Entscheidungsdatum
07.11.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs2Spruch
G314 2205711-1/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des nordmazedonischen Staatsangehörigen XXXX, geboren am XXXX, vertreten durch den Rechtsanwalt Dr. Tassilo WALLENTIN, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 09.08.2018, Zl. XXXX, betreffend die Erlassung einer Rückkehrentscheidung zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids entfällt und es in Spruchpunkt II. zu lauten hat: "Gemäß § 10 Abs 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wird gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 1 Z 2 FPG erlassen."
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
Verfahrensgang:
Der BF hielt sich ab Juli 2010 immer wieder im Bundesgebiet auf. Mehrere Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG wurden abgewiesen.
Nach der Einvernahme des BF und der von ihm namhaft gemachten Zeugen vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) im September bzw. November 2016 wurde er zuletzt mit dem Schreiben des BFA vom 04.12.2017 aufgefordert, sich zur beabsichtigten Erlassung einer Rückkehrentscheidung zu äußern. Er erstattete trotz Fristerstreckung keine Stellungnahme.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid erteilte das BFA dem BF keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt I.), erließ gemäß § 10 Abs 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 1 Z 1 FPG (Spruchpunkt II.), stellte fest, dass seine Abschiebung nach (Nord-)Mazedonien zulässig sei (Spruchpunkt III.) und setzte gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt IV.).
Dagegen richtet sich die Beschwerde des BF mit den Anträgen, ihm einen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG zu erteilen und auszusprechen, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei. Er begründet die Beschwerde zusammengefasst damit, dass er im Mai 2013 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gestellt habe und sich seither durchgehend in Österreich aufhalte. Er sei gelernter Frisör und habe eine Einstellungszusage. Er sei vollkommen integriert und habe eine Deutschprüfung für das Sprachniveau A2 abgelegt. Er habe in Österreich viele Verwandte und Freunde und sei Mitglied in einem albanischen Kulturverein. Er sei unbescholten. Er habe sämtliche Brücken zu seiner Heimat abgebrochen und werde dort von seinem psychisch kranken Vater, mit dem er keinesfalls unter einem Dach leben könne, bedroht. Aufgrund seiner fortgeschrittenen Integration und seines Privat- und Familienlebens sei ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen.
Das BFA legte die Beschwerde samt den Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem Antrag vor, sie als unbegründet abzuweisen.
Am 15.07.2019 übermittelte das BFA dem BVwG den Bericht der Landespolizeidirektion XXXX vom 05.07.2019 und gab bekannt, dass dem BF sein Reisepass übergeben worden sei, weil er vorhabe, nach Nordmazedonien zurückzukehren.
Am 13.08.2019 teilte das BFA dem BVwG unter Vorlage einer Bestätigung der Österreichischen Botschaft Skopje mit, dass der BF am 24.07.2019 in seinen Heimatstaat ausgereist sei und sich dort in der nächsten Zeit aufhalten werde.
Am 28.08.2019 wurde dem BVwG auftragsgemäß der rechtskräftige Bescheid über die Abweisung des Antrags des BF vom 17.08.2017 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG übermittelt.
Feststellungen:
Der BF stammt aus Nordmazedonien, wo er die Schule besuchte und wo seine Eltern und seine Schwester mit ihrer Familie nach wie vor leben. Er erlernte den Beruf eines Herrenfriseurs.
Der BF hat einen am 23.02.2012 ausgestellten und bis 22.02.2022 gültigen nordmazedonischen Reisepass, mit dem er ab März 2012 immer wieder in den Schengenraum einreiste, nachdem er sich zuvor schon von Juli bis Oktober 2010, von Mai bis Oktober 2011 und ab Jänner 2012 in Österreich aufgehalten hatte. Zwischendurch kehrte er in seinen Herkunftsstaat zurück. Zuletzt reiste er am 04.09.2016 über Ungarn in das Bundesgebiet ein und verließ es erst wieder am 24.07.2019.
Der BF war von 30.07. bis 05.10.2010 mit Nebenwohnsitz und von 21.07. bis 19.10.2011 sowie von 16.01.2012 bis 08.02.2018 und wieder ab 10.07.2018 an verschiedenen Adressen in XXXX mit Hauptwohnsitz gemeldet.
Der BF war im Bundesgebiet von 18.05. bis 14.10.2011, von 21.09. bis 31.12.2013 und von 01.02.2016 bis 31.08.2016 als Arbeiter vollversichert erwerbstätig; von 11.04. bis 23.07.2012 und von 01.01.2014 bis 31.01.2016 war er geringfügig beschäftigt. Ihm war jedoch im Bundesgebiet nie ein Aufenthaltstitel oder eine arbeitsmarktbehördliche Bewilligung erteilt worden.
