TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/18 W212 2206776-1

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Veröffentlicht am 18.09.2019
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Entscheidungsdatum

18.09.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 2
EMRK Art. 3
EMRK Art. 8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W212 2206778-1/10E

W212 2206776-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Eva SINGER als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) mj. XXXX , geb. XXXX , gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX , beide StA. Ukraine, vertreten durch Jandl & Schöberl Rechtsanwälte, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.08.2018, Zl.en 1.) 1002683709/14446173, 2.) 1002683404/14446092, zu Recht:

A) Die Beschwerden werden gemäß §§ 3, 8 AsylG 2005, § 57 AsylG 2005, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, § 52 Abs. 9 FPG, § 46 FPG sowie § 55 Abs. 2 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Die Erstbeschwerdeführerin (in der Folge: BF1) ist die Mutter der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin (BF2). Sie reisten nach eigenen Angaben illegal in das Bundesgebiet ein und stellten am 12.03.2014 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz stellten.

Im Rahmen der Erstbefragung am 12.03.2014 gab die BF1 an, dass sie von Kiew in einem LKW nach Österreich gelangt sei.

Zu ihrem Fluchtgrund gab sie an, dass sie drei Jahre in einem Rechtsanwaltsbüro gearbeitet habe, das einem hohen Beamten des Innenministeriums gehört habe. Sie habe Anrufe von verschiedenen Personen erhalten, die Informationen über diesen hohen Beamten wollten. Da sie schon seit Februar 2013 karenzbedingt nicht mehr dort gearbeitet habe, habe sie nichts angeben können. Ihr sei damit gedroht worden, dass man ihrer Tochter etwas antun werde. In ihrer Abwesenheit sei auch ihre Wohnung durchsucht und dabei ihre Pässe gestohlen worden. Vor ca. einer Woche sei sie von maskierten Männern entführt worden. Diese Männer hätten sie vergewaltigen wollen, da aber ihre Tochter dabei gewesen sei, sei sie frei gelassen worden. Freunde hätten dann einen Schlepper für sie organisiert.

I.3. Eine Einvernahme der BF1 am 20.06.2018 wurde aufgrund eines wichtigen Arzttermins der Dolmetscherin ohne Rückübersetzung abgebrochen.

I.4. In ihrer Einvernahme am 21.06.2018 gab die BF1 an, dass sie aus Kiew stamme. Ihr Vater sei verstorben, zu Mutter und Schwester habe sie keinen Kontakt, sie sei beim Vater aufgewachsen. Auch zu weiteren Familienangehörigen habe sie keinen Kontakt.

Sie sei russisch-orthodoxen Bekenntnisses, spreche Russisch, Ukrainisch, Polnisch, Englisch und Deutsch und habe ein College für Choreographie abgeschlossen. Von 2010 bis 2013 habe sie als Assistentin der Geschäftsleitung in einer Rechtsanwaltskanzlei gearbeitet. Der Besitzer der Kanzlei sei XXXX . Die Kanzlei habe Anfragen an das Ministerium gestellt, dafür seien hohe Summen bezahlt worden. In die Kanzlei seien hohe Persönlichkeiten gekommen, die mit dem damaligen Präsidenten YANUKOVICH eng verbunden gewesen seien. Nach dem Umsturz in der Ukraine sei der Präsident geflüchtet und es sei nicht klar gewesen, wer das Land regiere. Es habe Fälle gegeben, wo Leute verschwunden seien. Sie sei damals in Karenz gewesen und habe Anrufe von verschiedenen Stellen erhalten, die sich als Männer von der Staatsanwaltschaft, der Polizei oder dem Sicherheitsdienst vorgestellt hätten. Sie sei nach Informationen über ihre Tätigkeit in der Kanzlei gefragt worden. Anfangs habe sie gesagt, dass sie nichts wisse und in Karenz sei, daraufhin seien sie und ihre Tochter bedroht worden. Sie habe auch bemerkt, dass sie verfolgt und beobachtet worden sei. Ihre Wohnung sei durchwühlt und ihre Dokumente gestohlen worden. Sie sei dann zu Freunden nach XXXX gefahren. Dort sei sie eines Tages mit ihrer Tochter unterwegs gewesen und von drei maskierten Männern entführt worden. In einer Garage sei sie gefesselt worden. Die Männer hätten sie geschlagen und sexuell missbraucht. Auch ihre Tochter sei bedroht worden. Später hätten zwei der Männer die Garage verlassen und sie habe den verbliebenen Mann überreden können, sie freizulassen. Sie sei mit ihrer Tochter weggelaufen und habe einen Mann auf der Straße um Hilfe gebeten. Mit seinem Handy habe sie ihre Freunde angerufen und der Mann habe sie dann zu deren Adresse gebracht. Ihre Freunde hätten dann ihre Ausreise organisiert und auch dafür bezahlt.

