TE Bvwg Erkenntnis 2016/9/13 I410 1434836-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.09.2016
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Entscheidungsdatum

13.09.2016

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a

Spruch

I410 1434836-2/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Eva LECHNER, LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX (alias XXXX), geboren am XXXX (alias XXXX), Staatsangehörigkeit Algerien (alias Marokko), vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung als Mitglieder der ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe mit der gemeinsamen Zustelladresse Wattgasse 48, 3. Stock, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.07.2016, XXXX, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 04.04.2013 einen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz und gab dabei an, XXXX zu heißen, am XXXX geboren und Staatsangehöriger von Algerien zu sein.

2. Bei der am 05.04.2013 durchgeführten Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte der Beschwerdeführer als Fluchtgrund vor, dass er Algerien verlassen habe, weil er von einer terroristischen Gruppe verfolgt worden sei. Im Zuge der niederschriftlichen Vernehmung durch das Bundesasylamt am 15.04.2013 brachte er zum Fluchtgrund im Wesentlichen vor, dass er in Algerien keine Arbeit gehabt habe und es Terroristen im Land gäbe, mit denen er jedoch keinen Kontakt gehabt habe. Die Lage in Algerien sei aber schlecht. Ethische, politische oder religiöse Fluchtgründe habe er nicht. Er habe zu Hause nur keine Zukunft. Im Falle der Rückkehr habe er nichts zu befürchten, außer dass er keine Lebensgrundlage vorfände. Auf weitere Fragestellungen zum Terrorismus in Algerien brachte der Beschwerdeführer vor, dass sein Bruder im Jahr 2000 von Terroristen angeschossen worden sei. Die Terroristen hätten im Jahr 2007 zudem gewollt, dass er mit ihnen zusammenarbeite. Er sei deshalb in die Hauptstadt gegangen. Wann und wo er den Kontakt mit den Terroristen gehabt habe, wisse er nicht mehr. Es sei in einer Gegend namens XXXX in der Nähe von Algier gewesen. Weiteren Kontakt habe es nicht mehr gegeben. Er sei dann geflüchtet. Er hasse Algerien.

3. Mit Bescheid vom 16.04.2013, Zl. 13 04.247-BAT, hat das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers vom 04.04.2013 auf Gewährung von internationalem Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Algerien (Spruchpunkt II) abgewiesen. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Algerien ausgewiesen (Spruchpunkt III).

4. Die dagegen an den Asylgerichtshof erhobene Beschwerde wurde mit Beschluss des Asylgerichtshofes vom 25.06.2013, Zl. B4 434.836-1/2013/8E, gemäß § 63 Abs. 5 AVG iVm § 23 Abs. 1 AsylGHG als verspätet zurückgewiesen.

5. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft XXXX, wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen. Zugleich wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 iVm. Abs. 2 FPG ein auf die Dauer von 3 Jahren befristetes Einreiseverbot für den gesamten Schengen-Raum erlassen. Dieser Bescheid erwuchs am 10.10.2013 in Rechtskraft.

6. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft XXXX, wurde gegen den Beschwerdeführer Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung verhängt. Nach einem Hungerstreik wurde der Beschwerdeführer am 08.10.2013 aus der Schubhaft entlassen. Nach seiner Entlassung reiste der Beschwerdeführer aus dem Bundesgebiet aus.

7. Nachdem der Beschwerdeführer in weiterer Folge in der Schweiz einen Antrag auf internationalen Schutz stellte, wurde er am XXXX aus der Schweiz nach Österreich überstellt. Am selben Tag stellte der Beschwerdeführer in Österreich einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz und gab dabei an, XXXX zu heißen, am XXXX geboren und Staatsangehöriger von Marokko zu sein. Bei der Erstbefragung am 07.12.2013 brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass sein erster Antrag auf internationalen Schutz rechtskräftig negativ entschieden worden sei. Er sei plötzlich von der Polizei in Schubhaft genommen worden. Nach einem 15-tägigen Hungerstreik sei er aus der 3-monatigen Schubhaft entlassen und aufgefordert worden, Österreich zu verlassen. Er sei danach nach Italien gefahren und später weiter in die Schweiz gereist. In der Schweiz habe er um Asyl angesucht und sei in einer Flüchtlingsunterkunft untergebracht worden. In der Schweiz sei er dann in Schubhaft genommen und am XXXX mit einem Flugzeug von Zürich nach Wien überstellt worden. Befragt zu dem neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz brachte er vor: "Weil ich am 06.12.2013 von der Schweiz überstellt wurde. Ich habe große familiäre Probleme. Wir sind eine große Familie. Ich kann nicht in meine Heimat zurück, da ich keine Arbeit in meiner Heimat finde und ich meine Eltern nicht unterstützen bzw. ernähren kann. Ich bin 30 Jahre und kann mir im Fall einer Rückkehr keine Existenz aufbauen." Zu den Rückkehrbefürchtungen befragt führte er aus, dass er nicht zurückkehren wolle, weil er keine Zukunft in seiner Heimat habe.

8. Mit Schreiben des Bundeskriminalamtes vom 12.12.2013 wurde dem Bundesasylamt mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer, welcher sich im ersten Asylverfahren zu Zahl 13 04.247-BAT als XXXX, geb. XXXX ausgegeben hatte, von Interpol Algier als XXXX, geb. XXXX in XXXX in Algerien, Staatsangehörigkeit: Algerien, identifiziert wurde.

