TE Lvwg Erkenntnis 2020/1/30 LVwG 40.38-2310/2019

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Veröffentlicht am 30.01.2020
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Entscheidungsdatum

30.01.2020

Index

40/01 Verwaltungsverfahren
L82006 Bauordnung Steiermark

Norm

BauG Stmk 1995 §41 Abs6
BauG Stmk 1995 §41 Abs3
AVG §69 Abs3
AVG §69 Abs1 Z2

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hat durch den Richter Mag. Bernhard Peter Lindner über die Beschwerde des Herrn Dr. C D, vertreten durch Dr. E F, Mag. G H, Rechtsanwälte, Kgasse, G, gegen den Bescheid des Stadtsenates der Stadt Graz vom 31.07.2019, GZ: A17-BPV-062812/2017/0011,

z u R e c h t e r k a n n t:

I.     Gemäß § 28 Abs 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (im Folgenden VwGVG) wird der Beschwerde

stattgegeben

und der Bescheid vom 31.07.2019, GZ. A17-BPV-062812/2017/0011 behoben und der Wiederaufnahmeantrag vom 27.10.2018 abgewiesen.

II.    Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz (im Folgenden VwGG) eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs 4 B-VG unzulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.     Beschwerdegegenstand, Verfahrensgang:

1. Beschwerdegegenstand

Mit Bescheid des Stadtsenates der Stadt Graz (im Folgenden belangte Behörde) vom 31.07.2019 wurde dem Antrag des Dr. A B (im Folgenden Wiederaufnahmewerber) vom 27.10.2018 auf Wiederaufnahme des baupolizeilichen Verfahrens stattgegeben und das Verfahren bei der belangten Behörde wiederaufgenommen. Gleichermaßen wurde das Verfahren von Amts wegen wiederaufgenommen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die fristgerechte Beschwerde des Herrn Dr. C D (im Folgenden Beschwerdeführer) und führt dieser im Wesentlichen folgende Beschwerdepunkte ins Treffen:

?   Der seinerzeitige Grundstücksgrenzabstand würde nicht 36 m, sondern etwa 29,86 m betragen, was irrelevant sei. Es sei eine Wärmeisolierung angebracht worden, welche für die Abstandsvorschriften irrelevant sei.

?   Am Abstand zwischen Gebäude und Grundstück würde sich durch die geringfügige Verschiebung des Gebäudes nichts ändern.

?   Die Vermessung der I GmbH sei, was die Lage des Gebäudes in Nordsüdausrichtung betrifft, unrichtig.

Demnach wird beantragt, das Landesverwaltungsgericht Steiermark möge eine mündliche Verhandlung durchführen, den Wiederaufnahmeantrag abweisen, in eventu die Angelegenheit zur Erlassung eines neuerlichen Bescheides zurückverweisen.

2. Verfahrensgang

Am 05.12.2019 wurde eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt.

Im Zuge dieser Verhandlung wurde der Beschwerde stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Von Seiten der belangten Behörde wurde fristgerecht der Antrag gestellt, die mündlich verkündete Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark schriftlich auszufertigen.

II.    Feststellungen

Auf Grundlage des dem Landesverwaltungsgericht Steiermark mit Eingabe vom 20.09.2019 vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde sowie der geführten Ermittlungsschritte des erkennenden Gerichts, geht das Landesverwaltungsgericht Steiermark von nachstehenden entscheidungsrelevanten Feststellungen aus:

Mit Antrag vom 22.08.2017 beantragte der nunmehrige Wiederaufnahmewerber gemäß § 41 Abs 6 Steiermärkisches Baugesetz die Beseitigung der auf dem Grundstück xx, KG X befindlichen baulichen Anlage, zumal der Grenzabstand nicht eingehalten würde (Beweis: Antrag vom 22.08.2017).

Der Antrag des Wiederaufnahmewerbers auf Erlassung eines Beseitigungsauftrages hinsichtlich des auf dem Grundstück Nr. xx befindlichen Wohnhauses wurde mit Bescheid vom 21.03.2018 abgewiesen (Beweis: Bescheid vom 21.03.2018, GZ: A17-BPV-062812/2017/0005).

Die belangte Behörde hat die Prüfung, ob die bewilligungspflichtige bauliche Anlage (Wohnhaus) der erteilten Bewilligung entspricht, zumindest fahrlässig unterlassen. (Beweis: E-Mail an den Wiederaufnahmewerber vom 11.10.2017, in welchem angeführt ist, dass die Situierung des Hauses auf Übereinstimmung mit der Bewilligung geprüft wird; Antrag an das Stadtvermessungsamt vom 11.10.2017).

