habe ich die Armee verlassen. Ich habe dann zwei Jahre als Bäcker gearbeitet. Ich habe das gemacht, bis ich Afghanistan verlassen haben. Die Bäckerei war in XXXX , ca. 30 Minuten entfernt von XXXX mit dem Auto.
F: Erzählen Sie mir von Ihren Verwandten, wie und wo leben sie und was arbeiten sie?
A: Ich habe einen Onkel, er lebt in Pakistan. Ein zweiter Onkel wohnt auch in Pakistan, beide sind väterlicherseits. Und die Brüder meiner Mutter wohnen in Kunar.
F: Wie weit ist Kunar von XXXX entfernt?
A: Circa drei Stunden mit dem Auto.
F: Wo waren Sie zum Schluss aufhältig?
A: Ich habe in XXXX gearbeitet. Ich konnte nicht in Kunar leben. Ich wurde dort von den Taliban bedroht.
F: Wie lebten Sie selbst dort? Gab es ein eigenes Haus oder Grundstück?
A: Ich habe in XXXX bei meiner Schwester übernachtet.
F: Was für eine Schule haben Sie besucht und wie lange?
A: Sechs Jahre Grundschule.
F: Sie können demnach lesen und schreiben?
A: Ja, Paschtu lesen und schreiben, Dari lesen und schreiben, Deutsch ein wenig lesen und schreiben, ein wenig Englisch schreiben. Ich besuche zweimal pro Woche einen Deutschkurs.
F: Was ist mit Ihren Geschwistern?
A: Ich habe zwei jüngere Brüder. Sie wohnen in Kunar bei meiner Mutter, und meine Schwester wohnt in XXXX .
F: Wie viel haben Sie im Monat so verdient bzw. wie haben Sie Ihr Leben organisiert?
A: Ca. 8.000 Afghani.
F: Konnten Sie davon gut leben?
A: Ich konnte davon gut leben, denn wir hatten auch Grundstücke.
F: Wem gehören diese Grundstücke?
A: Das Erbe gehört meinem Onkel und mir.
F: Nehmen Sie Drogen oder Drogenersatzstoffe?
A: Nein.
F: Sie sind völlig gesund oder haben Sie ein Leiden?
A: Ich bin gesund.
F: Besuchen Sie einen Deutschkurs?
A: Ja, zweimal pro Woche ...
...
F: Haben Sie oder jemand aus Ihrer Familie sich jemals in oder außerhalb von Afghanistan politisch betätigt, gehören Sie irgendeiner politischen Organisation oder Partei an?
A: Nein.
F: Das bedeutet, Sie sind auch nie wegen irgendwelcher politischen Tätigkeiten verfolgt oder bedroht worden?
A: Nie.
F: Welcher Volksgruppe gehören Sie an?
A: Paschtune.
F: Gab es jemals eine konkrete Verfolgung Ihrer Person alleine aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit?
A: Nein.
F: Sie sind gläubiger Moslem und welcher Religionsgemeinschaft gehören Sie an?
A: Ja, ich bin Sunnite.
F: Hatten Sie in Ihrem Heimatland oder in einem anderen Land Probleme bezüglich Ihrer Religionszugehörigkeit?
A: Nein.
F: Sind Sie aufgrund einer Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe verfolgt oder bedroht worden? Dieser Begriff wurde dem Asylwerber erklärt.
A: Nein.
...
F: Sind Sie ledig oder verheiratet und haben Sie Kinder?
A: Ich bin verlobt, in Afghanistan seit circa vier Jahren. Ich habe keine Kinder.
F: Sind Sie für weitere Personen obsorgepflichtig?
A: Ich habe meine Familie und sonst niemanden.
...
F: Wie haben Sie sich die Flucht organisiert bzw. wie haben Sie die Reise bezahlt?
A: Die Flucht wurde durch meinen Onkel mütterlicherseits organisiert. Die Reise hat ca. 9.000 Dollar gekostet und mein Onkel hat einen Teil der Reise gezahlt und ca. 4.000 Dollar habe ich selbst gezahlt.
F: Kommen wir nun zu Ihrem Fluchtgrund. Bitte nennen Sie mir die Gründe, warum Sie Afghanistan verlassen haben und nicht nach Afghanistan zurückkehren können ...
A: (Beginn der freien Erzählung) Die Taliban haben mich und meinen Onkel bedroht. Sie haben mich bedroht wegen meiner Beschäftigung. Ich war bei der afghanischen Armee, ich habe dort als Sergeant gearbeitet. Die Taliban wollten, dass ich mit ihnen zusammenarbeite. Ich bin 2011 zur Armee gegangen. Ich habe mich dort mit einer falschen Tazkira anstellen lassen. Es war eine Tazkira aus Kundus. Die Tazkira wurde von einer falschen Behörde ausgestellt. Ich habe das gemacht, um in Kunar nicht offiziell bei der Armee zu sein. Ich war dann 1,5 Jahre bei der Armee. Ich war bei den Pionieren und wir haben Straßen und Bunker gebaut. Ich war in Mazar-e Sharif stationiert. Ich habe dann die Armee verlassen, weil ich Probleme mit meinem Vorgesetzten bekommen habe. Es war wegen der falschen Tazkira. Ich habe ihm erzählt, dass ich aus Kunar bin und dann hat er an mir gezweifelt. Ich bin freiwillig aus der Armee ausgeschieden. Ich bin dann nach XXXX . Ich konnte nicht nach Kunar gehen wegen der Taliban und dort hat meine Schwester gewohnt. Ich habe dann als Bäcker begonnen zu arbeiten. Die Taliban haben dann meinen Onkel bedroht und von ihm verlangt, dass ich mit ihnen arbeiten sollte oder sie werden mich umbringen. Und darum bin ich aus Afghanistan geflohen (Ende der freien Erzählung).
