TE OGH 2019/12/19 4Ob171/19d

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Veröffentlicht am 19.12.2019
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr.

 Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Priv.-Doz. Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache des Klägers Mag. Pharm. Dr. G***** K*****, vertreten durch Höhne, In der Maur & Partner Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, gegen den Beklagten R***** F*****, vertreten durch Dr. Stefan Lausegger, Rechtsanwalt in Graz, wegen Unterlassung (Streitwert 33.500 EUR) und Urteilsveröffentlichung (Streitwert 1.500 EUR), über die außerordentliche Revision des Beklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 17. Juli 2019, GZ 5 R 73/19y-32, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Der Kläger ist Inhaber einer Apotheke. Der Beklagte vertreibt Nahrungsergänzungsmittel. Seine Produkte sind in Österreich über Internetshops und bei niedergelassenen Händlern erhältlich. Der Beklagte hält Vorträge, in denen er eine sehr kritische Haltung zur Pharmaindustrie einnimmt. Dabei behauptet er ua, dass Apotheken Gift und Mittel, die zum Tod führen, verkaufen, und Apotheken mögen aufhören, Menschen zu töten.

Der Kläger begehrte im Kern, dem Beklagten zu untersagen, im geschäftlichen Verkehr zu behaupten, dass Apotheken in den Menschen schädigender Weise Gift verkaufen und/oder Menschen vergiften und/oder dadurch töten würden. Weiters begehrte er eine Urteilsveröffentlichung in der Österreichischen Apotheker-Zeitung und in der Kronen Zeitung.

Der Beklagte berief sich im Wesentlichen auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung.

Die Vorinstanzen gaben der Klage statt. Das Berufungsgericht sprach zudem aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Beklagte zeigt in seiner außerordentlichen Revision keine erheblichen Rechtsfragen auf, das Rechtsmittel ist daher unzulässig.

1.1. Tatsachen iSd § 1330 Abs 2 ABGB sind Umstände, die ihrer allgemeinen Natur nach objektiv überprüfbar sind (RS0031810 [T8]).

1.2. Es ist zwar richtig, dass der Kläger außer Streit stellte, dass Apotheken in medizinisch indizierten Dosierungen auch Gifte abgeben, der Beklagte übergeht die entscheidenden Details dieser Außerstreitstellung jedoch, wenn er sich darauf beruft, damit sei seine Behauptung unstrittig wahr. Es ist als allgemein bekannt vorauszusetzen, dass Arzneidrogen in medizinisch indizierten Dosen heilsam, in Überdosen jedoch giftig wirken können, und dass es die Aufgabe von Apotheken ist, Medikamente nach ärztlicher Verordnung in heilsamen Dosen abzugeben. Dies ignoriert der Beklagte gänzlich, wenn er in den beanstandeten Appellen Apotheken pauschal auffordert, aufzuhören Gift zu verkaufen und Menschen zu töten.

1.3. Welchen Eindruck eine Ankündigung auf den Durchschnittsleser vermittelt, ist eine Rechtsfrage, die nach objektiven Maßstäben zu lösen ist. Maßgeblich ist die Verkehrsauffassung, nämlich der Eindruck, der sich bei auch nur flüchtigem Lesen für den Durchschnittsinteressenten ergibt (vgl RS0043590).

1.4. Wenn die Vorinstanzen die gegenständlichen Äußerungen deshalb als Tatsachenbehauptung werten, weil objektiv überprüfbar sei, ob Apotheken, wie vom Beklagten behauptet, Gift verkaufen und damit Menschen töten, oder aber medizinisch indizierte Dosierungen von Arzneidrogen als Heilmittel abgeben, hält sich dies im Rahmen der zitierten Rechtsprechung und ist nicht korrekturbedürftig.