Aus der Aktenlage ist nicht ersichtlich, wieso von der Einholung des Vermessungsgutachtens abgesehen wurde (Beweis: Aktenlage).

Der Wiederaufnahmewerber hat aufgrund von Zweifel am korrekten Ermittlungsverfahren der Behörde ein Vermessungsgutachten in Auftrag gegeben und ist nicht mittels Beschwerde gegen den abweisenden Bescheid vorgegangen (Beweis: Angaben des Beschwerdeführers in der öffentlichen mündlichen Verhandlung sowie im Wiederaufnahmeantrag vom 27.10.2018, Seite 2, letzter Absatz).

Der Wiederaufnahmewerber hat zumindest leicht fahrlässig das gegenständliche Gutachten nicht eingeholt und hat auch nicht die entsprechenden Beweisanträge gestellt, insbesondere ist er nicht mit Beschwerde gegen die unterlassenen Ermittlungsschritte vorgegangen.

III.   Beweiswürdigung

Diese Feststellungen gründen sich in erster Linie auf den vorliegenden Verwaltungsakt der Verwaltungsbehörde, den im Klammerausdruck angeführten Beweismittel sowie den Ausführungen des Wiederaufnahmewerbers in der durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung am 05.12.2019.

Insbesondere wurden vom Wiederaufnahmewerber schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass er an der Ermittlungstätigkeit der belangten Behörde Zweifel hatte und gerade aus diesem Grund das Gutachten in Auftrag gegeben hat. Von der Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde wurde in der Rechtsmittelbelehrung hingewiesen und wurde auch von Seiten des aufgesuchten Rechtsanwaltes auf diese Möglichkeit hingewiesen.

IV.    Erwägungen

In Subsumtion dieses Sachverhaltes unter die nachstehenden Normen, hat das Landesverwaltungsgericht Steiermark im Verwaltungsgegenstand erwogen wie folgt:

1. Allgemeines

Art. 131 Abs 1 B-VG bestimmt, dass soweit sich aus Abs 2 und 3 dieser Bestimmung nichts anderes ergibt, über Beschwerden nach Art. 130 Abs 1 B-VG die Verwaltungsgerichte der Länder entscheiden.

Entsprechend der Bestimmung des Art. 130 Abs 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Das Verwaltungsgericht hat somit in Anwendung der Bestimmungen der
§§ 17 ff VwGVG über die Beschwerde zu erkennen.

2. Die für die Entscheidung maßgeblichen Bestimmungen

Die entscheidungsrelevanten Normen des Steiermärkischen Baugesetzes 1995 (im Folgenden Stmk. BauG) lauten wie folgt:

§ 41 Stmk. BauG

„(1) Die Behörde hat die Baueinstellung zu verfügen, wenn Vorhaben gegen Bestimmungen dieses Gesetzes verstoßen, insbesondere wenn

      1. bewilligungspflichtige Vorhaben ohne Bewilligung,

      2. anzeigepflichtige Vorhaben ohne Genehmigung im Sinne des § 33 Abs. 6 oder

      3. baubewilligungsfreie Vorhaben nicht im Sinne dieses Gesetzes

ausgeführt werden.

(2) Werden unzulässige Bauarbeiten trotz verfügter Baueinstellung fortgesetzt, kann die Baubehörde die Baustelle versiegeln oder absperren und die auf der Baustelle vorhandenen Baustoffe, Bauteile, Geräte, Maschinen und Bauhilfsmittel in amtlichen Gewahrsam bringen.

(3) Die Behörde hat hinsichtlich vorschriftswidriger baulicher Anlagen oder sonstiger Maßnahmen einen Beseitigungsauftrag zu erlassen. Der Auftrag ist ungeachtet eines Antrages auf nachträgliche Erteilung einer Baubewilligung oder einer Anzeige gemäß § 33 Abs. 1 zu erteilen.

(4) Die Behörde hat die Unterlassung der vorschriftswidrigen Nutzung aufzutragen, wenn eine bewilligungspflichtige Änderung des Verwendungszweckes von baulichen Anlagen oder Teilen derselben ohne Bewilligung vorgenommen wurde; Abs. 3 zweiter Satz gilt sinngemäß.

(5) Rechtsmittel gegen Bescheide nach Abs. 1 und 4 haben keine aufschiebende Wirkung.