Am 13.03.2012 stellte der BF einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Niederlassungsbewilligung unbeschränkt", den er während des Verfahrens modifizierte und letztlich einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" beantragte. Dieser Antrag wurde mit dem Bescheid vom 07.09.2012 abgewiesen; der Berufung des BF wurde mit dem Bescheid vom 14.03.2013 nicht Folge gegeben. Am 06.05.2013 stellte er einen weiteren Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG, dem mit dem Bescheid vom 04.09.2013 nicht stattgegeben wurde. Diese Entscheidung ist seit 08.08.2017 rechtskräftig, weil der Beschwerde des BF nicht Folge gegeben wurde. Am 17.08.2017 beantragte der BF einen Aufenthaltstitel für den Zweck "Rot-Weiß-Rot - Karte sonstige Schlüsselkraft". Dieser Antrag wurde mit dem mittlerweile rechtskräftigen Bescheid vom 29.05.2019 abgewiesen.
Am 14.09.2012 legte der BF eine Deutschprüfung für das Sprachniveau A2 positiv ab. Weitere Deutschprüfungen oder -kurse hat er nicht absolviert.
Im Bundesgebiet leben ein Halbbruder des BF, der hier studiert, sowie zwei Onkel, Cousins und Neffen. Der BF hat regelmäßig Kontakt zu diesen Angehörigen. Er ist mit in Österreich lebenden Personen befreundet, mit denen er in seiner Freizeit z.B. Billard spielt und ins Kino geht. Seit 2016 ist er Mitglied in einem albanischen Kulturverein in XXXX. Er ist weder erwerbstätig noch krankenversichert und wird von seinen Verwandten finanziell unterstützt. Er hat eine Einstellungszusage für eine Vollzeitbeschäftigung als Herrenfriseur bei dem Unternehmen, bei dem er zwischen 2013 und 2016 ohne Bewilligung erwerbstätig gewesen war.
Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Er ist strafrechtlich unbescholten, ledig und für seine am XXXX2018 geborene Tochter XXXX sorgepflichtig. Er lebte in Österreich nicht in einem gemeinsamen Haushalt mit ihr oder ihrer Mutter, der nordmazedonischen Staatsangehörigen XXXX, besuchte sie aber regelmäßig. Weder XXXX noch XXXX besitzen eine österreichische Aufenthaltsgenehmigung; beide haben das Bundesgebiet mittlerweile verlassen.
Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang ergibt sich ohne entscheidungserhebliche Widersprüche aus dem Inhalt der vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens und des Gerichtsakts des BVwG.
Die Identität des BF geht aus seinem dem BVwG in Kopie vorliegenden, grundsätzlich unbedenklichen Reisepass hervor. Der Schulbesuch in seinem Herkunftsstaat ergibt sich aus der Stellungnahme vom 12.12.2012. Bei der Einvernahme vor dem BFA am 14.09.2016 gab er an, dass seine Eltern und seine Schwester sowie deren Familie nach wie vor in Nordmazedonien lebten.
Der BF gab konsistent an, dass er gelernter Herrenfriseur sei. Dies ist glaubhaft, weil er eine Einstellungszusage der Friseur XXXX KG über eine Stelle als Herrenfriseur vorlegte und für dieses Unternehmen laut Versicherungsdatenauszug auch bereits in der Vergangenheit (unerlaubt) tätig war.
Im Reisepass des BF befinden sich folgende Grenzkontrollstempel über Einreisen in den und Ausreisen aus dem Schengenraum:
04.03.2012 ein
24.06.2012 ein
07.07.2012 aus
04.11.2012 ein
07.02.2013 aus
17.02.2013 ein
27.06.2013 aus
14.07.2013 ein
24.12.2013 aus
12.01.2014 ein
09.06.2014 ein
07.09.2014 ein
14.09.2014 ein
29.03.2015 ein
30.08.2015 ein
10.01.2016 ein
29.05.2016 ein
16.08.2016 aus
04.09.2016 ein
24.07.2019 aus.