2.1. Bei der Abgrenzung zwischen übler Nachrede bzw Rufschädigung und zulässiger Kritik ist eine Interessenabwägung vorzunehmen, wobei auf das Recht der freien Meinungsäußerung Bedacht genommen werden muss (vgl RS0031672). Dieses Recht umfasst auch, jene Ideen auszusprechen, die verletzen, schockieren oder beunruhigen; dies verlangen Pluralismus, Toleranz und Weitsichtigkeit, ohne die es keine demokratische Gemeinschaft geben kann. Eingriffe in verfassungsrechtlich geschützte Rechte sind besonders sorgfältig abzuwägen (vgl RS0050067). Auch die Anwendung der Unklarheitenregel ist am Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung zu messen. Liegt die Annahme eines bestimmten Tatsachenkerns nahe, der wahr ist und die damit verbundenen Werturteile als nicht exzessiv rechtfertigt, so muss die entfernte Möglichkeit einer den Kläger noch stärker belastenden Deutung unbeachtlich bleiben (RS0121107). Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung schließt es aus, eine entferntere, bloß mögliche Deutung der beanstandeten Formulierungen zur Ermittlung des für ihre rechtliche Beurteilung relevanten Tatsachenkerns heranzuziehen (RS0121107 [T4]). Nimmt ein Mitbewerber – wenngleich in Wettbewerbsabsicht – an einer Debatte teil, die öffentliche Interessen betrifft, so hat die Freiheit der Meinungsäußerung bei der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung seiner Aussagen ein höheres Gewicht als bei rein unternehmensbezogenen Äußerungen. Dabei ist insbesondere die Bedeutung des Themas zu berücksichtigen, zu dem die Äußerung erfolgte. Je größer das Informationsinteresse der Öffentlichkeit ist und je weniger die Wettbewerbsabsicht des Äußernden im Vordergrund steht, um so eher wird die Äußerung zulässig sein (RS0122468, RS0121107 [T3]).

2.2. Die Anwendung dieser Grundsätze auf den Einzelfall wirft – von einer im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifenden Fehlbeurteilung abgesehen – keine erhebliche Rechtsfrage auf (RS0122468 [T3]).

2.3. Bei der von den Vorinstanzen angenommenen Deutung der beanstandeten Äußerungen handelt es sich um die naheliegende und nicht bloß um eine entfernte Deutungsmöglichkeit. Die Einschätzung ist daher nicht zu beanstanden. Es mag sein, dass der Beklagte an einer öffentlichen Debatte teilgenommen hat; nichts desto trotz verfolgt er nach den Feststellungen primär wirtschaftliche Eigeninteressen. Liegt eine Werbung primär im Eigeninteresse des Werbenden und nicht im Informationsinteresse der Öffentlichkeit, kommt der Meinungsäußerungsfreiheit ein geringeres Gewicht zu (RS0122468 [T7]). Nach der Rechtsprechung zu Art 10 MRK darf kommerzielle Werbung schärferen Einschränkungen unterworfen werden als (zum Beispiel) der Ausdruck politischer Ideen (RS0108834 [T5]).

2.4. Der Beklagte kann sich im gegebenen Zusammenhang auch deshalb nicht auf die Meinungsäußerungsfreiheit berufen, weil diese grundsätzlich unwahre Tatsachenbehauptungen nicht schützt (vgl RS0054817 [T12], RS0075552 [T11], RS0075642, RS0031883 [T33]). Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts steht daher auch insoweit im Einklang mit der höchstgerichtlichen Rechtsprechung.

3.1. § 7 UWG erfasst nur Handlungen zu Zwecken des Wettbewerbs. Die mit dieser Formulierung umschriebene Wettbewerbsabsicht ist bei abfälligen Äußerungen eines im Wettbewerb stehenden Unternehmens grundsätzlich zu vermuten (RS0088261 [T8]).

3.2. Die Wettbewerbsabsicht ist daher auch im vorliegenden Fall zu vermuten. Dass sie widerlegt worden wäre oder, wie vom Beklagten behauptet, hinter andere Motive ganz in den Hintergrund treten würde, trifft nach den Feststellungen nicht zu. Demnach vertreibt der Beklagte Nahrungsergänzungsmittel, und es ging ihm – wie die Revision selbst zugesteht – darum, Kunden dazu zu bringen, weniger Medikamente (die es bei ihm nicht zu kaufen gibt) und stattdessen mehr Produkte zu kaufen, die (auch) er vertreibt. Die Vorinstanzen haben daher vertretbar die Wettbewerbsabsicht des Beklagten angenommen.

4. Der in der Revision geltend gemachte Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens wurde geprüft, er liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 dritter Satz ZPO).

Insgesamt zeigen die Revisionsausführungen somit keine erheblichen Rechtsfragen auf. Die außerordentliche Revision ist daher zurückzuweisen.

Schlagworte

Giftapotheke,

Textnummer

E127297

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0040OB00171.19D.1219.000

Im RIS seit

10.02.2020

Zuletzt aktualisiert am

24.07.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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