(6) Den Nachbarn steht das Recht auf Erlassung eines baupolizeilichen Auftrages zu, wenn die Bauarbeiten, die baulichen Anlagen oder sonstigen Maßnahmen im Sinne der Abs. 1, 3 und 4 ihre Rechte (§ 26 Abs. 1) verletzen.“

Die entscheidungsrelevanten Normen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrens-gesetzes 1991 (im Folgenden AVG) lauten wie folgt:

§ 69 AVG

„(1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:

      1. der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder

      2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder

      3. der Bescheid gemäß § 38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde;

      4. nachträglich ein Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung bekannt wird, der bzw. die einer Aufhebung oder Abänderung auf Antrag einer Partei nicht unterliegt und die im Verfahren die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte.

(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Bescheides und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.

(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.

(4) Die Entscheidung über die Wiederaufnahme steht der Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat.“

§ 70 AVG

„(1) In dem die Wiederaufnahme bewilligenden oder verfügenden Bescheid ist, sofern nicht schon auf Grund der vorliegenden Akten ein neuer Bescheid erlassen werden kann, auszusprechen, inwieweit und in welcher Instanz das Verfahren wieder aufzunehmen ist.

(2) Frühere Erhebungen und Beweisaufnahmen, die durch die Wiederaufnahmsgründe nicht betroffen werden, sind keinesfalls zu wiederholen.“

Die entscheidungsrelevanten Normen des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (im Folgenden VwGVG) lauten wie folgt:

§ 16 Abs 1 VwGVG

„(1) Im Verfahren über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG kann die Behörde innerhalb einer Frist von bis zu drei Monaten den Bescheid erlassen. Wird der Bescheid erlassen oder wurde er vor Einleitung des Verfahrens erlassen, ist das Verfahren einzustellen.

….“

3. Zur Kognitionsbefugnis des Landesverwaltungsgerichtes

Das Verwaltungsgericht hat grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden und somit nicht nur die gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid eingebrachte Beschwerde, sondern auch die Angelegenheit zu erledigen, die von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden war (vgl. VwGH 30.06.2015, Ra 2015/03/0022).

4. Rechtliche Erwägungen

4.1. Zum Beseitigungsauftrag gemäß § 41 Abs 6 Stmk. BauG

Für die Erteilung eines baupolizeilichen Auftrages nach § 41 Abs 6 Stmk BauG 1995 sind zwei Kriterien von Bedeutung, nämlich dass Bauarbeiten, eine bauliche Anlage oder sonstige Maßnahmen im Sinne der Abs 1, 3 und 4 vorliegen und dass dadurch die Rechte des Nachbarn gemäß § 26 Abs 1 Stmk BauG 1995 verletzt werden. Unter einer baulichen Anlage im Sinne des Abs 3 ist eine vorschriftswidrige bauliche Anlage zu verstehen, was im Zusammenhalt mit Abs 1 dieser Bestimmung dahin auszulegen ist, dass diese bauliche Anlage im Falle eines bewilligungspflichtigen Vorhabens ohne Bewilligung oder im Falle eines anzeigepflichtigen Vorhabens ohne Genehmigung im Sinne des § 33 Abs 6 oder als baubewilligungsfreies Vorhaben nicht im Sinne des Stmk BauG 1995 ausgeführt wurde. Die antragsgemäße Erteilung eines baupolizeilichen Auftrages gemäß § 41 Abs 6 Stmk BauG 1995 kommt nur in Betracht, wenn beide Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. VwGH 08.09.2014, 2011/06/0185).

Unzweifelhaft handelt es sich beim gegenständlichen Wohnhaus um eine bewilligungspflichtige bauliche Anlage im Sinne des § 19 Stmk. BauG. Demzufolge hatte die belangte Behörde zu prüfen, ob in einem ersten Schritt eine Bewilligung für das Wohnhaus vorliegt (vgl. § 41 Abs 3 Stmk. BauG) und in einem zweiten Schritt galt es zu beurteilen, ob Nachbarrechte, im speziellen Abstandsvorschriften, im Sinne des § 26 Stmk. BauG verletzt werden.

