Entscheidungsdatum
28.01.2020Norm
BAO §4 Abs1Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch Hofrat Mag. Röper als Einzelrichter über die Beschwerde von Frau A, vertreten durch Rechtsanwalt B, ***, ***, vom 22. Oktober 2019 gegen den Bescheid des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde *** vom 16. September 2019, Zl. ***, mit welchem die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Abgabenbescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde *** vom 13. März 2019, Zl. ***, betreffend Vorschreibung einer Aufschließungsabgabe nach der NÖ Bauordnung 2014 als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt worden war, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
1. Der Beschwerde wird gemäß § 279 Bundesabgabenordnung (BAO) stattgegeben und der angefochtene Bescheid des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde *** dahingehend abgeändert, dass in Stattgebung der gegen den erstinstanzlichen Abgabenbescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde *** erhobenen Berufung dieser ersatzlos behoben wird.
2. Eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) ist nicht zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
1. Sachverhalt:
1.1. Verwaltungsbehördliches Verfahren:
1.1.1.
Mit Schreiben vom 26. Juni 1953 suchte der damalige Eigentümer bei der MA ***, Außenstelle für den ***. Bezirk, um Bewilligung für die Errichtung einer Scheune auf dem Grundstück Nr. ***, EZ *** KG *** an. Weiters findet sich in den Unterlagen dazugehörige Einreichplan, aus dem hervorgeht, dass die Errichtung der Scheune im Bereich des späteren Grundstückes Nr. .*** bzw. *** KG *** geplant war:
[Abweichend vom Original – Bild nicht wiedergegeben]
„…
…“
(Quelle Bauakt der belangten Behörde, rechts ist die Errichtung der Scheune geplant – dies entspricht lagemäßig dem Grundstück .***; die „Ortsstraße“ entspricht der heutigen Adressierung „Landesstraße“)
Im Rahmen eines Aktenvermerkes vom 8. Juni 1989 wurde festgehalten, dass die im Jahr 1953 errichtete Scheune auf dem Grundstück .*** im Jahr 1988 abgetragen worden ist.
1.1.2.
Mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde *** vom 10. Mai 1995 wurde dem damaligen Eigentümer der nunmehr verfahrensgegenständlichen Liegenschaft die Vereinigung der Grundstücke Nr. .*** mit *** und .*** mit *** entsprechend dem Teilungsplan GZ *** genehmigt:
[Abweichend vom Original – Bild nicht wiedergegeben]
„…
…“
(Quelle: Bauakt der belangten Behörde; die Landesstraße befindet sich rechts, während die als „***“ bezeichnete Straße heute die Bezeichnung „***“ hat)
1.1.3.
Mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde *** vom 14. Februar 1997 wurde dem damaligen Eigentümer der nunmehr verfahrensgegenständlichen Liegenschaft die Änderung der Grenzen der Grundstücke Nr. *** und *** entsprechend dem Teilungsplan GZ *** genehmigt, wobei vom Grundstück Nr. *** KG eine Teilfläche im Ausmaß von 312 m² dem Grundstück Nr. *** zugeschlagen wurde und eine Fläche im Ausmaß von 35 m² in das öffentliche Gut übergeben wurde:
[Abweichend vom Original – Bild nicht wiedergegeben]
„…
…“
(Quelle: Bauakt der belangten Behörde)
1.1.4.
Mit Schreiben vom 6. November 2017 beantragte die Beschwerdeführerin die Bewilligung für den Neubau eines Wohnhauses samt Nebengebäude, Carport, Einfriedung und Niveauregulierung auf dem Grundstückes Nr. *** KG *** (Anschrift ***, ***).
Mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde *** vom 1. Februar 2018, Zl. ***, bewilligte der Bürgermeister den Neubau eines Wohnhauses samt Nebengebäude, Carport, Einfriedung und Niveauregulierung auf dem Grundstückes Nr. *** KG *** (Anschrift ***, ***). Dieser Bescheid ist unbekämpft geblieben und in Rechtskraft erwachsen.
1.2. Abgabenbehördliches Verfahren:
1.2.1.