Die BF1 legte folgende Unterlagen vor:

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Teilnahmebestätigung Deutschkurs A1, BF1

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Bestätigung über Kindergartenbesuch BF2

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Schreiben über die Teilnahme der BF2 an einer Modenschau

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Kursbesuchsbestätigung BF2 (Malen, Musik, Gesang)

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Anmeldung BF2 Ballettkurs

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Zwei Empfehlungsschreiben

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Zeitungsartikel in russischer Sprache

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Urkunde über die Mithilfe der BF1 am "Festival der Nationen"

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Patientenbrief über stationären Aufenthalt der BF2 im Oktober 2017

I.5. Am 11.07.2018 wurde eine Stellungnahme zmu Länderinformationsblatt übermittelt, in dem vorgebracht wurde, dass die BF1 in der Ukraine kein familiäres und soziales Netzwerk habe. Des Weiteren bestünde eine hohe Rate an Entführungen und Vergewaltigungen, welche oft durch Amtsträger durchgeführt würden. Die BF seien bereits Opfer sexuellen Missbrauchs geworden. In der Ukraine drohten ihnen daher weitere Misshandlungen.

I.6. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.08.2018 wurden die Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 3 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 die Anträge hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ukraine abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 8 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Dem Bescheid wurden die entsprechenden Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat der BF zu Grunde gelegt. Das Fluchtvorbringen sei aufgrund mehrerer unplausibler Angaben und Widersprüche nicht glaubwürdig. Da die BF1 arbeitsfähig und gesund sei, gehe die Behörde davon aus, dass den BF auch keine Gefahren drohten, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würden. In rechtlicher Hinsicht folgerte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Spruchpunkt I., dass dem von der BF1 vorgebrachten Sachverhalt keine Glaubwürdigkeit zukomme. Zu Spruchpunkt II. wurde ausgeführt, dass bei den BF keine individuellen Umstände vorlägen, die dafür sprechen würden, dass sie bei einer Rückkehr in die Ukraine in eine derart extreme Notlage geraten würden, die eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen würde. Unter Spruchpunkt IV. wurde mit näherer Begründung darauf verwiesen, dass im Verfahren keine Ansatzpunkte hervorgetreten seien, die die Vermutung einer besonderen Integration der BF in Österreich rechtfertigen würden. Bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen würden somit keine Hinweise gefunden werden, welche den Schluss zuließen, dass durch die Rückkehrentscheidung auf unzulässige Weise im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK in das Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens eingegriffen werden würde.

I.7. Gegen diese Bescheide wurde fristgerecht am 19.09.2018 Beschwerde erhoben. Begründend wurde im Wesentlichen das Vorbringen der BF1 wiederholt und die Beweiswürdigung der belangten Behörde kritisiert. Die BF1 sei in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt worden, da sie am 20.06.2018 von einem männlichen Referenten einvernommen worden sei. Bei der Einvernahme am 21.06.2018 sei nur der Nachname des Referenten vermerkt, das Geschlecht sei nicht erkennbar. Durch Einvernahme und Entscheidung durch einen Mann sei die BF1 in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt worden. Ergänzend wurde vorgebracht, dass die BF in Österreich mittlerweile integriert seien. Die BF1 verbessere ihre Sprachkenntnisse, die BF2 besuche den Kindergarten und diverse Kurse. Die BF1 habe mehrere österreichische Freunde und verfüge über eine Einstellungszusage.

Der Beschwerde lagen (mit Ausnahme der bereits in einem früheren Stadium des Verfahrens vorgelegten Unterlagen) folgende Unterlagen bei:

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Einstellungszusage einer Consulting-Firma

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Befundbericht BF1 vom Juni 2018

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Zwei Empfehlungsschreiben

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Anmeldebestätigung Deutschkurs A2, BF1

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Zeitungsartikel in russischer Sprache aus dem Jahr 2012 mit deutscher Übersetzung

I.8. Die Beschwerde samt Verwaltungsakten langte am 01.10.2018 beim BVwG ein.

I.9. Am 15.01.2019 wurde ein Zeugnis zur Integrationsprüfung A2 der BF1 vorgelegt.

I.10. In einer Stellungnahme vom 23.08.2019 zum Länderinformationsblatt der Ukraine wurde ergänzend vorgebracht, dass es in der Ukraine zunehmend zu Verfolgung von Personen, die Russisch sprechen, komme. Dies sei die Muttersprache der BF1. Aus den Länderberichten ergebe sich ein immer wieder gewaltsam ausbrechender Konflikt zwischen Ukrainern und der russsichsprachigen Bevölkerung. Besonders deutlich werde dies im Konflikt um die Annexion der Krim bzw. in der Ostukraine. Hierzu wurden Passagen aus den Länderberichten zitiert.

