Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Martin Lotz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Karl Schmid (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr. W*****, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84–86, vertreten durch Dr. Eva-Maria Bachmann-Lang und Dr. Christian Bachmann, Rechtsanwälte in Wien, wegen Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld (3.279,97 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17. Juli 2019, GZ 12 Rs 66/19s-8, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 28. März 2019, GZ 56 Cgs 29/19f-5, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger, ein selbständiger Arzt, bezog anlässlich der Geburt seines Sohnes am 28. 6. 2012 vom 28. 6. bis 27. 8. 2013 3.279,97 EUR als einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld. Am 23. 7. 2013 wurden ihm für seine vor Beginn des Bezugszeitraums (28. 6. 2013) erbrachten, in Honorarnoten von Mai und Juni 2013 verrechneten Leistungen insgesamt 6.875,65 EUR bezahlt.
Im Revisionsverfahren ist zu klären, ob das objektive Überschreiten der Zuverdienstgrenze des § 24 Abs 1 Z 3 KBGG (hier für 2013: unstrittig 6.100 EUR) vom Zeitpunkt des Zuflusses der Einkünfte oder vom Zeitraum der Ausübung der Tätigkeit abhängt. Anspruchszeitraum ist im vorliegenden Fall zufolge § 8 Abs 1 Z 1 vierter Satz KBGG (idF BGBl I 2013/117) iVm § 8 Abs 1 Z 2 letzter Satz KBGG der Monat Juli 2013 als einziger voller Kalendermonat.
Das Erstgericht gab der Klage auf Feststellung, dass der Rückersatzanspruch nicht zu Recht besteht, statt. Es sah die selbständig Erwerbstätigen eingeräumte Möglichkeit, einen konkreten Zuordnungsnachweis zu erbringen, als Durchbrechung des steuerrechtlichen Zufluss-/Abflussprinzips an. Einkünfte aus einer vor dem Anspruchszeitraum beendeten oder nach diesem Zeitraum begonnenen Tätigkeiten seien selbst dann nicht zu berücksichtigen, wenn sie erst während des Anspruchszeitraums zufließen. Das Kinderbetreuungsgeld bezwecke, Verdienstausfälle durch Kinderbetreuung auszugleichen, ohne die betreuenden Eltern in ihrer abgrenzbaren Erwerbstätigkeit vor den Zeiten der tatsächlichen Kinderbetreuung einzuschränken.
Das Berufungsgericht teilte diese Rechtsansicht und gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. § 8 Abs 1 Z 2 Satz 3 KBGG idF vor dem BGBl I 2011/139 habe ausdrücklich angeordnet, dass aus einer vor Beginn des Anspruchszeitraums beendeten oder nach Ablauf des Anspruchszeitraums begonnenen Betätigung bezogene Einkünfte außer Ansatz blieben. Mit BGBl I 2011/139 sei dieser Satz entfernt worden. § 8 Abs 1 Z 2 Satz 4 idF vor BGBl I 2011/139 ermögliche den Nachweis, in welchem Ausmaß Einkünfte vor oder nach Ende des Anspruchszeitraums angefallen seien. Dann seien nur jene Einkünfte zu berücksichtigen, die während des Anspruchszeitraums angefallen seien. Der Oberste Gerichtshof habe zu dieser Rechtslage ausgesprochen, dass mit dieser Ausnahmeregelung des § 8 Abs 1 Z 2 Satz 3 KBGG das sonst geltende Zuflussprinzip des § 19 Abs 1 Z 1 EStG durchbrochen werde. Aus einer solchen Betätigung erzielten Einkünfte blieben außer Ansatz, wenn sie erst während des Anspruchszeitraums