Entscheidungsdatum
13.11.2019Norm
AsylG 2005 §55 Abs1Spruch
G310 1266629-4/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Gaby WALTNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geb. am XXXX, StA.: Kosovo, vertreten durch RA Mag. Andreas LEPSCHI in 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.10.2017, Zahl XXXX, zu Recht erkannt:
A) Der Beschwerde wird stattgegeben und festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist.
Dem Beschwerdeführer wird gemäß §§ 58 Abs. 2 iVm. 55 Abs. 1 AsylG, der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) stellte am 07.12.2004 erstmals einen Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (AsylG 1997), worin er vorbrachte, von Privatpersonen im Kosovo bedroht worden zu sein. Über diesen Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 18.11.2005 negativ entschieden.
Mit Bescheid vom 22.12.2008 wurde gegen den BF, aufgrund der strafrechtlichen Verurteilung des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX, GZ: XXXX, ein Aufenthaltsverbot erlassen, welches nach eingebrachter Berufung mit Entscheidung der SID XXXX vom 08.10.2010 in vollem Umfang bestätigt wurde.
Am 09.09.2011 stellte der BF im Stande der Strafhaft einen Folgeantrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 24.09.2011 sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erneut abgewiesen, der BF aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen und einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt wurde.
Mit am 05.10.2011 eingebrachtem Schriftsatz, erhob der BF Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesasylamtes an das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG), welches mit Erkenntnis vom 20.05.2014 die Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. als unbegründet abwies und gem. § 75 Abs. 20 AsylG das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesasylamt zurückwies.
Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 13.08.2015 wurde der BF über die beabsichtigte Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Kenntnis gesetzt und zur diesbezüglichen Stellungnahme binnen 14 Tagen ab Erhalt des Schreibens aufgefordert.
Mit dem am 07.09.2015 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) eingelangten und mit demselben Tag datierten Schriftsatz, sowie mit Eingabe vom 02.05.2016 und 29.05.2017 erstattete der BF Stellungnahme und Urkundenvorlage.
Am 30.08.2017 fand eine niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem BFA statt.
Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des BFA, dem BF zugestellt am 05.10.2017, wurde diesem ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den BF einen Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in den Kosovo gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist von 14 Tagen für eine freiwillige Ausreise festgesetzt (Spruchpunkt III.).
Dagegen richtet sich die wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde mit den Anträgen, eine mündliche Verhandlung unter Einvernahme der Ehegatten durchzuführen, den bekämpften Bescheid in allen Spruchpunkten zu beheben und einen Aufenthaltstitel nach §§ 57, wahlweise 55 AsylG zu erteilen, sowie die dauerhafte Unzulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung und die Unzulässigkeit der Abschiebung festzustellen, in eventu den bekämpften Bescheid zu beheben und zur Verfahrensergänzung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem BVwG vom BFA vorgelegt, wo sie am 24.10.2017 einlangten.
Am 12.07.2018 erstattete der BF durch seinen RV erneut Stellungnahme und legte einen arbeitsrechtlichen Vorvertrag, wonach der BF ab Erteilung eines Visums als Facharbeiter Vollzeit eingestellt werde und weitere Unterstützungserklärungen vor.
Feststellungen:
Der BF führt die im Spruch angegebene Identität, ist Staatsangehöriger der Republik Kosovo, Angehöriger der Volksgruppe der Albaner und des moslemischen Glaubens. Die Muttersprache des BF ist Albanisch und verfügt der BF über Deutschsprachkenntnisse auf zumindest dem Niveau A2.
Er ist leiblicher Vater des XXXX, geb. XXXX, StA: Österreich, mit dem er nicht im selben Haushalt lebt. Es besteht jedoch regelmäßiger Kontakt zu diesem.
Der BF ist mit der österreichischen Staatsbürgerin XXXX, geb. XXXX, seit XXXX.01.2012 verheiratet und lebt mit dieser und ihrem minderjährigen Sohn im gemeinsamen Haushalt, einer Mietwohnung in XXXX Wien. Der BF pflegt eine innige und freundschaftliche Beziehung zu seinem Stiefsohn.
Der BF reiste erstmalig Ende 2004 und erneut am XXXX.12.2006, nach freiwilliger Rückkehr in den Kosovo am XXXX.04.2006, in das österreichische Bundesgebiet ein.
