Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei U***** AG, *****, vertreten durch Dr. Reinhard Zimmermann, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei C*****stift *****, vertreten durch Lachinger Rechtsanwälte OG in Korneuburg, wegen 31.953,60 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 18. Juni 2019, GZ 15 R 62/19a-13, mit dem das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 27. Februar 2019, GZ 2 Cg 89/18s-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.040,48 EUR (darin 340,08 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die beklagte Partei ist Eigentümerin der Liegenschaft EZ ***** KG ***** L*****, Bezirksgericht Korneuburg, auf welcher sich seit dem Jahr 1937 ein Superädifikat in Form eines Einfamilienhauses befindet. Dieses erwarb am 17. 2. 2004 durch Urkundenhinterlegung W*****, der am 5. 4. 2005 mit der beklagten Partei einen Bestandvertrag auf unbestimmte Dauer abschloss. Der Vertrag bezog sich auf beide Grundstücke der EZ ***** und regelte, dass die Liegenschaft zwecks Errichtung eines Einfamilienhauses und Nutzung als Garten in Bestand gegeben werde. Als jährlicher Bestandzins wurden 8.187,61 EUR zuzüglich der auf die Liegenschaft entfallenden Steuern, öffentlichen Abgaben und Anliegerleistungen sowie eine Wertanpassungsklausel vereinbart.
Mehr als drei Jahre später, am 16./24. 9. 2008, unterzeichneten W***** und ein Vertreter der klagenden Bank eine Pfandbestellungsurkunde, die am 10. 10. 2008 hinterlegt wurde. Deren Gegenstand war die Sicherstellung von Darlehensforderungen der Klägerin gegen W***** bis zum Höchstbetrag von 30.000 EUR. Diese pfandrechtliche Sicherstellung bezog sich auf das Superädifikat auf beiden Grundstücken der EZ *****.
Am 25. 2. 2015 stellte die Klägerin beim Bezirksgericht Korneuburg einen Exekutionsantrag auf Zwangsversteigerung des Superädifikats zur Hereinbringung eines Betrags von 30.000 EUR, der am 2. 3. 2015 bewilligt wurde. Am 24. 7. 2015 bewilligte das Bezirksgericht Korneuburg außerdem den Beitritt der beklagten Partei zur Zwangsversteigerung. Da sich die Streitteile außergerichtlich auf eine interne Aufteilung des für die Befriedigung sämtlicher Forderungen nicht ausreichenden Meistbots nicht einigen konnten, brachte die beklagte Partei gegen die Klägerin eine Pfandvorrechtsklage gemäß § 258 EO ein. In erster Instanz wurde die Klägerin (dort Beklagte) mit Urteil vom 21. 7. 2017 dazu verhalten, die vorrangige Befriedigung der beklagten Partei zu dulden; das Landesgericht Korneuburg als Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der Oberste Gerichtshof wies die Klage jedoch am 27. 6. 2018 zu 3 Ob 36/18t ab; § 258 Abs 1 EO gelte nur für Exekutionsverfahren auf bewegliches Vermögen, durch die EO-Novelle 2000 habe der Gesetzgeber jedoch die Exekution auf Superädifikate ausdrücklich in die Bestimmungen über die Exekution auf unbewegliches Vermögen einbezogen.
In der Zwischenzeit war das Superädifikat versteigert, der Zuschlag erteilt und das Meistbot von 46.875 EUR samt Meistbots- und Fruktifikationszinsen mit Beschluss des Bezirksgerichts Korneuburg vom 21. 7. 2017 verteilt worden. Der Marktgemeinde L***** waren für rückständige Abgaben ein Kapitalbetrag von 256,08 EUR sowie 0,5 % des Zinsenzuwachses und der beklagten Partei für seit 2010 aushaftende Bestandzinse ein Kapitalbetrag von 46.618,92 EUR sowie 99,5 % des Zinsenzuwachses zugewiesen worden. Das Bezirksgericht Korneuburg setzte sich dabei im Verteilungsbeschluss mit der Frage des Vorrangs des Bestandgeberpfandrechts der beklagten Partei vor dem vertraglichen Pfandrecht der Klägerin eingehend auseinander und entschied, dass die beklagte Partei im Rang vor der Klägerin zum Zug zu kommen habe. Auch diesen Beschluss bestätigte das Landesgericht Korneuburg als Rekursgericht mit zusätzlichen Argumenten zur Vorrangigkeit des Bestandgeberpfandrechts der beklagten Partei. Die Klägerin hatte die Kosten ihres Rekurses in Höhe von 1.953,60 EUR selbst zu tragen.
Nunmehr begehrt die Klägerin von der beklagten Partei – gestützt auf einen Verwendungsanspruch nach § 1041 ABGB – 31.953,60 EUR. Sie hätte hinsichtlich des Betrags von 30.000 EUR das bessere Recht am Meistbot gehabt, womit die beklagte Partei aufgrund des unrichtigen Meistbotsverteilungsbeschlusses insofern bereichert sei. Darüber hinaus seien ihr Kosten in Höhe von 1.953,60 EUR für den Rekurs gegen den Meistbotsverteilungsbeschluss des Bezirksgerichts Korneuburg entstanden, für den die beklagte Partei schadenersatzrechtlich hafte, habe sie doch zu Unrecht auf ihrem Bestandgeberpfandrecht bestanden. Tatsächlich wäre das vertragliche Pfandrecht der Klägerin dem Bestandgeberpfandrecht der beklagten Partei im Rang vorgegangen, weil es sich bei einem Superädifikat um eine unbewegliche Sache handle und nach § 216 EO dem Bestandgeberpfandrecht ein Vorrang nicht zukomme.
Die beklagte Partei bestritt das Klagebegehren und verteidigte die vom Exekutionsgericht vertretene Rechtsansicht über die tatsächliche Rangordnung. Das Superädifikat sei als bewegliche Sache anzusehen, sodass § 286 EO einschlägig sei.
Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht sprach darüber hinaus aus, dass die ordentliche Revision zulässig ist; es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob bereits im Verteilungsverfahren strittige Tatsachen, über die im Verteilungsbeschluss rechtskräftig entschieden wurde, im Wege der Geltendmachung eines Verwendungsanspruchs neuerlich aufgerollt werden können.
In der Sache selbst verneinte das Berufungsgericht diese Auffassung. Die Bindungswirkung verbiete dem Richter des Folgeprozesses, die im Vorprozess – als Hauptfrage – rechtskräftig entschiedene Vorfrage selbstständig zu beurteilen. Er habe die präjudizielle Entscheidung seiner eigenen Entscheidung zugrunde zu legen, ohne die Vorfrage zu prüfen. Die Bindungswirkung sei ein Aspekt der materiellen Rechtskraft und als solche von Amts wegen zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall habe die beklagte Partei im Exekutionsverfahren der Forderungsanmeldung der Klägerin unter Berufung auf ihr Vorzugspfandrecht als Bestandgeberin widersprochen. Das Exekutionsgericht habe in seinem Meistbotsverteilungsbeschluss das Bestandgeberpfandrecht der beklagten Partei am Superädifikat bejaht, weshalb sie auch vorrangig befriedigt wurde. Dem von der Klägerin erhobenen Rekurs gegen den Meistbotsverteilungsbeschluss habe das Landesgericht Korneuburg nicht Folge gegeben, wobei es sich in seiner Entscheidung ausführlich mit der Rechtsfrage auseinandergesetzt habe, ob der beklagten Partei am Superädifikat das Pfandrecht nach § 1101 ABGB zusteht. Gegenstand des hier zu beurteilenden Verwendungsanspruchs sei wie schon im Verteilungsverfahren die Frage, ob der beklagten Partei am Superädifikat das Bestandgeberpfandrecht zukommt und sie deshalb vorrangig zu befriedigen ist. Die Klägerin stützt somit ihren Verwendungsanspruch auf denselben Sachverhalt, der auch Gegenstand des Exekutionsverfahrens war und über den im Verteilungsbeschluss bereits (rechtskräftig) entschieden wurde.
Rechtliche Beurteilung
Die ordentliche Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.