F: Wurden Sie während Ihrer Zeit bei der Armee durch die Taliban bedroht?
A: In dieser Zeit nicht.
F: Wann war das, als Ihr Onkel bedroht wurde?
A: Das war zwei Monate vor meiner Abreise.
F: Wurden Sie nun persönlich bedroht?
A: Nein, ich bin persönlich nie bedroht worden, nur über meinen Onkel.
F: Wo wurde Ihr Onkel bedroht?
A: In Kunar.
F: Ist das üblich, dass Männer zur Zusammenarbeit von den Taliban eingefordert werden oder auch Geld bezahlt wird, um die Scharia-Schuld zu begleichen?
A: In unserer Gegend ist das nicht üblich.
F: Und warum wollten die Taliban gerade Sie haben?
A: Sie wussten, dass ich bei der Armee war. Ich weiß aber nicht, woher sie es wussten.
F: Wird Ihr Onkel nun auch noch bedroht?
A: Ich weiß es nicht, er ist krank.
Vorhalt: Sie haben bei Ihrer Ersteinvernahme angegeben, Ihr Bruder sei bei der Armee gewesen und dass Sie dadurch bedroht wurden.
A: Ich hatte einen älteren Bruder. Er war auch beim Militär und er wurde krank und ist nach Hause gekommen. Er wollte dann wieder nach XXXX zurück und er ist dann spurlos verschwunden. Mein Onkel hat nach meinem Bruder gefragt und die Taliban sagten, sie wissen auch nicht, wo er sei. Wir haben auch bei der Regierung angefragt, aber sie konnten ihn auch nicht finden. Das war zwei Jahre vor meiner Abreise. Wir waren gemeinsam bei der Armee. Mein Bruder war in Kunar bei der Armee.
F: Was glauben Sie, dass Ihr Onkel nun zu befürchten hat, weil er den Forderungen der Taliban nicht nachgekommen ist?
A: Er ist jetzt in XXXX wegen seiner Krankheit und ich bin nicht in Afghanistan und dadurch sollte er keine Probleme haben.
F: Wissen die Taliban, dass Sie in XXXX gearbeitet haben?
A: Ja, Sie wussten es.
F: Wissen Sie, dass es in Afghanistan kein Melderegister gibt?
A: Ja, das weiß ich.
F: Afghanistan ist ein sehr großes Land. Glauben Sie nicht, dass es da auch Orte gibt, in denen Sie mit Ihrer Verlobten in Frieden leben können?
A: Die Taliban haben meinem Onkel gesagt, dass sie mich finden werden. Ich könnte auch nirgendwo anders leben, denn ich kenne dort niemanden.
F: Was ist zum Beispiel mit Mazar-e Sharif?
A: Die Taliban könnten meine Familie bedrohen, und sie haben gesagt, dass Sie mich überall finden.
F: Kennen Sie die Taliban, die Ihren Onkel bedroht haben?
A: Ja, sie wohnen ein Dorf weiter. Ich kenne sie persönlich.
F: Kennen die Taliban Sie auch persönlich?
A: Ja, ich habe sie das letzte Mal vor fünf Jahren gesehen. Er hat dort gewohnt, aber ich habe ihn nicht oft gesehen.
F: Würden Sie diesen Taliban wiedererkennen?
A: Ja, und er würde mich wahrscheinlich wiedererkennen.
F: Gibt es irgendein Schreiben, das Ihre Geschichte bestätigt?
A: Nein, er hat diese Drohung verbal ausgesprochen.
F: Was würde passieren, wenn Sie einfach als Bäcker in Mazar-e Sharif tätig wären?
A: Wenn ich zurückkehre, würde mich die Regierung auch verhaften.
F: Warum würde Sie die Regierung verhaften?
A: Weil ich die Tazkira gefälscht habe und auch den Job verlassen habe.
F: Haben Sie nun den Job einfach verlassen oder sind Sie weggelaufen?
A: Ich bin weggelaufen.
F: Warum haben Sie 1,5 Jahre als Bäcker gearbeitet und es ist in dieser Zeit nichts seitens der Regierung geschehen?
A: Ich war entfernt vom Zentrum und die Regierung wusste nichts über mich.
F: Wissen Sie, dass die afghanische Regierung es nicht handhabt, Deserteure zu bestrafen?
A: Ja, das weiß ich, aber in Zukunft könnten sie das machen.
F: Was würde Sie nun hindern, in Mazar-e Sharif als Bäcker zu arbeiten?
A: Wenn die Taliban erfahren, dass ich in Afghanistan bin, können Sie mich auch bedrohen.