Der BF hält sich seit XXXX.01.2005 beinahe durchgehend im Bundesgebiet auf und weist beginnend mit XXXX.01.2005, abgesehen von einer Meldelücke zwischen 24.08.2009 und 23.11.2010, eine durchgehende Wohnsitzmeldung in Österreich auf.
Der BF stellte mehrere Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels wobei die Anträge vom 15.07.2006 und 15.09.2008 abgewiesen wurden, er jedoch in der Zeit von 17.11.2006 bis 17.09.2008 über einen Aufenthaltstitel als Familienangehöriger nach dem NAG verfügte.
Der BF ging in den Jahren 2007, 2008 und 2009 verschiedenen Erwerbstätigkeiten als Arbeiter bzw. geringfügig beschäftigter Arbeiter im Bundesgebiet nach. Dabei war er innerhalb folgender Zeitspannen erwerbstätig: 26.02.2007-27.4.2007 (Arbeiter), 23.05.2007-29.08.2007 (Arbeiter), 04.09.2007-30.09.2007 (Arbeiter), 15.10.2007-07.04.2008 (Arbeiter), 14.11.2007-19.03.2008 (geringfügige Beschäftigung), 21.04.2008-16.05.2008 (geringfügige Beschäftigung), 01.05.2009-22.05.2009 (geringfügige Beschäftigung) und 24.07.2009-10.09.2009 (Arbeiter).
Der BF verfügt über eine Einstellungszusage als Facharbeiter für eine monatliche Brutto-Entlohnung von € 2.300,00, für den Fall des Erhalts der notwendigen fremdenrechtlichen Berechtigungen.
Die Ehegattin des BF ist derzeit erwerbslos und war zuletzt von 08.04.2013 bis 22.04.2013 als Angestellte erwerbstätig. Seitdem bezog sie Kranken-, Reha- und Arbeitslosengeld, sowie Notstand- und Überbrückungshilfe.
Der BF lebt mit seiner Ehefrau in einer privaten Unterkunft, bezieht seit der Antragstellung bis dato Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber in Form von Bekleidungshilfe, Verpflegung und Krankenversicherung und ist seit seiner letzten Beschäftigung 2009 nicht wieder erwerbstätig.
Der BF weist zwei strafrechtliche Vorverurteilungen jeweils durch das LG für Strafsachen XXXX auf, wobei er mit rechtskräftigem Urteil vom XXXX.09.2008, Zl. XXXX, gemäß §§ 144 Abs. 1, 145 Abs. 1 Z 1 9. Fall und 144 Abs. 1 Z 1 5. und 9. Fall und 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB wegen der Verbrechen der schweren Erpressung und der versuchten schweren Erpressung sowie des Vergehens der schweren Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, davon 16 Monate unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt, sowie mit rechtskräftigem Urteil vom XXXX.06.2011, Zl. XXXX, gemäß §§ 127, 130 1. Fall, 241e Abs. 3, 229 Abs. 1, 223 Abs. 2 StGB wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls und der Vergehen der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel, der Urkundenunterdrückung und der Urkundenfälschen, zu einer Freiheitsstrafe von 16 Monaten verurteilt wurde. Mit Urteil des LG für Strafsachen XXXX vom XXXX.06.2011, Zl. XXXX, wurde die Probezeit des bedingten Strafteils seiner 24-monatigen Freiheitsstrafe auf fünf Jahre verlängert und der BF mit Beschluss des LG XXXX vom XXXX.05.2012, Zl. XXXX, am XXXX.05.2012 aus seiner 16-monatigen unbedingten Freiheitsstrafe bedingt, unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren und Anordnung von Bewährungshilfe, entlassen
Der Verurteilung aus dem Jahr 2008 lag zugrunde, dass der BF mit einem Mittäter in XXXX dem Betreiber eines Lokals mit dem Tod und einer Brandstiftung bzw. der Vernichtung seiner wirtschaftlichen Existenz und dem Abfeuern von zwei Schüssen aus einer Gaspistole drohte, um ihn zur Übergabe von Geldbeträgen zu nötigen und ihn am Vermögen zu schädigen versuchten. Zudem verletzte der BF ein Opfer schwer am Körper, indem er es an der Jacke packte und ihm einen Stoß versetzte, wodurch dieses mit dem Rücken zur Tür fiel, zu Boden stürzte und Kompressionsbrüche an den Wirkbelkörpern 3 und 4 der Brustwirbelsäule, mehrere Prellungen und Hautabschürfungen erlitt. Bei der Strafzumessung wurde als mildernd der bisherige ordentliche Lebenswandel, das umfassende und reumütige Geständnis und der Umstand, dass es teilweise beim Versuch blieb; als erschwerend das Zusammentreffen von zwei Verbrechen mit einem Vergehen sowie die Tatwiederholung gewertet.