Mit Abgabenbescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde *** vom 13. März 2019, Zl. ***, wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 38 Abs. 1 Z. 2 NÖ Bauordnung 2014 eine Aufschließungsabgabe im Betrag von € 12.005,13 vorgeschrieben. Begründend wird unter Wiedergabe der Bestimmung des § 38 NÖ Bauordnung 2014 dargelegt, dass die Gemeinde gesetzlich dazu verpflichtet sei, aus Anlass der erstmaligen Errichtung eines Gebäudes oder einer großvolumigen Anlage einen Beitrag des Grundeigentümers zu den Kosten der Verkehrsaufschließung des Bauplatzes einzuheben. Die Aufschließungsabgabe sei gemäß § 38 Abs. 3 NÖ Bauordnung aus dem Produkt von Berechnungslänge, Bauklassenkoeffizient und Einheitssatz errechnet. Der Einheitssatz betrage gemäß der Verordnung des Gemeinderates € 520,- betragen. Die Berechnung der Aufschließungsabgabe stelle sich demnach wie folgt dar:
Bauplatz Nr. Fläche Berechnungslänge BKK Einheitssatz Aufschließungsabgabe
*** 533 m² 23,0868 1,00 € 520,- € 12.005,13
1.2.2.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin durch ihren ausgewiesenen Vertreter mit Schreiben vom 8. Mai 2019 rechtzeitig das Rechtsmittel der Berufung und führte im Wesentlichen aus, dass bereits hinsichtlich eines Teiles dieses Grundstückes eine Aufschließungsabgabe entrichtet worden sei bzw. ein Teil bereits aufgeschlossen gewesen wäre. Richtigerweise wäre die seinerzeitige Aufschließung zu berücksichtigen und auch eine allfällige Ergänzungsabgabe vorzuschreiben.
1.2.3.
Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde *** vom 16. September 2019, Zl. ***, wurde die Berufung der Beschwerdeführerin als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt. Begründend wurde nach Wiedergabe des bisherigen Verwaltungsgeschehens und der als maßgeblich erachteten Rechtsvorschriften dargelegt, dass auf dem Grundstück Nr. *** KG *** erstmalig mit dem Baubewilligungsbescheid vom 1. Februar 2018 die Errichtung eines Gebäudes genehmigt worden sei. Der Ausnahmetatbestand des Paragrafen 38 Abs. 1 vorletzter Satz NÖ Bauordnung 2014 (Errichtung des Gebäudes nach § 23 Abs. 3 NÖ Bauordnung 2014) liege nicht vor. Aufgrund der erstmaligen Errichtung eines Gebäudes im Jahr 2018 sei für eine Anwendung des § 39 Abs. 3 NÖ Bauordnung 2014 (Ergänzungsabgabe) kein Platz, weil gemäß § 39 Abs. 3 leg.cit. für das gegenständliche Grundstück Nr. *** KG *** bisher keine Ergänzungsabgabe oder Aufschließungsabgabe vorgeschrieben worden sei.
1.3. Beschwerdevorbringen:
Mit Schreiben vom 22. Oktober 2019 brachte die Beschwerdeführerin durch ihren ausgewiesenen Vertreter rechtzeitig das Rechtsmittel der Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich gegen den Bescheid des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde *** ein und begründete diese im Wesentlichen wie ihre Berufungsschrift vom 8. Mai 2019.
1.4. Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich:
1.4.1.
Mit Schreiben vom 19. November 2019 legte die Marktgemeinde *** dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich die Beschwerde und den bezughabenden Verwaltungsakt (samt Plänen, Gutachten sowie Einladungskurrende und Sitzungsprotokoll der maßgeblichen Sitzung des Gemeindevorstandes) vor.
1.4.2.
Im Rahmen der für den 13. Jänner 2020 anberaumten mündlichen Verhandlung wurde vom Vertreter der belangten Behörde bestätigt, dass laut den vorliegenden Bauakten für das Grundstück *** keine Aufschließungsabgabe bzw. Ergänzungsabgabe in der Vergangenheit vorgeschrieben worden sei. Die erstmalige Vorschreibung sei auf Grund der im Jahre 2018 erteilten Baubewilligung erfolgt. Vom Beschwerdeführervertreter wurde diesbezüglich vorgebracht, dass 1997 das Grundstück *** um ca. 300 m² erweitert worden sei und damals eine Vorschreibung hätte erfolgen müssen. Dies sei aber nicht passiert. Auf dem Grundstück Nr. *** dort, wo das gegenständliche Wohnhaus errichtet worden sei, zuvor ein gemauerter Stadel errichtet gewesen, der vor mehr als 20 Jahren abgebrochen worden sei. Der Stadel sei auf der ehemaligen Punktparzelle .*** errichtet gewesen. Diesbezüglichen Fotos des Stadels würden dem Gericht via E-Mail übermittelt werden. Von Seiten des Vertreters der belangten Behörde wurde mitgeteilt, dass – soweit vorhanden – alle Unterlagen betreffend die ehemalige Punktparzelle .*** dem erkennenden Gericht bzw. dem Beschwerdeführervertreter übermittelt würden.