F: Wie konnten Sie eigentlich in so kurzer Zeit Sergeant werden?
A: Als ich neu bei der Armee angefangen habe, wurde ich als Sergeant aufgenommen.
F: Welche Aufgabe hat man als Sergeant?
A: Ich musste die Soldaten beim Wachdienst kontrollieren.
F: Nennen Sie mir die Einheit, in der Sie tätig waren?
A: XXXX .
F: Mussten Sie nur die Wache kontrollieren oder mussten Sie etwas anderes auch machen?
A: Ich habe auch beim Unterricht geholfen.
F: Was für ein Unterricht war das?
A: Ich hatte eine dreimonatige Ausbildung im Camp XXXX , man muss dann eine Prüfung schreiben und kann dann als Sergeant übernommen werden. Wir wurden am M16 ausgebildet. Diese Waffe hat jeder Soldat in Afghanistan. Wir wurden auch am M40 und M49 ausgebildet. Als XXXX hatten wir große Autos und wir haben dann Bunker gebaut.
F: Erklären Sie mir, wie man einen Bunker baut?
A: Wir hatten große Körbe und die haben wir mit Erde gefüllt.
F: Können Sie mir erklären, wie man eine Sandsackstellung baut?
A: Wir haben diese zusammengenäht als leere und dann mit Erde gefüllt. Sie haben mich nicht viel über Bunker gelehrt, ich hatte mehr mit Fahrzeugen zu tun.
F: Besitzen Sie ein Militärbuch?
A: Ja, es wird mir geschickt.
F: Was war nun der ausschlaggebende Grund, warum Sie Afghanistan verlassen haben?
A: Diese Bedrohung durch die Taliban. Sie haben verlangt, ich solle mit ihnen kämpfen.
F: Gibt es Anzeichen, dass Sie von der Regierung gesucht werden?
A: Nein, derzeit habe ich nichts, aber wenn ich zurückgehe, habe ich vielleicht Probleme.
F: Haben Sie diese Tazkira noch?
A: Nein, ich habe sie abgegeben.
F: Warum sollten dann für Sie Probleme entstehen, Sie haben diese Tazkira ja nicht mehr, wurden Sie angezeigt oder nicht?
A: Offiziell hat er mich nicht angezeigt.
F: Wann haben Sie nun den Entschluss gefasst, nach Europa zu kommen?
A: Nach dieser Bedrohung durch die Taliban.
...
F: Wollen Sie zu diesen landeskundlichen Feststellungen etwas hinzufügen?
A: Nein, meine Probleme beziehen sich auf unser Dorf und unsere Gegend.
F: Werden Ihre Brüder auch durch diese Taliban bedroht?
A: Nein.
F: Wie alt sind Ihre Brüder?
A: Einer ist ca. 16 Jahre alt und der zweite ist ca. 13 Jahre alt.
F: Wie alt ist Ihr Onkel?
A: Er ist schon alt.
F: Möchten Sie noch Gründe anführen, die gegen eine Rückkehr nach Afghanistan sprechen und noch nicht gesagt wurden?
A: Nein ..."
Es folgten im angefochtenen Bescheid die Beweismittel, insbesondere ein Militärdienstausweis, drei Belobigungsschreiben der afghanischen Nationalarmee und drei Fotos von der beschwerdeführenden Partei als Soldat sowie Bestätigungen über einen Deutschkurs und über gemeinnützige Arbeit. Nach den Sachverhaltsfeststellungen und der Beweiswürdigung wurde im Rahmen der rechtlichen Beurteilung zu den einzelnen Spruchpunkten dargelegt, dass der Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt werden könne, weil ein asylrelevantes Vorbringen nicht glaubhaft gemacht worden sei und außerdem eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative vorhanden sei. Auch eine refoulementrelevante Gefährdung bestehe nicht, weil die Sicherheitslage in mehreren Provinzen stabil sei. Die Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK und für eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz lägen nicht vor, weshalb eine Rückkehrentscheidung zu erlassen sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage mangels besonderer Umstände zwei Wochen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher im Wesentlichen das bisherige Vorbringen wiederholt und insbesondere ausgeführt wurde, dass die beschwerdeführende Partei aus Furcht vor einer Zwangsrekrutierung durch Taliban geflüchtet sei und von diesen überall in Afghanistan gefunden werden könne. Die Sicherheitslage sei in ganz Afghanistan unzureichend. Eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative gebe es in Afghanistan nicht.
Das Bundesverwaltungsgericht führte am 03.07.2019 eine mündliche Verhandlung durch, in welcher die beschwerdeführende Partei Folgendes aussagte (gekürzt und teilweise anonymisiert durch das Bundesverwaltungsgericht, RI = Richter, BF = beschwerdeführende Partei, RV = Rechtsvertreter der beschwerdeführenden Partei):
"Der RV legt mehrere Beweismittel vor ...
RI: Haben Sie weitere Beweismittel, z. B. Ausweise oder eine Tazkira oder ein Militärdienstbuch?
BF: Nein.
RI: Haben Sie bereits eine Deutschprüfung abgelegt?
BF: Nein, ich habe noch keine Prüfungen absolviert. Dafür müsste ich bezahlen und ich habe kein Geld.