Daraus ist - mit den Angaben des BF und den in den Verwaltungsakten dokumentierten polizeilichen Erhebungen im Februar und im Juni 2016 übereinstimmend - ersichtlich, dass er sich nicht durchgehend im Bundesgebiet aufhielt, sondern zwischendurch immer wieder den Schengenraum verließ und in seinen Herkunftsstaat zurückkehrte. Es ist aber auch erkennnbar, dass er jedenfalls durch den Verbleib im Inland zwischen September 2016 und Juli 2019 die zulässige visumfreie Aufenthaltsdauer massiv überschritt. Die Ausreise am 24.07.2019 wird durch die dem BVwG am 13.08.2019 übermittelten Unterlagen belegt.
Die Wohnsitzmeldungen des BF werden anhand des Zentralen Melderegisters (ZMR) festgestellt, seine Erwerbstätigkeit im Inland anhand des Versicherungsdatenauszugs. Der Umstand, dass er einer unerlaubten Erwerbstätigkeit nachging, ergibt sich schon aus dem Fehlen eines entsprechenden Aufenthaltstitels. Es gibt demzufolge auch keine Hinweise dafür, dass ihm je eine arbeitsmarktrechtliche Bewilligung erteilt worden wäre. Auch das aktenkundige Straferkenntnis vom 14.09.2012, der Strafantrag der Finanzpolizei vom 10.10.2013 und die Ermittlungen der Finanzpolizei im Dezember 2016 sprechen dafür, dass der BF im Inland Beschäftigungen nachging, die er nach dem AuslBG nicht ausüben hätte dürfen.
Die Anträge des BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG und die Entscheidungen darüber werden anhand der aktenkundigen Bescheide, der damit in Einklang stehenden Eintragungen im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR) sowie der Mitteilung der XXXX Magistratsabteilung XXXX vom 22.11.2017 festgestellt. Zuletzt wurde dem BVwG der Bescheid vom 29.05.2019 mit der Mitteilung, dass er seit 08.07.2019 rechtskräftig sei, übermittelt.
Der BF legte das Zeugnis über die Deutschprüfung vom 14.09.2012 vor. Weitere Zeugnisse oder Kursbesuchsbestätigungen liegen nicht vor. Der BF stellte seine Deutschkenntnisse bei der Einvernahme vor dem BFA, die ohne Dolmetscher durchgeführt werden konnte, unter Beweis.
Aus den Einvernahmen des Halbbruders, der Onkel und mehrerer Freunde des BF ergibt sich, dass dieser in regelmäßigem Kontakt zu seinen in Österreich lebenden Verwandten steht und hier auch Freundschaften geknüpft hat. Die vom BF angegebene finanzielle Unterstützung durch seine Angehörigen wird durch die Angaben dieser Zeugen und die vorgelegte Haftungserklärung seines Onkels vom 29.04.2016 untermauert. Anhaltspunkte für eine aktuell vom BF ausgeübte Erwerbstätigkeit oder eine Krankenversicherung sind nicht aktenkundig. Sein Beitritt zu einem albanischen Kulturverein in XXXX wird durch die vorgelegte Einziehungsermächtigung vom 25.04.2016 nachgewiesen.
Das Verfahren hat keine Anhaltspunkte für gesundheitliche Probleme des BF oder Einschränkungen seiner Arbeitsfähigkeit ergeben. Vor dem BFA gab er im September 2016 an, gesund zu sein. Seine Arbeitsfähigkeit folgt insbesondere aus der beabsichtigten Erwerbstätigkeit und seinem berufsfähigen Alter. Aus dem Strafregister ergibt sich seine strafgerichtliche Unbescholtenheit in Österreich; Anhaltspunkte für strafgerichtliche Verurteilungen in anderen Staaten liegen nicht vor.
Der BF bezeichnete sich bei der Einvernahme vor dem BFA als ledig. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass er seither eine Ehe eingegangen ist, zumal die Mutter seiner Tochter nach dem Bericht der LandespolizeidirektionXXXX vom 05.07.2019 und dem Bescheid vom 29.05.2019 mit jemandem anderen verheiratet ist. Die Feststellungen zu XXXX und XXXX basieren auf diesen beiden Beweismitteln. Da beide laut ZMR seit Juli 2019 nicht mehr im Bundesgebiet gemeldet sind, ist davon auszugehen, dass sie es (wie der BF) in der Zwischenzeit verlassen haben.
Rechtliche Beurteilung:
Der BF ist als Staatsangehöriger von Nordmazedonien Fremder iSd § 2 Abs 4 Z 1 FPG und Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs 4 Z 10 FPG.
