TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/9 W171 2158503-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.09.2019
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Entscheidungsdatum

09.09.2019

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W171 2158499-1/26E

W171 2158503-1/12E

W171 2210020-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gregor MORAWETZ, MBA über die Beschwerden von 1.) XXXX , geboren am XXXX ,

2.) XXXX , geboren am XXXX , 3.) XXXX , geboren am XXXX , gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX , alle Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom

XXXX , 1.) XXXX , 2.) XXXX und vom XXXX , 3.) XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 05.06.2019 zu Recht:

A)

Die Beschwerden werden gemäß §§ 3, 8, 10 und 57 Asylgesetz 2005 sowie §§ 52 und 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

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Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

1.1. Der Erstbeschwerdeführer (in der Folge: BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (BF2) sind verheiratet und die Eltern der minderjährigen Drittbeschwerdeführerin (BF3). Der BF1 und die BF2 reisten nach eigenen Angaben illegal in das Bundesgebiet ein und stellten am 19.10.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

1.2. In ihrer Erstbefragung am 19.10.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gaben die BF im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari im Wesentlichen an, sie stammten aus der Provinz Herat und hätten Afghanistan vor etwa einem Monat verlassen. Über den Iran, die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien und Ungarn seien sie nach Österreich gelangt.

Zu seinen Fluchtgründen gab der BF1 an, dass seine Eltern gegen die Heirat mit seiner Frau gewesen seien, weshalb sie sich zur Ausreise entschlossen hätten. Im Iran hätten sie einen Ehevertrag abgeschlossen und seien dann weiter nach Europa gereist. Der BF1 sei von seinem Schwager auch öfters geschlagen worden.

Die BF2 gab an, dass ihre Eltern und Brüder gegen die Heirat mit dem BF1 gewesen seien, weshalb sie aus Afghanistan geflohen seien.

1.3. Bei einer Einvernahme am 15.09.2016 vor dem BFA, im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari, gab der BF1 an, dass er aus dem Dorf XXXX in der Provinz Herat stamme. Er habe zwei Jahre die Schule besucht und in der familieneigenen Landwirtschaft gearbeitet. Sein Vater habe eine große Landwirtschaft und handle auch mit Immobilien. Seine Eltern, eine Schwester und ein Bruder seien zwei Monate nach seiner Ausreise in den Iran umgezogen. Sein Vater habe einige Grundstücke verkauft, aber ein Teil der Landwirtschaft und das Haus seien noch vorhanden. Seine Onkel und Tanten wohnten ebenfalls im Iran. Eine Schwester und eine Tante lebten in Österreich.

Zu seinen Fluchtgründen gab er an, dass er seine Ehefrau seit der Kindheit kenne. Auf einer Hochzeit vor etwa zwei Jahren hätten sie sich wedergesehen und verliebt. Er habe ihr dann über seine Schwester seine Telefonnummer zukommen lassen. Sie hätten dann ein Jahr lang eine telefonische Beziehung gehabt. Seine Familie habe drei Mal bei ihrer Familie um ihre Hand angehalten, aber die Familie seiner Frau sei gegen die Heirat gewesen. Er sei von den Brüdern seiner Frau geschlagen worden. Sie hätten auch seine Frau misshandelt. Die Familie seiner Frau habe eine Ehe mit ihrem Cousin arrangieren wollen. Seine Frau habe ihm telefonisch davon erzählt. Drei Tage später hätten sie Afghanistan verlassen.

Seine Familie habe wegen seinem Schwager Afghanistan verlassen. Die Familie seiner Frau dachte, dass sein Vater ihn versteckt halte, und habe seinen Vater zwei Tage festgehalten. Dem Vater sei mit der Vergewaltigung seiner Kinder gedroht worden.