RI: Haben Sie während der Zeit in Österreich gearbeitet oder Geld verdient?
BF: Nein, aber ich habe meinem Nachbarn ohne Entgelt geholfen.
RI: Wer kommt für Ihren Lebensunterhalt, Ihre Unterbringung und Verpflegung auf?
BF: Ich lebe von der Sozialhilfe in einem Asylwerberheim.
RI: Haben Sie in Österreich eine Frau, Kinder, Verwandte?
BF: Nein.
RI: Was spricht aus Ihrer Sicht dagegen, dass Sie nach Afghanistan zurückkehren?
BF: Ich habe ein Problem mit den Taliban. Sie kennen mich, sie kommen aus unseren Dörfern und können mich überall finden.
RI: Von welchen Dörfern sprechen Sie?
BF: Von einem Dorf XXXX , Provinz Kunar, im Distrikt XXXX . In einem anderen Dorf namens XXXX oberhalb unseres Dorfes gibt es auch Taliban.
RI: Haben Sie in dieser Region Verwandte, die noch dort leben?
BF: Ja, meine Mutter, meine zwei Brüder und meine Onkel mütterlicherseits.
RI: Sind Sie mit diesen in Kontakt?
BF: Nein, aber mit dem Ehemann meiner Schwester habe ich Kontakt.
RI: Was erzählen Ihnen diese Verwandten über die Lage in Kunar und in Afghanistan?
BF: Sie sagen, dass sich die Lage verschlechtert hat. Über mehr habe ich sie nicht gefragt.
RI: Haben Sie in letzter Zeit etwas von Ihren Verwandten zu Ihrer Bedrohungssituation erfahren?
BF: Nein.
RI: Warum bedrohen die Taliban Sie und wie heißen diese Leute?
BF: Sie bedrohen mich, weil ich bei der afghanischen Nationalarmee war. Ich kenne nur einen Taliban, der auch mich kennt. Er heißt XXXX , den Familiennamen kenne ich nicht.
RI: Wann sind Sie in die Armee eingetreten und wann sind Sie ausgeschieden?
BF: Das weiß ich nicht, wann ich eingetreten und ausgetreten bin. Ich kenne mich mit dem Datum nicht aus. Mit den Zahlen kenne ich mich aber aus.
RI: Wissen Sie, in welchem Jahr Sie eingetreten bzw. ausgetreten sind?
BF: Nein, das Jahr weiß ich auch nicht.
RI: Wie lange waren Sie Soldat?
BF: 1,5 Jahre.
RI: In welchen Militärstützpunkten waren Sie in diesen 1,5 Jahren im Dienst?
BF: Ich wurde im Camp XXXX zuerst ausgebildet, danach wurde ich in der XXXX weitergebildet. Anschließend kam ich zum XXXX , dort war ich bis zum Schluss.
RI: Schreiben Sie mir die Namen Ihres unmittelbaren Vorgesetzten und der Vorgesetzten bis zum Corpskommandanten auf.
BF (schreibt die Namen auf einen Zettel): Der unmittelbare Vorgesetzte hieß XXXX , der Kommandant der Brigade hieß Najibullah, der Bataillonskommandant hieß XXXX , der Corpskommandant hieß XXXX .
RI: Bei welcher Einheit waren Sie?
BF: XXXX Brigade, XXXX Bataillon, Corps XXXX , in der Gruppe der XXXX . Es waren auch Minenentschärfer dabei. Wir haben neue Posten aufgebaut, Brücken gebaut und Minen entschärft, aber am Bauen und Entschärfen war ich nicht direkt beteiligt.
RI: Sie haben der Behörde drei Fotos vorgelegt, bei denen Sie in Uniform zu sehen sind. Wo sind diese aufgenommen worden?
BF: Ich glaube, das eine Foto habe ich während des Dienstes und die zwei anderen in meinem Zimmer gemacht. Nein, ich glaube, zwei habe ich während des Dienstes gemacht.
RI: Ich meinte, an welchen Orten.
BF: In XXXX .
RI: Sie haben einen Militärausweis vorgelegt. Warum fehlen auf diesem Ausweis der Familienname und weitere Eintragungen, wie die Blutgruppe, etc.?
BF: Ich weiß nicht, warum nicht alles eingetragen ist. Ich wurde weder nach meinem Familiennamen noch nach meiner Blutgruppe gefragt.
Nach Vorhalt des Ausweises S. 63-64: Das ist die Aufgabe der Regierung, das auszufüllen.
RI: Was bedeutet die Abkürzung "SSG" auf dem Ausweis?
BF: Das weiß ich nicht.
Nach Vorhalt des Ausweises: Das ist mein Rang, ich war der Leiter unserer Gruppe.
RI: Welche Bezeichnung hatte Ihr Dienstgrad?
BF: XXXX .
RI: Wie kürzt man Sergeant ab?
BF: Wie man es abkürzt, weiß ich nicht, aber ich wusste von den Amerikanern, dass mein Rang " XXXX " ist.
RI: Haben Sie mit den Amerikanern Englisch oder Paschtu gesprochen?
BF: Nein, ich kann kein Englisch. Sie haben eigene Dolmetscher.
RI: Wie alt waren Sie, als Sie beim Militär angefangen haben?