Der Aufenthalt eines Fremden in Österreich ist gemäß § 31 Abs 1a FPG nicht rechtmäßig, wenn kein Fall des § 31 Abs 1 FPG vorliegt. Gemäß § 31 Abs 1 Z 1 FPG halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während ihres Aufenthalts Befristungen und Bedingungen des Einreisetitels, des visumfreien Aufenthalts oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer eingehalten haben. Die übrigen Fälle des rechtmäßigen Aufenthalts nach § 31 Abs 1 FPG (Aufenthaltsberechtigung nach dem NAG, Aufenthaltstitel eines anderen Vertragsstaates, asylrechtliches Aufenthaltsrecht, arbeitsrechtliche Bewilligung) kommen hier nicht in Betracht, weil keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass einer dieser Tatbestände erfüllt sein könnte.
Da der BF einen biometrischen Reisepass besitzt, ist er nach Art 4 Abs 1 iVm Anhang II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.11.2018 (Visumpflichtverordnung) von der Visumpflicht für einen Aufenthalt, der 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen nicht überschreitet, befreit. Ausgehend von seiner letzten Einreise in den Schengenraum am 04.09.2016 hatte er die erlaubte visumfreie Aufenthaltsdauer bis zu seiner Ausreise am 24.07.2019 massiv überschritten. Jedenfalls seit Anfang Dezember 2016 hielt er sich gemäß § 31 Abs 1a FPG nicht mehr rechtmäßig in Österreich auf, weil kein Fall des § 31 Abs 1 FPG vorlag.
Grundsätzlich ist ein Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG gemäß § 21 Abs 1 NAG stets im Ausland bei der zuständigen österreichischen Berufsvertretungsbehörde zu stellen und die Entscheidung darüber im Ausland abzuwarten. Auch wenn es davon diverse Ausnahmen gibt (siehe § 21 Abs 2 und 3 NAG) gibt, schafft sogar eine zulässige Inlandsantragstellung kein über den erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalt hinausgehendes Bleiberecht, steht der Erlassung und Durchführung von Maßnahmen nach dem FPG nicht entgegen und kann daher in Verfahren nach dem FPG keine aufschiebende Wirkung entfalten (vgl. § 21 Abs 6 NAG). Der BF hätte daher nach dem Ablauf der zulässigen visumfreien Aufenthaltsdauer trotz der anhängigen Verfahren über seine Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG jedenfalls aus dem Schengenraum ausreisen müssen, um die Entscheidung über die beantragten Aufenthaltstitel im Ausland abzuwarten.
Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids (Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG):
Es liegen keine Umstände vor, die dazu führen, dass dem BF allenfalls von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG ("Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz") zu erteilen gewesen wäre, weil sein Aufenthalt nie geduldet iSd § 46a FPG war und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass er Zeuge oder Opfer strafbarer Handlungen oder Opfer von Gewalt wurde.
Gemäß § 58 Abs 1 Z 5 AsylG ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG von Amts wegen zu prüfen, wenn sich ein Fremder nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des sechsten Hauptstücks des FPG ("Zurückweisung, Transitsicherung, Zurückschiebung und Durchbeförderung"; §§ 41 ff FPG) fällt. Im Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG hält sich der BF nicht mehr im Bundesgebiet auf, weshalb die Voraussetzung für die amtswegige Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG weggefallen ist. Die in Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ausgesprochene Nichterteilung einer solchen Aufenthaltsberechtigung hat daher zu entfallen (siehe VwGH 21.12.2017, Ra 2017/21/0234 Rz 23).
Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids (Rückkehrentscheidung):
Gemäß § 52 Abs 1 FPG hat das BFA gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält (Z 1) oder nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde (Z 2).
Eine Rückkehrentscheidung, die in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingreift, ist zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist (§ 9 Abs 1 BFA-VG). Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob dieser rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9) zu berücksichtigen.
Gemäß § 9 Abs 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.
In Anwendung dieser Grundsätze ist hier zu berücksichtigen, dass sich der BF im Rahmen des visumfreien Aufenthalts maximal 90 Tage in 180 Tagen im Schengenraum aufhalten und hier keiner Erwerbstätigkeit nachgehen durfte. Da er diesen Zeitraum massiv überschritt und zeitweise einer Beschäftigung nachging, die er nach dem AuslBG nicht ausüben hätte dürfen, war sein Inlandsaufenthalt überwiegend nicht rechtmäßig. Die Rückkehrentscheidung wurde im angefochtenen Bescheid daher zutreffend auf § 52 Abs 1 Z 1 FPG gestützt.
