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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander betreffend die Zurückweisung wegen entschiedener Sache hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten für eine Familie afghanischer Staatsangehöriger; keine Auseinandersetzung mit den aktuellen UNHCR-Richtlinien zur KabulSpruch
I. 1. Die beschwerdeführenden Parteien sind durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß §68 Abs1 AVG wegen entschiedener Sache, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen (§57 Asylgesetz 2005), gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Aussprüche, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und keine Frist zur freiwilligen Ausreise bestehe, abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den beschwerdeführenden Parteien zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.139,20,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind ein Ehepaar und die dritt- und viertbeschwerdeführenden Parteien sind ihre minderjährigen Kinder. Sie alle sind Staatsangehörige Afghanistans und stammen aus der Stadt Kabul. Nach rechtskräftigem negativen Abschluss der Verfahren über ihre Anträge auf internationalen Schutz durch Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes vom 26. April 2018 stellten die beschwerdeführenden Parteien am 28. November 2018 jeweils Folgeanträge auf internationalen Schutz.
2. Mit Bescheiden vom 21. Februar 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) die Anträge gemäß §68 Abs1 AVG wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkt I. und II.); erteilte keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.); erließ jeweils eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG (Spruchpunkt IV.); stellte fest, dass die Abschiebung gemäß §46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.); und sprach aus, dass gemäß §55 Abs1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI.).
3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht als unbegründet ab, im Wesentlichen mit der Begründung, dass seit dem Abschluss des ersten Asylverfahrens der beschwerdeführenden Parteien in Österreich mit den am 3. Mai 2018 in Rechtskraft erwachsenen Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 26. April 2018 keine relevante Änderung des Sachverhaltes eingetreten sei. Insbesondere sei im Herkunftsstaat in mehreren Landesteilen die Sicherheitslage ausreichend und die Versorgung mit Nahrungsmitteln gewährleistet, etwa in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif.
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. Moniert wird insbesondere, dass das Bundesverwaltungsgericht ohne Begründung stillschweigend von den Positionen von UNHCR und EASO hinsichtlich Rückführungen von Familien in die afghanischen Städte Kabul, Herat und Mazar-e Sharif abrücke.
5. Das BFA und das Bundesverwaltungsgericht haben die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt; eine Gegenschrift bzw Äußerung wurde nicht erstattet.
II. Erwägungen
Die Beschwerde ist zulässig.
A. Soweit sie sich gegen die Zurückweisung der Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß §68 Abs1 AVG wegen entschiedener Sache, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen (§57 Asylgesetz 2005), gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und gegen die Aussprüche, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und keine Frist zur freiwilligen Ausreise bestehe, richtet, ist sie auch begründet.
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg. cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
2.1. Auch wenn die Behörde einen Folgeantrag auf internationalen Schutz gemäß §68 Abs1 AVG wegen entschiedener Sache zurückweist, hat das über die dagegen erhobene Beschwerde entscheidende Bundesverwaltungsgericht das Vorbringen des Asylwerbers dahingehend zu prüfen, ob ein erstmals vorgebrachter Fluchtgrund, soweit er sachverhaltsändernde Elemente enthält, einen glaubhaften Kern aufweist und ob er im Lichte des Art3 EMRK einer Rückführung aktuell entgegensteht (vgl zB VfGH 9.10.2018, E1297/2018 ua mwN).
2.2. In seiner rechtlichen Beurteilung geht das Bundesverwaltungsgericht zunächst allgemein davon aus, dass den beschwerdeführenden Parteien weiterhin eine Rückkehr in die Städte Kabul, Herat und Mazar-e Sharif möglich sowie zumutbar ist und führt in diesem Zusammenhang auch – zutreffend – aus, dass die EASO-Richtlinien zu Afghanistan aus Juni 2018 bei Ehepaaren mit Kindern, wie im vorliegenden Fall, die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative ua vom Vorhandensein eines Unterstützungsnetzwerkes in dem betreffenden Landesteil abhängig machen (EASO, Country Guidance: Afghanistan, Juni 2018, 99 ff. und insbesondere 108).