BF: Ich weiß nicht, wie alt ich war.
RI: Wann sind Sie geboren?
BF: Im Jahr XXXX war ich 18 Jahre alt, als ich zum Militär ging. Ich bin XXXX geboren.
Anmerkung des Dolmetschers: XXXX wäre XXXX .
RI: Kennen Sie Ihren Geburtstag?
BF: Nein, der Geburtstag wird in Afghanistan nicht aufgeschrieben, das nimmt niemand ernst. Mein Geburtstag steht auch auf der weißen Aufenthaltsberechtigungskarte.
RI: Schildern Sie mir bitte die Situation, als Sie das Militär verlassen haben.
BF: Es ist so, dass ich mit einer gefälschten Tazkira in die afghanische Nationalarmee eingetreten bin. Als ich meinen Kommandanten um die Korrektur meiner Heimatprovinz bat, verdächtigte dieser mich. Er sagte, es kann sein, dass ich ein pakistanischer Staatsbürger oder ein Mitglied der Taliban bin. Aus Angst, dass ich im Gefängnis landen könnte, habe ich bei der Armee aufgehört. Meine Heimatprovinz ist Kunar.
RI: Wie hieß der Kommandant, den Sie gerade erwähnt haben?
BF: XXXX .
RI: Heißt das, Sie haben Ihrem Vorgesetzten Ihren Austritt erklärt, Waffe und Uniform übergeben und sind fortgefahren?
BF: Ich habe niemandem von meinem Austritt mitgeteilt. Meine Uniform und meine Waffen habe ich im Corps zurückgelassen und bin einfach weggegangen. Man konnte das Corps verlassen und hinausgehen.
RI: Was haben Sie nach Ihrem Militärdienst gemacht?
BF: Ich habe in XXXX in einer Backstube gearbeitet.
RI: Wie lange haben Sie in XXXX gelebt, bevor Sie aus Afghanistan ausgereist sind?
BF: Genau kann ich es nicht sagen. Es waren circa zwei Jahre.
RI: Sind Sie in diesen zwei Jahren von irgendjemandem bedroht worden?
BF: Nein, weil niemand über meinen Aufenthalt in XXXX Bescheid wusste. Zwei oder drei Monate vor meiner Ausreise sind sie zu meinem Onkel mütterlicherseits nach Hause gekommen. Sie haben ihm gesagt, dass sein Neffe, gemeint war ich, sich uns anschließen muss, ansonsten werden wir ihn töten, egal wo wir ihn fassen.
RI: Sind diese Taliban in den letzten Jahren, in denen Sie in Österreich sind, noch zu Ihren Verwandten gekommen oder nicht mehr?
BF: Ja, sie sind einmal zu meinem Onkel mütterlicherseits gekommen und haben wieder gesagt, dass sie vorhaben, mich zu töten. Mein Onkel hat ihnen gesagt, dass sie ihn in Ruhe lassen sollen und mich töten dürfen, wo auch immer sie mich finden.
RI: Wann war dieser letzte Vorfall?
BF: Fünf bis sechs Monate nach meiner Ankunft in Österreich.
RI: Warum können Sie nicht in einer anderen Stadt in Afghanistan einem Beruf, z. B. als Bäcker, nachgehen?
BF: Weil sie mich kennen und überall finden können. Die Taliban stehen untereinander in Kontakt und sind gut vernetzt. Sie sind genauso wie eine Regierung aufgestellt, wie die afghanische Regierung.
RI: Ich verstehe nicht, was die Taliban für ein Interesse an Ihrer Person haben könnten.
BF: Weil die Regierung die Taliban immer wieder angreift und dabei viele der Taliban ums Leben kommen. In der Folge werden Menschen so wie ich, die die Taliban kennen, bedroht.
RI: Wollen Sie noch etwas schildern, das mit Ihrer Bedrohung in Afghanistan zu tun hat?
BF: Nein.
RI an RV: Haben Sie Fragen?
RV: Sie haben vorhin gesagt, Sie sind XXXX geboren. Haben Sie das bereits in Afghanistan gewusst oder erst, nachdem Sie nach Österreich gekommen sind?
BF: Erst in Österreich.
RV: Wenn Sie sich irgendwo anders in Afghanistan niederlassen müssten, glauben Sie, dass Sie an einem anderen Ort eine Arbeit und eine Wohnung finden würden?
BF: Eine Arbeit und Wohnung zu finden, wird kein großes Problem darstellen. Diese Personen haben ein ernstes Problem mit mir. Sie würden mich für jeden Angriff auf sie verantwortlich machen. Sie werden denken, dass ich ein Spion der Regierung bin und ich sie an die Regierung verrate.
RI: Wie hat der Rang bzw. Dienstgrad gelautet, mit dem Sie beim Militär begonnen haben?
BF: Ich hatte von Anfang an diesen Rang. Ganz am Anfang wurde ich dazu ausgebildet. Am Ende legt man noch eine Prüfung ab.
RI: Wie lange war diese Ausbildung?
BF: Drei Monate lang.
RV: Sie haben vor dem BFA von einem älteren Bruder erzählt. Können Sie sagen, was mit diesem passiert ist?