Nun ist allerdings zu berücksichtigen, dass der BF am 24.07.2019 in seinen Herkunftsstaat zurückkehrte. Im Fall einer während des Beschwerdeverfahrens erfolgten Ausreise ist der Fall erstmals unter dem Blickwinkel des § 52 Abs 1 Z 2 FPG zu beurteilen und allenfalls die Beschwerde mit Bezugnahme auf diese Bestimmung abzuweisen, zumal eine Erstreckung der Anordnung des § 21 Abs 5 BFA-VG auf Entscheidungen über Beschwerden gegen eine Rückkehrentscheidung (jedenfalls nach § 52 Abs 1 FPG) nicht in Frage kommt (VwGH 21.12.2017, Ra 2017/21/0234 Rz 12 und 21). Seit der freiwilligen Ausreise des BF findet die Rückkehrentscheidung daher in § 52 Abs 1 Z 2 FPG ihre weitere Rechtsgrundlage, zumal das Rückkehrentscheidungsverfahren schon vor der Ausreise und daher jedenfalls vor Ablauf der in § 52 Abs 1 Z 2 FPG vorgesehenen Frist (sechs Wochen ab Ausreise) eingeleitet wurde.
Bei der Beurteilung der Frage, ob die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme aus dem Blickwinkel des § 9 BFA-VG iVm Art 8 EMRK zulässig ist, ist eine gewichtende Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit dem Interesse des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich vorzunehmen.
Auch wenn das persönliche Interesse am Verbleib in Österreich grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zunimmt, so ist die bloße Aufenthaltsdauer nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles vor allem zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären und sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 15.12.2015, Ra 2015/19/0247).
Da die Tochter des BF und ihre Mutter in Österreich nicht aufenthaltsberechtigt waren und sich auch nicht mehr hier aufhalten, ist mit der Rückkehrentscheidung kein unverhältnismäßiger Eingriff in sein Familienleben verbunden. Außerdem entstand das Familienleben des BF zu einer Zeit, zu der sich die Beteiligten seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, zumal er nie eine über die visumfreie Aufenthaltsdauer hinausgehende Aufenthaltsgenehmigung in Österreich hatte und ihm dies - insbesondere aufgrund der aufenthaltsrechtlichen Verfahren - zweifellos bekannt war.
Der BF hat Verwandte außerhalb seiner Kernfamilie und einen Freundeskreis im Bundesgebiet. Zu seinen Gunsten sind außerdem seine Deutschkenntnisse und die Einstellungszusage zu berücksichtigen, wenngleich keine Selbsterhaltungsfähigkeit vorlag. Das Engagement bei einem albanischen Kulturverein wirkt sich dagegen nicht signifikant auf den Grad der in Österreich erlangten Integration aus. Der BF kann den Kontakt zu seinen in Österreich lebenden Bezugspersonen auch nach der Rückkehr nach Nordmazedonien über diverse Kommunikationsmittel (Telefon, Internet etc.) und bei wechselseitigen Besuchen pflegen; seine Angehörigen können ihn auch dort weiterhin finanziell unterstützen.
Der BF hat auch noch starke Bindungen an seinen Heimatstaat, wo er einen großen Teil seines Lebens, insbesondere die prägenden Jahre der Kindheit und Jugend, verbrachte. Er ist mit den dortigen Gepflogenheiten vertraut und hat familiäre Anknüpfungen, auch wenn man dem Beschwerdevorbringen, er könne wegen Drohungen seines psychisch kranken Vaters nicht in sein Elternhaus zurückkehren, folgt. Da er ein erwachsener, gesunder Mann mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung ist, wird es ihm möglich sein, sich nach der Rückkehr nach Nordmazedonien dort (auch unabhängig von seiner Herkunftsfamilie) eine Existenzgrundlage zu schaffen.
Die strafrechtliche Unbescholtenheit des BF vermag weder sein Interesse an einem längerfristigen Verbleib in Österreich zu verstärken noch das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung abzuschwächen (vgl. VwGH 19.04.2012, 2011/18/0253). Aufgrund der unerlaubten Erwerbstätigkeit und des unrechtmäßigen Aufenthalts sind ihm Verstöße gegen die öffentliche Ordnung iSd § 9 Abs 2 Z 7 BFA-VG anzulasten. Den Behörden zurechenbare überlange Verfahrensverzögerungen liegen nicht vor.