zufließen. In Bezug auf unselbständige Einkünfte habe der Oberste Gerichtshof eine derartige Durchbrechung jedoch ausdrücklich abgelehnt. Es sei daher grundsätzlich zwischen Einkünften aus selbständiger und unselbständiger Tätigkeit zu differenzieren. Dass sich dies durch die Novelle BGBl I 2011/139 ändern sollte, lasse sich den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen. Auch nach der neuen Rechtslage sei unverändert vom „Anfallen“ der Einkünfte vor Beginn und nach Ende des Anspruchszeitraums die Rede. Die Bezeichnung „Anfall“ bedeute nicht zwingend das Zufließen eines Betrags, sondern könne auch als Entstehen eines Anspruchs verstanden werden. Zu berücksichtigen sei die Funktion des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes als zumindest teilweiser Einkommensersatz. Eltern, die sich kurzzeitig zur Kinderbetreuung aus dem Erwerbsleben zurückzögen, sollten den bisherigen Lebensstand aufrecht erhalten können. Nach der Rechtsansicht der Beklagten müsste der Kläger trotz Einstellung seiner Tätigkeit zur Betreuung seines Kindes im Zeitraum 28. 6. bis 27. 8. 2013 das während der Betreuung bezogene Kinderbetreuungsgeld nur deshalb zurückzahlen, weil ihm sein Auftraggeber genau im Juli 2013 ausständige Honorare überwiesen habe. Es widerspreche der Intention des Gesetzgebers, die Rückersatzpflicht von einer solchen Zufälligkeit abhängig zu machen. Trotz der geringfügigen Änderung des Gesetzeswortlauts gebe es keine Anhaltspunkte für eine Absicht des Gesetzgebers, auch bei selbständig Erwerbstätigen rein auf das Zuflussprinzip des § 19 EStG abzustellen.
Die Revision sei mangels Rechtsprechung zur Abgrenzung der vor und nach dem Anspruchszeitraum angefallenen Einkünfte im Sinn des § 8 Abs 1 Z 2 Satz 3 KBGG idF BGBl I 2011/139 zulässig.
Rechtliche Beurteilung
Die nicht beantwortete Revision der Beklagten ist zulässig, aber nicht berechtigt.
1. Der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens (einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld) setzt nach § 24 Abs 1 Z 3 KBGG in der hier unstrittig anzuwendenden Fassung BGBl I 2011/139 voraus, dass der Anspruchsberechtigte während des Bezugs des Kinderbetreuungsgeldes keine Erwerbseinkünfte erzielte, wobei sich ein Gesamtbetrag an maßgeblichen Einkünften (§ 8 Abs 1) von nicht mehr als 6.100 EUR pro Kalenderjahr nicht schädlich auswirkt.
2. § 24 Abs 1 Z 3 KBGG verweist für den Begriff des „Gesamtbetrags der maßgeblichen Einkünfte“ (so wie § 2 Abs 1 Z 3 KBGG für das pauschale Kinderbetreuungsgeld) auf § 8 Abs 1 KBGG. Diese Bestimmung lautete – soweit
relevant – in der Fassung BGBl I 2009/116:
„§ 8.(1) Maßgebliche Einkünfte sind die Einkünfte gemäß § 2 Abs. 3 Z 1 bis 4 des Einkommensteuergesetzes 1988 (EStG 1988) ... Der Gesamtbetrag der maßgeblichen Einkünfte (§ 2 Abs. 1 Z 3) ist wie folgt zu ermitteln:
1. Soweit im Gesamtbetrag der maßgeblichen Einkünfte solche aus nichtselbständiger Arbeit ... enthalten sind, ist von jenen Einkünften auszugehen, die während der Kalendermonate mit Anspruch auf Auszahlung des Kinderbetreuungsgeldes (Anspruchszeitraum) erzielt werden und gemäß § 19 EStG 1988 diesem Zeitraum zuzuordnen sind ...