Die BF1 werde aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur politischen bzw. soziale Gruppe um die Regierung YANUKOVICH verfolgt. Es komme zu Racheaktionen gegen das alte Regime in Form von Brandstiftungen, Sachbeschädigung, Körperverletzung etc.

In der Ukraine seien zahlreiche unregistrierte Waffen in Umlauf und es würden immer wieder Menschen verschwinden, indem ihre Personaldokumente gestohlen und ihre Identität gelöscht werde. Aufgrund des Diebstahls ihrer Dokumente befürchte die BF1, dass ihr dies ebenfalls passiert sei.

Abschließend wurde auf das Privatleben der BF in Österreich verwiesen.

Der Stellungnahme lagen folgende Unterlagen bei:

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Artikel vom 04.06.2018, "Der ukrainische Tennisspieler gesteht seinen Hass für die Russischsprechende auf Russisch"

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Artikel vom 30.04.2018, "Farion: Die russischsprachigen Ukrainer sind das größte Problem der Ukraine. Sie sind Abtrünnige, Verräter, Renegaten."

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Artikel (undatiert, ohne Quelle), "Russisch Sprache in der Ukraine: Was ändert sich nach dem Inkrafttreten des Gesetzes über die Staatssprache?"

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Anmeldebestätigung BF1 bei der Wiener Bildungsdrehscheibe

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Kusbestätigung BF1 "Integration ab Tag 1"

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Kursbesuchsbestätigung Deutsch A2

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Aufenthaltsbestätigung Krankenhaus (BF1), 17.03.2019 bis 20.03.2019

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Patientenbrief BF1

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Empfehlungsschreiben

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Aufnahmevertrag Volkssschule, BF2

I.11. Das BVwG führte am 28.08.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Ukrainisch durch, zu der die BF1 im Beisein eines gewillkürten Vertreters persönlich erschien. Die belangte Behörde nahm durch die zuständige Referentin ebenfalls an der Verhandlung teil.

In Zuge der Verhandlung gab die BF1 an, dass sie im Frühjahr 2019 operiert worden sei. Derzeit nehme sie keine Medikamente. Sie leide stressbedingt an Psoriasis und Kopfschmerzen.

Zu ihrer beruflichen Tätigkeit vor der Ausreise gab sie an, dass ihre Kanzlei vom Innenministerium Strafakten erhalten habe. Sie habe diese Akten gescannt, kopiert und auch Aktenteile herausnehmen müssen. Zu ihnen seien Politiker gekommen und diese hätten große Geldbeträge abgegeben, die sie habe weiterleiten müssen. Sie habe auch Kaffee gekocht, Besucher abgeholt, Dokumente zugestellt und Schriftverkehr geführt. Ihr Chef beim Innenministerium habe Geld dafür erhalten, Probleme aus der Welt zu schaffen. Man habe einiges aus den Verfahrensakten verschwinden lassen. Die Strafverfahren hätten hohe Beamte betroffen. Damals sei gegen jeden ein Strafverfahren eingeleitet worden. Die Politiker seien auch immer daran interessiert gewesen, etwas Kompromittierendes zu Gegnern zu erhalten. Sie habe damals nicht gewusst, dass sie etwas Rechtswidriges tue. Erst als es zu Drohungen gekommen sei, habe sie realisiert, dass an ihrer Tätigkeit etwas nicht gestimmt habe.

Sie habe die Ukraine am 09.03.2014 verlassen. Ihre Freunde hätten die Ausreise finanziert. Zu diesen bestehe kein Kontakt mehr.

Zu ihren Fluchtgründen befragt gab sie an, dass es in der Ukraine zu einem politischen Umsturz, dem Maydan, gekommen sei. Ihr Präsident sei geflüchtet und es habe Anarchie geherrscht. Alle Minister seien geflüchtet und es habe für die Bevölkerung keinen staatlichen Schutz gegeben. Die Minister hätten alle Dokumente verbrannt und Spuren verwischt, die sie belasten könnten. Gegen diese Personen seien immer noch Strafverfahren anhängig. Sie habe damals Drohanrufe bekommen, die Männer hätten sich als Mitarbeiter der Polizei oder der Staatsanwaltschaft ausgegeben. Sie hätten Papiere von ihr verlangt. Sie habe bemerkt, dass ihre Eingangstür markiert worden sei, um zu kontrollieren, ob sie die Wohnung betrete. Sie sei auch von einem dunklen Fahrzeug verfolgt worden. Sie habe immer wieder die SIM-Karte gewechselt, aber trotzdem weiter Anrufe erhalten. Sie sei beschimpft und sie selbst und ihre Tochter bedroht worden. Sie hätten ihr nicht gesagt welche konkreten Dokumente sie herausgeben sollte. Eines Tages habe sie ihre Wohnung durchwühlt vorgefunden, ihre Dokumente seien gestohlen worden. Sie sei sofort zu einer Freundin nach XXXX gefahren, wo sie am nächsten Tag mit ihrer Tochter auf der Straße entführt worden sei. Sie sei in eine Garage gebracht und an einem Sessel angebunden worden. Anschließend sei sie geschlagen und sexuell missbraucht worden. Als zwei der Männer die Garage verlassen hätten, habe sie den dritten Mann davon überzeugen könne, sie gehen zu lassen. Vor der Garage habe sie ein Auto angehalten und sei zu einer anderen Freundin gebracht worden. Dort sei sie bis zur Ausreise drei bis vier Tage später geblieben.