Im Zuge der Verurteilung im Jahr 2001 wurde dem BF angelastet, er habe gemeinsam mit zwei anderen Mittätern in XXXX gewerbsmäßig fremde bewegliche Sachen verschiedener Handelsgeschäfter mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern; Bankomatkarten unterdrückte; eine Sozialversicherungskarte, einen Führerschein und einen Zulassungsschein unterdrückte und eine Totalfälschung eines Fitnesscenter-Ausweises zum Nachweis seiner Identität nutzte. Bei der Strafzumessung wurde als mildernd das reumütige Geständnis und die teilweise Schadensgutmachung durch Sicherstellung und als erschwerend die einschlägige Vorstrafe und das Zusammentreffen von einem Verbrechen mit drei Vergehen gewertet.
Außer seiner Mutter, welche sich auch regelmäßig bei im Ausland lebenden Familienmitgliedern aufhält, hat der BF keine familiären Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat.
Die Republik Kosovo gilt als sicherer Herkunftsstaat.
2. Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem Inhalt der Akten des Verwaltungsverfahrens und des Gerichtsakts des BVwG.
Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt:
Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zu Identität (Namen und Geburtsdatum), Staatsangehörigkeit, Familienstand sowie Vaterschaft des BF getroffen wurden, beruhen diese auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde.
Die Albanisch-Kenntnisse des BF sind aufgrund seiner Herkunft plausibel, die Deutschkenntnisse durch das vorgelegte A2-Zertifikat vom 16.11.2007 belegt. Zudem konnten die Einvernahmen und Verhandlungen vor Gericht auf Deutsch geführt werden.
Der beinahe durchgehende Aufenthalt des BF im Bundesgebiet seit XXXX.01.2005 erschließt sich aus dem widerspruchsfrei gebliebenen Vorbringen des BF im Verfahren vor der belangten Behörde, sowie den im Zentralen Melderegister (ZMR) abgebildeten Wohnsitzmeldungen des BF. Dem Datenbestand des ZMR kann auch die gemeinsame Haushaltsführung des BF mit dessen Ehefrau und deren Sohn entnommen werden und vermochte der BF den Bestand der Mietwohnung durch die Vorlage eines Mietvertrages nachzuweisen.
Die Beziehung zu seinem leiblichen Sohn ergibt sich aus seinen glaubhaften Vorbringen und Ausführungen, jene zu seinem Stiefsohn aus einem von diesem verfassten Unterstützungsbrief.
Die Feststellungen zu den vom BF in Österreich begangenen Straftaten, zu seinen Verurteilungen und zu den Strafzumessungsgründen basieren auf den vorliegenden Strafurteilen und dem Strafregisterauszug. Die Rechtskraft der Verurteilungen, der Vollzug der Freiheitsstrafen und die Anordnung der Bewährungshilfe werden durch das Strafregister belegt, in dem keine weiteren Verurteilungen des BF aufscheinen.
Die wiederholten Antragstellungen auf Erteilung von Aufenthaltstiteln, die zweimalige Abweisung und Erteilung dieser folgen dem Datenbestand des Zentralen Fremdenregisters, sowie den im Verwaltungsakt einliegenden Bestätigungen (AS 96f Teil I).
Die Erwerbstätigkeiten des BF in Österreich sowie die Beschäftigungslosigkeit seiner Ehegattin beruhen auf dem Inhalt der auf den Namen des BF und seiner Frau lautenden Sozialversicherungsauszüge. Die Arbeitsfähigkeit und -willigkeit ergibt sich aus der vom BF vorgelegten bedingten Einstellungszusage.
Die Feststellung, dass der Kosovo als sicherer Herkunftsstaat gilt, beruht zudem auf § 1 Z 4 Herkunftsstaatenverordnung. Offene Kampfhandlungen oder bürgerkriegsähnliche Zustände finden im Kosovo nicht statt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
Zur Rückkehrentscheidung:
Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid eine Rückkehrentscheidung erlassen und diese auf § 52 Abs. 2 Z 2 FPG gestützt, sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Herkunftsstaat festgestellt.
Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das BFA gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das BFA gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.
Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist (§ 9 Abs. 1 BFA-VG). Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (§ 9 Abs. 2 BFA-VG).
Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
§ 58 AsylG regelt das Verfahren zur Erteilung von Aufenthaltstiteln gemäß §§ 55 ff AsylG. Laut § 58 Abs. 2 AsylG ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.
Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist (Z 1) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 ASVG) erreicht wird (Z 2). Liegt nur die Voraussetzung des § 55 Abs. 1 Z 1 AsylG vor, ist gemäß § 55 Abs. 2 AsylG eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.
Gemäß § 9 Abs. 4 Integrationsgesetz (IntG) ist das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 IntG (Z 1) oder einen gleichwertigen Nachweis (Z 2) vorlegt, über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 UG oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht (Z 3), einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte" gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 NAG besitzt (Z 4) oder als Inhaber eines Aufenthaltstitels "Niederlassungsbewilligung - Künstler" gemäß § 43a NAG eine künstlerische Tätigkeit in einer der unter § 2 Abs. 1 Z 1 bis 3 Kunstförderungsgesetz genannten Kunstsparte ausübt (Z 5). Mit der Integrationsprüfung gemäß § 11 IntG ist festzustellen, ob ein Drittstaatsangehöriger über vertiefte elementare Kenntnisse der deutschen Sprache zur Kommunikation und zum Lesen und Schreiben von Texten des Alltags auf dem Sprachniveau A2 gemäß dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen und über Kenntnisse der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung der Republik Österreich verfügt.
Eine "Aufenthaltsberechtigung plus" berechtigt gemäß § 54 Abs. 1 Z 1 AsylG zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 17 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG). Eine "Aufenthaltsberechtigung" berechtigt gemäß § 54 Abs. 1 Z 2 AsylG zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist.
Gemäß § 31 Abs. 1 FPG halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthaltes im Bundesgebiet die Befristung oder Bedingungen des Einreisetitels oder des visumfreien Aufenthaltes oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben (Z 1), oder sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder eine Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder aufgrund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind (Z 2).
Gemäß § 13 AsylG ist ein Asylwerber, dessen Asylverfahren zugelassen ist, bis zur Erlassung einer durchsetzbaren Entscheidung, bis zur Einstellung oder Gegenstandslosigkeit des Verfahrens oder bis zum Entzug des Aufenthaltsrechts (§ 62 Abs. 1 FPG) zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt.
Die Anwendung dieser Rechtslage auf den hier maßgeblichen Sachverhalt ergibt Folgendes:
Der BF ist als Staatsangehöriger des Kosovo Fremder iSd § 2 Abs. 4 Z 1 FPG und Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs. 4 Z 10 FPG.
Der Aufenthalt des BF war aufgrund seiner Asylantragsstellung bis zur rechtskräftig negativen Entscheidung, bzw. aufgrund seines Aufenthaltstitel nach dem NAG als Familienangehöriger rechtmäßig. Seit Ablauf seines Aufenthaltstitels nach dem NAG und negativer Entscheidung seines Folgeantrages, erweist sich der aktuelle Aufenthalt des BF als durchgehend unrechtmäßig.
Das BFA ist somit im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen ist, dass sich der BF zum Zeitpunkt der Erlassung der Rückkehrentscheidung unrechtmäßig in Österreich aufgehalten hat. Das BFA hat im angefochtenen Bescheid die Rückkehrentscheidung daher zutreffend auf § 52 Abs. 2 Z 2 FPG gestützt.
Bei der Beurteilung der Frage, ob die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme aus dem Blickwinkel des § 9 BFA-VG iVm. Art. 8 EMRK zulässig ist, ist weiters eine gewichtende Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit dem Interesse des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich vorzunehmen.
Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihres Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit ein Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden ist regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden etwa Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen. Diese Rechtsprechung zu Art. 8 MRK ist auch für die Erteilung von Aufenthaltstiteln relevant (vgl. E 26. Februar 2015, Ra 2015/22/0025; E 19. November 2014, 2013/22/0270). Im Fall, dass ein insgesamt mehr als zehnjähriger Inlandsaufenthalt für einige Monate unterbrochen war, legte der VwGH seine Judikatur zum regelmäßigen Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt des Fremden zugrunde (vgl. E 26. März 2015,
Ra 2014/22/0078 bis 0082). (Vgl. VwGH 08.11.2018, Ra 2016/22/0120).