Die BF2 gab in ihrer Einvernahme am selben Tag an, dass sie ebenfalls aus dem Dorf XXXX in Herat stamme. Sie habe nur ein Jahr die Schule besucht und anschließend im Haushalt geholfen. Der Lebensunterhalt der Familie wurde durch den Verkauf von Drogen durch ihre Brüder finanziert. Ihr Vater habe nicht gearbeitet. Die Familie habe ein Haus besessen, die finanzielle Situation sei sehr gut gewesen.

Sie kenne ihren Mann seit ihrer Kindheit. Als sie sieben Jahre alt gewesen sei, sei ihr Mann von der Ortschaft weggezogen und sie hätten sich lange Zeit nicht gesehen. Ihre Väter seien befreundet gewesen. Bei einer Hochzeitsfeier hätten sie sich wiedergesehen. Seine Schwester habe ihr später ein Handy gebracht und sie hätten miteinander telefoniert. Ein Jahr lang hätten sie eine telefonische Beziehung gehabt. Ihre Eltern hätten den Heiratsantrag abgelehnt. Ihr Mann sei von ihren Brüdern geschlagen worden. Ihr Vater habe sie mit einem Cousin verheiraten wollen. Sie sei von ihren Brüdern und dem Vater auch geschlagen worden. Ihre Brüder hätten überall Bekanntschaften, sie würden sie überall finden.

Ihre Schwiegereltern wohnten nach wie vor in Afghanistan, ebenso eine Schwester des BF1, Zahra, mit der die BF2 befreundet sei.

1.4. Am 28.03.2017 wurde der BF1 erneut durch das BFA einvernommen. Dabei gab er zu seinen Fluchtgründen ergänzend an, dass die Brüder seiner Frau seine Schwester und seine Brüder als Geisel genommen hätten. Sein Vater habe sich nach deren Freilassung entschieden aus Afghanistan auszureisen.

Die BF2 wurde am selben Tag ebenfalls ergänzend einvernommen.

1.5. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit im Wesentlichen gleichlautenden Bescheiden vom XXXX die Anträge der BF auf internationalen Schutz vom 17.11.2016 gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihnen gemäß § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 den Status von subsidiär Schutzberechtigten nicht zu (Spruchpunkt II.) und und erteilte ihnen keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG. Weiters wurden gegen die BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise der BF 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person der BF und zur Lage in ihrem Herkunftsstaat. Eine asylrelevante Verfolgung liege nicht vor, das Vorbringen der BF betreffend eine Verfolgung sei unglaubhaft. Sie hätten keine Verfolgung im Sinne des AsylG glaubhaft gemacht und es bestünden keine stichhaltigen Gründe gegen eine Abschiebung der BF nach Afghanistan. Im Falle der Rückkehr drohe ihnen keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde.

Die BF erfüllten nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe ihr Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidungen über die Anträge auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung der BF nach Afghanistan. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die die BF bei der Regelung ihrer persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätten, nicht gegeben seien.

Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass die BF bezüglich ihrer behaupteten Herkunftsregion, Volks- und Staatsangehörigkeit aufgrund ihrer Sprach- und Lokalkenntnisse - im Gegensatz zu ihrem Fluchtvorbringen - glaubwürdig wären. Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan wären glaubhaft, weil sie verlässlichen, seriösen, aktuellen und unbedenklichen Quellen entstammten, deren Inhalt schlüssig und widerspruchsfrei sei.

Ihre Fluchtgeschichte hätten die BF angesichts mehrerer Widersprüche nicht glaubhaft machen können.

In der rechtlichen Beurteilung wurde ausgeführt, dass die Begründung der Anträge keine Deckung in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) finde.

Subsidiärer Schutz wurde ihnen nicht zuerkannt, da im Falle einer Rückkehr der BF in ihren Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur GFK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt oder im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes aufgrund der derzeitigen, allgemeinen Lage in Afghanistan nicht drohe. Die Herkunftsprovinz Herat sei eine der friedlichen Provinzen Afghanistans, weshalb den BF eine Rückkehr dorthin zumutbar sei.