BF: Er war in Kunar bei der afghanischen Nationalarmee. Ich war im Dienst, als er verschwunden ist. Mehr weiß ich über sein Verschwinden nicht.
RI: Ist er während eines Einsatzes oder eines Urlaubes verschwunden?
BF: Während eines Urlaubes.
RV: Haben Sie bereits Deutschkurse besucht oder üben Sie privat mit jemandem Deutsch?
BF: Ja, ich habe früher ... Deutschkurse besucht. Dann wurde ich
krank, seitdem habe ich keine Deutschkurse besucht. Ich habe mich immer mit meinem Nachbarn unterhalten. Dieser hat versucht, mir die Sprache beizubringen.
RI: Welche Erkrankung hatten Sie damals?
BF: Die linke Hälfte meines Kopfes hat sehr stark wehgetan. Ich habe immer negativ gedacht und war auch immer traurig.
RV: Er war noch nicht beim Therapeuten, hat aber Saroten verordnet bekommen.
RI: Seit wann haben Sie diese Krankheitssymptome?
BF: Seit mehr als zwei Jahren, aber seit einem Jahr ist es sehr stark geworden.
RV (legt eine schriftliche Stellungnahme zum Länderinformationsblatt vor): Es geht aus diversen Länderberichten auch hervor, dass Rückkehrer aus dem westlichen Ausland Aufsehen erregen und ihnen auch Misstrauen entgegengebracht wird, weswegen die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass der BF auch in anderen Teilen Afghanistans von den Taliban über ihr engmaschiges Netzwerk gefunden werden könnte bzw. Interesse erregt. Militärangehörige zählen nach den UNHCR-Richtlinien zu den Risikogruppen ..."
Die beschwerdeführende Partei legte zwei Befunde vom 08.02.2019 bzw. 14.05.2019 vor, wonach er an Migräne (Differenzialdiagnose: Spannungskopfschmerz) leidet, sowie weiters Teilnahmebestätigungen über einen Deutschkurs im Jahr 2017 und einen Werte- und Orientierungskurs im Jahr 2018. In der Stellungnahme zu den Länderberichten wurde ausgeführt, dass nach den Richtlinien des UNHCR in Kabul grundsätzlich keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehe. Dies gelte auch für alle anderen Städte in Afghanistan.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Zur Person und den Fluchtgründen der beschwerdeführenden Partei wird festgestellt:
Die beschwerdeführende Partei ist Staatsbürger Afghanistans und gehört der Volksgruppe der Paschtunen und der sunnitischen Religion an. Er stammt aus der Provinz Kunar, wo er zusammen mit seiner Mutter, seinen Geschwistern und weiteren Verwandten lebte und sechs Jahre die Grundschule besuchte.
Mit rund 18 Jahren, circa im März 2011, trat die beschwerdeführende Partei in die afghanische Nationalarmee ein und wurde nach einer dreimonatigen Grundausbildung in den Rang eines E6 Sergeant befördert und bei einer Pioniereinheit des Corps XXXX Brigade, XXXX Bataillon, in XXXX verwendet. Nach circa eineinhalb Jahren, also etwa im September 2012, teilte die beschwerdeführende Partei seinem unmittelbaren Vorgesetzten mit, dass er aus Kunar stammt und sich eine falsche Taskira aus Kundus habe ausstellen lassen, damit in seiner Heimat sein Militärdienst nicht bekannt werde. Als ihm sein Vorgesetzten daraufhin nicht mehr vertraute, desertierte die beschwerdeführende Partei und lebte knapp drei Jahre bis zu seiner Ausreise im August 2015 bei seiner Schwester in XXXX , wo er als Bäcker arbeitete. Da ein Mitglied der Talibangruppe in Kunar dem damals dort lebenden Onkel der beschwerdeführenden Partei sagte, die beschwerdeführende Partei solle sich den Taliban anschließen, und da der ältere Bruder der beschwerdeführenden Partei, der ebenfalls beim Militär gewesen war, im Jahr 2011 oder 2012 während eines Urlaubs unter ungeklärten Umständen verschwunden und nie wieder aufgetaucht war, entschloss sich die beschwerdeführende Partei aus Angst vor einer Rekrutierung durch die Taliban, Afghanistan zu verlassen.
Es wird festgestellt, dass der beschwerdeführenden Partei in seiner Heimatprovinz Kunar eine Verfolgung durch eine lokale Talibangruppe wegen seiner Tätigkeit bei der afghanischen Nationalarmee und wegen seiner Weigerung zur Mitarbeit bei den Taliban droht.
In XXXX , der Provinzhauptstadt der Provinz XXXX , wo die beschwerdeführende Partei zuletzt bei seiner Schwester lebte, stellt sich - ebenso wie in seiner Heimatprovinz Kunar - die Sicherheitslage als unzureichend dar und gibt es für die beschwerdeführende Partei keine zumutbare Fluchtalternative.
Der beschwerdeführenden Partei steht eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in den verhältnismäßig sicheren Provinzen Afghanistans zur Verfügung, beispielsweise in den Städten Herat, Kabul und Masar-e Scharif.