Der BF hält sich über 14 Jahren beinahe durchgehend im Bundesgebiet auf. Wenn er davon auch nur zwei Jahre über einen Aufenthaltstitel in Österreich verfügte, ist verfahrensgegenständlich zu erkennen, dass dieser die Zeit zur Integration genutzt hat. So hat er sich bereits im Jahr 2007 Deutschkenntnisse des Niveaus "A2" angeeignet und ging während seines rechtmäßigen Aufenthaltes einer Erwerbstätigkeit nach. Der BF ist zwar derzeit noch von der Grundversorgung abhängig, hat aber eine bedingte Einstellungszusage und spricht sehr gut Deutsch.
Der Aufenthalt des BF erweist sich zwar als überwiegend unrechtmäßig, jedoch kommt den seinerseits während dieser Zeit getätigten Integrationsbemühungen dennoch maßgeblich Bedeutung zu (vgl. VwGH 03.03.2008, 2006/18/0469: "Auf Grund der Unrechtmäßigkeit des Aufenthalts wird die aus der Aufenthaltsdauer ableitbare Integration in ihrem Gewicht zwar stark gemindert, kann aber nicht zur Gänze unberücksichtigt bleiben.").
Das Gericht verkennt keinesfalls, dass der Beachtung fremdenrechtlicher, die Einreise und den Aufenthalt von Fremden in Österreich regelnden Normen sowie an der Beendigung unrechtmäßiger Aufenthalte im Bundesgebiet (vgl. VwGH 09.03.2003, 2002/18/0293) große Bedeutung zukommt, der BF weiterhin über Bezugspunkte im Herkunftsstaat, wo er auch den Großteil seines Lebens verbracht hat, aufweist, und er sich letztlich seit September 2011 unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Zudem ist dem BF seine zweimalige strafrechtliche Delinquenz anzulasten, die auch zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes geführt hat. Der BF hat sich jedoch seit seiner Entlassung 2012 wohlverhalten und sich auch intensiv mit seiner Tat auseinandergesetzt.
Selbst unter Berücksichtigung der überwiegenden Rechtswidrigkeit des Aufenthaltes des BF in Österreich und seiner strafrechtlichen Delinquenz überwiegt nach Abwägung der sich widerstreitenden Interessen im konkreten Fall das Interesse des BF an einem Verbleib in Bundesgebiet das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung.
Der BF verfügt über die oben festgestellten privaten und familiären Anknüpfungspunkte durch seine Ehefrau, seinen leiblichen und seinen Stiefsohn.
Der BF begründete das Privat- bzw. Familienleben zu einem Zeitpunkt, als der Aufenthalt durch die Stellung eines unbegründeten Asylantrages vorübergehend legalisiert wurde. Der BF lebt mit seiner Ehefrau und seinem Stiefsohn seit 2012 im gemeinsamen Haushalt und weist zu diesem, wie auch zu seinem leiblichen Sohn, eine intensive Bindung auf, weswegen von einem schützenswerten Familienleben auszugehen ist.
Die Anordnung einer Rückkehrentscheidung würde sohin eine Verletzung der Rechte des BF nach Art. 8 EMRK nach sich ziehen, und erweist sich eine solche sohin aufgrund des nicht nur vorübergehenden Wesens der dieser Verletzung zugrundeliegenden Umstände, als iSd. § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig.
Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 sind im Falle des BF in Folge des Ausspruches der dauerhaften Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung gegeben.
Angesichts des korrekten Beleges von Sprachkenntnissen des Niveaus "A2" und der damit einhergehenden Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 81 Abs. 36 NAG iVm. §§ 14 und 14a NAG idF. BGBl. I Nr. 38/2011 iVm. § 7 Abs. 1 IV-V idF BGBl. II Nr. 205/2011, war der Beschwerde stattzugeben und spruchgemäß festzustellen, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig und dem BF ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 Abs. 1 iVm. § 58 Abs. 2 AsylG "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von 12 Monaten zu erteilen ist.
Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil sich das BVwG an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs. 4 B-VG zu lösen war.
Schlagworte
Aufenthaltsberechtigung plus, Deutschkenntnisse, Integration,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:G310.1266629.4.00Zuletzt aktualisiert am
17.02.2020