1.6. Gegen diese Bescheide brachten die BF mit Schreiben vom 18.05.2017 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde beim BVwG ein und beantragen die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.

Begründend wurde auf das Fluchtvorbringen der BF verwiesen und ergänzend vorgebracht, dass es sich bei der BF2 um eine westlich orientierte Frau handle, der eine Rückkehr nach Afghanistan nicht zugemutet werden könne.

1.7. Die Beschwerden samt Verwaltungsakten langten am 23.05.2017 beim BVwG ein.

1.8. Am 03.10.2017 wurde der BF1 wegen falscher Beweisaussage und versuchter Begünstigung (§ 288 Abs. 2 und 4, §§ 15, 299 Abs. 1 StGB) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt.

1.9. Am 27.11.2017 wurde der BF1 wegen Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung (§ 286 Abs. 1 StGB) erneut verurteilt, von der Verhängung einer Zusatzstrafe wurde abgesehen.

1.10. Am 05.06.2018 wurde über den BF1 die Untersuchungshaft verhängt.

1.11. Mit Mandatsbescheid vom 07.06.2018 wurde die dem BF1 mit Bescheid vom XXXX eingeräumte Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 5 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG widerrufen.

1.12. Am 17.07.2018 wurde der BF1 wegen Körperverletzung (§ 83 Abs. 1 StGB) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt.

1.13. Am XXXX wurde die Drittbeschwerdeführerin (BF3) im Bundesgebiet geboren. Der BF1 als gesetzlicher Vertreter stellte für sie am 19.10.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.14. Mit Bescheid vom XXXX wurde der Antrag der BF3 gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 den Status einer subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und erteilte ihr keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.). Weiters wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde im Wesentlichen auf die Bescheide des BF1 und der BF2 verwiesen.

1.15. Gegen diesen Bescheid wurde mit Schriftsatz vom 15.11.2018 Beschwerde erhoben.

1.16. Das BVwG führte am 05.06.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari durch, zu der die BF persönlich erschienen. Die belangte Behörde verzichtete im Vorhinein auf die Teilnahme an der Verhandlung.

Der BF1 gab an, dass seine Eltern, zwei Schwestern und ein Bruder in Teheran leben würden. Sein Elternhaus sei vermietet.

Er habe zwei Mal einen Deutschkurs A1 besucht und etwa ein Jahr lang für die Gemeinde Hilfstätigkeiten verrichtet. Ein Jahr lang habe er in einem Wohnprojekt bei der Reinigung mitgeholfen. Er helfe immer wieder bei Veranstaltungen der Gemeinde mit. Am Kinderspielplatz treffe er Österreicher. Eine Familie unterstütze sie, darüber hinaus gebe es noch acht bis zehn Personen, die sie kennen würden. Seine verwitwete Schwester lebe auch in ihrer Pension, sie habe einen dreijährigen Sohn. Er sehe seine Schwester täglich. Seine Tante aus XXXX sehe er etwa alle zwei Monate. Er würde gern als Friseur arbeiten und habe sich nach Arbeit in einem Altersheim erkundigt. Er dürfe jedoch nicht arbeiten.

Er habe seine Frau bei einer Hochzeit wiedergesehen, ihre Eltern hätten einer geplanten Heirat aber nicht zugestimmt. Er habe ihr damals ein Handy mit SIM-Karte geschickt, damit sie telefonieren konnten. Sie habe das Handy vor ihrer Familie verbergen können.

Auf Nachfrage nach dem Widerspruch wonach der BF1 einmal angegeben hatte, sein Vater sei festgehalten worden, und einmal, dass seine Geschwister als Geiseln genommen worden seien, gab der BF1 an, dass er dies zum ersten Mal höre. Sein Vater sei nicht festgehalten worden. Seine Eltern seien zwei Monate nach ihm in den Iran ausgereist.