Sie habe vor diesem Vorfall sehr viele Anrufe von unterschiedlichen Personen erhalten. Ob andere Mitarbeiter der Kanzlei auch angerufen worden seien, wisse sie nicht. Ihre Direktorin sei in Schweden. Alle anderen Mitarbeiter seien geflüchtet. Sie habe versucht, alle anzurufen, aber sie seien nicht erreichbar gewesen. Die Anrufe hätten länger als einen Monat gedauert. Sie habe sich nicht an die Polizei gewandt, weil sie von dieser Stelle bedroht und angerufen worden sei. Bei ihrer Rückkehr habe sie Angst vor hochrangigen Personen, gegen die Strafverfahren eingeleitet worden seien. Sie könne gegen diese als Zeugin aussagen. In der Ukraine komme es oft zu Entführungen. Wenn der Auftrag von oben komme, werde das nicht publik.

Mit ihrer ehemaligen Direktorin stehe sie nach wie vor in Kontakt, sie sei die Taufpatin der BF2 und helfe ihr immer noch. In der Ukraine habe sie keine Familie, keine Wohnung und keine Dokumente.

Sie sei in Österreich nicht berufstätig, mache aber gelegentlich Freundinnen die Maniküre oder gebe den Kindern Tanzunterricht. Sie helfe bei internationalen Treffen. Sie verfüge über eine Einstellungszusage für eine Vollzeitbeschäftigung. Sie lebe seit 2015 in einer Beziehung mit einem namentlich genannten Österreicher, ein gemeisamer Haushalt bestehe nicht. Ihr Lebensgefährte habe eine eigene Firma und handle mit Immobilien. Sie habe aus gesundheitlichen Gründen die Prüfung B1 bisher nicht machen können. Die BF2 besuche ab September die Volksschule und sei gesund.

Im Zuge der Verhaldung legte die BF1 eine Einstellungszusage vom 20.08.2019 vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die BF sind Staatsangehörige der Ukraine und stammen aus Kiew. Sie gehören der Volksgruppe der Ukrainer an, die BF1 spricht Russisch, Ukrainisch, Polnisch, Englisch und etwas Deutsch. Die Identität der BF steht mangels Vorlage geeigneter Dokumente nicht fest.

Die BF stellten am 12.03.2014 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz, wobei sie illegal in das Bundesgebiet eingereist sind.

1.2. Die Einvernahme der BF1 am 21.06.2018 erfolgte durch eine weibliche Referentin, die in weiterer Folge auch die gegenständlichen Bescheide ausstellte und zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 28.08.2019 erschien.

1.3. Die BF1 hat in der Ukraine ein College für Choreographie abgeschlossen und war berufstätig. Sie hat im Herkunftsstaat keine Familienangehörigen.

1.4. Die BF halten sich seit der Einreise am 12.03.2014 durchgehend im Bundesgebiet auf. Die BF1 spricht Deutsch auf dem Niveau A2. Sie ist nicht Mitglied in einem Verein oder einer Organisation und war bisher weder ehrenamtlich tätig noch erwerbstätig. Sie verfügt über eine Einstellungszusage. Die BF2 besuchte in Österreich den Kindergarten und seit September 2019 die Volksschule.

Die BF beziehen Leistungen aus der Grundversorgung, die BF1 ist strafrechtlich unbescholten.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF1 in einer Beziehung mit einem österreichischen Staatsangehörigen oder einer anderen in Österreich dauerhaft aufhältigen Person lebt.

1.5. Die BF leiden aktuell an keinen schwerwiegenden, lebensbedrohlichen oder behandlungsbedürftigen Erkrankungen, die ihrer Rückkehr in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.

1.6. Den BF droht in der Ukraine weder in der Vergangenheit noch aktuell eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung maßgeblicher Intensität oder eine sonstige Verfolgung maßgeblicher Intensität.

1.7. Die BF sind im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Ukraine nicht in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht.

Die BF würden im Falle ihrer Rückkehr in ihrem Herkunftsstaat nicht in eine existenzgefährdende Notlage geraten.

1.8. Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat der BF

Politische Lage

Die Ukraine ist eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Staatsoberhaupt ist seit 20.05.2019 Präsident Wolodymyr Selensky, Regierungschef ist seit 14.4.2016 Ministerpräsident Wolodymyr Hroisman.