2. Andere maßgebliche Einkünfte (§§ 21 bis 23 EStG 1988) sind mit jenem Betrag zu berücksichtigen, der in die Ermittlung des Einkommens für das betreffende Kalenderjahr eingeht. Einkünfte aus Betätigungen, die Grundlage für Pflichtbeiträge in der gesetzlichen Sozialversicherung darstellen, sind um die im betreffenden Kalenderjahr vorgeschriebenen Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung zu erhöhen. Wird eine Betätigung vor Beginn des Anspruchszeitraumes (Z 1) beendet oder nach Ablauf des Anspruchszeitraumes begonnen, bleiben die aus einer solchen Betätigung bezogenen Einkünfte außer Ansatz. Wird nachgewiesen, in welchem Ausmaß Einkünfte vor Beginn oder nach Ende des Anspruchszeitraumes angefallen sind, sind nur jene Einkünfte zu berücksichtigen, die während des Anspruchszeitraumes angefallen sind. Im Falle eines derartigen Nachweises sind die während des Anspruchszeitraumes angefallenen Einkünfte auf einen Jahresbetrag umzurechnen. ...“
3. Die Bezugnahme auf das Erzielen der Einkünfte während des Anspruchszeitraums (§ 8 Abs 1 Z 1 KBGG) sowie auf die „Ermittlung des Einkommens für das betreffende Kalenderjahr“ (§ 8 Abs 1 Z 2 KBGG) tragen dem steuerrechtlichen Zuflussprinzip (§ 19 Abs 1 EStG) Rechnung. Zugeflossen ist eine Einnahme im Sinn des § 19 EStG, wenn der Empfänger über sie rechtlich und wirtschaftlich verfügen kann, sobald er also die volle Verfügungsmacht über sie erhält (Mayr/Haiden in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG18 § 19 EStG Rz 8).
4. Das Wort „angefallen“ in § 8 Abs 1 Z 2 KBGG fand sich ebenso wie der vor BGBl I 2011/139 geltende dritte Satz des § 8 Abs 1 Z 2 KBGG bereits in der Stammfassung dieses Gesetzes, BGBl I 2001/103.
5. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers soll bei nicht ganzjährigem Bezug von (damals nur in der pauschalen Variante vorgesehenem) Kinderbetreuungsgeld insbesondere selbständig Erwerbstätigen der Nachweis ermöglicht werden, in welchem Ausmaß Einkünfte vor Beginn oder nach Ende des Anspruchszeitraums angefallen sind, weil eine zeitliche Zuordnung – anders als bei unselbständig Erwerbstätigen – vielfach nicht möglich ist. Damit soll eine Gleichbehandlung mit den Beziehern von Lohneinkünften erzielt werden. Voraussetzung dafür war ein konkreter „Zuordnungsnachweis“. Im Bereich der betrieblichen Einkünfte wird vom Vorliegen eines solchen Nachweises dann ausgegangen werden können, wenn ein rechnerischer Zwischenabschluss („Rumpfwirtschaftsjahr“) erstellt wird (ErläutRV 620 BlgNR 21. GP 62).
6. Die Rechtsprechung sah § 8 Abs 1 Z 2 dritter Satz KBGG in den vor BGBl I 2011/139 geltenden Fassungen als eine das sonst geltende Zuflussprinzip durchbrechende Ausnahmeregelung an: Die Einkünfte aus einer vor dem Anspruchszeitraum beendeten oder nach dieser begonnenen Betätigung müssten selbst dann außer Ansatz bleiben, wenn sie erst während des Anspruchszeitraums zufließen (10 ObS 34/13t SSV-NF 27/50; OLG Wien 22. 6. 2011, 7 Rs 30/11z; OLG Wien 24. 11. 2011, 7 Rs 159/11w).
7. Die in Bezug auf die Änderung des § 8 Abs 1 Z 2 KBGG für Geburten nach dem 31. 12. 2011 (§ 50 Abs 2 KBGG) relevante KBGG-Novelle BGBl I 2011/139 ließ den dritten Satz des § 8 Abs 1 Z 2 KBGG („Wird eine Betätigung ...“) ohne Begründung in den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 1522 BlgNR 24. GP 4 f) entfallen. Der vormalige Satz 4 wurde als Satz 3 neu formuliert:
„Wird bis zum Ablauf des zweiten auf das betreffende Kalenderjahr folgende Kalenderjahres dem Krankenversicherungsträger nachgewiesen, in welchem Ausmaß Einkünfte vor Beginn oder nach Ende des Anspruchszeitraumes (Z 1) angefallen sind, sind nur jene Einkünfte zu berücksichtigen, die während des Anspruchszeitraumes angefallen sind.“ Abgesehen von der zweijährigen Frist blieb die Bestimmung über die Möglichkeit, Einkünfte zuzuordnen, somit inhaltlich unverändert.
8. Aus dem Entfallen des dritten Satzes in § 8 Abs 1 Z 2 KBGG ist nicht abzuleiten, dass alleine der Zeitpunkt des realen Zuflusses von Einkünften aus selbständiger Tätigkeit für die Ermittlung der maßgeblichen Einkünfte entscheidend ist, ohne Rücksicht darauf, wann die entsprechende Tätigkeit erbracht wurde:
9. Kinderbetreuungsgeld (pauschal wie einkommensabhängig) soll grundsätzlich nur Eltern gewährt werden, die bereit sind, ihre Erwerbstätigkeit aufgrund der Kinderbetreuung einzuschränken. Besonders deutlich kommt diese Zielsetzung beim einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeld zum Ausdruck. Dieses ist (teilweise) Ersatz für den Entfall des früheren Einkommens, weshalb eine weitere Anspruchsvoraussetzung ist, dass während des Bezugs der Leistung keine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, weil es ansonsten zu unsachlichen und nicht gewollten Ergebnissen (zB, dass die Summe des Einkommensersatzes plus des Zuverdienstes über den zu ersetzenden Einkünften liegt) kommen kann. Lediglich Einkünfte bis zur Höhe der sozialversicherungsrechtlichen Geringfügigkeitsgrenze sind unschädlich (ErläutRV 340 BlgNR 24. GP 4, 17; 10 ObS 11/19v). Das Abstellen allein auf den Zufluss im Anspruchszeitraum führt zu nicht sachgerechten Ergebnissen: Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit vor Beginn des Anspruchszeitraums wären anspruchsschädlich, obwohl in diesem Zeitraum gar keine Erwerbstätigkeit ausgeübt, sondern das Kind betreut wurde. Eine Erwerbstätigkeit während des Anspruchszeitraums würde hingegen nicht schaden, wenn die daraus resultierenden Einkünfte erst nach dessen Ende zufließen. Die unverändert gebliebene grundsätzliche Möglichkeit, einen Zuordnungsnachweis zu erbringen, würde bei einer solchen Anwendung des Zuflussprinzips konterkariert.
10. Auch im Schrifttum wird – ohne nähere Begründung – nicht zwischen der Rechtslage vor BGBl I 2011/139 und danach differenziert, sondern ausschließlich auf die Tätigkeit vor oder nach dem Anspruchszeitraum abgestellt, auch wenn die daraus resultierenden Einkünfte im Anspruchszeitraum zufließen (Konezny in Sonntag/Schober/Konezny KBGG2 [2017] § 8 Rz 28; Burger-Ehrnhofer, Kinderbetreuungsgeldgesetz und Familienzeitbonusgesetz [2017] § 8 KBGG Rz 42).
11. Ergebnis:
Für die Ermittlung der Zuverdienstgrenze (§ 24 Abs 1 Z 3 KBGG) sind nur jene Einkünfte im Sinn des § 8 Abs 1 Z 2 KBGG maßgeblich, die aus einer während des Anspruchszeitraums (§ 8 Abs 1 Z 1 vierter Satz KBGG idF BGBl I 2013/117 iVm § 8 Abs 1 Z 2 letzter Satz KBGG) ausgeübten Tätigkeit stammen. Dem Kläger wurden im maßgeblichen Anspruchszeitraum Juli 2013 ausschließlich Honorare für Leistungen gezahlt, die er vor Beginn des Bezugszeitraums erbracht hat. Danach wurde die geltende Zuverdienstgrenze objektiv nicht überschritten.
Textnummer
E127310European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:010OBS00144.19B.1217.000Im RIS seit
10.02.2020Zuletzt aktualisiert am
21.05.2021