Die Brüder seiner Frau würden Cannabis rauchen und dies auch verkaufen. Die Familie lebe davon.

Angesprochen auf die Fluchtgeschichte seiner Schwester, die von ihrem Vater wegen der von ihr beabsichtigten Heirat mit dem Tod bedroht worden sei, während er die Eheschließung und Ausreise des BF1 unterstützt habe, gab er an, dass es bei seiner Schwester ein religiöses Problem gegeben habe. Sein Schwager sie Sunnit gewesen. Er glaube nicht, dass sein Vater das Problem gewesen sei, vielmehr der Vater des Bräutigams seiner Schwester.

Er habe sich vor der Ausreise ein Auto ausgeborgt und habe seine Frau damit abgeholt. Eine Nacht hätten sie bei dem Besitzer des Autos verbracht. Am nächsten Tag seien sie mit einem anderen Auto Richtung Teheran gefahren.

Die BF2 gab in der Verhandlung an, dass noch ihre Eltern, zwei Brüder, Onkel und Tanten in Herat leben würden. Sie habe mit niemandem Kontakt.

In Österreich habe sie einen Alphabetisierungskurs und zur Hälfte einen Sprachkurs A1 besucht. Wenn sie Zeit habe, treffe sie sich am Nachmittag mit österreichischen Freundinnen. Jeden Tag treffe sie sich mit anderen Flüchtlingsfrauen um Deutsch zu üben. Vor zwei Jahren habe sie für einen Tag bei der Gemeinde gearbeitet, seither nicht mehr. Meistens gehe sie mit ihren Freundinnen einkaufen. Sie habe nicht wirklich Hobbies, meist sei sie mit ihrem Kind zusammen. In Zukunft wolle sie den Beruf der Friseurin ergreifen. Sie habe mit einer Freundin darüber gesprochen und wisse, dass die Ausbildung drei Jahre dauere. Berufsinformationsmessen oder dergleichen habe sie bisher nicht besucht. Deutsch verstehe sie schon ganz gut, sie könne lesen und schreiben, sprechen könne sie nicht so gut.

Auf die Frage, wie es ihr möglich gewesen sei, ihr Handy vor ihrer Familie zu verbergen, gab sie an, dass ihre Brüder nicht immer zuhause gewesen seien. Sie hätten ihre Privatsachen nicht kontrolliert. Sie habe mit ihren Eltern gemeinsam im Schlafzimmer geschlafen, wo sich eine Steckdose befunden habe. Der Akku dieses Handys habe lange gehalten.

Auf die Frage nach der Entführung von Familienmitgliedern ihres Mannes gab sie an, dass sie das nicht genau wisse. Sie glaube, dass es sich dabei um den Bruder und die Schwester ihres Manns gehandelt habe. Sie glaube, dass sie nicht bei ihnen zuhause gewesen seien. In ihrer Familie sei der ältere Bruder das Familienoberhaupt gewesen, nicht ihr Vater. Ihre Brüder hätten mit Drogen gehandelt.

Gefragt nach ihren Angaben in der Einvernahme vom 15.09.2016, wonach die Schwiegereltern damals noch in Afghanistan gewesen seien, antwortete sie, dass sie zu diesem Zeitpunkt noch dort gewesen seien.

Die BF legten in der Verhandlung folgende Unterlagen vor:

-

Bestätigung über gemeinnützige Arbeiten des BF1 in der Gemeinde im

                 1.       Halbjahr 2019

-

Schreiben des Unterkunftgebers der BF vom März 2017

-

Bestätigung vom Juni 2019 über Mithilfe des BF1 bei einem Wohnprojekt (ohne Zeitangaben)

-

Bestätigung über gemeinnützige Arbeiten des BF1 in einer anderen Gemeinde im 1. Halbjahr 2019

-

Bestätigung über die Teilnahme der BF2 an einem Deutschkurs im Jahr 2017

Das erkennende Gericht brachte in der Verhandlung ergänzende bzw. aktualisierte Berichte zur Lage in Afghanistan in das Verfahren ein.