Das ukrainische Parlament (Verkhovna Rada) wird über ein Mischsystem zur Hälfte nach Verhältniswahlrecht und zur anderen Hälfte nach Mehrheitswahl in Direktwahlkreisen gewählt (AA 20.5.2019). Das gemischte Wahlsystem wird als anfällig für Manipulation und Stimmenkauf kritisiert. Auch die unterschiedlichen Auslegungen der Gerichte in Bezug auf das Wahlrecht sind Gegenstand der Kritik. Ukrainische Oligarchen üben durch ihre finanzielle Unterstützung für verschiedene politische Parteien einen bedeutenden Einfluss auf die Politik aus. Die im Oktober 2014 abgehaltenen vorgezogenen Parlamentswahlen wurden im Allgemeinen als kompetitiv und glaubwürdig erachtet, aber auf der Krim und in von Separatisten gehaltenen Teilen des Donbass war die Abstimmung erneut nicht möglich. Infolgedessen wurden nur 423 der 450 Sitze vergeben (FH 4.2.2019). Der neue Präsident, Wolodymyr Selensky, hat bei seiner Inauguration im Mai 2019 vorgezogene Parlamentswahlen bis Ende Juli 2019 ausgerufen (RFE/RL 23.5.2019).

Nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 verfolgte die Ukraine unter ihrem Präsidenten Petro Poroschenko eine europafreundliche Reformpolitik, die von der internationalen Gemeinschaft maßgeblich unterstützt wird. Zu den Schwerpunkten seines Regierungsprogramms gehörte die Bekämpfung der Korruption sowie eine Verfassungs- und Justizreform. Dennoch wurden die Erwartungen der Öffentlichkeit zu Umfang und Tempo der Reformen nicht erfüllt. Die Parteienlandschaft der Ukraine ist pluralistisch und reflektiert alle denkbaren Strömungen von national-konservativ und nationalistisch über rechtsstaats- und europaorientiert bis links-sozialistisch. Die kommunistische Partei ist verboten. Der Programmcharakter der Parteien ist jedoch kaum entwickelt und die Wähler orientieren sich hauptsächlich an den Führungsfiguren (AA 22.2.2019).

Der ukrainische Schauspieler, Jurist und Medienunternehmer Wolodymyr Oleksandrowytsch Selenskyj gewann am 21. April 2019 die Präsidentschaftsstichwahl der Ukraine gegen den Amtsinhaber Petro Poroschenko mit über 73% der abgegebenen Stimmen (Wahlbeteiligung: 61,4%). Poroschenko erhielt weniger als 25% der Stimmen (RFE/RL 30.4.2019). Beobachtern zufolge verlief die Wahl im Großen und Ganzen frei und fair und entsprach generell den Regeln des demokratischen Wettstreits. Kritisiert wurden unter anderem die unklare Wahlkampffinanzierung und die Medienberichterstattung in der Wahlauseinandersetzung (KP 22.4.2019). Selenskyj wurde am 20.5.2019 als Präsident angelobt. Er hat angekündigt möglichst bald parlamentarische Neuwahlen ausrufen zu lassen, da er in der Verkhovna Rada über keinen parteipolitischen Rückhalt verfügt und demnach kaum Reformen umsetzen könnte. Tatsächlich hat er umgehend per Dekret vorgezogene Parlamentswahlen bis Ende Juli 2019 ausgerufen (RFE/RL 23.5.2019).

Es ist ziemlich unklar, wofür Präsident Selenskyj politisch steht. Bekannt wurde er durch die beliebte ukrainische Fernsehserie "Diener des Volkes", in der er einen einfachen Bürger spielt, der eher zufällig Staatspräsident wird und dieses Amt mit Erfolg ausübt. Tatsächlich hat Selenskyj keine nennenswerte politische Erfahrung, ist dadurch jedoch auch unbefleckt von politischen Skandalen. Eigenen Aussagen zufolge will er den Friedensplan für den umkämpften Osten des Landes wiederbeleben und strebt wie Poroschenko einen EU-Beitritt an. Über einen Nato-Beitritt der Ukraine soll jedoch eine Volksabstimmung entscheiden (DS 21.4.2019; ZO 21.4.2019). Selenskyj hat sich vor allem den Kampf gegen die Korruption auf seine Fahnen geschrieben (UA 27.2.2019).

