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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
AVG §62 Abs2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des O I, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Jordangasse 7/4, gegen das am 14. Juni 2019 mündlich verkündete Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, Zlen. W154 2217283-2/7Z und W154 2217283-3/5Z, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, gemäß seinen Angaben ein tunesischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner Einreise in das Bundesgebiet im März 2012 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 2. August 2012 wies das Bundesasylamt diesen Antrag, verbunden mit einer Ausweisung nach Tunesien, vollinhaltlich ab. Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde, die das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 5. März 2014 als unbegründet abwies. Gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 wies das BVwG mit diesem Erkenntnis das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zurück. Dieses Verfahren wurde vom BFA am 19. Juni 2015 "gemäß § 24 AsylG 2005" eingestellt, weil sich der Revisionswerber dem Verfahren entzogen hatte. In der Folge stellte sich heraus, dass er sich unter Verwendung eines gefälschten slowakischen Personalausweises im Bundesgebiet aufhielt.
2 Nach seiner im Zuge einer fremdenpolizeilichen Kontrolle vorgenommenen Festnahme (am 19. Februar 2019) ordnete das BFA über den Revisionswerber mit - am selben Tag in Vollzug gesetztem - Mandatsbescheid vom 20. Februar 2019 gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme sowie zur Sicherung der Abschiebung an.
3 Mit (unbekämpft gebliebenem) Bescheid vom 21. Februar 2019 sprach das BFA sodann aus, dass dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde. Es erließ gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte nach § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Tunesien zulässig sei, und gewährte ihm gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise. Zugleich wurde einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt. Weiters erließ das BFA gemäß § 53 Abs. 1 und 2 FPG ein auf vier Jahre befristetes Einreiseverbot.
4 Ein am 27. Februar 2019 vom Revisionswerber während seiner Anhaltung in Schubhaft gestellter Asylfolgeantrag wurde mit (ebenfalls unbekämpft gebliebenem) Bescheid des BFA vom 14. März 2019 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Ein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 wurde ihm nicht erteilt. Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erließ das BFA noch einmal eine Rückkehrentscheidung. Es stellte wiederum gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Tunesien zulässig sei, und gewährte nach § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise. Gemäß § 53 Abs. 1 und 3 (gemeint wohl: 2) Z 6 FPG erließ es (neuerlich) ein auf vier Jahre befristetes Einreiseverbot.
5 Am 10. April 2019 erhob der Revisionswerber eine Schubhaftbeschwerde gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG, die das BVwG nach mündlicher Verhandlung mit am 16. April 2019 mündlich verkündetem und am 25. Juni 2019 schriftlich ausgefertigtem Erkenntnis gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG als unbegründet abwies. Es stellte gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen. Dieses Erkenntnis ist vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts unbekämpft geblieben.
6 Am 11. Juni 2019 legte das BFA dem BVwG die Verwaltungsakten gemäß § 22a Abs. 4 zweiter Satz BFA-VG zur amtswegigen Prüfung der Zulässigkeit der weiteren Anhaltung des Revisionswerbers vor.
7 Am selben Tag langte beim BFA eine weitere Schubhaftbeschwerde gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG ein, die dem BVwG am 13. Juni 2013 vorgelegt wurde. Darin machte der Revisionswerber mit näherer Begründung geltend, dass die Schubhaft bereits unverhältnismäßig lang dauere. Die Anhaltung möge daher ab 15. Mai 2019 (zwei Monate nach der zur Erlangung eines Heimreisezertifikates erfolgten Befassung der tunesischen Behörde am 14. März 2019) als rechtswidrig festgestellt und ausgesprochen werden, dass auch im Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorlägen.
8 Über die "gemäß § 17 VwGVG iVm § 39 Abs. 2 AVG zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Beschwerden" (nach § 22a Abs. 4 BFA-VG und § 22a Abs. 1 BFA-VG) führte das BVwG am 14. Juni 2019 eine mündliche Verhandlung durch, in der der Revisionswerber sein Begehren (laut Rn. 7) dahin änderte, dass die Anhaltung in Schubhaft bereits ab 10. Mai 2019 für rechtswidrig erklärt werden möge. Der Behörde sei nämlich bereits an diesem Tag (auf Grund der Ergebnisse einer näher dargestellten Einvernahme) bekannt gewesen, dass eine Abschiebung des Revisionswerbers nach Tunesien nicht möglich sei. Er sei tunesischer Staatsbürger, sodass auch (mittlerweile in die Wege geleitete) Verfahren mit dem Ziel, ihn nach Marokko bzw. Algerien abzuschieben, nicht zielführend erschienen.
9 Am Ende der Verhandlung vom 14. Juni 2019 verkündete das BVwG das angefochtene (bisher nicht schriftlich ausgefertigte) Erkenntnis, mit dem es "gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG" feststellte, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig sei. Weiters traf es auf § 35 VwGVG gestützte Kostenaussprüche, nämlich Abweisung des Antrags "der beschwerdeführenden Partei" auf Kostenersatz und Verpflichtung "der beschwerdeführenden Partei" zum Aufwandersatz an den Bund sowie Zurückweisung des Antrags "des BF" auf Ersatz der Eingabengebühr. Schließlich sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
10 Die dazu verkündeten Entscheidungsgründe lauten (auszugsweise):
"Der Beschwerdeführer (BF) wird auf Grund des Erkenntnisses vom 16.04.2019 gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG auf Grundlage der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung vom 14.03.2019 zur Sicherung der Abschiebung angehalten.
Hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft haben sich keine Änderungen zum Vorerkenntnis ergeben. Die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft liegen weiterhin vor.
Hinsichtlich der Fluchtgefahrtatbestände des § 76 Abs. 3 FPG hat sich in Hinblick auf das Vorerkenntnis zur gegenständlich zu überprüfenden Schubhaft ein weiterer negativer Aspekt ergeben. (...) Fluchtgefahr (...) wurde durch die neu hinzubekommende Tatsache, dass der BF - wie im fortgesetzten Verfahren nunmehr hervorgekommen ist - im Zuge des Verfahrens zur Erlangung seines Heimreisezertifikates unrichtige Angaben zu seiner Person gemacht hat, noch gravierend verstärkt, sodass seine (angegebene) Identität seitens der tunesischen Vertretungsbehörden am 23.04.2019 negativ qualifiziert werden musste und weitere Ermittlungen durch eine weitere Befragung des BF am 10.05.2019 und eine neuerliche Befassung der tunesischen Vertretungsbehörden am 15.05.2019 sowie eine Antragstellung an die marokkanischen und algerischen Vertretungsbehörden zur Erlangung eines Heimreisezertifikates notwendig wurden, was zu einer weiteren Verzögerung der Erlangung eines Heimreisezertifikates führt(e), die ausschließlich dem BF zuzurechnen ist. Gesamtbetrachtet ergab das Verfahren sohin, dass das BFA um eine zügige Außerlandesbringung des BF bemüht ist.
(...)
Es ist daher gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG festzustellen, dass die angeordnete Schubhaft nach wie vor notwendig und verhältnismäßig ist und dass die maßgeblichen Voraussetzungen für ihre Fortsetzung im Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen.
Der Abspruch über den Kostenersatz ergibt sich aus § 35 VwGVG. (...)"
11 Unmittelbar nach der Erkenntnisverkündung beantragte der Rechtsvertreter des Revisionswerbers die - wie erwähnt: bislang nicht erfolgte - schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses.
12 Über die gegen das am 14. Juni 2019 mündlich verkündete Erkenntnis erhobene Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die Revision erweist sich - wie sich aus den folgenden Ausführungen ergibt - als zulässig, sie ist auch berechtigt.
13 Das angefochtene Erkenntnis wurde bereits mit seiner Verkündung am 14. Juni 2019 erlassen. Mit der mündlichen Verkündung wird die Entscheidung unabhängig von der in § 29 Abs. 4 VwGVG geforderten Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung rechtlich existent und kann daher - wie im vorliegenden Fall - bereits nach der mündlichen Verkündung mit Revision angefochten werden. Für die Frage, ob und mit welchem Inhalt die mündliche Entscheidung erlassen wurde, ist jene Urkunde entscheidend, die über den Entscheidungsinhalt und die Tatsache der Verkündung nach dem auch betreffend § 29 VwGVG einschlägigen § 62 Abs. 2 AVG angefertigt wurde (vgl. dazu etwa VwGH 22.11.2017, Ra 2017/03/0082, Rn. 14 und 17, mwN). Somit ist das bloß mündlich verkündete Erkenntnis auf Grund seiner Anfechtung uneingeschränkt an seinem aus der niederschriftlich vorgenommenen Beurkundung wiedergegebenen Inhalt zu messen (vgl. Leeb in Hengstschläger/Leeb, AVG ErgBd (2017), § 29 VwGVG, Rz. 88, mit Bezug auf VfGH 1.12.2012, B 567/11 u.a., VfSlg. 19.708/2012; siehe dort Punkt III.2.2.1. der Entscheidungsgründe).
14 Danach stützt sich dessen Spruch über die Zulässigkeit der Fortsetzung der Schubhaft und deren Verhältnismäßigkeit ausschließlich auf § 22a Abs. 4 BFA-VG, was dann auch in der Begründung zum Ausdruck gebracht wurde. Damit hat das BVwG die Rechtslage verkannt, wie sich schon aus der nachfolgend (auszugsweise) zitierten Bestimmung des § 22a BFA-VG ergibt:
"Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft
§ 22a. Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn
1.
(...)
2.
(...)
3.
gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.
(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.
(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. (...).
(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.
(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde."
15 Das BVwG beachtete den letzten Satz des § 22a Abs. 4 BFA-VG nicht, sprach zu Unrecht über eine amtswegige Schubhaftprüfung ab, womit es insoweit allerdings verfehlt Kostenentscheidungen nach § 35 VwGVG (iVm § 22a Abs. 1a BFA-VG), die nur bei der Erledigung einer Beschwerde im Sinne des § 22a Abs. 1 BFA-VG in Betracht kommen, verband, und unterließ es, über die vom Revisionswerber eingebrachte Schubhaftbeschwerde im Spruch seines Erkenntnisses abzusprechen und damit einen Fortsetzungsausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG zu verbinden. Daran ändert nichts, dass im Rahmen der Begründung auch - insoweit widersprüchlich - teilweise inhaltlich auf das Vorbringen in der Beschwerde eingegangen wurde.
16 Schon deshalb war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
17 Von der in der Revision beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 5 und 6 VwGG abgesehen werden.
18 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 19. Dezember 2019
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019210191.L00Im RIS seit
11.02.2020Zuletzt aktualisiert am
11.02.2020