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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander hinsichtlich der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten betreffend einen afghanischen Staatsangehörigen; Abgehen vom Akteninhalt und Außerachtlassung des konkreten Sachverhalts hinsichtlich der Selbsterhaltungsfähigkeit betreffend den Wegfall der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär SchutzberechtigtenSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl Nr 390/1973, verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der in Pakistan aufgewachsene Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Afghanistans und stellte am 7. März 2013 als unbegleiteter Minderjähriger einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 23. Juli 2013 diesen Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte ihm aber den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zu und erteilte ihm eine bis 23. Juli 2014 befristete Aufenthaltsbewilligung. Begründend wurde angesichts Alter, Bildungsgrad, Berufsausübung, Volksgruppenzugehörigkeit und seiner (sonstigen) Anknüpfungspunkte zu Afghanistan ausgeführt, dass es dem minderjährigen, auf Unterstützung Dritter angewiesenen Beschwerdeführer ohne Angehörige und Unterkunft in Afghanistan nicht zumutbar wäre, sich im Falle seiner Rückkehr in ein ihm weitestgehend unbekanntes Land um sich selbst zu kümmern, er vielmehr in eine ausweglose Lage geraten könnte.
Mit Bescheiden vom 15. Juli 2014 und 5. Juli 2016 verlängerte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) die befristete Aufenthaltsbewilligung insgesamt bis zum 15. Juli 2018.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (im Folgenden: BASB), Landesstelle Tirol, vom 11. April 2019 wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer mit einem Grad der Behinderung von 50 vH dem Kreis der begünstigten Behinderten angehört.
2. Mit Bescheid vom 4. Oktober 2018 erkannte das BFA dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §9 Abs1 AsylG 2005 ab, entzog die erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß §9 Abs4 AsylG 2005, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005; erließ eine Rückkehrentscheidung; stellte fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei; legte eine zweiwöchige Frist zur freiwilligen Ausreise fest und wies den Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß §8 Abs4 AsylG 2005 ab.
Das Bundesverwaltungsgericht wies die dagegen erhobene Beschwerde mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 9. September 2019 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab. Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht in seiner rechtlichen Beurteilung aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nachträglich weggefallen seien. Im Kern begründet das Bundesverwaltungsgericht diesen Wegfall mit geänderten persönlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers:
Bei dem ausreichend gesunden, arbeitsfähigen und jungen Beschwerdeführer könne die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben mittlerweile vorausgesetzt werden. Insbesondere aufgrund seiner in Pakistan erworbenen Schulbildung und Berufserfahrung, sowie der weiteren – wenn auch nur kurzen – Berufserfahrung und der Teilnahme an einer Arbeitsqualifizierungsmaßnahme in Österreich sei es dem Beschwerdeführer im Gegensatz zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten möglich und zumutbar, in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat eine berufliche Tätigkeit zu finden, um ein für seinen Lebensunterhalt ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften. Er gehöre keinem Personenkreis an, von dem anzunehmen sei, dass er sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstelle als die übrige Bevölkerung, die ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen könne. Im Gegensatz zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten bzw der letzten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung sei daher beim Beschwerdeführer mittlerweile nunmehr von einer Selbsterhaltungsfähigkeit auszugehen, zumal der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der letzten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung erst ein knappes Monat volljährig gewesen sei, während er mittlerweile 21 Jahre alt sei, sodass die Gefahren für Minderjährige, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung geführt hätten, auf den Beschwerdeführer nicht mehr zutreffen würden. Dem Beschwerdeführer sei es aufgrund seiner gesammelten Berufserfahrung und seiner Arbeitsfähigkeit sowie Arbeitswilligkeit möglich, auch ohne familiäre Unterstützung eine Existenz aufzubauen und sich wirtschaftlich durchzusetzen, beispielsweise als Hilfsarbeiter.
Dem gehen ua die Feststellungen voraus, dass der Beschwerdeführer "in Österreich nur sporadisch einer Beschäftigung nach[gegangen]" sei, den Großteil seines Aufenthaltes von staatlicher Unterstützung gelebt und seine Selbsterhaltungsfähigkeit mittlerweile unter Beweis gestellt habe, reifer sowie erfahrener geworden sei, sich in einer Arbeitsqualifizierungseinrichtung befinde und dort ein Taschengeld von monatlich ca. € 280,– erhalte, das vom Beschwerdeführer benötigte Medikament in Afghanistan erhältlich und seine psychischen Probleme dort behandelbar seien und seine "Neuromuskuläre Erkrankung mit Funktionseinschränkung leichten Grades" keine lebensbedrohliche Erkrankung darstelle.