Kritiker sehen Selenskyj als Marionette des Oligarchen Igor Kolomojskyj, dessen weitgehende Macht unter Präsident Poroschenko stark beschnitten wurde, und auf dessen Fernsehsender 1+1 viele von Selenskyjs Sendungen ausgestrahlt werden. Diesen Vorwurf hat Selenskyj stets zurückgewiesen (UA 27.2.2019; CNN 21.4.2019; Stern 23.4.2019).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (22.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458484/4598_1551701473_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-februar-2019-22-02-2019.pdf, Zugriff 18.3.2019

-AA - Auswärtiges Amt (20.5.2019): Ukraine, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/ukraine-node/ukraine/201830, Zugriff 27.5.2019

-

CNN - Cable News Network (21.4.2019): Political newcomer Volodymyr Zelensky celebrates victory in Ukraine's presidential elections, https://edition.cnn.com/2019/04/21/europe/ukraine-election-results-intl/index.html, Zugriff 24.4.2019

-

DS - Der Standard (21.4.2019): Politikneuling Selenski wird neuer Präsident der Ukraine,

https://derstandard.at/2000101828722/Politik-Neuling-Selenski-bei-Praesidenten-Stichwahl-in-der-Ukraine-vorn, Zugriff 24.4.2019

-

FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002619.html, Zugriff 24.4.2019

-

KP - Kyiv Post (22.4.2019): Election watchdog Opora: Presidential election free and fair,

https://www.kyivpost.com/ukraine-politics/election-watchdog-opora-presidential-election-free-and-fair.html, Zugriff 24.4.2019

-

Stern (23.4.2019): Ihor Kolomojskyj, der milliardenschwere Strippenzieher hinter der Sensation Selenskyj, https://www.stern.de/politik/ausland/ukraine--ihor-kolomojskyj--der-strippenzieher-hinter-der-sensation-selenskyj-8678850.html, Zugriff 24.4.2019

-

UA - Ukraine Analysen (27.2.2019): Präsidentschaftswahlen 2019, per E-Mail

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RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (23.5.2019): Zelenskiy's Decree On Disbanding Ukrainian Parliament Enters Into Force, https://www.rferl.org/a/zelenskiy-s-decree-on-disbanding-ukrainian-parliament-enters-into-force/29958190.html, Zugriff 27.5.2019

Sicherheitslage

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten Donezk und Luhansk sowie auf der Krim haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben (AA 22.2.2019).

Durch die Besetzung der Krim, die militärische Unterstützung von Separatisten im Osten und die Verhängung wirtschaftlicher Sanktionen gegen die Ukraine, kann Russland seinen Einfluss auf den Verlauf des politischen Lebens in der Ukraine aufrechterhalten. Menschen, die in den besetzten Gebieten des Donbass leben, sind stark russischer Propaganda und anderen Formen der Kontrolle ausgesetzt (FH 4.2.2019).

Nach UN-Angaben kamen seit Beginn des bewaffneten Konflikts über 10.000 Menschen um; es wurden zahlreiche Ukrainer innerhalb des Landes binnenvertrieben oder flohen ins Ausland. Das im Februar 2015 vereinbarte Maßnahmenpaket von Minsk wird weiterhin nur schleppend umgesetzt. Die Sicherheitslage hat sich seither zwar deutlich verbessert, Waffenstillstandsverletzungen an der Kontaktlinie bleiben aber an der Tagesordnung und führen regelmäßig zu zivilen Opfern und Schäden an der dortigen zivilen Infrastruktur. Der politische Prozess im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe (OSZE, Ukraine, Russland) stockt trotz hochrangiger Unterstützung im Normandie-Format (Deutschland, Frankreich, Ukraine, Russland). Besonders kontrovers in der Ukraine bleibt die im Minsker Maßnahmenpaket vorgesehene Autonomie für die gegenwärtig nicht kontrollierten Gebiete, die u.a. aufgrund der Unmöglichkeit dort Lokalwahlen nach internationalen Standards abzuhalten, noch nicht in Kraft gesetzt wurde. Dennoch hat das ukrainische Parlament zuletzt die Gültigkeit des sogenannten "Sonderstatusgesetzes" bis Ende 2019 verlängert (AA 22.2.2019).

Ende November 2018 kam es im Konflikt um drei ukrainische Militärschiffe in der Straße von Kertsch erstmals zu einem offenen militärischen Vorgehen Russlands gegen die Ukraine. Das als Reaktion auf diesen Vorfall für 30 Tage in zehn Regionen verhängte Kriegsrecht endete am 26.12.2018, ohne weitergehende Auswirkungen auf die innenpolitische Entwicklung zu entfalten. (AA 22.2.2019; vgl. FH 4.2.2019).