Eine Baubewilligung wird für ein durch seine Größe und Lage bestimmtes Vorhaben erteilt, sodass ein Abweichen hiervon – so bei einer nicht bloß geringfügigen Verschiebung des Bauwerkes – eine neuerliche Baubewilligung erfordert. Weicht das vom Bauwerber verwirklichte Projekt von der erteilten Baubewilligung derart ab, dass von einem rechtlichen "aliud" auszugehen ist, dann ist diese Baubewilligung erloschen, weil unter dem Begriff "Baubeginn" nur eine auf die Errichtung des bewilligten Bauwerkes gerichtete bautechnische Maßnahme zu verstehen ist (vgl. VwGH 24.02.2016, Ro 2015/05/0012).

Ob für das Wohnhaus in dessen Größe und Lage eine Baubewilligung vorliegt, wurde von der belangten Behörde nicht geprüft. Diesbezüglichen Ermittlungsaufträgen wurde nicht nachgekommen.

Erst bei Beantwortung der Frage, ob eine Baubewilligung für das Wohnhaus vorliegt, kann in einem weiteren Schritt eine mögliche Grenzabstandsverletzung zu einer im Zeitpunkt der Genehmigung vorliegenden Grundgrenze geprüft werden.

Wenn die belangte Behörde in ihrer Argumentation auf eine Grenze im Zeitpunkt der vorliegenden Baubewilligung abstellt, setzt dies zwingend voraus, dass diese Bewilligung auch konsumiert wurde. Diese Prüfung hätte allenfalls nur dann unterlassen werden können, wenn sowohl im Zeitpunkt der für das Grundstück existenten Bewilligung als auch im Zeitpunkt der Prüfung der Voraussetzungen des gestellten Antrages gemäß § 41 Abs 6 Stmk. BauG eine Grenzabstandsverletzung ausgeschlossen wäre. Im Zeitpunkt der Antragstellung war jedoch eine Grenzabstandsverletzung offenkundig.

4.2. Zum Wiederaufnahmeverfahren

Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten.

Unter diesen Voraussetzungen kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden.

Gutachten von Sachverständigen, die erst nach Eintritt der Rechtskraft des Bescheides eingeholt wurden, sind nicht neu hervorgekommen, sondern neu entstanden und können damit auch nicht als neue Beweismittel Grund für eine Wiederaufnahme des Verfahrens sein (vgl. VwGH 2. 7. 2007, 2006/12/0043). Nur wenn ein Sachverständiger Tatsachen, die zur Zeit der Sachverhaltsverwirklichung bereits bestanden, erst nach Rechtskraft des Bescheides „feststellt“ oder wenn ihm solche Daten erst später zur Kenntnis kommen, können diese bzw die daraus resultierenden neuen Befundergebnisse, die sich auf die zuvor bestandenen Tatsachen beziehen, bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen – wie insbesondere des mangelnden Verschuldens (vgl VwGH 24. 9. 2003, 2003/11/0079) – als neue Tatsachen einen Grund für eine Wiederaufnahme darstellen (vgl. VwGH 25. 7. 2007, 2006/11/0147).

Im gegenständlichen Fall steht für das Landesverwaltungsgericht Steiermark fest, dass mit der Vorlage des Gutachtens DI I neue Befundergebnisse, nämlich das Vorliegen eines rechtlichen „aliuds“, aufgezeigt werden (nova reperta), welche grundsätzlich einer Wiederaufnahme des Verfahrens im Sinne des § 69 AVG zugänglich sind.

Sowohl die amtswegige Wiederaufnahme sowie auch jene durch Antrag einer Partei, setzt jedoch voraus, dass die Beweismittel ohne Verschulden der Partei unbekannt geblieben sind. Hierbei kommt es nicht auf den Grad des Verschuldens an und genügt bereits leichte Fahrlässigkeit (vgl. VwGH 19.03.2003, 2000/08/0105).

Wie unter den Punkten 4.2.1. und 4.2.2. ausgeführt wird, ist sowohl dem Wiederaufnahmewerber als auch der belangten Behörde zumindest leichte Fahrlässigkeit vorzuwerfen.

4.2.1. Zur amtswegigen Wiederaufnahme

Das Verschulden der belangten Behörde, dass sie das Vorliegen eines allfälligen „aliuds“ nicht erkannt hat, liegt darin, dass sie ihrer Ermittlungspflicht im Hauptverfahren nicht in gebotener Weise entsprochen hat. Bei einem Antrag auf Beseitigung gemäß § 41 Abs 6 Stmk. BauG ist es von grundsätzlicher Bedeutung (siehe oben 4.1.), ob für eine bauliche Anlage überhaupt eine Baubewilligung vorliegt. Dementsprechende Ermittlungsschritte sind demnach zwingend zu setzen und wurde von Seiten der belangten Behörde, wie aus dem E-Mail vom 11.10.2017 zu entnehmen ist, auch beabsichtigt aus fachlicher Sicht zu prüfen, ob die Situierung des Wohnhauses der Baubewilligung entspricht. Dass dieser Ermittlungsschritt in weiterer Folge unterlassen wurde, ist der belangten Behörde zumindest als leichte Fahrlässigkeit vorzuhalten.