Mit Schreiben vom 16. Jänner 2020 bzw. vom 27. Jänner 2020 wurden die vorgenannten Unterlagen dem erkennenden Gericht vorgelegt.
1.4.3.
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat Beweis aufgenommen durch Einsichtnahme in diesen Akt der Marktgemeinde *** und durch Einsichtnahme in das öffentliche Grundbuch sowie durch Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
1.5. Feststellungen:
Frau A (in der Folge: Beschwerdeführerin) ist grundbücherliche Eigentümerin des Grundstückes Nr. ***, welches aus dem Grundstücken Nr. .*** und *** und Teilen des Grundstückes *** hervorgegangen ist:
[Abweichend vom Original – Bild nicht wiedergegeben]
„…
…“
(Quelle: imap Geodaten des Landes Niederösterreich, Abfrage vom 27. Jänner 2020)
Gemäß dem geltenden Flächenwidmungsplan der Marktgemeinde *** weist das gegenständliche Grundstück eine Widmung als Bauland auf.
Auf dem Grundstück Nr. *** befand sich im Bereich des ehemaligen Grundstückes .*** im Zeitraum zwischen 1953 und 1988 ein baubehördlich bewilligtes Gebäude in Gestalt einer hölzerneren Scheune, die auf einem gemauerten Fundament errichtet war.
1.6. Beweiswürdigung:
Im Wesentlichen ist der Sachverhalt als unstrittig zu beurteilen und ergibt sich dieser aus dem unbedenklichen Akteninhalt in Verbindung mit dem bekämpften Bescheid, sowie aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, soweit dieses den Feststellungen (s.o. Punkt 1.5.) nicht entgegentritt.
2. Anzuwendende Rechtsvorschriften:
2.1. Bundesabgabenordnung - BAO:
§ 1. (1) Die Bestimmungen der BAO gelten in Angelegenheiten der öffentlichen Abgaben (mit Ausnahme der Verwaltungsabgaben des Bundes, der Länder und der Gemeinden) sowie der auf Grund unmittelbar wirksamer Rechtsvorschriften der Europäischen Union zu erhebenden öffentlichen Abgaben, in Angelegenheiten der Eingangs- und Ausgangsabgaben jedoch nur insoweit, als in den zollrechtlichen Vorschriften nicht anderes bestimmt ist, soweit diese Abgaben durch Abgabenbehörden des Bundes, der Länder oder der Gemeinden zu erheben sind.
§ 2a. Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gelten sinngemäß in Verfahren vor den Verwaltungsgerichten, soweit sie im Verfahren vor der belangten Abgabenbehörde gelten. In solchen Verfahren ist das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) nicht anzuwenden
§ 4. (1) Der Abgabenanspruch entsteht, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Abgabepflicht knüpft.
§ 279. (1) Außer in den Fällen des § 278 hat das Verwaltungsgericht immer in der Sache selbst mit Erkenntnis zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.
(2) Durch die Aufhebung des angefochtenen Bescheides tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung dieses Bescheides befunden hat.
(3) Im Verfahren betreffend Bescheide, die Erkenntnisse (Abs. 1) abändern, aufheben oder ersetzen, sind die Abgabenbehörden an die für das Erkenntnis maßgebliche, dort dargelegte Rechtsanschauung gebunden. Dies gilt auch dann, wenn das Erkenntnis einen kürzeren Zeitraum als der spätere Bescheid umfasst.
2.2. NÖ Bauordnung 2014:
Aufschließungsabgabe
§ 38. (1) Dem Eigentümer eines Grundstücks im Bauland ist von der Gemeinde eine Aufschließungsabgabe vorzuschreiben, wenn mit Erlassung des letztinstanzlichen Bescheides der Behörde nach § 2
1. ein Grundstück oder Grundstücksteil zum Bauplatz (§ 11) erklärt oder
2. eine Baubewilligung für die erstmalige Errichtung eines Gebäudes oder einer großvolumigen Anlage (§ 23 Abs. 3) auf einem Bauplatz nach § 11 Abs. 1 Z. 2, 3 und 5 erteilt wird.
