Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Mag. M*****, 2. Dr. K*****, beide vertreten durch Cerha Hempel Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei I***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Themmer, Toth & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Bucheinsicht und Auskunftserteilung, über den Rekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 3. Oktober 2019, GZ 2 R 120/19k-22, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 13. Juni 2019, GZ 10 Cg 5/19v-9, und das durchgeführte Verfahren wegen Nichtigkeit aufgehoben und das von den klagenden Parteien gestellte Begehren in das Außerstreitverfahren verwiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die Beklagte ist eine im Firmenbuch des Handelsgerichts Wien eingetragene Kommanditgesellschaft. Der Erstkläger ist ehemaliger Kommanditist der Beklagten, der aufgrund einer von ihm vorgenommenen Aufkündigung mit 31. 12. 2015 aus der Beklagten ausschied. Die Zweitklägerin ist eine Erbin des am 30. 10. 2017 verstorbenen Dkfm. J*****, der ebenfalls mit 31. 12. 2015 als Kommanditist aus der Beklagten ausschied.
Die Kläger begehren, ihnen in den Geschäftsräumlichkeiten der Beklagten nach wenigstens 14-tägiger Voranmeldung die Einsichtnahme in näher bezeichnete Geschäftsbücher und -unterlagen zu gewähren sowie ihnen alle Auskünfte, jedenfalls aber zu den zuvor näher bezeichneten Geschäftsbüchern und -unterlagen, zu erteilen. Aufgrund der seinerzeitigen Aufkündigung stünden den Klägern Abfindungsansprüche zu. Zwar sei ihnen eine Auseinandersetzungsbilanz und eine Berechnung des Abfindungsanspruchs zugekommen. An der Richtigkeit der Berechnung des Abfindungsguthabens bestünden jedoch Zweifel. So bestehe der Verdacht, dass die Gewinnverteilung für das Geschäftsjahr 2015 unrichtig gewesen sei. Ebenso gebe es Fehler bei der Verbuchung der Rückstellungen. Die Kläger seien ohne Gewährung der begehrten Bucheinsicht nicht in der Lage, die Richtigkeit des ermittelten Abfindungsguthabens zu überprüfen.
Die Beklagte bestritt das Klagebegehren und wandte die Unzulässigkeit des streitigen Rechtswegs ein. Ansprüche nach § 166 UGB seien, auch wenn sie ausgeschiedene Kommanditisten betreffen, im außerstreitigen Verfahren geltend zu machen.
Mit in das Urteil aufgenommenem Beschluss verwarf das Erstgericht die Einrede der Unzulässigkeit des streitigen Rechtswegs und sprach aus, die Rechtssache sei im streitigen Verfahren zu führen. Weiters gab es dem Einsichts- und Auskunftsbegehren statt. Das Bucheinsichtsrecht des ausgeschiedenen Kommanditisten sei im streitigen Verfahren geltend zu machen.
Das Berufungsgericht hob über Berufung der beklagten Partei diese Entscheidung wegen Nichtigkeit auf und sprach aus, dass das von den klagenden Parteien gestellte Begehren im außerstreitigen Verfahren zu behandeln sei. Das Berufungsgericht schloss sich der Auffassung an, nach der auch die Bucheinsichtsrechte eines ausgeschiedenen Kommanditisten im Verfahren außer Streitsachen geltend zu machen seien. Anderes gelte nur dann, wenn nicht nur die Kontroll- und Überwachungsrechte als solche streitig seien, sondern auch ihre tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der rechtzeitige Rekurs der klagenden Parteien.
Rechtliche Beurteilung
Hiezu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht die Überweisung in das Außerstreitverfahren ausgesprochen. In einem derartigen Fall ist nach herrschender Auffassung § 519 Abs 1 Z 1 ZPO analog anzuwenden. Der Beschluss des Berufungsgerichts ist daher ohne Rücksicht auf das Vorliegen einer bestimmten Streitwerthöhe und einer erheblichen Rechtsfrage anfechtbar (Zechner in Fasching/Konecny2 § 519 ZPO Rz 81).
Der Rekurs der klagenden Parteien ist daher zulässig; er ist aber nicht berechtigt.
1.1. Der Oberste Gerichtshof billigt die rechtliche Beurteilung des Rekursgerichts sowohl im Ergebnis als auch in der methodischen Ableitung, sodass uneingeschränkt darauf verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 ZPO).