2. Feststellungen:

Zur Person der BF:

2.1. Die BF sind Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan, stammen aus der Provinz Herat, sind Angehörige der Volksgruppe der Tadschiken und bekennen sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache der BF ist Dari. Der BF1 und die BF2 sind verheiratet, die BF3 ist ihre gemeinsame Tochter.

2.2. Die Eltern und Geschwister des BF1 und die Eltern und Geschwister der BF2 halten sich weiterhin im Heimatdorf der BF in der Provinz Herat, in der Nähe der Stadt Herat, auf. Die Familie des BF1 besitzt eine Landwirtschaft mit mehreren Angestellten. Der Vater des BF1 handelt darüber hinaus mit Immobilien. Die finanzielle Situation der Familie stellt sich als gut dar. Der BF1 steht mit seiner Familie in Kontakt.

Die finanzielle Situation der Familie der BF2 ist ebenfalls gut, beide Brüder sind erwerbstätig und die Familie besitzt ein Haus.

Der BF1 und die BF2 hielten sich bis zu ihrer Ausreise im Heimatdorf in Herat auf. Der BF1 arbeitete in der familieneigenen Landwirtschaft.

2.3. Der BF1 und die BF2 reisten laut eigenen Angaben im September 2015 aus Afghanistan aus und über den Iran, die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien und Ungarn nach Österreich, wo sie am 19.10.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz stellten.

Die BF3 wurde am XXXX im Bundesgebiet geboren. Durch den BF1 als gesetzlichen Vertreter wurde am 19.10.2018 der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

2.4. Die BF halten sich seit Oktober 2015 in Österreich auf. Sie verfügen über keine Deutschkenntnisse. Der BF1 war im Jahr 2019 ehrenamtlich tätig. Er war bisher nicht erwerbstätig, ist nicht Mitglied in einem Verein oder einer Organisation und geht keinen sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach. Der BF1 und die BF2 leben von der Grundversorgung, sind nicht selbsterhaltungsfähig und verfügen auch über keine Einstellungszusagen.

Im Strafregister des BF1 scheinen folgende Verurteilungen auf:

-

vom 03.10.2017 wegen falscher Beweisaussage und versuchter Begünstigung (§ 288 Abs. 2 und 4, §§ 15, 299 Abs. 1 StGB), bedingte Freiheitsstrafe von vier Monaten

-

vom 27.11.2017 wegen Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung (§ 286 Abs. 1 StGB), keine Zusatzstrafe

-

vom 17.07.2018 wegen Körperverletzung (§ 83 Abs. 1 StGB), bedingte Freiheitsstrafe von vier Monaten

Der BF1 hat in Österreich eine Schwester und deren Sohn, die mit den BF in einer Flüchtlingsunterkunft wohnen. Weiters lebt eine Tante des BF1 im Bundesgebiet. Die BF2 hat in Österreich keine Familienangehörigen.

Zu den Fluchtgründen der BF:

2.5. Die BF haben ihr Vorbringen, dass sie von der Familie der BF2 aufgrund ihrer Heirat verfolgt würden, nicht glaubhaft gemacht.

Die BF wurden nach eigenen Angaben in ihrem Herkunftsstaat niemals inhaftiert, sind nicht vorbestraft und hatten mit den Behörden ihres Herkunftsstaates weder auf Grund ihres Religionsbekenntnisses oder ihrer Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwelche Probleme. Die BF waren nie politisch tätig und gehörten nie einer politischen Partei an.

2.6. Es kann insgesamt nicht festgestellt werden, dass die BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wären.

2.7. Die BF2 ist Analphabetin. Sie hat keine Schulbildung oder Berufsausbildung. Im Heimatland kümmerte sie sich um den Haushalt. Sie ist in Österreich kein aktives Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation. Sie geht keinen sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach. Sie besucht aktuell keine Kurse und spricht kein Deutsch. Sie hat bisher einen Deutschkurs auf dem Niveau A1 besucht, aber keine Deutschprüfungen abgelegt.