Indem die belangte Behörde entscheidungsrelevante Ermittlungsschritte hinsichtlich der Situierung der baulichen Anlage unterlassen hat, ist ihr zumindest leichte Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Das nachträgliche Erkennen, dass im abgeschlossenen Verwaltungsverfahren Verfahrensmängel unterlaufen sind, bildet keinen Wiederaufnahmegrund (vgl. VwGH 16.11. 2004, 2000/17/0022).

4.2.2. Zur beantragten Wiederaufnahme

Auch die Partei, welche die Wiederaufnahme begehrt, darf kein Verschulden treffen.

Bei einem solchen Verschulden kann sich die Partei nicht darauf berufen, dass die Behörde ihrerseits der Ermittlungspflicht im Hauptverfahren nicht in gebotener Weise entsprochen hat (vgl. VwGH 28.07.1994, 94/07/0097). Demzufolge ist es dem Wiederaufnahmewerber zumindest als leichte Fahrlässigkeit vorzuwerfen, dass er es unterlassen hat, entsprechende Beweisanträge zu stellen oder aber auch ein Gutachten einzuholen. Insbesondere hat das Wiederaufnahmeverfahren nicht den Zweck, die Unterlassung der Erhebung eines Rechtsmittels im Wege der Wiederaufnahme eines Verfahrens zu sanieren (vgl. VwGH 24.09.2014, 2012/03/0165).

Indem der Wiederaufnahmewerber anstatt Beschwerde gegen den auf
§ 41 Abs 6 Stmk. BauG gestützten abweisenden Bescheid zu erheben, ein Gutachten in offener Beschwerdefrist in Auftrag gibt, ist ihm zumindest leicht fahrlässiges Verhalten anzulasten.

4.3. Zusammenfassung

Die bloße Existenz einer Baubewilligung für ein gewisses Grundstück genügt nicht, um von einer konsentierten baulichen Anlage im Sinne des § 41 Abs 3 Stmk. BauG auszugehen. Tut die belangte Behörde dies dennoch, ohne jegliche fachlichen Ermittlungsergebnisse einzuholen, so ist ihr diesbezüglich fahrlässiges Verhalten vorzuwerfen. Ein solches fahrlässiges Verhalten steht einer amtswegigen Wiederaufnahme des Verfahrens entgegen. Kommt nach Abschluss eines auf Antrag eingeleitetes Beseitigungsverfahrens gemäß 41 Abs 6 Stmk. BauG ein Vermessungsgutachten, welches ein „aliud“ bescheinigt zum Vorschein, so kann die belangte Behörde das bereits abgeschlossene Verfahren nicht rechtskonform wiederaufnehmen. Das Wiederaufnahmeverfahren dient nicht dazu fahrlässig unterlassene Ermittlungsschritte nachzuholen.

Es ist der Partei, welche eine Beseitigung einer benachbarten baulichen Anlage gemäß § 41 Abs 6 Stmk. BauG begehrt, als fahrlässiges Verhalten vorzuwerfen, wenn sie anstatt mittels Beschwerde gegen eine für sie negative Entscheidung vorzugehen über den Umweg der Wiederaufnahme, nach Einholen eines Gutachtens anlässlich der negativen Entscheidung, das mangelnde Ermittlungsverfahren der belangten Behörde rügt.

Demzufolge war der Beschwerde Folge zu geben und der bekämpfte Bescheid zu beheben und der Wiederaufnahmeantrag vom 27.10.2018 abzuweisen.

V.     Unzulässigkeit der ordentlichen Revision

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens, Verschulden der Behörde, unterlassene Ermittlungsschritte, baupolizeilicher Auftrag, Wiederaufnahme des Verfahrens, Verschulden, Beschwerdefrist, Rechtsmittel, Einholung eines Gutachtens

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGST:2020:LVwG.40.38.2310.2019

Zuletzt aktualisiert am

13.02.2020
Quelle: Landesverwaltungsgericht Steiermark LVwg Steiermark, http://www.lvwg-stmk.gv.at
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