1.2. An der Richtigkeit der Überlegungen des Berufungsgerichts vermag auch die Diktion des Rekurses (der mehrfach davon spricht, dass das Berufungsgericht „geflissentlich“ bestimmte Umstände „übersehe“ oder gar „verschweige“ und sich über die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs „hinweggesetzt“ habe), nichts zu ändern. Wenn das Berufungsgericht mit ausführlicher Begründung in Übereinstimmung mit der ganz überwiegenden Auffassung im Schrifttum einer nahezu 40 Jahre alten Entscheidung des Obersten Gerichtshofs nicht folgt, liegt darin kein (von den klagenden Parteien unterstelltes) „Hinwegsetzen“, sondern die pflichtgemäße, gesetzlich angeordnete (§ 12 ABGB) Lösung der vom Berufungsgericht zu beurteilenden Rechtsfrage ohne strikte Bindung an die Vorjudikatur.
2.1. Nach § 120 Abs 1 JN sind die mit Handelssachen betrauten Gerichtshöfe erster Instanz sachlich ua für die nach § 166 Abs 3 UGB vom Gericht zu erledigenden Angelegenheiten zuständig. Dabei handelt es sich – ebenso wie bei den übrigen in § 120 Abs 1 JN angeführten Angelegenheiten – um Verfahren, die im Außerstreitverfahren zu erledigen sind.
2.2. Nach herrschender Rechtsprechung sind auch vertraglich eingeräumte Kontrollrechte eines Kommanditisten im Außerstreitverfahren geltend zu machen (SZ 25/183; RS0061534). Auch über Anträge nach § 166 Abs 1 UGB ist, obwohl sich insoweit (anders als für § 166 Abs 3 UGB) keine ausdrückliche Anordnung in § 120 Abs 1 Z 2 JN (früher § 145 FGG) findet, im Außerstreitverfahren zu entscheiden (6 Ob 16/84 = SZ 57/136).
2.3. Entgegen der Rechtsansicht der klagenden Parteien ist nicht ersichtlich, wieso das Ausscheiden des Kommanditisten zu einer Änderung der anzuwendenden Verfahrensart führen soll. Dem ausgeschiedenen Kommanditisten stehen nämlich Auskunfts- bzw Kontrollrechte nur im Hinblick auf seine seinerzeitige Gesellschafterstellung zu (vgl schon 6 Ob 16/84). Insoweit besteht inhaltlich kein Unterschied zu entsprechenden Anträgen eines Kommanditisten mit aufrechter Gesellschafterstellung.
2.4. Dass der Informationsanspruch auch ausgeschiedener Gesellschafter im Außerstreitverfahren zu erledigen ist, entspricht auch der herrschenden Auffassung im Schrifttum (Baumüller/Grbenic in Zib/Dellinger, Großkommentar UGB § 166 Rz 27; Duursma/Duursma-Kepplinger/Roth, Handbuch Gesellschaftsrecht Rz 1.268; Schörghofer in Kalss/Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht2 Rz 2/924; Rassi, Verfahrensrechtliche Fragen der Bucheinsicht, ÖJZ 1997, 891, 895).
2.5. Nachvollziehbar erscheint die Überlegung von Baumüller/Grbenic (aaO), wonach eine aufrechte Mitgliedschaft des Gesellschafters kein relevantes Kriterium zur Abgrenzung zwischen streitigen und außerstreitigen Verfahren darstellt. Rassi (aaO) verweist darauf, dass der Anspruch auf Bucheinsicht auf der Mitgliedschaft zur Gesellschaft basiere, deren Wirkungen zum Teil auch noch die Zeit nach dem Ausscheiden umfassten. Diese Überlegung spreche dafür, auch die ausgeschiedenen Gesellschafter zur Durchsetzung ihrer Bucheinsichtsrechte in das Verfahren außer Streitsachen zu verweisen.
2.6. Zutreffend verweist das Berufungsgericht auch darauf, dass nach ständiger Rechtsprechung auch dem ausgeschiedenen GmbH-Gesellschafter ein Informationsanspruch nach Ende seiner Gesellschafterstellung zukommt (6 Ob 17/90). Solche Ansprüche sind, wenn sie als selbständige Individualrechte geltend gemacht werden, gemäß § 102 GmbHG im Außerstreitverfahren zu verfolgen (RS0045828; RS0060098; 6 Ob 128/16s). Insoweit ist aber ein Unterschied zur Rechtslage bei der OG bzw KG nicht zu erkennen.
2.7. Unverständlich ist, wieso die klagenden Parteien aus der Formulierung der Entscheidung 28 R 250/15p des Oberlandesgerichts Wien, wonach Einsichts- und Informationsrechte von Gesellschaftern „durchwegs“ im Außerstreitverfahren durchzusetzen seien, ableiten will, dass dem Oberlandesgericht Wien bewusst gewesen sei, dass es Ausnahmen gebe.