Die Errichtung eines Gebäudes oder einer großvolumigen Anlage auf einem Bauplatz gilt als erstmalig, wenn auf diesem Bauplatz am 1. Jänner 1970 und danach kein unbefristet bewilligtes Gebäude gestanden ist. Die Aufschließungsabgabe nach Z. 2 ist nicht vorzuschreiben, wenn die Errichtung eines Gebäudes nach § 23 Abs. 3, vorletzter Satz, bewilligt wird. Wird auf demselben Bauplatz ein weiteres Gebäude im Sinn des § 23 Abs. 3 erster Satz oder eine großvolumige Anlage errichtet, ist die Abgabe vorzuschreiben. …
(3) Die Aufschließungsabgabe (A) ist eine einmal zu entrichtende, ausschließliche Gemeindeabgabe nach § 6 Abs. 1 Z. 5 des Finanz-Verfassungsgesetzes 1948, BGBl. Nr. 45/1948 in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012. Sie wird aus dem Produkt von Berechnungslänge (BL), Bauklassenkoeffizient (BKK) und Einheitssatz (ES) errechnet:
A = BL x BKK x ES
Bei der Vorschreibung ist jeweils der zum Zeitpunkt der Bauplatzerklärung oder Erteilung der Baubewilligung (Abs. 1) geltende Bauklassenkoeffizient und Einheitssatz anzuwenden. …
(4) Die Berechnungslänge ist die Seite eines mit dem Bauplatz flächengleichen Quadrates:
Bauplatzfläche = BF BL =
(5) Der Bauklassenkoeffizient beträgt:
in der Bauklasse I 1,00 und
bei jeder weiteren zulässigen Bauklasse um je 0,25 mehr,
in Industriegebieten ohne Bauklassenfestlegung 2,00
bei einer Geschoßflächenzahl
o bis zu 0,8 1,5
o bis zu 1,1 1,75
o bis zu 1,5 2,0 und
o bis zu 2,0 2,5
Ist eine höchstzulässige Gebäudehöhe festgelegt, ist der Bauklassenkoeffizient von jener Bauklasse abzuleiten, die dieser Gebäudehöhe entspricht.
Im Baulandbereich ohne Bebauungsplan beträgt der Bauklassenkoeffizient mindestens 1,25 sofern nicht eine Höhe eines Gebäudes bewilligt wird, die einer höheren Bauklasse entspricht als der Bauklasse II.
2.3. Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG:
§ 25a. (1) Das Verwaltungsgericht hat im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
(2) Eine Revision ist nicht zulässig gegen:
1. Beschlüsse gemäß § 30a Abs. 1, 3, 8 und 9;
2. Beschlüsse gemäß § 30b Abs. 3;
3. Beschlüsse gemäß § 61 Abs. 2.
(3) Gegen verfahrensleitende Beschlüsse ist eine abgesonderte Revision nicht zulässig. Sie können erst in der Revision gegen das die Rechtssache erledigende Erkenntnis angefochten werden. …
(5) Die Revision ist beim Verwaltungsgericht einzubringen.
3. Würdigung:
3.1. Zu Spruchpunkt 1:
Die Beschwerde ist begründet.
3.1.1.
In der Sache ist eingangs festzuhalten, dass die von den Abgabenbehörden der mitbeteiligten Marktgemeinde der Abgabenfestsetzung zugrunde gelegten Berechnungen außer Streit stehen. Das Beschwerdevorbringen lässt sich vielmehr auf die Frage reduzieren, ob die Vorschreibung der Aufschließungsabgabe überhaupt erfolgen durfte, da nach Ansicht der Beschwerdeführerin auf dem gegenständlichen Grundstück bereits ein Gebäude – zwischen 1953 und 1988 - existiert hatte.
3.1.2.
