TE Vwgh Erkenntnis 1998/8/25 97/11/0032

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Veröffentlicht am 25.08.1998
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
90/01 Straßenverkehrsordnung;
90/02 Führerscheingesetz;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

FSG 1997 §7 Abs3 Z3;
KFG 1967 §66 Abs1;
KFG 1967 §66 Abs2 litf;
KFG 1967 §66 Abs2 litj;
KFG 1967 §66 Abs3;
KFG 1967 §73 Abs1;
StVO 1960 §46 Abs4 lita;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Enzlberger, über die Beschwerde des F in Gruberau, vertreten durch Dr. Johann Etienne Korab, Rechtsanwalt in Wien I, Wollzeile 24, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 3. Februar 1997, Zl. RU6-St-F-949/2(I/7), betreffend vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.950,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren betreffend Stempelgebührenersatz wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im fortgesetzten Verfahren nach dem hg. Erkenntnis vom 29. Oktober 1996, Zl. 94/11/0251, Slg. Nr. 14548/A, ergangenen angefochtenen Bescheid wurde die Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers neuerlich gemäß § 74 Abs. 1 iVm § 73 Abs. 2 KFG 1967 für die Zeit ab Erlassung des erstinstanzlichen Entziehungsbescheides vom 14. Juni 1994 bis einschließlich 16. Oktober 1994 vorübergehend entzogen.

In seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend; er beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zur Vorgeschichte des Beschwerdefalles wird auf das oben genannte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. Oktober 1996 verwiesen. Mit diesem Erkenntnis wurde ein Bescheid der belangten Behörde vom 14. Juli 1994 mit einem inhaltsgleichen Entziehungsausspruch wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Die belangte Behörde sei von der unrichtigen Rechtsansicht ausgegangen, das Befahren einer Autobahn entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung (§ 46 Abs. 4 lit. a StVO 1960) sei ausnahmslos als ein unter besonders gefährlichen Verhältnissen erfolgter Verstoß gegen die besagte Vorschrift anzusehen und damit jedenfalls eine die Verkehrszuverlässigkeit des Betreffenden indizierende bestimmte Tatsache nach § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 (idF vor der am 24. August 1994 in Kraft getretenen 17. KFG-Novelle, BGBl. Nr. 654/1994). Offenbar wegen dieses Verkennens der Rechtslage habe die belangte Behörde trotz einer entsprechenden Behauptung des Beschwerdeführers keine Feststellungen unter anderem darüber getroffen, ob der Verkehr auf der betreffenden Richtungsfahrbahn infolge eines Staus bereits zum Stillstand gekommen sei. Der Verwaltungsgerichtshof verwies dabei auf seine bisherige Rechtsprechung, wonach das Befahren einer Autobahn entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung grundsätzlich im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 unter besonders gefährlichen Verhältnissen erfolge, ausgenommen besondere Situationen und Verhaltensweisen, die von der typischen Gefährlichkeit des "Geisterfahrens" erheblich abweichen, wie etwa das Zurückschieben auf dem Pannenstreifen mit niedriger Geschwindigkeit. Dies müsse umsomehr dann gelten, wenn infolge eines Staus der Verkehr auf den Fahrstreifen der betreffenden Richtungsfahrbahn bereits zum Erliegen gekommen sei. In einer solchen Situation könne das Befahren des Pannenstreifens entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung nicht ohne weiteres als unter besonders gefährlichen Verhältnissen erfolgt angesehen werden.

Die belangte Behörde ging nach Vernehmung des Anzeigenlegers als Zeugen im fortgesetzten Verfahren von folgenden Sachverhaltsannahmen aus: Der Beschwerdeführer habe am 12. April 1994 als Lenker eines näher bezeichneten PKW's auf der Autobahn A 21, Richtungsfahrbahn Linz, aufgrund eines witterungsbedingten Staus (zwischen Straßenkilometer 7,000 und Straßenkilometer 12,887) angehalten. Gegen