2.3. Hinsichtlich Kabul lässt das Bundesverwaltungsgericht jedoch die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 außer Betracht, worin UNHCR der Auffassung ist, "dass angesichts der gegenwärtigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage in Kabul eine interne Schutzalternative in der Stadt grundsätzlich nicht verfügbar ist" (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 30.8.2018, 129; vgl auch jüngst VfGH 10.10.2019, E28/2019 ua; zur Berücksichtigungspflicht auch in Fällen, in denen die beschwerdeführenden Parteien aus der Stadt Kabul stammen, vgl zudem VfGH 26.6.2019, E472/2019 ua).
Das Bundesverwaltungsgericht stellt zwar fest, dass die Familienangehörigen der Zweitbeschwerdeführerin in Kabul leben, geht aber in der rechtlichen Beurteilung – weil es den hier zu beurteilenden Sachverhalt nicht mit den genannten aktuellen Länderberichten in Bezug setzt – allgemein davon aus, dass die beschwerdeführende Familie in der Stadt Kabul über eine interne Schutzalternative verfüge, weil der Erstbeschwerdeführer gut ausgebildet, gesund und arbeitsfähig sei und "im Herkunftsstaat […] noch der Vater, die Mutter und zwei Schwestern der Zweitbeschwerdeführerin in durchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnissen sowie mehrere Onkel des Erstbeschwerdeführers" leben würden. Damit unterlässt es das Bundesverwaltungsgericht, weil es aktuelle Länderberichte außer Acht lässt, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, welche besonderen, außergewöhnlichen Umstände in Anbetracht des grundsätzlichen Befundes, dass angesichts der gegenwärtigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage in Kabul eine interne Schutzalternative in der Stadt grundsätzlich nicht verfügbar ist, im konkreten Fall einen gegenteiligen Schluss zuließen (siehe VfGH 10.10.2019, E28/2019 ua, insbesondere auch dazu, dass die "Tatsache allein", dass Familienangehörige in Kabul leben, an der Unzumutbarkeit einer internen Schutzalternative in der Stadt Kabul nichts zu ändern vermag).
In Bezug auf die Städte Herat und Mazar-e Sharif lässt das Bundesverwaltungsgericht, entgegen der eigenen Prämissen, jegliche auf die betreffenden Landesteile bezogene Prüfung, ob in den genannten Städten ein entsprechendes Unterstützungsnetzwerk besteht, vermissen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat somit sein Erkenntnis mit Willkür belastet, indem es den hier zu beurteilenden Sachverhalt nicht mit aktuellen Länderberichten in Bezug gesetzt und damit die erforderliche Prüfung, ob im konkreten Fall für eine Familie mit zwei minderjährigen Kindern besondere, außergewöhnliche Umstände vorliegen, die die Zulässigkeit einer Rückkehr in die Stadt Kabul zu begründen vermögen, ebenso unterlassen hat, wie es die erforderliche Prüfung, ob im konkreten Fall im Hinblick auf die beschwerdeführende Familie in den Städten Herat und Mazar-e Sharif ein entsprechendes Unterstützungsnetzwerk vorhanden ist, nicht durchgeführt hat.
Soweit sich die Entscheidung auf die Zurückweisung der Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß §68 Abs1 AVG wegen entschiedener Sache, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen (§57 Asylgesetz 2005), gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung sowie gegen die Aussprüche, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und keine Frist zur freiwilligen Ausreise bestehe, bezieht, ist sie daher aufzuheben.
B. Im Übrigen (also hinsichtlich der Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß §68 Abs1 AVG wegen entschiedener Sache) wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:
1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
2. Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen insoweit nicht anzustellen.
III. Ergebnis
1. Die beschwerdeführenden Parteien sind somit durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit die Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß §68 Abs1 AVG wegen entschiedener Sache, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen (§57 Asylgesetz 2005), gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung sowie gegen die Aussprüche, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und keine Frist zur freiwilligen Ausreise bestehe, abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. Da die beschwerdeführenden Parteien gemeinsam durch einen Rechtsanwalt vertreten sind, ist der einfache Pauschalsatz, erhöht um einen entsprechenden Streitgenossenzuschlag von 20 vH des Pauschalsatzes, zuzusprechen. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 523,20,- enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil die beschwerdeführenden Parteien Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießen.
Schlagworte
Asylrecht, res iudicata, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2019:E2006.2019Zuletzt aktualisiert am
11.02.2020