Nach § 4 Abs. 1 der von den Verwaltungsbehörden (und dem erkennenden Gericht) anzuwendenden BAO entsteht der Abgabenanspruch, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Abgabepflicht knüpft. Angesichts der Komplexität der Sachlage ist zunächst darauf hinzuweisen, dass aus der rechtlichen Konstruktion der Abgabenschuldverhältnisse folgt, dass dieses bereits mit Verwirklichung eines gesetzlich normierten Abgabentatbestandes entsteht. Der Abgabenbescheid ist seinen wesentlichen Merkmalen nach lediglich feststellender Natur. Er bringt den Abgabenanspruch nicht zum Entstehen, sondern stellt den aus dem Gesetz erwachsenden Anspruch lediglich fest (vgl. VwGH 94/17/0419). Daraus ergibt sich, dass die Abgabenbehörde die Abgabe festzusetzen hat, sobald der Abgabenanspruch entstanden ist. Da sich der Abgabenanspruch der Gemeinde aus der Sicht des Abgabepflichtigen als Abgabenschuld darstellt, ist die Abgabenfestsetzung zulässig, sobald die Abgabenschuld entstanden ist.
3.1.3.
Gemäß § 38 Abs. 1 Zif. 2 NÖ Bauordnung 2014 ist dem Eigentümer eines Grundstücks im Bauland von der Gemeinde eine Aufschließungsabgabe vorzuschreiben, wenn mit Erlassung des letztinstanzlichen Bescheides der Behörde nach § 2 eine Baubewilligung für die erstmalige Errichtung eines Gebäudes oder einer großvolumigen Anlage (§ 23 Abs. 3) auf einem Bauplatz nach § 11 Abs. 1 Z 2, 3 und 5 erteilt wird. Die Errichtung eines Gebäudes oder einer großvolumigen Anlage auf einem Bauplatz gilt als erstmalig, wenn auf diesem Bauplatz am 1. Jänner 1970 und danach kein unbefristet bewilligtes Gebäude gestanden ist.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 38 Abs. 1 Z 1 und 2 NÖ Bauordnung 1996 und nunmehr NÖ Bauordnung 2014 bewirkt die erforderliche Berücksichtigung einer allenfalls eingetretenen Verjährung des Abgabenanspruches, dass auf diese jedenfalls Bedacht zu nehmen ist, gleichgültig, ob die Abgabenpflicht seinerzeit aufgrund der Verwirklichung desselben Tatbestandes, der aktuell die Abgabepflicht auslöste, oder aufgrund eines anderen Tatbestandes eingetreten ist. Daraus folgt, dass ein bereits früher entstandener Abgabenanspruch der Vorschreibung einer Aufschließungsabgabe entgegensteht, selbst wenn diese Abgabe nicht entrichtet wurde und der Abgabenanspruch nunmehr verjährt ist. Dies findet auch im Falle von Aufschließungsbeiträgen, die aufgrund eines anders lautenden Abgabentatbestandes früherer Bauordnungen entstanden sind, Anwendung. Als "entrichtete" Abgaben gelten somit auch Abgabenansprüche, die wegen des Eintritts der Verjährung nicht mehr geltend gemacht werden können (vgl. etwa VwGH 2013/17/0257 mwN und VwGH Ra 2018/16/000).
Die Bestimmung des § 38 Abs.1 Z. 2 NÖ Bauordnung 2014 ist in Zusammenschau mit dem folgenden Satz zu lesen. Demnach gilt eine Bauführung nur dann als erstmalig, wenn auf diesem Bauplatz am 1. Jänner 1970 und danach kein unbefristet bewilligtes Gebäude gestanden ist.
Im vorliegenden Fall befand sich nun auf dem verfahrensgegenständlichen Grundstück am 1. Jänner 1970 und danach ein unbefristet bewilligtes Gebäude in Gestalt der im Jahre 1988 wieder abgetragenen Scheune. Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob anlässlich der Errichtung der Scheune oder später ein Aufschließungsbeitrag bzw. eine Aufschließungsabgabe vorgeschrieben hätte werden müssen. Der Abgabentatbestand des § 38 Abs. 1 Z. 2 NÖ Bauordnung 2014 ist somit nicht verwirklicht worden.
3.1.4.
Diesen Überlegungen folgt, dass auf Grund der dargestellten Rechtslage den Ausführungen der Beschwerdeführerin hinsichtlich der von ihr behaupteten Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften Berechtigung zukommt, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.
3.2. Zu Spruchpunkt 2 - Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist nicht zulässig, da im gegenständlichen Verfahren keine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht abweicht und eine gesicherte und einheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorliegt, die unter Punkt 3.1. auch dargelegt wird.
Schlagworte
Finanzrecht; Aufschließungsabgabe; Abgabenanspruch; Baubewilligung; erstmalige Errichtung; Gebäude; Verjährung;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGNI:2020:LVwG.AV.1322.001.2019Zuletzt aktualisiert am
13.02.2020