10.45 Uhr sei er mit seinem Fahrzeug umgekehrt und sodann auf einer längeren Strecke (mindestens 1.613 m) mit dem PKW auf dem Pannenstreifen entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung gefahren. Bei der Ausfahrt Alland sei er von einem Streifenwagen angehalten worden. Der Verkehr auf der Richtungsfahrbahn Linz sei im Bereich zwischen Anhalteort und Stauende (Länge 1.613 m) noch nicht zum Stillstand gekommen. Es habe geringes Verkehrsaufkommen geherrscht. Die Richtungsfahrbahn Linz sei nicht gesperrt gewesen. Zur Tatzeit habe Schneefall geherrscht, auf der Fahrbahn sei Schnee gelegen ("Schneefahrbahn"), auf dem Pannenstreifen Schneematsch. Angesichts des herrschenden Schneefalles hätten eingeschränkte Sichtverhältnisse bestanden. Bei den gegebenen Fahrtbedingungen sei ein rechtzeitiges Anhalten und leichtes, flüssiges Manövrieren des Fahrzeuges nur schlecht möglich gewesen. Panikreaktionen entgegenkommender Fahrzeuglenker, die auf der Autobahn nicht mit einem entgegenkommenden Fahrzeug rechnen müßten, seien nicht auszuschließen gewesen. Nach Ansicht der belangten Behörde sei das Verhalten des Beschwerdeführers unter den gegebenen Umständen, insbesondere im Hinblick auf die gegebenen Witterungsbedingungen, objektiv geeignet gewesen, die Verkehrsteilnehmer auf der A 21 in besonderem Maße zu gefährden. Sein Verhalten weiche keinesfalls in erheblichem Ausmaß von der typischen Gefährlichkeit des "Geisterfahrens" ab.

Diese Auffassung kann nicht geteilt werden. Abgesehen von der offenbar im Widerspruch zu den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens stehenden aktenwidrigen Annahme einer Schneefahrbahn im gegenständlichen Autobahnabschnitt (den Angaben des als Zeugen vernommenen Anzeigenlegers zufolge war die Fahrbahn salznaß; lediglich auf dem Pannenstreifen lag Schneematsch) kann selbst angesichts der unbestrittenen Feststellung, der Beschwerdeführer sei mit seinem Fahrzeug auf dem Pannenstreifen entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung nicht nur an staubedingt anhaltenden Fahrzeugen vorbei, sondern darüber hinaus noch 1.613 m (vom Stauende bis zum Anhalteort bei der Ausfahrt Alland) gefahren, in welchem Bereich der Verkehr noch nicht zum Stillstand gekommen sei, nicht von einem der typischen Gefährlichkeit des "Geisterfahrens" gleichzuhaltenden Verhalten die Rede sein. Der Beschwerdeführer hat durchgehend vorgebracht (gegenteilige Feststellungen hat die belangte Behörde nicht getroffen, sie fänden in der Aktenlage auch keine Deckung), er sei erst nach längerem staubedingten Anhalten (ca. 2 Stunden) mit seinem Fahrzeug umgekehrt und - so wie bereits eine größere Anzahl von Fahrzeugen vor ihm - auf dem Pannenstreifen mit Schrittgeschwindigkeit zur nächsten Autobahnabfahrt zurückgefahren. Es ist augenscheinlich, daß ein derartiges Verhalten unter dem hier entscheidenden Gesichtspunkt der Gefährlichkeit der Verhältnisse (§ 66 Abs. 3 KFG 1967) auch nicht annähernd jenem des typischen "Geisterfahrens" gleichkommt. Dieses ist dadurch charakterisiert, daß auf der Autobahn entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung auf einem der Fahrstreifen (in der Regel auf der Überholspur), auf denen jederzeit Fahrzeuge mit der auf Autobahnen zulässigen Höchstgeschwindigkeit entgegenkommen können, gefahren wird. (Offenkundig dieses überaus gefährliche Verhalten, nicht jedoch ein Verhalten wie das vom Beschwerdeführer an den Tag gelegte, hatte der Gesetzgeber vor Augen, als er mit der 19. KFG-Novelle, BGBl. I Nr. 103/1997, das Befahren der Richtungsfahrbahn einer Autobahn entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung als bestimmte Tatsache im Sinne des § 66 Abs. 1 KFG 1967 normierte (§ 66 Abs. 2 lit. j; nunmehr § 7 Abs. 3 Z. 3 FSG.) Das in Rede stehende Verhalten des Beschwerdeführers weist insgesamt nicht ein solches Ausmaß an Gefährlichkeit auf, daß deshalb die Annahme berechtigt wäre, der Beschwerdeführer werde aufgrund seiner Sinnesart die Verkehrszuverlässigkeit insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten gefährden. Die Entziehung seiner Lenkerberechtigung entspricht nicht dem Gesetz.

Aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Zuspruch von Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Stempelgebührenersatz war nur im Betrag von S 450,-- zuzusprechen (S 360,-- für drei Beschwerdeausfertigungen; S 90,-- für eine Kopie des angefochtenen Bescheides).

Wien, am 25. August 1998

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1997110032.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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