Der russische Präsident, Vladimir Putin, beschloss am 24.4.2019 ein Dekret, welches Bewohnern der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk den Erwerb der russischen Staatsbürgerschaft im Eilverfahren erleichtert ermöglicht. Demnach soll die Entscheidung der russischen Behörden über einen entsprechenden Antrag nicht länger als drei Monate dauern. Internationale Reaktionen kritisieren dies als kontraproduktiven bzw. provokativen Schritt. Ukrainische Vertreter sehen darin die Schaffung einer rechtlichen Grundlage für den offiziellen Einsatz der russischen Streitkräfte gegen die Ukraine. Dafür gibt es einen historischen Präzedenzfall. Als im August 2008 russische Truppen in Georgien einmarschierten, begründete der damalige russische Präsident Dmitrij Medwedjew das mit seiner verfassungsmäßigen Pflicht, "das Leben und die Würde russischer Staatsbürger zu schützen, wo auch immer sie sein mögen". In den Jahren zuvor hatte Russland massenhaft Pässe an die Bewohner der beiden von Georgien abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien ausgegeben (FAZ 26.4.2019; vgl. SO 24.4.2019).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (22.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458484/4598_1551701473_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-februar-2019-22-02-2019.pdf, Zugriff 18.3.2019

-

FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (26.4.2019): Ein Signal an Selenskyj,

https://www.faz.net/aktuell/politik/putin-verteidigt-russische-staatsbuergerschaft-fuer-ukrainer-16157482.html?printPagedArticle=true#pageIndex_0, Zugriff 26.4.2019

-

FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002619.html, Zugriff 24.4.2019

-

SO - Spiegel Online (24.4.2019): Putins Provokation, https://www.spiegel.de/politik/ausland/ukraine-wladimir-putin-kuendigt-an-russische-paesse-im-besetzten-donbass-auszuteilen-a-1264280.html, Zugriff 29.3.2019

-

USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004269.html, Zugriff 10.4.2019

Ostukraine

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten Donezk und Luhansk haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben (AA 22.2.2019).

In den nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teilen der Oblaste Donezk und Luhansk kam es insbesondere 2014/15 zu schwersten Menschenrechtsverletzungen. Obwohl die Separatisten seither die öffentliche Ordnung und eine soziale Grundversorgung im Wesentlichen wiederhergestellt haben, werden zahlreiche Grundrechte (v.a. Meinungs- und Religionsfreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Eigentumsrechte) weiterhin systematisch missachtet (AA 22.2.2019).

In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk (DPR) und Luhansk (LPR) gibt es seit 2014 keine unabhängige Justiz, und das Recht auf ein faires Verfahren wird systematisch eingeschränkt. Es werden Inhaftierungen auf unbestimmte Zeit ohne gerichtliche Überprüfung und ohne Anklage oder Gerichtsverfahren berichtet. Bei Verdacht auf Spionage oder Verbindungen zur ukrainischen Regierung werden von Militärgerichten geheime Gerichtsverfahren abgehalten, gegen deren Urteile es nahezu keine Beschwerdemöglichkeit gibt und die Berichten zufolge lediglich dazu dienen, bei der Verfolgung von Personen einen Anschein von Legalität zu wahren. Willkürliche Verhaftung sind in der DPR und der LPR weit verbreitet. In der LPR wurde die Möglichkeit der Präventivhaft für 30 bis 60 Tage geschaffen. Die Präventivhaft wird Angehörigen nicht mitgeteilt (incommunicado) und kein Kontakt zu einem Rechtsbeistand und Verwandten zugelassen. Der Zustand der Hafteinrichtungen in den separatistisch kontrollierten Gebieten verschlechtert sich weiter. Berichten zufolge existiert in den Gebieten Donezk und Luhansk in Kellern, Abwasserschächten, Garagen und Industrieunternehmen ein umfangreiches Netz inoffizieller Haftstätten, die meist nicht einmal für eine kurzfristige Inhaftierung geeignet wären. Es gibt Berichte über schweren Mangel an Nahrungsmitteln, Wasser, Hitze, sanitären Einrichtungen und angemessener medizinischer Versorgung. Ein unabhängiges Monitoring der Haftbedingungen wird von den Machthabern nicht oder nur eingeschränkt erlaubt. Es gibt Berichte über systematische Übergriffe gegen Gefangene, wie Folter, Hunger, Verweigerung der medizinischen Versorgung und Einzelhaft sowie den umfangreichen Einsatz von Gefangenen als Zwangsarbeiter zur persönlichen Bereicherung der separatistischen Anführer (USDOS 13.3.2019).

In der Region Donbass unterdrücken die Separatisten die Rede- und Pressefreiheit durch Belästigung, Einschüchterung, Entführungen und Übergriffe auf Journalisten und Medien (USDOS 13.3.2019; vgl. FH 4.2.2019, ÖB 2.2019). Die Separatisten verhindern auch die Übertragung ukrainischer und unabhängiger Fernseh- und Radioprogramme in von ihnen kontrollierten Gebieten. Mittlerweile haben die Separatisten im Osten des Landes ihre Bemühungen verstärkt, Online-Inhalte zu blockieren, welche angeblich die ukrainische Regierung oder die ukrainische kulturelle Identität unterstützen. Es sind nur Demonstrationen zulässig, welche von den lokalen "Behörden" unterstützt oder organisiert werden. In der DNR/LNR können nationale und internationale zivilgesellschaftliche Organisationen nicht frei arbeiten. Es gibt eine steigende Zahl von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die von den Separatisten gegründet wurden (USDOS 13.3.2019).