Die BF2 gab zwar an, dass sie einmal selbst erwerbstätig sein möchte und als Friseurin arbeiten wolle, hat aber während des knapp vier Jahre dauernden Aufenthaltes in Österreich keinerlei Initiative in diese Richtung gesetzt.

Sie geht meist mit Freundinnen einkaufen und verfügt über einen kleinen Freundeskreis aus Österreicherinnen. Ansonsten besteht ihr soziales Umfeld aus anderen Asylwerberinnen und ihrer Schwägerin.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass die BF2 während ihres etwa vier Jahre währenden Aufenthalts in Österreich eine Lebensweise angenommen hätte, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten bzw. sozialen Normen in Afghanistan und konkret auch ihrer Heimatprovinz darstellen würde. Vielmehr handelt es sich bei der BF2 um eine Frau, die noch immer mit afghanischen Werten und Traditionen verbunden ist und auch vielfach nach diesen gesellschaftlichen Werten und Traditionen lebt.

Die BF2 machte den Eindruck einer Frau, die offensichtlich in der traditionellen afghanischen Kultur sozialisiert worden ist und bisher nur geringfügige Ansätze für ein nach außen erkennbares gewolltes Führen eines selbstbestimmten Lebens zeigt.

Es kann keine geschlechtsspezifische Verfolgung der BF2 bzw. eine Verfolgung auf Grund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der "westlich-orientierten Frauen", die selbstbestimmt leben wollen, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit festgestellt werden.

Zu einer möglichen Rückkehr der BF in den Herkunftsstaat:

2.8. Es konnte von den BF nicht glaubhaft vermittelt werden, dass sie im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat einer Verfolgung aus asylrelevanten Gründen ausgesetzt wären.

Dass der allgemeine Gesundheitszustand der BF erheblich beeinträchtigt wäre, haben die BF im Verfahren weder behauptet, noch ist es dem erkennenden Gericht sonst bekannt geworden.

Den BF ist es möglich und zumutbar, sich in ihrer Heimatprovinz Herat bei ihren Familien niederzulassen. Die finanzielle Situation der Familie des BF1 als auch der BF2 stellt sich als gut dar. Beide Familien verfügen über Wohnhäuser. Die Familie des BF1 verfügt darüber hinaus über eine Landwirtschaft mit Weingarten und mehreren Angestellten. Der Vater des BF1 handelt mit Immobilien. Aufgrund des traditionell starken Zusammenhalts innerhalb der Familien in Afghanistan ist davon auszugehen, dass dem BF1 und seiner Familie bei einer Rückkehr von dieser Seite Unterstützung geleistet wird bzw. die BF von der Familie des BF1 wiederaufgenommen und versorgt werden. Den BF ist daher eine Wohnsitznahme bei ihren Familien möglich und zumutbar, der Lebensunterhalt der BF ist durch die stabile finanzielle Situation ihrer Angehörigen gesichert.

2.9. Aus dem konkreten Umfeld, in das die BF nach Herat zurückkehren, ergeben sich keine Faktoren, welche eine Gefahrenverdichtung in der Person der BF3 aufgrund ihrer Minderjährigkeit verursachen. Für die BF3 besteht aufgrund ihrer Minderjährigkeit keine erhöhte Gefahr, in Herat ziviles Opfer von Angriffen Aufständischer oder sonstiger Auseinandersetzungen zu werden. Sie läuft in Herat nicht Gefahr, Opfer von Gewalt, Missbrauch oder Kinderarbeit zu werden. Der BF3 steht in Zukunft auch der Zugang zu Bildungsmöglichkeiten offen.