In einer Gesamtbetrachtung ergibt sich bei der nach § 9 BFA-VG iVm Art 8 Abs 2 EMRK vorzunehmenden Interessenabwägung, dass die familiären oder privaten Bindungen des BF in Österreich das öffentliche Interesse an der Beendigung seines unrechtmäßigen Aufenthalts nicht überwiegen, zumal der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch geordnete Abwicklung des Fremdenwesens ein hoher Stellenwert zukommt und das durch eine gewisse soziale Integration erworbene Interesse des BF an einem Verbleib in Österreich in seinem Gewicht dadurch gemindert ist, dass er keine Veranlassung hatte, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt auszugehen (siehe VwGH 02.09.2019, Ra 2019/20/0407). Das BFA ging somit im Ergebnis zu Recht davon aus, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts des BF im Bundesgebiet schwerer wiegt als sein gegenläufiges persönliches Interesse und daher Art 8 EMRK durch die Rückkehrentscheidung nicht verletzt wird. Es sind keine Anhaltspunkte für eine (vorübergehende oder dauerhafte) Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung hervorgekommen.
Da die Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorliegen, ist die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids nunmehr gemäß § 52 Abs 1 Z 2 FPG als unbegründet abzuweisen.
Zu Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids (Zulässigkeit der Abschiebung):
Für die gemäß § 52 Abs 9 FPG von Amts wegen gleichzeitig mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung gilt der Maßstab des § 50 FPG (siehe VwGH 05.10.2017, Ra 2017/21/0157). Demnach ist die Abschiebung unzulässig, wenn dadurch Art 2 oder Art 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK verletzt würde oder für den Betreffenden als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre (Abs 1), wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben oder die Freiheit aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Ansichten bedroht wäre (Abs 2) oder solange die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR entgegensteht (Abs 3).
Da keine dieser Voraussetzungen hier zutrifft, ist die Abschiebung des BF in seinen Herkunftsstaat zulässig. Nordmazedonien gilt als sicherer Herkunftsstaat gemäß § 19 Abs 5 Z 2 BFA-VG iVm § 1 Z 4 HStV, was für die Annahme einer grundsätzlich bestehenden staatlichen Schutzfähigkeit und -willigkeit der dortigen Behörden spricht, zumal bei der Festlegung sicherer Herkunftsstaaten insbesondere auf das Bestehen oder Fehlen von staatlicher Verfolgung, Schutz vor privater Verfolgung und Rechtsschutz gegen erlittene Menschenrechtsverletzungen Bedacht zu nehmen ist (in diesem Sinn VwGH 10.08.2017, Ra 2017/20/0153).
Der BF hat die in der Beschwerde geschilderten Probleme nicht zum Anlass genommen, internationalen Schutz zu beantragen. In Anbetracht der vorrangigen Funktion der Feststellung nach § 52 Abs 9 FPG, (lediglich) den Zielstaat der Abschiebung festzulegen, ist es nicht Aufgabe des BFA oder des BVwG, im Verfahren zur Erlassung einer fremdenpolizeilichen Maßnahme letztlich ein Verfahren durchzuführen, das der Sache nach einem Verfahren über einen Antrag auf internationalen Schutz gleichkommt (VwGH 07.03.2019, Ra 2019/21/0044).
Konkrete Gründe für die Unzulässigkeit der Abschiebung gehen weder aus dem Akteninhalt noch aus dem Vorbringen des BF hervor. Unter Berücksichtigung der stabilen Situation in Nordmazedonien sowie der Lebensumstände des gesunden und arbeitsfähigen BF ist Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids nicht zu beanstanden.
Zu Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids (Frist für die freiwillige Ausreise):
Zugleich mit einer Rückkehrentscheidung wird gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt, die grundsätzlich 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheids beträgt, wenn nicht der Betroffene besondere Umstände nachweist, die eine längere Frist erforderlich machen.
Da hier keine besonderen Umstände nachgewiesen wurden, die bei der Ausreise des BF zu berücksichtigen wären, beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs 2 FPG 14 Tage. Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids ist vor diesem gesetzlichen Hintergrund nicht korrekturbedürftig.
Eine (ohnedies nicht beantragte) Beschwerdeverhandlung entfällt gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint und die mündliche Erörterung keine weitere Klärung der Rechtssache erwarten lässt, zumal das Gericht ohnehin von der Richtigkeit der in der Beschwerde aufgestellten Tatsachenbehauptungen des BF ausgeht.
Die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung ist im Allgemeinen nicht revisibel (VwGH 10.07.2019, Ra 2019/19/0186). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.
Schlagworte
Interessenabwägung, öffentliche Interessen, Resozialisierung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:G314.2205711.1.00Zuletzt aktualisiert am
17.02.2020