Es gibt es eine massive Zerstörung von zivilem Eigentum und Infrastruktur in den Konfliktgebieten. Auch Schulen und medizinische Einrichtungen waren und bleiben weiterhin betroffen. Zuweilen ist vielerorts die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen oder nur zeitweise gesichert, ohne die im Winter auch nicht geheizt werden kann. Aufgrund der fehlenden Rechtsstaatlichkeit in den Separatistengebieten sind dort Frauen besonders gefährdet. Es gibt Berichte über Missbrauch, Sexsklaverei und Menschenhandel (ÖB 2.2019).

Die meisten LGBTI-Personen sind aus den separatistischen Teilen der Oblaste Donezk und Luhansk geflohen oder verstecken ihre sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität (USDOS 13.3.2019).

Die Separatisten in der Ostukraine haben Berichten zufolge einige religiöse Führer inhaftiert. Im Februar 2018 wurden in Luhansk religiöse Gruppen, die nicht den "traditionellen" Religionen angehören, darunter Protestanten und Zeugen Jehovas, verboten (FH 4.2.2019).

Die separatistischen Kräfte erlauben keine humanitäre Hilfe der ukrainischen Regierung, sondern nur solche internationaler humanitärer Organisationen. Infolgedessen sind die Preise für Grundnahrungsmittel angeblich für viele Bewohner der nicht von der Regierung kontrollierten Gebiete der Ostukraine zu hoch. Menschenrechtsgruppen berichten auch über einen ausgeprägten Mangel an Medikamenten, Kohle und medizinischen Hilfsgütern. Es kommen weiterhin Konvois der russischen "humanitären Hilfe" an, die nach Ansicht der ukrainischen Regierungsbeamten aber Waffen und Lieferungen für die separatistischen Streitkräfte enthalten (USDOS 13.3.2019).

Durch die Kontaktlinie, welche die Konfliktparteien trennt, wird das Recht auf Bewegungsfreiheit beschnitten und Gemeinden getrennt. Jeden Tag warten bis zu 30.000 Menschen stundenlang unter erschwerten Bedingungen an den fünf Checkpoints auf das Überqueren der Kontaktlinie. Unzureichend beschilderte Minen entlang der Straßen stellen eine Gefahr für die Wartenden dar (ÖB 2.2019; vgl. PCU 3.2019). Es gibt nur unzureichende sanitäre Einrichtungen, speziell auf separatistischer Seite (HRW 17.1.2019).

Im Zuge der Kampfhandlungen zwischen der Ukraine und den Separatisten kam es 2014 in jenen Gebieten, in denen nicht die ukrainischen Streitkräfte selbst, sondern Freiwilligenbataillone eingesetzt waren, mitunter zu schweren Menschenrechtsverletzungen. Diese Bataillone wurden in der Folgezeit sukzessive der Nationalgarde (Innenministerium) unterstellt, nur das Bataillon Ajdar wurde in die Armee eingegliedert. Offiziell wurden Freiwilligenbataillone danach nicht mehr an der Kontaktlinie, sondern ausschließlich zur Sicherung rückwärtiger Gebiete eingesetzt. Die nicht immer klare hierarchische Einbindung dieser Einheiten hatte zur Folge, dass es auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu Menschenrechtsverletzungen kam, namentlich zu Freiheitsberaubung, Erpressung, Diebstahl und Raub, evtl. auch zu extralegalen Tötungen. Diese Menschenrechtsverletzungen sind Gegenstand von teilweise schleppend verlaufenden Strafverfahren. Infolge des Übergangs von der ATO (Anti-Terror-Operation in der Ostukraine, geführt vom SBU, Anm.) zu der nunmehr von der Armee koordinierten OVK (Operation der Vereinigten Kräfte) mit April 2018, wurden verbliebene Freiwilligenverbände endgültig in die regulären Streitkräfte eingegliedert oder haben die OVK-Zone verlassen (AA 22.2.2019).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (22.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458484/4598_1551701473_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-februar-2019-22-02-2019.pdf, Zugriff 18.3.2019

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HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002209.html, Zugriff 25.4.2019

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PCU - Protection Cluster Ukraine (3.2019): Mine Action in Ukraine, https://www.unhcr.org/ua/wp-content/uploads/sites/38/2019/04/2019_03_advocacy_note_on_mine_action_eng-1.pdf, Zugriff 17.5.2019

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ÖB - Österreichische Botschaften (2.2019): Asylländerbericht Ukraine,

https://www.ecoi.net/en/file/local/2003113/UKRA_%C3%96B-Bericht_2018.doc, Zugriff 11.4.2019

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USDOS - US Department of State (13.3.2019)

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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