In seiner Beweiswürdigung führt das Bundesverwaltungsgericht ua eine Bestätigung von "werkstart" vom 14. Mai 2019 an, aus der sich die Teilnahme des Beschwerdeführers an Vorbereitungsmaßnahmen zur Erlangung einer Stelle am Arbeitsmarkt in der genannten Arbeitsqualifizierungseinrichtung im Ausmaß von 20 Wochenstunden für ein Taschengeld in Höhe von monatlich ca. € 280,– ergebe. Die gesundheitliche Einschränkung des Beschwerdeführers vermöge nicht, seine grundsätzlich vorliegende Arbeitsfähigkeit zu widerlegen, zumal dem Bescheid des BASB vom 11. April 2019 zu entnehmen sei, dass dem Beschwerdeführer der Zugang zum Arbeitsmarkt grundsätzlich möglich sei. Durch seine Berufstätigkeit in Österreich stelle er seine Selbstständigkeit seit kurzem unter Beweis.
3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. Ausgeführt wird ua, dass das Bundesverwaltungsgericht insbesondere angesichts des gesundheitlichen Zustandes des Beschwerdeführers den behaupteten Wegfall der Zuerkennungsvoraussetzungen – einschließlich des behaupteten Eintritts der Selbsterhaltungsfähigkeit – nicht nachvollziehbar darzulegen vermocht und willkürlich eine innerstaatliche Schutzalternative angenommen habe.
4. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt; eine Gegenschrift bzw Äußerung wurde nicht erstattet.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:
Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
2.1. Das Bundesverwaltungsgericht führt grundsätzlich zutreffend aus, dass eine Aberkennung gemäß §9 Abs1 Z1 zweiter Fall AsylG 2005 nur in Frage kommt, wenn sich die Umstände nach Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten maßgeblich und dauerhaft geändert haben. Im Widerspruch dazu vermag das Bundesverwaltungsgericht aber gerade nicht, eine solche Änderung des bereits rechtskräftig entschiedenen Sachverhalts darzulegen:
Das Bundesverwaltungsgericht geht im Kern davon aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten durch den Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit des Beschwerdeführers weggefallen sind. Diese Selbsterhaltungsfähigkeit ergibt sich nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes aus der Arbeitsfähigkeit und der inzwischen gesammelten Berufserfahrung des Beschwerdeführers, wobei das Bundesverwaltungsgericht zur Untermauerung insbesondere auf die im Akt erliegende Bestätigung von "werkstart" vom 14. Mai 2019 und den ebenso im Akt erliegenden Bescheid des BASB vom 11. April 2019 verweist.
Daraus ergibt sich erstens die Teilnahme des Beschwerdeführers an Vorbereitungsmaßnahmen zur Erlangung einer Stelle am Arbeitsmarkt in der genannten Arbeitsqualifizierungseinrichtung im Ausmaß von 20 Wochenstunden für ein Taschengeld in Höhe von monatlich ca. € 280,– und zweitens die Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zum Kreis der begünstigten Behinderten mit einem Grad der Behinderung von 50 vH.
Entgegen der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes lassen jedoch weder die Teilnahme des Beschwerdeführers an Vorbereitungsmaßnahmen zur Erlangung einer Stelle am Arbeitsmarkt in der genannten Arbeitsqualifizierungseinrichtung noch die Eigenschaft als begünstigter Behinderter mit einem Grad der Behinderung von 50 vH auf die Selbsterhaltungsfähigkeit des Beschwerdeführers schließen. Dass die Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zum Kreis der begünstigten Behinderten mit einem Grad der Behinderung von 50 vH die Teilhabe am Arbeitsleben erschwert, liegt auf der Hand und wird im genannten Bescheid des BASB auch ausgeführt. Aus der vom Bundesverwaltungsgericht selbst herangezogenen Bestätigung der Arbeitsmarktqualifizierungseinrichtung "werkstart" geht im weiteren hervor, dass der Beschwerdeführer "derzeit noch nicht fähig [ist], einer Arbeit am ersten Arbeitsmarkt nachzugehen." Er benötige vielmehr Zeit zur Stabilisierung und Entwicklung arbeitsrelevanter Fähigkeiten.
2.2. Das Bundesverwaltungsgericht hat damit sein Erkenntnis schon deshalb mit Willkür belastet, indem es unter leichtfertigem Abgehen vom Inhalt der Akten und Außerachtlassung des konkreten Sachverhalts auf die Selbsterhaltungsfähigkeit des Beschwerdeführers und in weiterer Folge auf den Wegfall der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten schließt.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.
Schlagworte
Asylrecht / Vulnerabilität, Entscheidungsbegründung, Rückkehrentscheidung, BehinderteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2019:E3891.2019Zuletzt aktualisiert am
11.02.2020