3.1. Den klagenden Parteien ist zuzugeben, dass der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 3 Ob 667/80 = SZ 54/54 ausgesprochen hat, der ausgeschiedene Kommanditist könne Bucheinsicht nur im streitigen Verfahren verlangen.
3.2. Bereits in der Entscheidung 6 Ob 2/82 = SZ 57/146 sprach der Oberste Gerichtshof jedoch aus, ein Ausscheiden aus der Gesellschaft während des Verfahrens übe keinen Einfluss auf die weitere Anspruchsverfolgung im außerstreitigen Verfahren aus. Aus § 145 FGG folgere die österreichische Rechtsprechung, dass über einen nach § 166 HGB gestellten Antrag grundsätzlich im Verfahren außer Streitsachen zu erkennen sei. Den ausgeschiedenen Kommanditisten habe der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung SZ 54/54 ausdrücklich auf den streitigen Rechtsweg verwiesen. Die Stichhältigkeit der Argumentation, insbesondere die Anwendbarkeit der Lehre zum Recht der Bundesrepublik Deutschland könne im vorliegenden Fall unerörtert bleiben, weil über den von der Antragstellerin während ihrer unstreitigen Mitgliedschaft zur Gesellschaft eingebrachten Antrag gemäß § 29 JN im außerstreitigen Verfahren weiter zu verhandeln sei, selbst wenn die Antragstellerin während des Verfahrens aus der Gesellschaft ausgeschieden sein sollte.
3.3. Spätestens seit der Einführung des Außerstreitgesetzes stellt die Behandlung eines Begehrens im Außerstreitverfahren auch kein „Rechtsschutzdefizit“ im Vergleich zum streitigen Rechtsweg dar (vgl 224 BlgNR 22. GP). Das Außerstreitverfahren ist vielmehr zur Klärung von Informationsansprüchen im Hinblick auf seine Flexibilität sogar besser geeignet als das Streitverfahren (Kodek/Nowotny, Das neue Außerstreitgesetz und das Verfahren vor dem Firmenbuchgericht, NZ 2004/78). Für dieses Ergebnis spricht auch die Gleichbehandlung mit ausgeschiedenen GmbH-Gesellschaftern.
3.4. Auf die weitwendigen Rekursausführungen zur Rechtslage in Deutschland ist nicht näher einzugehen, weil sich die deutsche Rechtslage von der österreichischen grundsätzlich insoweit unterscheidet, als in Österreich seit der Entscheidung 6 Ob 16/84 auch dem ausgeschiedenen Kommanditisten Informationsrechte nach § 166 Abs 3 UGB zustehen. In Deutschland werden diesbezügliche Ansprüche demgegenüber auf § 810 BGB gestützt. Schon im Hinblick auf diesen Unterschied ist der Verweis auf die deutsche Rechtslage nicht stichhaltig.
4.1. Zusammenfassend sind daher Auskunfts- und Kontrollrechte auch eines ausgeschiedenen Kommanditisten im Außerstreitverfahren geltend zu machen.
4.2. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht lediglich in dem Fall, dass nicht nur die Kontroll- und Überwachungsrechte eines Gesellschafters als solche streitig sind, sondern auch ihre tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen (Gesellschafterqualität, Beteiligung an der Gesellschaft, Identität der Gesellschaft). Diesfalls ist der Anspruch auf Bucheinsicht im Klageweg geltend zu machen (RS0046144). Derartige Ausnahmen liegen im vorliegenden Fall jedoch nicht vor.
5. Zusammenfassend erweist sich der angefochtene Beschluss daher als frei von Rechtsirrtum, sodass dem unbegründeten Rekurs ein Erfolg zu versagen war.
6. Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens gründet sich auf § 52 ZPO. In Hinblick auf das Vorliegen einer – wenn auch länger zurückliegenden –, ihren Rechtsstandpunkt stützenden Entscheidung des Obersten Gerichtshofs ist in der Beschreitung des streitigen Rechtswegs durch die Kläger kein Verschulden zu erblicken. Weil das Verfahren nicht beendet, sondern im Außerstreitverfahren fortzusetzen ist, war mit Kostenvorbehalt vorzugehen (M. Bydlinski in Fasching/Konecny³ II/1 § 51 ZPO Rz 11).
Textnummer
E127329European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0060OB00229.19Y.1219.000Im RIS seit
12.02.2020Zuletzt aktualisiert am
15.09.2020