Zur Rückkehrsituation der beschwerdeführenden Partei wird Folgendes festgestellt:
Der beschwerdeführenden Partei droht im Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer unmenschlichen Behandlung. Insbesondere ist im Herkunftsstaat in mehreren Landesteilen die Sicherheitslage ausreichend und die Versorgung mit Nahrungsmitteln gewährleistet, z. B. in den Städten Herat, Kabul und Mazar-e Scharif.
Die beschwerdeführende Partei ist 25 Jahre alt, arbeitsfähig und - abgesehen von einer Migräne - gesund, sodass er im Herkunftsstaat zumindest durch einfache Arbeit das nötige Einkommen erzielen könnte, um sich eine Existenzgrundlage zu schaffen. Die beschwerdeführende Partei hat mehrere nahe Angehörige in Afghanistan, die ihn finanziell unterstützen können, nämlich seine Mutter, zwei Brüder, eine Schwester und mehrere Onkel.
Zum Privat- und Familienleben der beschwerdeführenden Partei wird festgestellt:
Die beschwerdeführende Partei reiste im September 2015 illegal nach Österreich ein und hält sich seither knapp vier Jahre aufgrund der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber im Bundesgebiet auf.
Die beschwerdeführende Partei hat in Österreich kein Familienleben, sondern nur ein Privatleben. Die beschwerdeführende Partei absolvierte im Jahr 2017 einen Deutschkurs und im Jahr 2018 einen Werte- und Orientierungskurs, legte aber noch keine Deutschprüfung ab. Er verrichtete zeitweise gemeinnützige Arbeit, stand aber noch nicht in einem Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis und ist nicht selbsterhaltungsfähig, sondern bezieht laufend Leistungen der Grundversorgung in der Höhe von monatlich 577,- Euro. Die beschwerdeführende Partei ist strafgerichtlich unbescholten.
Hinweise auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen kamen nicht hervor.
Zur Lage im Herkunftsstaat wird Folgendes festgestellt:
"Länderinformationsblatt zu Afghanistan vom 29.06.2018
Kurzinformation vom 22.1.2019 ...
Bei einem Anschlag auf einen Stützpunk des afghanischen Sicherheitsdienstes (NDS, National Directorate of Security) in der zentralen Provinz Wardak (auch Maidan Wardak) kamen am 21.1.2019 zwischen zwölf und 126 NDS-Mitarbeiter ums Leben (TG 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019). Quellen zufolge begann der Angriff am Montagmorgen, als ein Humvee-Fahrzeug der U.S.-amerikanischen Streitkräfte in den Militärstützpunkt gefahren und in die Luft gesprengt wurde. Daraufhin eröffneten Angreifer das Feuer und wurden in der Folge von den Sicherheitskräften getötet (TG 21.1.2019; vgl. NYT 21.1.2019). Die Taliban bekannten sich zum Anschlag, der, Quellen zufolge, einer der tödlichsten Angriffe auf den afghanischen Geheimdienst der letzten 17 Jahre war (NYT 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019). Am selben Tag verkündeten die Taliban die Wiederaufnahme der Friedensgespräche mit den U.S.-amerikanischen Vertretern in Doha, Katar (NYT 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019, Tolonews 21.1.2019).
Am Vortag, dem 20.1.2019, war der Konvoi des Provinzgouverneurs der Provinz Logar, Shahpoor Ahmadzai, auf dem Autobahnabschnitt zwischen Kabul und Logar durch eine Autobombe der Taliban angegriffen worden. Die Explosion verfehlte die hochrangigen Beamten, tötete jedoch acht afghanische Sicherheitskräfte und verletzte zehn weitere (AJ 20.1.2019; vgl. IM 22.1.2019).
Des Weiteren detonierte am 14.1.2019 vor dem gesicherten Green Village in Kabul, wo zahlreiche internationale Organisationen und NGOs angesiedelt sind, eine Autobombe (Reuters 15.1.2019). Quellen zufolge starben bei dem Anschlag fünf Menschen und über 100, darunter auch Zivilisten, wurden verletzt (TG 21.1.2019; vgl. Reuters 15.1.2019, RFE/RL 14.1.2019). Auch zu diesem Anschlag bekannten sich die Taliban (TN 15.1.2019; vgl. Reuters 15.1.2019).
Quellen:
AJ - Al Jazeera (20.1.2019): Taliban attack in Afghanistan's Logar kills eight security forces ...;
IM - Il Messaggero (22.1.2019): Afghanistan, sangue sul disimpegno Usa: autobomba dei talebani contro scuola militare, 130 vittime ...;
NYT - The New York Times (21.1.2019): After Deadly Assault on Afghan Base, Taliban Sit for Talks With U.S. Diplomats ...;
Reuters (15.1.2019): Afghan Taliban claim lethal car bomb attack in Kabul ...;
RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (14.1.2019): Four Killed, 90 Wounded In Kabul Car-Bomb Attack ...;
TG - The Guardian (21.1.2019): Taliban kill 'more than 100 people' in attack on Afghan military base ...;
TN - The National (15.1.2019): Kabul attack: Taliban Claims truck bomb and warns of more to follow ...;
Tolonews (21.1.2019) US, Taliban Hold Talks In Qatar With Peace Still Distant ...
Kurzinformation vom 23.11.2018 ...
Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 20.11.2018 ca. 55 Menschen ums Leben und ca. 94 weitere wurden verletzt (AJ 21.11.2018; vgl. NYT 20.11.2018, TS 21.11.2018, LE 21.11.2018). Der Anschlag fand in der Hochzeitshalle "Uranus" statt, wo sich Islamgelehrte aus ganz Afghanistan anlässlich des Nationalfeiertages zu Maulid an-Nabi, dem Geburtstag des Propheten Mohammed, versammelt hatten (AJ 21.11.2018; vgl. TS 21.11.2018, TNAE 21.11.2018, IFQ 20.11.2018, Tolonews 20.11.2018). Quellen zufolge befanden sich zum Zeitpunkt der Explosion zwischen 1.000 und 2.000 Personen, darunter hauptsächlich Islamgelehrte und Mitglieder des Ulemarates, aber auch Mitglieder der afghanischen Sufi-Gemeinschaft und andere Zivilisten, in der Hochzeitshalle (AJ 21.11.2018; vgl. LE 21.11.2018, NYT 20.11.2018, DZ 20.11.2018, IFQ 20.11.2018). Gemäß einer Quelle fand die Detonation im ersten Stock der Hochzeitshalle statt, wo sich zahlreiche Geistliche der afghanischen Sufi-Gemeinschaft versammelt hatten. Es ist nicht klar, ob das Ziel des Anschlags das Treffen der sufistischen Gemeinschaft oder das im Erdgeschoss stattfindende Treffen der Ulema und anderer Islamgelehrten war (LE 21.11.2018; vgl. TNAE 21.11.2018). Weder die Taliban noch der Islamische Staat (IS) bekannten sich zum Angriff, der dennoch von den Taliban offiziell verurteilt wurde (LE 21.11.2018; vgl. AJ 21.11.2018, IFQ 20.11.2018).
Am 12.11.2018 kamen bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt ca. sechs Personen ums Leben und 20 weitere wurden verletzt (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, ANSA 12.11.2018). Anlass dafür war eine Demonstration in der Nähe des "Pashtunistan Square" im Stadtzentrum, an der Hunderte von Besuchern, darunter hauptsächlich Mitglieder und Unterstützer der Hazara-Gemeinschaft, teilnahmen, um gegen die während des Berichtszeitraums anhaltenden Kämpfe in den Provinzen Ghazni und Uruzgan zu demonstrieren (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, KP 12.11.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (DZ 12.11.2018; vgl. AJ 12.11.2018).
Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 31.10.2018 ca. sieben Personen ums Leben und weitere acht wurden verletzt (Dawn 1.11.20181; vgl. 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018). Unter den Opfern befanden sich auch Zivilisten (Pajhwok 31.10.2018; vgl. 1TV 31.10.2018). Die Explosion fand in der Nähe des Kabuler Gefängnisses Pul-i-Charkhi statt und hatte dessen Mitarbeiter zum Ziel (Dawn 1.11.2018; vgl. 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (Dawn 1.11.2018, vgl. 1TV 31.10.2018).
Quellen:
1TV (31.10.2018): Suicide attack kills seven outside Kabul prison
...;
AJ - Al Jazeera (21.11.2018): 'Brutal and barbaric': Victims recount horror of Kabul attack ...;
AJ - Al Jazeera (12.11.2018): Kabul: Suicide bomber targets protesters demanding security ...;
ANSA - Agenzia Nazionale Stampa Associata (12.11.2018): Afghanistan:
67 morti in 24 ore ...;
Dawn (1.11.2018): Seven killed in suicide attack near Kabul prison
...;
DZ - Die Zeit (20.11.2018): Mehr als 50 Tote bei Anschlag in Kabul
...;
DZ - Die Zeit (12.11.2018): Mehrere Tote bei Anschlag nahe Anti-Taliban-Demo ...;
IFQ - Il Fatto Quotidiano (20.11.2018): Afghanistan. attacco kamikaze a Kabul durante incontro religioso: almeno 50 morti e 80 feriti gravi ...;
KP - Khaama Press (12.11.2018): Protesters gather near Presidential Palace in Kabul over recent wave of violence ...;
LE - L'Express (21.11.2018): Attentat a Kaboul: la lecture de verset du Coran soudain interrompue. raconte un blesse ...;
NYT - New York Times (20.11.2018): At Leas 55 Killed in Bombing of Afghan Religious Gathering ...;
Pajhwok Afghan News (31.10.2018): Suicide blast in front of Pul-i-Charhi prison leave 6 people dead ...;
SS - Stars and Stripes (20.11.2018): Suicide bomb attack in Kabul kills at least 43. wounds 83 ...;
TNAE - The National (21.11.2018): Kabul reels in grief after wedding hall attack ...;
Tolonews (20.11.2018): Death Toll Rises To 50 In Kabul Wedding Hall Explosion ...;
Tolonews (12.11.2018): Mol Confirms 6 Death In Kabul Explosion ...;
TS - Tagesschau (21.11.2018): Deutschland verurteilt Anschlag in Kabul ...
Politische Lage
Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).
Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).
Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.9.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.9.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.2.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).
Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).
Parlament und Parlamentswahlen
Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga, auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 20.4.2018, USDOS 15.8.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewäh