TE Vwgh Beschluss 2020/1/9 Ra 2019/19/0496

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Veröffentlicht am 09.01.2020
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Index

19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
AVG §68 Abs1
MRK Art3

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des T K, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Jordangasse 7/4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichte s vom 19. September 2019, W204 2205684-1/11E, in der Fassung des (Berichtigungs-)Beschlusses vom 31. Oktober 2019, W204 2205684- 1/16Z, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 4. Februar 2013 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, sein Vater sei "von irgendwelchen Personen" getötet worden. Sein Onkel habe ihn daraufhin von zu Hause weggeschickt, um zu verhindern, dass auch der Revisionswerber getötet werde.

2 Mit Bescheid vom 25. Juli 2013 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte ihm jedoch den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 25. Juli 2014. Die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde damit begründet, dass einer Rückkehr des Revisionswerbers die instabile Sicherheitslage in der Heimatprovinz im Allgemeinen, das "niedrige Lebensalter" des Revisionswerbers im Besonderen sowie seine psychischen Beschwerden entgegenstünden.

3 Nach entsprechenden Anträgen des Revisionswerbers wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung jeweils verlängert, zuletzt mit Bescheid des BFA vom 26. Juli 2016 bis zum 25. Juli 2018. 4 Am 7. Juni 2018 stellte der Revisionswerber neuerlich einen Antrag auf Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung.

5 Mit Bescheid des BFA vom 8. August 2018 wurde dem Revisionswerber der Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen aberkannt. Das BFA wies den Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

6 Mit Erkenntnis vom 19. September 2019 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab (Spruchpunkt A) und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei (Spruchpunkt B).

Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass der Revisionswerber nunmehr volljährig und (psychisch) gesund sei sowie über mehrjährige Berufserfahrung verfüge. Somit liege nicht nur ein neuer Sachverhalt vor, sondern es sei in Hinblick auf Art. 3 EMRK nunmehr auch ein anderer Prüfungsmaßstab maßgeblich, handle es sich doch bei Minderjährigen um eine besonders schutzbedürftige Gruppe. Gerade im Heimatdistrikt des Revisionswerbers werde von keinen Angriffen oder Anschlägen berichtet. Zudem stehe dem Revisionswerber als nunmehr gesunden, arbeitsfähigen, volljährigen Mann im Gegensatz zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif offen.

7 Mit Beschluss vom 31. Oktober 2019 berichtigte das BVwG Spruchpunkt B) des Erkenntnisses vom 19. September 2019 dahingehend, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

8 In der vorliegenden Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit vorgebracht, das BVwG habe seiner Entscheidung - in Abweichung von näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - "nova repreta" als Sachverhalt zu Grunde gelegt. Das BVwG gehe davon aus, dass der eigene Distrikt des Revisionswerbers in der Provinz Nangarhar sicher wäre, und verweise auf eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif, obwohl im Bescheid vom 25. Juli 2013 keine Feststellungen dazu getroffen worden seien. Hätte das BVwG der Entscheidung einen Sachverhalt ohne diese "nova repreta" zu Grunde gelegt, so hätte es erkannt, dass der Revisionswerber auch weiterhin in Nangarhar bedroht sei, es keine innerstaatliche Fluchtalternative gebe und daher dem Antrag auf Verlängerung entsprochen.

9 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 10 Nach der vom Revisionswerber ins Treffen geführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine Durchbrechung der Rechtskraftwirkung einer - subsidiären Schutz zuerkennenden - Entscheidung nur dann gerechtfertigt, wenn sich nach Erlassung der Entscheidung der Sachverhalt oder die Rechtsvorschriften wesentlich geändert hat, also eine neue Sache vorliegt, für die die Rechtskraftwirkung der ursprünglichen Entscheidung nicht mehr gilt. Von einer nachträglichen Änderung der Sache ist aber der Fall zu unterscheiden, in dem der Sachverhalt anders rechtlich beurteilt wird oder neue Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die bereits im Zeitpunkt der Erlassung der Entscheidung vorlagen, aber erst später bekannt wurden ("nova reperta"). Die schon vor Erlassung der Entscheidung bestehende Sachlage ist von der Rechtskraft des Bescheides erfasst und bindet Gerichte und Behörden, solange diese Entscheidung dem Rechtsbestand angehört (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2017/18/0274, mwN).

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 27. Mai 2019, Ra 2019/14/0153, mit den Voraussetzungen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach der - auch gegenständlich zur Anwendung gebrachten - Bestimmung des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 beschäftigt. Gemäß § 43  Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird daher insoweit auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen.

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis Ra 2019/14/0153 mit Verweis auf seine Vorjudikatur ausgesprochen, dass es unter Berücksichtigung der Rechtskraftwirkungen von Bescheiden nicht zulässig ist, die Aberkennung auszusprechen, obwohl sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 nicht geändert hat. Bei Hinzutreten von neuen Sachverhaltselementen, die für die Beurteilung nach § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 von Bedeutung sein können, hat die Behörde eine neue Beurteilung vorzunehmen und nachvollziehbar darzulegen, warum sie davon ausgeht, dass die Voraussetzungen des zur Anwendung gebrachten Tatbestandes gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 gegeben seien (vgl. VwGH Ra 2019/14/0153, Rn. 97 bis 99).

13 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dabei maßgeblich, dass es gerade in Bezug auf die Frage, ob sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, sodass Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht, regelmäßig nicht allein auf den Eintritt eines einzelnen Ereignisses ankommt. Der Wegfall der Notwendigkeit, auf den Schutz eines anderen Staates angewiesen zu sein, kann sich durchaus auch als Ergebnis unterschiedlicher Entwicklungen von Ereignissen, die sowohl in der Person des Fremden als auch in der in seinem Heimatland gegebenen Situation gelegen sind, darstellen (vgl. VwGH Ra 2019/14/0153, Rn. 101).

14 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, dürfen bei Hinzutreten neuer Umstände (nach der Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung) im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbeurteilung alle für die Entscheidung maßgeblichen Elemente einbezogen werden, selbst wenn sie sich vor der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ereignet haben (vgl. VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0353, mwN). Bei einer Beurteilung nach § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 sind daher nicht isoliert nur jene Sachverhaltsänderungen zu berücksichtigen, die zeitlich nach der zuletzt erfolgten Bewilligung der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung eingetreten sind (vgl. VwGH Ra 2019/14/0153, Rn. 102).

15 Ausgehend davon vermag die Revision mit ihrem Vorbringen, das BVwG habe seine Entscheidung auf "nova repreta" gestützt, weil im Bescheid vom 25. Juli 2013 Feststellungen zur Sicherheitslage im Distrikt des Revisionswerbers in der Provinz Nangarhar sowie zur innerstaatlichen Fluchtalternative in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif fehlen würden, kein Abweichen von der oben dargelegten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aufzuzeigen. So ist bei der nach § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 vorzunehmenden umfassenden Betrachtung die Berücksichtigung von Tatsachen, die sich vor Erlassung der Zuerkennungsentscheidung ereignet haben, nicht - wie die Revision offenbar meint - von vornherein ausgeschlossen. Die vom Bundesverwaltungsgericht getroffene Annahme, dass sich persönliche Umstände des Revisionswerbers in relevanter Weise geändert hätten, wird im Zulässigkeitsvorbringen nicht bekämpft.

16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 9. Jänner 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019190496.L00

Im RIS seit

13.02.2020

Zuletzt aktualisiert am

13.02.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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