9. Am 23.01.2014 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu seinem zweiten Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Dabei brachte er im Wesentlichen vor, dass er algerischer Staatsangehöriger sei und aus Angst vor einer Abschiebung sich in der Schweiz als Marokkaner ausgegeben habe. Seine Eltern und seine sechs Geschwister lebten weiterhin in Algerien und er stehe mit ihnen in Kontakt. Er sei das älteste Kind. Seine Identität könne er nicht nachweisen und er habe sich um keine Dokumente bemüht, weil er nicht nach Algerien zurück wolle. Er habe eine seit einem Jahr legal in XXXX aufhältige Cousine, welche in XXXX studiere, ihn aber nicht unterstütze. Er habe keinen Deutschkurs gemacht, sondern selbst ein wenig Deutsch gelernt. Er sei einmal wegen Drogenbesitzes angezeigt worden, er lebe auf der Straße und arbeite gelegentlich schwarz. Zu den Fluchtgründen befragt führte er aus, dass sein Vorbringen im ersten Verfahren, wonach er von Terroristen verfolgt worden sei, zum Teil stimme. Hauptsächlich sei jedoch sein Bruder verfolgt worden. Er habe beim ersten Verfahren alle Gründe vorgebracht, bis auf seine Rücken- und Nierenbeschwerden, die sich erst später vom Schlafen auf der Straße ergäben hätten. Das Problem mit den Terroristen sei vor sechs Jahren noch aktuell gewesen. Jetzt gäbe es kaum noch Terrorismus in Algerien. Jetzt würden ihn familiäre Probleme und die gesundheitlichen Probleme an der Rückkehr hindern. Er wolle auf keinen Fall nach Algerien zurück und werde woanders hinreisen.

10. Mit Bescheid vom 12.01.2015, XXXX, wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den zweiten Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 06.12.2013 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück. Dieser Bescheid erwuchs am 30.01.2015 in Rechtskraft.

11. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX, wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen nach §§ 161 Abs. 1 und Abs. 2 (1. Fall) StGB (Hehlerei) sowie wegen der Vergehen nach § 27 Abs. 1 Z 1 (8.Fall) und Abs. 3 Suchtmittelgesetz sowie § 15 StGB rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten, davon 7 Monate bedingt (Probezeit 3 Jahre), verurteilt.

12. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX, wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen nach §§ 27 Abs. 1 Z 1 (8.Fall) und Abs. 3 Suchtmittelgesetz rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt. Zugleich wurde die bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe der Erstverurteilung widerrufen und die Probezeit auf insgesamt 5 Jahre verlängert.

13. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX, wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens nach § 28a Abs. 1 (5. Fall), Abs. 3 (1.Fall) Suchtmittelgesetz sowie § 15 StGB, rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt.

14. In einem am 14.06.2016 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangenden Schreiben teilte der Beschwerdeführer Folgendes mit:

"Ich, XXXX in Casablanca, marokkanischer Staatsangehöriger, befinde mich derzeit in der Justizanstalt XXXX. Mein errechnetes Strafende ist der 10. März 2017. Ich stelle hiermit den Antrag auf Zuerkennung von Asyl und ersuche um Vernehmung durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Prüfung meines Antrages."

15. Am 16.06.2016 wurde der Beschwerdeführer einer Erstbefragung zu seinem dritten Antrag auf internationalen Schutz unterzogen. Dabei brachte er - nachdem er auf sein bereits rechtskräftig negativ entschiedenes Verfahren vom 03.05.2013 hingewiesen worden war - vor:

"Ich will in Österreich bleiben, da ich in Marokko Probleme habe. Ich werde von Drogenhändlern in Marokko verfolgt. Wenn ich nach Marokko zurückkehre, muss ich mit ihnen arbeiten oder ansonsten werden sie mich töten. Außerdem haben die Drogenhändler meinen Bruder auch schon erschossen. Das sind alle meine Fluchtgründe." Auf die Frage, was der er im Falle der Rückkehr in seine Heimat befürchte bzw. ob es konkrete Hinweise für eine Rückkehrgefahr gäbe, brachte er vor, dass er Angst habe, erschossen zu werden. Die Drogenhändler würden untereinander gekämpft haben und er habe dabei mit einem Messer auf einen Drogenhändler eingestochen. Darum werde er von den marokkanischen Behörden seit 2008 gesucht. Er sei zu 5 Jahren Gefängnis verurteilt worden.

16. Am 06.07.2016 wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde nieder-schriftlich einvernommen. Die Frage, ob er sich körperlich und geistig in der Lage fühle, an der Einvernahme mitzuwirken, bejahte der Beschwerdeführer. Die Frage, ob er an irgendwelchen schwerwiegenden Krankheiten leide, verneinte er, gab aber an, psychische Probleme zu haben und deshalb Medikamente zu bekommen. Seinen neuerlichen (dritten) Antrag auf internationalen Schutz begründete der Beschwerdeführer wie folgt: "Ich will wie ein normaler Mensch leben und Rechte haben. Nach meinen Asylanträgen war ich in der Schweiz und wurde wieder nach Österreich rücküberstellt. Ich habe lediglich einen Ausweis für zwei Tage bekommen." Auf Vorhalt, dass er im Zuge der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und jetzt auch im Zuge der Einvernahme angegeben habe, marokkanischer Staatsbürger zu sein und in Marokko Probleme gehabt zu haben, erwiderte der Beschwerdeführer Folgendes: "Das ist doch normal, jeder lügt. Jeder Algerier sagt, dass er Marokkaner ist und jeder Marokkaner sagt, dass er Algerier ist." Auf weitere Fragestellungen hin führte der Beschwerdeführer aus, dass er Marokkaner und in Casablanca geboren worden sei. Er habe eine Cousine in Österreich, mit der er keinen Kontakt mehr habe. Seine Mutter lebe in Frankreich. In Österreich habe er in den Jahren 2014 und 2015 einen Deutschkurs besucht. Er habe in Österreich nicht gearbeitet, zumal er hier keine Arbeitsbewilligung erhalte. Er habe aber Freunden geholfen, die ihn dafür bezahlt hätten. Er befinde sich derzeit für neun Monate in Strafhaft, werde aber voraussichtlich in zwei Monaten entlassen. Auf die Information hin, dass beabsichtigt sei, den Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, gab der Beschwerdeführer an, dass er das nicht verstehe. Er verstehe auch nicht, warum er von der Schweiz nach Österreich überstellt worden sei. Wenn er hier in Österreich schon kein Asyl bekomme, solle man doch seine Fingerabdrücke löschen, und dann könne er in ein anderes Land fahren und dort Asyl beantragen. Auf die Frage, ob er zu den am 28.06.2016 an ihn ausgefolgten Länderfeststellungen zur Lage in Algerien eine Stellungnahme abgeben wolle, gab der Beschwerdeführer an, dass er das nicht gelesen habe.

17. Aus den vorliegenden Befunden vom 25.03.2016, 30.03.2016, 11.04.2016, 19.04.2016, 09.05.2016 und 23.05.2016 geht hervor, dass der Beschwerdeführer wegen in der Justizanstalt diagnostizierter multipler Substanzabhängigkeit behandelt wird.

18. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 18.07.2016 entschied die belangte Behörde Folgendes:

"I. Ihr Antrag auf internationalen Schutz vom 16.06.2016 wird gemäß § 68 Abs. 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51/1991 in der idgF., wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

II. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird Ihnen gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt.

Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wird gegen Sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen.

Es wird gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass Ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Algerien zulässig ist.

III. Gemäß § 55 Absatz 1a FPG besteht keine Frist für die freiwillige Ausreise."

Begründend wurde im Rahmen der Feststellungen im Wesentlichen ausgeführt, dass die Identität des Beschwerdeführers nicht feststehe, er Staatsangehöriger von Algerien und volljährig sei sowie dass er an keinen schweren, lebensbedrohenden Krankheiten leide. Der Beschwerdeführer verfüge über keine sonstige Aufenthaltsberechtigung und sein erster Antrag auf internationalen Schutz sei zur XXXX am 03.05.2013 gemäß §§ 3,8 und 10 AsylG 2005 rechtskräftig abgewiesen worden. Der zweite Antrag auf internationalen Schutz sei zur XXXX am 30.01.2015 gemäß § 68 AVG rechtskräftig zurückgewiesen worden. Im nunmehrigen dritten Asylverfahren seien keine weiteren asylrelevanten Gründe glaubhaft vorgebracht worden bzw. habe sich kein neuer objektiver Sachverhalt ergeben. Der Beschwerdeführer habe in Österreich keine Angehörigen oder sonstige Verwandte, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bzw. eine besonders enge Beziehung bestehe. Soziale Kontakte, welche den Beschwerdeführer an Österreich bänden, lägen nicht vor. Der Beschwerdeführer sei mit den landegesrichtlichen Urteilen vom XXXX, vom XXXX und vom XXXX, wiederholt rechtskräftig zu unbedingten Haftstrafen verurteilt worden. Die belangte Behörde traf Feststellungen zur Lage in Algerien und setzte sich dabei mit den Themen der politischen Lage, der Sicherheitslage, dem Rechtschutz und Justizwesen, den Sicherheitsbehörden, der Grundversorgung und der Wirtschaft, der medizinischen Versorgung und der Behandlung nach der Rückkehr auseinander.

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde unter anderem aus, dass sich die Feststellungen betreffend die Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers auf den Akteninhalt im Erstverfahren (XXXX) gründen. Mangels Vorlage von Identitätsdokumenten oder sonstiger Beweismittel stehe die Identität des Beschwerdeführers nicht fest. Der Beschwerdeführer habe nicht behauptet, an lebensbedrohenden Krankheiten zu leiden und solche seien aus der Aktenlage auch nicht ersichtlich. Bezüglich der Angaben des Beschwerdeführers, wonach er an psychischen Problemen leide und er deswegen auch Medikamente einnehme, sei auszuführen, dass deshalb keine lebensbedrohliche Erkrankung vorläge. Auch aus den vorliegenden ärztlichen Unterlagen würden sich keine Hinweise auf eine lebensbedrohende Erkrankung ergeben. Diese Befunde seien unauffällig und eine stationäre Behandlung sei nicht erforderlich. Lediglich eine Therapie ("langsame Rivotrilentzungstherapie") sei im Befund vom 09.05.2016 vorgeschlagen worden. Auch habe der Beschwerdeführer sowohl bei der Erstbefragung (16.06.2016), als auch bei der niederschriftlichen Einvernahme (06.07.2016) bestätigt, geistig und körperlich in der Lage zu sein, die Einvernahme durchzuführen.

Die nunmehrige Behauptung des Beschwerdeführers, dass er marokkanischer Staatsangehöriger sei, stelle keinen neuen objektiven Sachverhalt dar. Diesem Vorbringen könne kein Glauben geschenkt werden und der Beschwerdeführer habe dies weder plausibel darlegen noch bescheinigen können. Entsprechend der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sei den Angaben eines Asylwerbers bei der Erstbefragung grundsätzlich eine höhere Glaubwürdigkeit beizumessen. Hier habe der Beschwerdeführer angegeben, algerischer Staatsangehöriger zu sein. Zudem widerspreche es jeder Lebenserfahrung, dass ein tatsächlich verfolgter Asylwerber wider besseres Wissen seinen Herkunftsstaat der Asylbehörde verschweige. Dem Beschwerdeführer sei es im Ergebnis nicht gelungen, im gegenständlichen Verfahren eine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft zu machen. Die Angaben bezüglich des Privat- Familienlebens würden sich aus den niederschriftlichen Einvernahmen des Beschwerdeführers ergeben, die rechtskräftigen Verurteilungen aus einer aktuellen Strafregisterauskunft.

In der rechtlichen Würdigung zu Spruchpunkt I des bekämpften Bescheides wurde - auf das Wesentliche zusammengefasst - ausgeführt, dass der Beschwerdeführer seinen dritten Antrag auf internationalen Schutz ausschließlich mit Umständen begründete (er wäre marokkanischer Staatsangehöriger und hätte in Marokko Probleme gehabt), die seinen Angaben zufolge schon vor Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung über den ersten Antrag auf internationalen Schutz bestanden haben. Diese Umstände seien daher von vornherein nicht geeignet, eine neue Sachentscheidung herbeizuführen. Allgemein bekannte Sachverhaltsänderungen seit dem rechtskräftigen Abschluss des ersten Asylverfahrens, die vor dem Hintergrund der individuellen Situation des Beschwerdeführers die Erlassung eines inhaltlich anders lautenden Bescheides ermöglichen oder erfordern würden, und die das Bundesamt von Amts wegen zu berücksichtigen hätte, seien auch nicht ersichtlich. Es habe daher im Vergleich zu den Feststellungen des Erstverfahrens kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden können. Die Rechtskraft des ergangenen Bescheides vom 03.05.2013, XXXX, stehe daher einem neuerlichen Antrag entgegen, weshalb das Bundesamt zu einer Zurückweisung dieses Antrages verpflichtet sei. Im Hinblick auf die gesundheitlichen Probleme des Beschwerdeführers sei nicht ersichtlich, dass er an einer Erkrankung mit besonderer Schwere leide, welche einer Außerlandesschaffung entgegenstehe. Die Rückkehrentscheidung in Spruchpunkt II wurde mit einer zu Lasten des Beschwerdeführers ausgehenden Interessensabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK begründet, und zwar insbesondere damit, dass der Beschwerdeführer im Bundesgebiet kein Familienleben führe, er sich erst seit März 2013 im Bundesgebiet aufhalte und die Einreise illegal erfolgt sei. Aufgrund des Antrages auf internationalen Schutz habe dem Beschwerdeführer bewusst sein müssen, dass sein Aufenthaltsrecht in Österreich nur ein vorübergehendes sei. Zudem sei der Beschwerdeführer wiederholt delinquent geworden und habe dieses Verhalten zu drei rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilungen geführt. Bezüglich der behaupteten, in XXXX lebenden Cousine sei anzuführen, dass mangels ausreichender Nahebeziehung - der Beschwerdeführer habe selbst angegeben, keinen Kontakt zur Cousine mehr zu haben - kein Eingriff in das Grundrecht nach Art. 8 Abs. 1 EMRK vorläge. Ein Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 und 57 AsylG sei nicht zu erteilen. Die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Algerien verletze nicht Art. 2 oder 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe oder bringe für den Beschwerdeführer als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich. Die Abschiebung nach Algerien sei sohin als zulässig zu erachten. Im Hinblick auf Spruchpunkt III referierte die belangte Behörde, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG im Fall einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe. Daher sei im gegenständlichen Fall von einer Erteilung einer Frist abzusehen gewesen.

19. Mit Verfahrensanordnung der belangten Behörde vom 18.07.2016 wurde dem Beschwerdeführer für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

20. Der bekämpfte Bescheid sowie die Verfahrensanordnung wurden dem Beschwerdeführer am 19.07.2016 persönlich zugestellt.

21. Mit dem am 01.08.2016 bei der belangten Behörde eingelangten Schriftsatz erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung als Mitglieder der ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, fristgerecht Beschwerde gegen den og. Bescheid und beantragte, das Bundesverwaltungsgericht möge (Fehler im Original): "I die hier angefochtenen, oben bezeichneten Bescheide zur Gänze zu beheben, das Verfahren zuzulassen, einen Bescheid in der Sache selbst zu erlassen und mir Asyl gemäß § 3 AsylG, in eventu den Status von subsidiär Schutzberechtigten gem. § 8 Abs. 1 Z 1 zu gewähren, in eventu II. festzustellen, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG iV. mit § 9 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist und daher feststellen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung / plus gem. § 55 Abs. 1 AsylG vorliegen und der BF daher gem. § 58 Abs. 2 Asylgesetzen Aufenthaltstitel gem. § 55 AsylG von Amts wegen zu erteilen ist; in eventu III. festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gem. § 57 AsylG idgF. vorliegen und der BF eine AB besonderer Schutz zu erteilen; in eventu IV. den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit zur Gänze zu beheben und zur Durchführung eines erneuten Verfahrens und Erlassung eines inhaltlichen Bescheides an das Bundesamt zurückzuverweisen; jedenfalls V. zur gebotenen Ergänzung des mangelhaft gebliebenen Ermittlungsverfahrens gem. § 24 Abs. 1 VwGVG eine mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen sowie

VI. wegen Gefahr in Verzug die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gem. § 17 Abs. 1 Z 2 BFA-VG binnen 7 Tage zuerkennen."

In der Begründung wird vorgebracht, der angefochtene Bescheid sei inhaltlich rechtswidrig und rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Es sei nicht nachvollziehbar, wie die belangte Behörde zur Würdigung gelangen konnte, dass keine glaubhafte oder maßgebliche Änderung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes eingetreten sei. Dies sei aufgrund des Vorbringens des Beschwerdeführers in Zusammenschau mit der aktuellen Lage in Algerien bzw. Marokko nicht nachvollziehbar und erscheine aufgrund der Aktenlage als willkürlich und aktenwidrig. Der Beschwerdeführer habe am 16.06.2016 angegeben, Staatsangehöriger von Marokko zu sein und in Marokko Probleme mit Drogenhändlern gehabt zu haben. Weiters habe er psychische Probleme angegeben und darauf hingewiesen, dass er diesbezüglich in ärztlicher Behandlung sei. Er sei entgegen der Aktenlage Staatsangehöriger von Marokko und am XXXX in Casablanca geboren. Der Beschwerdeführer habe diese Tatsache nicht schon im ersten bzw. im zweiten Verfahren vorgebracht, da er Angst gehabt habe, abgeschoben zu werden. Die Behörde hätte bezüglich dieser Änderung des Vorbringens Ermittlungen tätigen müssen. Der angefochtene Bescheid beruhe auf einer entscheidungsuntauglichen Entscheidungsgrundlage. Hätte die belangte Behörde diesen Verfahrensfehler nicht gesetzt, hätte sie inhaltlich entscheiden müssen. Der maßgebliche Sachverhalt habe sich seit der Entscheidung über den ersten Antrag auf internationalen Schutz geändert. Auch im Hinblick auf Spruchpunkt II läge ein neuer Sachverhalt vor. Der Beschwerdeführer habe bei einem Freund in Linz als Reinigungskraft gearbeitet und habe auch Deutschkurse besucht. Eine Änderung der familiären und privaten Situation des Beschwerdeführers in Marokko habe die Behörde gar nicht ermittelt. Dies wäre jedoch zur Abwägung der Interessen an einem Verbleib in Österreich geboten gewesen. Die aufschiebende Wirkung sei gemäß § 17 BFA-VG zuzuerkennen, weil die Identität des Beschwerdeführers als ungeklärt dargestellt werde, obwohl der Beschwerdeführer Staatsangehöriger von Marokko sei und ihm dort eine reale Gefahr drohe.

22. Die Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden von der belangten Behörde dem Bundesverwaltungsgericht am 03.08.2016 zur Entscheidung vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Algeriens, volljährig, ledig und kinderlos und leidet an keiner schweren, lebensbedrohlichen Krankheit. Seit März 2016 befindet er sich in einer Substitutionstherapie.

Der Beschwerdeführer hat am 04.04.2013 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich gestellt, über welchen mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 16.04.2013 negativ entschieden wurde. Dieser Bescheid erwuchs am 30.04.2013 in Rechtskraft. Der Beschwerdeführer reiste, nachdem er wegen Haftunfähigkeit infolge eines Hungerstreiks am 08.10.2013 aus der Schubhaft entlassen wurde, aus dem Bundesgebiet aus, stellte in der Schweiz einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am XXXX von der Schweiz nach Österreich überstellt. Der vom Beschwerdeführer am XXXX in Österreich gestellte, zweite Antrag auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 12.01.2015 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Dieser Bescheid erwuchs am 30.01.2015 in Rechtskraft.

Festgestellt wird, dass der Beschwerdeführer in seinem nunmehrigen dritten Antrag auf internationalen Schutz vom 16.06.2016 keine neu entstandenen Fluchtgründe vorgebracht hat und eine maßgebliche Änderung in der Sach- und Rechtslage im Vergleich zu dem rechtskräftig negativ entschiedenen Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers vom 04.04.2013, Zl. 13.04.247-BAT, nicht eingetreten ist.

Seit (mindestens) 04.04.2013 hält sich der Beschwerdeführer - mit einer Unterbrechung aufgrund einer Ausreise nach Italien bzw. in die Schweiz - in Österreich auf; er verfügt - schon angesichts seines kurzen Aufenthaltes im Bundesgebiet - in Österreich über keine maßgeblichen privaten Beziehungen. Er hat in Österreich auch keine Kernfamilie oder sonstige Verwandte, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bzw. ein besonderes Naheverhältnis besteht. Der Beschwerdeführer ist am österreichischen Arbeitsmarkt nicht integriert. Er verfügt über keine qualifizierten Sprachkenntnisse in Deutsch und - von den Hauptwohnsitzmeldungen in den österreichischen Haftanstalten abgesehen - über keinen Wohnsitz im Bundesgebiet.

Festgestellt wird, dass gegen den Beschwerdeführer folgende strafgerichtlichen Verurteilungen im Bundesgebiet bestehen:

1.) Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX, wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen nach §§ 161 Abs. 1 und Abs. 2 (1. Fall) StGB (Hehlerei) sowie wegen der Vergehen nach § 27 Abs. 1 Z 1 (8.Fall) und Abs. 3 Suchtmittelgesetz sowie § 15 StGB rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten, davon 7 Monate bedingt (Probezeit 3 Jahre), verurteilt.

2.) Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX, wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen nach §§ 27 Abs. 1 Z 1 (8. Fall) und Abs. 3 Suchtmittelgesetz rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt. Zugleich wurde die bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe der Erstverurteilung widerrufen und die Probezeit auf insgesamt 5 Jahre verlängert.

3.) Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX, wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens nach § 28a Abs. 1 (5. Fall), Abs. 3 (1. Fall) Suchtmittelgesetz sowie § 15 StGB, rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt.

Der Beschwerdeführer wird im Fall seiner Rückkehr nach Algerien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner asylrelevanten Verfolgung und keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein.

Soweit dies für den vorliegenden Beschwerdefall von Relevanz ist, werden zur aktuellen Lage in Algerien folgende Feststellungen getroffen (vergleiche auch die diesbezüglichen Feststellungen im bekämpften Bescheid auf den Seiten 6 bis 18):

"Politische Lage

Nach der Verfassung von 1996 ist Algerien eine demokratische Volksrepublik. Der Präsident wird für fünf Jahre direkt gewählt. Der derzeitige Präsident Abdelaziz wurde am 17.4.2014 mit über 81 Prozent für eine vierte Amtszeit wiedergewählt. Aus den letzten Parlamentswahlen im Mai 2012 gingen die beiden größten Regierungsparteien - die ehemalige Einheitspartei Nationale Befreiungsfront (FLN) und die Nationale Demokratische Sammlungsbewegung (RND) - als stärkste Parteien hervor. Auch in Algerien kam es wie in anderen nordafrikanischen Ländern Anfang 2011 zu Protesten junger Algerier. Präsident Bouteflika hob daraufhin den seit 19 Jahren geltenden Ausnahmezustand auf und kündigte außerdem einen umfassenden politischen Reformprozess an. Daraufhin wurden unter anderem Parteien-, Wahl-, Vereins- und Informationsgesetz reformiert. Nach seiner Wiederwahl für eine vierte Amtszeit kündigte Präsident Bouteflika eine Fortsetzung des politischen Reformprozesses an, der insbesondere in eine Verfassungsreform münden sollte (AA 9.2015, vgl. AA 18.1.2016, ÖB 3.2015, BS 2014). Am 7.2.2016 beschloss das algerische Parlament diese Verfassungsreform. Die Änderungen würden die Demokratie in dem nordafrikanischen Land stärken, erklärten Regierungsvertreter am 7.2.2016. Unter anderem wird die Amtszeit des Präsidenten wieder auf zwei Perioden beschränkt. Zudem muss das Staatsoberhaupt künftig die Mehrheit im Parlament konsultieren, ehe es einen Ministerpräsidenten bestimmt. Eine unabhängige Wahlaufsichtsbehörde soll eingerichtet und die Berbersprache Amazigh offiziell anerkannt werden. Mehrere Oppositionsparteien boykottierten die Abstimmung, denn ihres Erachtens bedeuten die Verfassungsänderungen keine wirkliche politische Reform (DS 7.2.2016).

Nationalversammlung ("Assemblée Populaire Nationale", APN) und Senat ("Conseil de la Nation") bilden die beiden Kammern des Parlaments. Die 462 Mitglieder der Nationalversammlung werden alle fünf Jahre in allgemeiner, direkter und geheimer Wahl gewählt. Die 144 Mitglieder des Senats werden zu einem Drittel durch den Präsidenten bestimmt und zu zwei Dritteln von den Gemeindevertretern gewählt. Alle formellen Gesetze bedürfen der Zustimmung von drei Vierteln der Senatoren, was dem Präsidenten ein faktisches Vetorecht einräumt. Die Rolle des Parlaments im Staats- und Machtgefüge ist schwach. Auf Proteste reagiert die algerische Regierung häufig mit finanziellen Zugeständnissen und der Ankündigung von Reformen. So kam es im Jahr 2013 wiederholt zu sozioökonomisch motivierten Protesten und Streiks, vor allem im Süden des Landes. Wie bereits bei den landesweiten Unruhen im Januar 2011 reagierte die Regierung mit finanziellen Zugeständnissen und Versprechen (Wohnungsbau, Beschäftigung, Lohnerhöhungen, Subventionen, günstige Darlehen). Allerdings sind die mit diesem Reformprozess verbundenen Erwartungen und Hoffnungen der Bevölkerung auf einen echten Wandel nicht erfüllt worden. Eine politische Umbruchstimmung ist in Algerien nicht in Sicht, da die Bevölkerung eher an einer Verbesserung ihrer sozioökonomischen Lebensbedingungen und Stabilität interessiert ist und ihr vor dem Hintergrund der traumatischen Erfahrungen in den "Schwarzen 90er Jahren" und der instabilen Lage in den Nachbarländern des "Arabischen Frühlings" nicht daran gelegen ist, erneut in eine von Unsicherheit und Instabilität geprägte Lage zu geraten (AA 18.1.2016).

Die zentrale Verwaltung und lokale gewählte Körperschaften sind seit langem für ihre Ineffizienz, Korruption und Patronage bekannt. Die Regierung hat den Ruf eine Politik der "geschlossenen Türen" zu praktizieren, die nur durch persönliche Verbindungen oder Gewalt geöffnet werden kann (BS 2014). Algerien steckt durch den Verfall des Preises für Erdöl und Erdgas in einer wirtschaftlichen und sozialen Krise. Im Hintergrund streiten sich die politischen und wirtschaftlichen Clans um Einfluss, während die Politik weitgehend untätig bleibt. Der schwerkranke Bouteflika lenkt die Geschicke des Landes längst nicht mehr. Er zeigt sich so gut wie nie in der Öffentlichkeit. In seinem Umfeld kommt es immer offener zu Machtkämpfen zwischen denen, die ihn beerben wollen - darunter sein Bruder und Berater Said Bouteflika (58).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (9.2015): Algerien - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Algerien/Innenpolitik_node.html, Zugriff 8.2.2016

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BS - Bertelsmann Stiftung (2014): BTI 2014 - Algeria Country Report,

http://www.bti-project.org/uploads/tx_itao_download/BTI_2014_Algeria.pdf, Zugriff 8.2.2016

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DS - derStandard.at (7.2.2016): Algerisches Parlament beschließt Verfassungsreform,

http://derstandard.at/2000030536789/Algerisches-Parlament-beschliesst-Verfassungsreform, Zugriff 9.2.2016

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HRW - Human Rights Watch (27.1.2016): World Report 2016 - Algeria, http://www.ecoi.net/local_link/318404/457407_de.html, Zugriff 8.2.2016

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ÖB - Österreichische Botschaft Algier (3.2015): Asylländerbericht Algerien

Sicherheitslage

In den letzten Jahren und aktuell kommt es in Algerien immer wieder zu Terroranschlägen und Entführungen, insbesondere in der algerischen Sahararegion, aber auch im Norden und Nordosten des Landes (v.a. Kabylei). In dieser Region kommt es immer wieder zu andauernden terroristischen Aktivitäten, wobei das Risiko von Entführungen und Anschlägen durch terroristische Gruppierungen wie "Al Qaida im islamischen Maghreb" (AQIM), "Mouvement pour l'Unicité et le Jihad en Afrique de l'Ouest" (MUJAO), "El Mourabitoun" oder die neu gebildete Gruppe "Jund al-Khialaifah" hoch ist (AA 8.2.2016).

Häufig kommt es im ganzen Land zu kleinräumigen Streiks und Protesten, die so gut wie alle Sektoren der Gesellschaft erfassen:

Studenten, Mediziner, Veteranen, öffentliche Bedienstete, Fabriken, etc. Im Oktober 2014 demonstrierten erstmals auch Polizeieinheiten in Algier, Oran, Constantine und Ghardaia (ÖB 3.2015). Da jedoch Algerien in den 1990er Jahren ein Jahrzehnt des Terrorismus erlebt hat, bevorzugt die große Mehrheit der Algerier Frieden und lehnt Instabilität ab. Der vom Präsidenten durch die Versöhnungscharta 2006 vermittelte Frieden trug zur in der Bevölkerung weithin anerkannten Legitimität des Staates bei (BS 2014).

Algerien ist eine Basis für den heute in Nordafrika und im Sahel operierenden dschihadistischen Terrorismus. Eine extremistische islamistische Gruppe anerkannte den 1997 geschlossenen Waffenstillstand zwischen dem algerischen Militär und der AIS nicht und zog sich als Salafist Group for Preaching and Combat (GSPC) in die Saharagebiete zurück. Im Jahr 2005 verband sich die Gruppe mit Al Qaida zur AQIM. Inzwischen hat sich diese Gruppe wieder mehrmals geteilt, 2013 u.a. in die MUJAO (Bewegung für Einheit und Jihad in Westafrika). Ableger dieser Gruppen haben den Terroranschlag in In Amenas/Tigentourine im Jänner 2013 zu verantworten. 2014 haben sich mit dem Aufkommen des "Islamischen Staates" (IS) Veränderungen in der algerischen Terrorismusszene ergeben. AQIM hat sich aufgespalten und mindestens eine Teilgruppe, Jund al-Khalifa, hat sich solidarisch mit dem IS erklärt. Terroristischen Aktivitäten richten sich fast ausschließlich auf militärische Ziele. Der blutigste Anschlag 2014 ereignete sich in der Kabylei bei Iboudrarène, wo am 20.4.2014 mindestens elf algerische Soldaten getötet wurden (ÖB 3.2015).

Die Angaben über die Zahlen der gegenwärtig in Algerien aktiven Terroristen schwanken zwischen einigen Hundert bis etwa Tausend. Weite Teile des riesigen Landes gelten als gefährdet (ÖB 3.2015). Zu nennen sind insbesondere:

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Die Bergregion Kabylei in der Umgebung von Boumerdes, Tizi Ouzou, Bouira, Bejaia und Jijel (ÖB 3.2015, vgl. AA 8.2.2016, FD 8.2.2016)

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Die Bergregionen im Westen um Tiaret, Sidi bel Abbès, Ain Defla (ÖB 3.2015, vgl. AA 8.2.2016)

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Die Grenzregion zu Tunesien und Libyen; sowie die ausgedehnten Grenzregionen zu Niger, Mali und Mauretanien und zur Westsahara, weitgehend auch die restlichen algerischen Saharagebiete (ÖB 3.2015, vgl. AA 8.2.2016, FD 8.2.2016) sowie teilweise auch Grenzregionen zu Marokko (südlicher Teil) (FD 8.2.2016).

Die häufigen Entführungen, besonders in der Region Kabylei treffen in erster Linie wohlhabende Einheimische und sind kriminell (Lösegeldforderung) motiviert. In den südlichen Grenzregionen zu Niger und Mali und jenseits der Grenzen gehen terroristische Aktivitäten, Schmuggel und Drogenhandel ineinander über. Heute wird angenommen, dass AQIM in Nordmali, aber auch andernorts vereinzelt mit der lokalen Bevölkerung für Schmuggel aller Art zusammenarbeitet (ÖB 3.2015). Islamistischer Terror und grenzübergreifende Kriminalität in der Sahelregion stellen weiterhin Bedrohungen für die Stabilität Algeriens dar. Die algerische Armee ist allerdings gut gerüstet, um mit der Sicherheitslage umzugehen und in geostrategischer Hinsicht ist Algerien zu einem regionalen Key-Player geworden, dem internationale Aufmerksamkeit sicher ist. Islamistische Extremisten, die eine echte Bedrohung für den Staat darstellen, sind eine sehr kleine Minderheit. Sie haben keine oder kaum Unterstützung in der Bevölkerung (BS 2014).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (8.2.2016): Algerien: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/AlgerienSicherheit.html, Zugriff 8.2.2016

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BS - Bertelsmann Stiftung (2014): BTI 2014 - Algeria Country Report,

http://www.bti-project.org/uploads/tx_itao_download/BTI_2014_Algeria.pdf, Zugriff 8.2.2016

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FD - France Diplomatie (8.2.2016): Conseils aux Voyageurs - Algérie - Sécurité,

http://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays/algerie/ Zugriff 8.2.2016

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ÖB - Österreichische Botschaft Algier (3.2015): Asylländerbericht Algerien

Rechtsschutz/Justizwesen

Obwohl die Verfassung eine unabhängige Justiz vorsieht, beschränkte die Exekutive die Unabhängigkeit der Justiz bzw. ist der Präsident die oberste Justizautorität (USDOS 25.6.2015, vgl. FH 28.1.2015, ÖB 3.2015, GIZ 12.2015a). Die in der Verfassung garantierte Unabhängigkeit von Gerichten und Richtern ist in der Praxis nicht immer gewährleistet (AA 18.1.2016, vgl. BS 2014). Die Justizreform wird zudem nur äußerst schleppend umgesetzt. Algerische Richter sehen sich häufig einer außerordentlich hohen Arbeitsbelastung ausgesetzt, was insbesondere in Revisions- und Berufungsphasen zu überlangen Verfahren führt. Ein berufsständisches Gesetz zu Status und Rolle der Anwaltschaft existiert nicht (AA 18.1.2016).

Der Oberste Justizrat ist für die richterliche Disziplin und die Ernennung und Entlassung aller Richter zuständig; Präsident Bouteflika ist der Vorsitzende dieses Rates (USDOS 25.6.2015, vgl. BS 2014). Praktische Entscheidungen über richterliche Kompetenzen werden von diesem Rat getroffen (BS 2014). Die Richter werden für eine Dauer von zehn Jahren ernannt und können u.a. im Fall von Rechtsbeugung abgelöst werden (AA 18.1.2016). Im Straf- und Zivilrecht entscheiden Justizministerium und der Präsident der Republik mittels weisungsabhängiger Beratungsgremien über das Fortkommen von Richtern und Staatsanwälten. Das Rechtswesen kann so unter Druck gesetzt werden, besonders in Fällen, in denen politische Entscheidungsträger betroffen sind und ist der Exekutive de facto nachgeordnet. Im Handelsrecht führt die Abhängigkeit von der Politik zur inkohärenten Anwendung der Anti-Korruptionsgesetzgebung, da auch hier die Justiz unter Druck gesetzt werden kann (GIZ 12.2015a).

Das algerische Strafrecht sieht explizit keine Strafverfolgung aus politischen Gründen vor. Es

existiert allerdings eine Reihe von Strafvorschriften, die aufgrund ihrer weiten Fassung eine politisch motivierte Strafverfolgung ermöglichen. Dies betrifft bisher insbesondere die Meinungs- und Pressefreiheit, die durch Straftatbestände wie Verunglimpfung von Staatsorganen oder Aufruf zum Terrorismus eingeschränkt werden. Rechtsquellen sind dabei sowohl das algerische Strafgesetzbuch als auch eine spezielle Anti-Terrorverordnung aus dem Jahre 1992 (AA 18.1.2016).

Die Verfassung gewährleistet das Recht auf einen fairen Prozess (USDOS 25.6.2015), aber in der Praxis respektieren die Behörden nicht immer die rechtlichen Bestimmungen, welche die Rechte des Angeklagten wahren sollen (USDOS 25.6.2015, vgl. AA 18.1.2016). Für Angeklagte gilt die Unschuldsvermutung und sie haben das Recht auf einen Verteidiger, dieser wird falls nötig auf Staatskosten zur Verfügung gestellt. Die meisten Verhandlungen sind öffentlich. Angeklagten und ihren Anwälten wird gelegentlich der Zugang zu von der Regierung gehaltenen Beweismitteln gegen sie verwehrt. Angeklagte haben das Recht auf Berufung. Die Aussage von Frauen und Männern wiegt vor dem Gesetz gleich (USDOS 25.6.2015). Den Bürgern fehlt nach wie vor das Vertrauen in die Justiz, und sie sehen vor allem in politisch relevanten Strafverfahren Handlungsbedarf. Nach belastbarer Einschätzung von Menschenrechtsorganisationen und kritischen Journalisten nimmt die Exekutive in solchen Fällen unmittelbar Einfluss auf die Entscheidungen des Gerichts (AA 18.1.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (18.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien

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BS - Bertelsmann Stiftung (2014): BTI 2014 - Algeria Country Report,

http://www.bti-project.org/uploads/tx_itao_download/BTI_2014_Algeria.pdf, Zugriff 8.2.2016

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FH - Freedom House (28.1.2015): Algeria - Freedom in the World 2015, http://www.ecoi.net/local_link/307691/445395_de.html, Zugriff 8.2.2016

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2015a): Algerien - Geschichte & Staat, http://liportal.giz.de/algerien/geschichte-staat/#c29044, Zugriff 8.2.2016

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ÖB - Österreichische Botschaft Algier (3.2015): Asylländerbericht Algerien

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USDOS - U.S. Department of State (25.6.2015): Country Report on Human Rights Practices 2014 - Algeria, http://www.ecoi.net/local_link/306353/443628_de.html, Zugriff 8.2.2016

Sicherheitsbehörden

In Algerien ist es vor allem die Institution der Armee (ANP), die den Zusammenhalt des Landes zu garantieren beansprucht, die Schlüsselpositionen besetzt und die Ressourcen des Landes kontrolliert. Sie bezog ihre Legitimität aus ihrer Rolle im Befreiungskrieg gegen Frankreich, stellt einen Staat im Staat dar und war ursprünglich der bewaffnete Arm der FLN. Bis zur ersten Amtszeit des gegenwärtigen Präsidenten Bouteflika 1999 waren die Präsidenten Algeriens Armeeoffiziere. Daneben existiert die nationale Polizei zur Wahrung der örtlichen Sicherheit, sowie die Gendarmerie, die über zahlreiche spezielle Kompetenzen verfügt und besonders außerhalb der Städte präsent ist. Des Weiteren besteht eine Gendarmerie locale, die eine Art Bürgerwehr darstellt und für die Terrorismusbekämpfung in ländlichen Gebieten eingesetzt wird (GIZ 12.2015a, vgl. USDOS 25.6.2015, ÖB 3.2015).

Straffreiheit bleibt ein Problem (USDOS 25.6.2015, vgl. HRW 27.1.2016). Übergriffe und Rechtsverletzungen der Sicherheitsbehörden werden entweder nicht verfolgt oder werden nicht Gegenstand öffentlich gemachter Verfahren (ÖB 3.2015). Das Strafgesetz enthält Bestimmungen zur Untersuchung von Missbrauch und Korruption, aber die Regierung veröffentlicht keine Informationen bzgl. disziplinärer oder rechtlicher Maßnahmen gegen Mitglieder der Sicherheitskräfte (USDOS 25.6.2015).

Das Präsidialamt hat in den vergangenen Jahren die Spitze der einflussreichen Armee weitgehend umgebaut, den Chef des allmächtigen militärischen Geheimdienstes DRS, Mohamed Mediene "Toufik", in den Ruhestand versetzt. Vor kurzem wurde der DRS ganz aufgelöst. Ein neuer Geheimdienst untersteht nun dem Präsidialamt statt den Generälen (DS 30.1.2016).

Quellen:

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DS - derStandard.at (30.1.2016): Algerien will mit neuer Verfassung "ziviler Staat" werden, http://derstandard.at/2000030035483/Algerien-will-mit-neuer-Verfassung-ziviler-Staat-werden, Zugriff 8.2.2016

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2015a): Algerien - Geschichte & Staat, http://liportal.giz.de/algerien/geschichte-staat/#c29044, Zugriff 8.2.2016

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HRW - Human Rights Watch (27.1.2016): World Report 2016 - Algeria, http://www.ecoi.net/local_link/318404/457407_de.html, Zugriff 8.2.2016

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ÖB - Österreichische Botschaft Algier (3.2015): Asylländerbericht Algerien

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USDOS - U.S. Department of State (25.6.2015): Country Report on Human Rights Practices 2014 - Algeria, http://www.ecoi.net/local_link/306353/443628_de.html, Zugriff 8.2.2016

Folter und unmenschliche Behandlung

Unmenschliche oder erniedrigende Strafen werden gesetzlich nicht angedroht. Die Verfassung verbietet unmenschliche Behandlung (AA 18.1.2016, vgl. USDOS 25.6.2015, ÖB 3.2015). Das traditionelle islamische Strafrecht (Scharia) wird in Algerien nicht angewendet. Rechtsgedanken der Scharia spielen im Wesentlichen im "allgemeinen Familienrecht" eine Rolle (AA 18.1.2016). Es gibt aber ernstzunehmende Hinweise darauf, dass es im Polizeigewahrsam manchmal zu Übergriffen bis hin zu Folter kommt (AA 18.1.2016, vgl. USDOS 25.6.2015, ÖB 3.2015). Nach Berichten von Menschenrechtsorganisationen kommt es

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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