2.10. Die Provinz Herat zählt zu den sicheren Provinzen Afghanistans, auch wenn sich die Situation in einigen abgelegenen Bezirken aufgrund der Taliban verschlechtert hat. Der Heimatort der BF liegt jedoch in der Nähe von XXXX -Stadt, weshalb nicht von einer erhöhten Gefährdung für die BF auszugehen ist.

Die BF können XXXX -Stadt über den dort befindlichen internationalen Flughafen sicher erreichen.

2.11. Zur Lage im Herkunftsstaat des BF:

Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG zusätzlich in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat der BF getroffen:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan ("Gesamtaktualisierung am 29.06.2018", Schreibfehler teilweise korrigiert):

Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

Kl vom 08.01.2019, Anschlag in Kabul und Verschiebung der Präsidentschaftswahl (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage und Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Anschlag auf Regierungsgebäude in Kabul

Am 24.12.2018 detonierte vor dem Ministerium für öffentliches Bauwesen im Osten Kabuls (PD 16) eine Autobombe; daraufhin stürmten Angreifer das nahe gelegene Gebäude des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Märtyrer und Behinderte und beschossen weitere Regierungseinrichtungen in der Umgebung (ORF 24.12.2018; vgl. ZO 24.12.2018, Tolonews 25.12.2018). Nach einem mehrstündigen Gefecht zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Angreifern konnten diese besiegt werden. Quellen zufolge kamen ca. 43 Menschen ums Leben (AJ 25.12.2018; vgl. Tolonews 25.12.2018, NYT 24.12.2018). Bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 25.12.2018; vgl. AJ 25.12.2018).

Problematische Stimmenauszählung nach Parlamentswahlen und Verschiebung der Präsidentschaftswahl

Am 06.12.2018 erklärte die afghanische Wahlbeschwerdekommission (IECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 06.12.2018). Somit wurden die Stimmen von ungefähr einer Million Kabulis annulliert (Telepolis 15.12.2018; vgl. TAZ 06.12.2018). Die Gründe für die Entscheidung der IECC seien mehrere, darunter Korruption, Wahlfälschung und die mangelhafte Durchführung der Wahl durch die Unabhängige Wahlkommission (IEC) (Telepolis 15.12.2018; vgl. RFE/RL 06.12.2018). Die Entscheidung wurde von der IEC als "politisch motiviert" und "illegal" bezeichnet (Tolonews 12.12.2018). Am 08.12.2018 erklärte die IECC dennoch, die Kommission würde ihre Entscheidung revidieren, wenn sich die IEC kooperationswillig zeige (Tolonews 08.12.2018). Einer Quelle zufolge einigten sich am 12.12.2018 die beiden Wahlkommissionen auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen, welche die Transparenz und Glaubhaftigkeit dieser wahren sollte; ca. 10% der Stimmen in Kabul sollen durch diese neue Methode nochmals gezählt werden (Tolonews 12.12.2018). Die Überprüfung der Wahlstimmen in der Provinz Kabul ist weiterhin im Gange (Tolonews 07.01.2019). Dem Gesetz zufolge müssen im Falle der Annullierung der Stimmen innerhalb von einer Woche Neuwahlen stattfinden, was jedoch unrealistisch zu sein scheint (Telepolis 15.12.2018). Bisher hat die IEC die vorläufigen Ergebnisse der Wahl für 32 Provinzen veröffentlicht (IEC o.D.).

Am 30.12.2018 wurde die Verschiebung der Präsidentschaftswahl vom 20.04.2019 auf den 20.07.2019 verkündet. Als Gründe dafür werden u. a. die zahlreichen Probleme während und nach der Parlamentswahlen im Oktober genannt (WP 30.12.2018; vgl. AJ 30.12.2018, Reuters 30.12.2018)

[...]

2. Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.01.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.09.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.09.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.02.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.01.2017; vgl. USDOS 20.04.2018, USDOS 15.08.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.01.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.02.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.04.2018; vgl. USDOS 15.08.2017).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).

Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht Am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.01.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20.10.2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.04.2018; vgl. AAN 22.01.2017, AAN 18.12.2016).

Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.08.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 06.05.2018).

Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 06.05.2018).

Parteienlandschaft und Opposition

Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.01.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.09.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.01.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 03.05.2017). Am 04.05.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 04.05.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u.a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung, sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vgl. Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.03.2018).

Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezb-e Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara) (AB 18.11.2017; vgl. AAN 06.05.2018).

Unterstützer des weiterhin politisch tätigen ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai gründeten im Oktober 2017 eine neue politische Bewegung, die Mehwar-e Mardom-e Afghanistan (The People's Axis of Afghanistan), unter der inoffiziellen Führung von Rahmatullah Nabil, des ehemaligen Chefs des afghanischen Geheimdienstes (NDS). Später distanzierten sich die Mitglieder der Bewegung von den politischen Ansichten Hamid Karzais (AAN 06.05.2018; vgl. AAN 11.10.2017).

Anwarul Haq Ahadi, der langjährige Anführer der Afghan Mellat, eine der ältesten Parteien Afghanistans, verbündete sich mit der ehemaligen Mujahedin-Partei Harakat-e Enqilab-e Eslami-e Afghanistan. Gemeinsam nehmen diese beiden Parteien am New National Front of Afghanistan teil (NNF), eine der kritischsten Oppositionsgruppierungen in Afghanistan (AAN 6.5.2018; vgl. AB 29.05.2017).

Eine weitere Oppositionspartei ist die Hezb-e Kongara-ya Melli-ye Afghanistan (The National Congress Party of Afghanistan) unter der Führung von Abdul Latif Pedram (AB 151.2016; vgl. AB 295.2017).

Auch wurde die linksorientierte Hezb-e-Watan-Partei (The Fatherland Party) wieder ins Leben gerufen, mit der Absicht, ein wichtiges Segment der ehemaligen linken Kräfte in Afghanistan zusammenzubringen (AAN 06.05.2018; vgl. AAN 21.08.2017).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Am 28.02.2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.03.2018; vgl. TS 28.02.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 07.03.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.03.2018; vgl. TD 07.03.2018, NZZ 28.02.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.04.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel 3. "Sicherheitslage").

Am 19.05.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.05.2018).

Am 07.06.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.06.2018 - 20.06.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich Am 04.06.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 07.06.2018; vgl. Reuters 07.06.2018, RFL/RL 05.06.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 05.06.2018). Die Taliban selbst gingen am 09.06.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.06.2018; vgl. TH 10.06.2018, Tolonews 09.06.2018).

[...]

3. Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.02.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.)

[...]

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.02.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 09.03.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (UNGASC 15.03.2016).

[...]

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.08.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östliche Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.02.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.02.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.02.2018).

[...]

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 06.06.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.02.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.02.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.02.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.02.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.02.2018, NZZ 21.03.2018, UNGASC 27.02.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.03.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 01.06. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.02.2018; vgl. Slate 22.04.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.03.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.03.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.01.2018; vgl. BBC 29.01.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.01.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.01.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.05.2018; AD 20.05.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.02.2018), [...]

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei zwölf Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 07.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 07.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 07.11.2017)

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

[...]

Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung:

Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.05.2018; vgl. DW 06.05.2018, AJ 06.05.2018, Tolonews 06.05.2018, Tolonews 29.04.2018, Tolonews 220.4.2018).

[...]

Zivilist/innen

[...]

Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 01.01.2009 - 31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 01.01.2018 - 31.03.2018 registriert die UNAMA

2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.04.2018).

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben - dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nicht-ziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Im Jänner 2018 waren 56,3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14,5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29,2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.04.2018).

[...]

Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfreundliche Kräfte. Für das Jahr 2017 wurden 2.108 zivile Opfer (745 Tote und 1.363 Verletzte) regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben, dies deutet einen Rückgang vo

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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