TE Vfgh Erkenntnis 2019/11/27 E2038/2019

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Veröffentlicht am 27.11.2019
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AVG §68
AsylG 2005 §57
FremdenpolizeiG 2005 §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander betreffend die Zurückweisung wegen entschiedener Sache hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten für einen afghanischen Staatsangehörigen; keine Auseinandersetzung mit den aktuellen UNHCR-Richtlinien

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigenden Gründen sowie gegen Nichterteilung einer Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973).

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.       Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger. Er stellte am 16. April 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zum Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer an, sein Bruder sei Angehöriger der Taliban gewesen. Der Bruder habe sich geweigert, mit den Taliban weiter zusammenzuarbeiten und sei daraufhin getötet worden. Um nicht auch zur Zusammenarbeit aufgefordert und in weiterer Folge getötet zu werden, sei der Beschwerdeführer mit einem weiteren Bruder von seinem Vater weggeschickt worden.

1.1.    Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag mit Bescheid vom 29. Mai 2017 ab und erkannte dem Beschwerdeführer den Status eines Asylberechtigten nicht zu (Spruchpunkt I.). Gemäß §8 Abs1 Z1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG wurde nicht erteilt und wurde gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG iVm §9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung nach §52 Abs2 Z2 FPG erlassen. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß §46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG wurde eine Ausreisefrist von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV.).

1.2.    Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 26. März 2018 als unbegründet ab. Diese Entscheidung erwuchs in Rechtskraft.

2.       Auf Grund eines Festnahmeauftrages wurde der Beschwerdeführer festgenommen und stellte am 12. November 2018 einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Zu den Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer an, er sei seit sechs Monaten vollständig Atheist. Zuvor hätte er schon Zweifel an der Existenz Gottes gehabt. Der Vater habe in der Zwischenzeit einen dritten Drohbrief bekommen, worin die Familie, für den Fall, dass er und sein Bruder sich nicht den Taliban anschließen würden, bedroht worden sei.

2.1.    Der Beschwerdeführer wurde am 11. Dezember 2018 nach Afghanistan abgeschoben.

2.2.    Den zweiten Antrag auf internationalen Schutz wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 15. März 2019 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigen gemäß §68 Abs1 AVG wegen entschiedener Sache zurück. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG wurde nicht gewährt und eine Frist zur Ausreise wurde nicht erteilt.

3.       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der der Beschwerdeführer eine Verletzung im Recht gemäß Art3 EMRK, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung (Folter) unterworfen zu werden, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt.

II.      Erwägungen

1.       Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2.       Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (siehe etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3.       Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

4.       Ein auf das Asylgesetz 2005 gestützter Antrag auf internationalen Schutz ist nicht bloß auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, sondern hilfsweise für den Fall der Nichtzuerkennung dieses Status auch auf die Gewährung subsidiären Schutzes gemäß §8 AsylG 2005 gerichtet. Der Umstand, dass in einem Antrag auf internationalen Schutz auch ein Antrag in Bezug auf die Gewährung von subsidiärem Schutz enthalten ist, wirkt sich auch bei der Behandlung von Folgeanträgen aus: Hinsichtlich eines Folgeantrages in einem Asylverfahren nach dem Asylgesetz 2005 ist das Bundesverwaltungsgericht verpflichtet, Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten, sondern auch in Bezug auf die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten einer Prüfung zu unterziehen (vgl VfSlg 19.466/2011 mwN).

4.1.    Das Bundesverwaltungsgericht hält in seiner Begründung fest, dass "die allgemeine Situation in Afghanistan – soweit sie den Beschwerdeführer betrifft – seit der Erlassung der Rückkehrentscheidung im März 2018 unverändert geblieben [sei] und sich die maßgebliche Lage in Afghanistan für den Beschwerdeführer nicht geändert" habe. Diese begründungslose Aussage des Bundesverwaltungsgerichtes vermag den Anforderungen an eine willkürfreie Begründung nicht zu genügen.

4.2.    Der Verfassungsgerichtshof hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass die im Asylverfahren herangezogenen Länderberichte hinreichend aktuell sein müssen; dies betrifft insbesondere Staaten mit sich rasch ändernder Sicherheitslage (vgl etwa VfSlg 19.466/2011; VfGH 21.9.2012, U1032/12; 26.6.2013, U2557/2012; 11.12.2013, U1159/2012 ua; 11.3.2015, E1542/2014; 22.9.2016, E1641/2016; 23.9.2016, E1796/2016; 27.2.2018, E2124/2017).

4.3.    Der Beschwerdeführer stellte den zweiten Antrag auf internationalen Schutz im November 2018. In der angefochtenen Entscheidung berücksichtigt das Bundesverwaltungsgericht nur bis Juni 2018 erschienene Länderberichte. Vor diesem Hintergrund enthält das angefochtene Erkenntnis keine hinreichend aktuellen Länderberichte.

4.4.    Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes standen zur Beurteilung der Frage, ob sich die Lage im Herkunftsstaat nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes im März 2018 über den ersten Asylantrag des Beschwerdeführers maßgeblich änderte, aktuellere Länderberichte zur Verfügung, als das Bundesverwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde legte (insbesondere UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 30.8.2018; vgl dazu auch VfGH 30.11.2018, E3870/2018).

5.       Aus diesen Gründen hat das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung mit Willkür belastet.

6.       Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde gegen die durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigte Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art144 B-VG ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrages bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, abzusehen.

III.    Ergebnis

1.       Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigenden Gründen sowie gegen Nichterteilung einer Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden. Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2.       Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen.

3.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.

Schlagworte

Asylrecht, res iudicata, Ermittlungsverfahren, Entscheidungsbegründung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2019:E2038.2019

Zuletzt aktualisiert am

11.02.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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