1. § 231 Abs 4 EO, der die Entscheidung über den Widerspruch gegen die Verteilung des Meistbots behandelt, bestimmt, dass die Befugnis desjenigen, der im Verteilungsverfahren Widerspruch gegen die Meistbotsverteilung erhoben hat, gegen Personen, die aufgrund des Verteilungsbeschlusses Befriedigung erlangt haben, sein besseres Recht im Wege der Klage geltend zu machen, weder durch die Versäumung der für die Erhebung der Klage bestimmten Frist noch durch die Ausführung des Verteilungsbeschlusses verwirkt wird. Der Plenissimarbeschluss vom 20. 4. 1915 (Judikatenbuch Nr 220 = GlUNF 7404) hielt dazu fest, dass
der Gläubiger, der im Verteilungsverfahren keinen Widerspruch erhoben hat, sein besseres Recht im Prozessweg insofern geltend machen kann, als es sich auf einen Tatbestand gründet, über den im Verteilungsbeschluss nicht entschieden wurde; diejenigen Rechtsfolgen hingegen, die sich bei Zugrundelegung des nach dem Verteilungsbeschluss angenommenen Sachstands zwischen den Beteiligten ergeben, lassen sich auch im Wege einer Klage nicht aus dem Weg räumen. Derjenige Sachverhalt, der dem Exekutionsrichter bei der Meistbotsverteilung vorgelegen war, über den somit der Exekutionsrichter zu entscheiden vermochte und entschieden hatte, wird zur Substantiierung einer Klage, mag sie auch ein anderes Klagebegehren enthalten als der Teilnahmeanspruch des Widersprechenden, nicht ausreichen, die Klage wird sich vielmehr auf einen neuen Tatbestand gründen müssen, der bei der Verteilung nicht in Betracht kam und worüber deshalb auch nicht entschieden worden ist, denn andernfalls würde sich eine solche Klage als ein Versuch darstellen, den Verteilungsbeschluss […] zu korrigieren, was schon durch die formelle Rechtskraft des Verteilungsbeschlusses verwehrt ist […]. Die Klage ist daher zulässig, insofern sie sich auf einen Tatbestand stützt, worüber bei der Verteilung eine Entscheidung nicht gefällt worden ist.
2. Nach ständiger Rechtsprechung ist deshalb die Bereicherungsklage des bei der Meistbotsverteilung Verkürzten aus einem in einer Widerspruchsentscheidung nicht entschiedenen Grund zulässig (RS0019816). Es besteht keine Bindungswirkung des Verteilungsbeschlusses, wenn der Gläubiger, der im Verteilungsverfahren keinen Widerspruch erhoben hat, seinen Anspruch auf einen Tatbestand gründet, über den im Verteilungsbeschluss nicht entschieden worden ist (RS0003160 [T1]; RS0019816 [T1]) oder wenn weder aus dem Spruch noch aus der Begründung des Meistbotsverteilungsbeschlusses erkennbar ist, ob die Frage (die der Gläubiger releviert) beurteilt und entschieden worden ist (vgl RS0019816 [T1]). Die Zulässigkeit einer Verwendungsklage ist somit etwa gegeben, wenn im Verteilungsbeschluss aktenkundige Umstände ohne Angabe von Gründen nicht berücksichtigt wurden (RS0019816 [T3]), der Gläubiger seinen Anspruch entgegen § 210 EO nicht angemeldet hatte (RS0019816 [T4]) oder das Exekutionsgericht die Forderung lediglich deshalb, weil sie mangelhaft angemeldet worden war, unberücksichtigt gelassen hat (RS0019816 [T5]). Auch der erkennende Senat hat bereits ausgesprochen (6 Ob 54/06v), dass der bei der Meistbotsverteilung verkürzte, pfandrechtlich sichergestellte Gläubiger, der die Anmeldung seiner Forderung im Zwangsversteigerungsverfahren unterlassen hatte, gegen einen – auch nicht unmittelbar im Rang nachfolgenden – Hypothekargläubiger einen Verwendungsanspruch nach § 1041 ABGB geltend machen kann, wenn dieser wegen der unterlassenen Anmeldung einen höheren – wenn auch durch seine Forderung gedeckten – Betrag zugewiesen erhielt; Zweck des Anspruchs sei es nämlich, dem materiellen Recht entsprechend den tatsächlich Bereicherten zur Rückzahlung zu verhalten.
Begründet wird diese Rechtsprechung damit, dass die mangelnde Berücksichtigung eines Gläubigers bei der Meistbotsverteilung nicht zum Verlust des materiell-rechtlichen Anspruchs führt, sondern nur zu dem des verfahrensrechtlichen Teilnahmeanspruchs; demnach könne ein mangels ordnungsgemäßer Anmeldung nicht zum Zug gekommener Gläubiger seinen materiell-rechtlichen Anspruch gegen die zu Unrecht Beteiligten im Rechtsweg geltend machen (RS0119635). Die Rechtskraftwirkung eines Verteilungsbeschlusses erstrecke sich nur auf die Verteilung der Masse (§ 215 EO), nicht aber auch auf die damit verbundenen Aussprüche über den Rechtsbestand der berücksichtigten und der unberichtigt gebliebenen Ansprüche (RS0003287). Damit steht der Rechtssatz in Einklang, wonach im Meistbotsverteilungsbeschluss über das auf Zuweisung eines bestimmten Betrags aus der Verteilungsmasse gerichtete Begehren entschieden wird, die Bereicherungsklage hingegen das Begehren enthält, den durch Zuweisung eines Betrags aus der Verteilungsmasse Bereicherten zur Herausgabe dieses Betrags an den Kläger zu verurteilen (RS0003160).
3. In der Literatur leitete Böhm (Widerspruch gegen die Verteilung [§ 213 EO] und Klage aus dem besseren Recht [§ 231 Abs 4 EO], ÖJZ 1974, 533) aus dem Umstand, dass der Verteilungsbeschluss nur die Verteilung und damit die Zuweisungen aus dem Meistbot betreffe, hingegen die subjektiven materiellen Rechtsbeziehungen zwischen den einzelnen Beteiligten von der Rechtskraft nicht umfasst seien, ab, dass die Bereicherungsklage stets zulässig sei. Dem schloss sich Rechberger in mehreren Arbeiten an (Rechberger/Simotta, Exekutionsverfahren² Rz 544; Rechberger/Oberhammer, Exekutionsrecht Rz 325; Rechberger, Fehlerhafte Exekution 201).
Auch Angst (in Angst/Oberhammer, EO³ § 231 [Stand 1. 7. 2015, rdb.at] Rz 17 ff) führt aus, im Meistbotsverteilungsbeschluss werde über den Anspruch auf Zuweisung aus der Verteilungsmasse entschieden. Der Teilnahmeanspruch, also der verfahrensrechtliche Anspruch auf Zuweisung aus der Verteilungsmasse, werde bindend festgestellt; was die (verfahrensrechtlichen) Teilnahmeansprüche betrifft, komme somit auch dem Verteilungsbeschluss materielle Rechtskraft zu. Nicht entschieden werde mit dem Verteilungsbeschluss über die materiell-rechtlichen Ansprüche der einzelnen Gläubiger, und insoweit habe der Beschluss somit keine Rechtskraftwirkung. Der materiell-rechtliche Anspruch des Gläubigers werde durch den Meistbotsverteilungsbeschluss nicht berührt. Unter diesem Gesichtspunkt sei die (unter 2. dargestellte) Rechtsprechung nicht überzeugend, weil durch den Verteilungsbeschluss eben nur der Teilnahmeanspruch rechtskräftig erledigt werde. Es sei vielmehr im Sinn der Ausführungen von Böhm davon auszugehen, dass der Verteilungsbeschluss den Gläubiger auf keinen Fall daran hindere, sein „besseres Recht“, also seinen materiell-rechtlichen Anspruch, gegen den durch den Verteilungsbeschluss zu Unrecht Begünstigten als Verwendungsanspruch nach § 1041 ABGB mit Klage geltend zu machen.
Markowetz (in Burgstaller/Deixler-Hübner, EO [2017] § 231 Rz 27a) lehnt die zufolge JB 220 alt judizierten Beschränkungen der Klage nach § 231 Abs 4 auf Sachverhalte, die nicht im Zuge der Meistbotsverteilung abgehandelt und entschieden wurden, ebenfalls ab. Den Ansätzen Böhms folgend seien die subjektiven materiellen Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten von der Rechtskraft des Meistbotsverteilungsbeschlusses nicht erfasst, sodass die nachträgliche Bereicherungsklage in keiner Weise präkludiert sei und sich diese auch auf einen Sachverhalt stützen könne, der bereits dem Verteilungsbeschluss zu grunde gelegen sei. Begründet wird dies bei § 229 Rz 20 ff damit, dass der Exekutionsrichter mit dem Meistbotsverteilungsbeschluss über mit einem bestimmten Geldbetrag behauptete Teilnahmeansprüche der auf das Meistbot verwiesenen Gläubiger entscheide; ausschließlich auf diese Ansprüche beschränke sich damit auch die Rechtskrafts- und Einmaligkeitswirkung des Verteilungsbeschlusses, weshalb es den Beteiligten freistehe, auch danach Bestand, Rang und Höhe der berücksichtigten Forderung klagsweise (idR mit Bereicherungsklage) in Frage zu stellen oder behauptete weitere oder nicht berücksichtigte Teile der Restforderung einzuklagen.
In der Entscheidung 3 Ob 238/97i wurden die Ausführungen Böhms nebenher als „durchaus zu billigend“ und der dogmatische Ansatz des Plenissimarbeschlusses als „verfehlt“ bezeichnet. Die Entscheidung 10 Ob 434/97i führte aus, eine Auseinandersetzung mit den Ausführungen Böhms erübrige sich. In beiden Fällen hatte der klagende Gläubiger gar keinen Widerspruch erhoben. In späteren Entscheidungen (etwa 3 Ob 86/03y; 6 Ob 161/06d) wurde die Ansicht von Böhm überhaupt nicht erwähnt.
4. Der erkennende Senat folgt den sich aus dem Plenissimarbeschluss ergebenden Grundsätzen, wonach sich die Bereicherungsklage des Gläubigers auf einen neuen Tatbestand gründen muss, der bei der Verteilung nicht in Betracht kam und worüber deshalb auch nicht entschieden worden ist, würde sich doch andernfalls eine solche Klage als ein Versuch darstellen, den Verteilungsbeschluss zu korrigieren, was schon durch die formelle Rechtskraft des Verteilungsbeschlusses verwehrt ist:
4.1. Selbst Angst (aaO Rz 19/1), der sich ja grundsätzlich den Ausführungen Böhms anschließt, führt einschränkend aus, wenn über den Widerspruch im Rechts- oder Verwaltungsweg entschieden und ihm nicht Folge gegeben wurde, hätten die materielle Rechtskraft und die damit verbundene Tatbestandswirkung der entsprechenden Entscheidung zur Folge, dass der Gläubiger denselben Anspruch nicht mehr mit Klage geltend machen könne, soweit dem die der Entscheidung zugrunde liegenden Tatsachenfeststellungen (also etwa die Verneinung einer Zahlung) entgegenstünden.
4.2. Der erkennende Senat hat bereits – wenn auch in anderem Zusammenhang – festgehalten (6 Ob 3/19p EvBl 2019/107 [Klicka]):
Die Bindung an rechtskräftige Entscheidungen zählt zu den Grundwertungen des Zivilverfahrensrechts. In einigen neueren Entscheidungen hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Bestandschutz rechtskräftiger Entscheidungen aus Art 6 EMRK abgeleitet (EGMR 28. 10. 1999, Brumarescu gegen Rumänien und EGMR 24. 7. 2003, Ryabykh gegen Russland; Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention6 515 Rz 79; dazu auch G. Kodek, Zur Zweiseitigkeit des Rekursverfahrens, ÖJZ 2004, 534 [540]). Endgültige Gerichtsentscheidungen müssen bindend sein und dürfen nicht oder nur unter strikten Voraussetzungen aufgehoben werden (EGMR 28. 10. 1999, Brumarescu gegen Rumänien und EGMR 24. 7. 2003, Ryabykh gegen Russland, Grabenwarter/Pabel aaO).
Die materielle Rechtskraft äußert Einmaligkeits- und Bindungswirkung (dazu Klicka in Fasching/Konecny3 § 411 Rz 15 ff). Die Einmaligkeitswirkung (ne bis in idem) schließt zwischen den gleichen Parteien die neuerliche Anhängigmachung desselben Begehrens aus, das auf den gleichen rechtserzeugenden Sachverhalt gestützt ist und verwehrt die Sachverhandlung und Entscheidung über dieses idente Rechtsschutzbegehren (1 Ob 113/13v; Klicka aaO Rz 15).
Allerdings hat jüngst Mann-Kommenda (Rechtliches Gehör in Sicherungs- und Exekutionsverfahren [2017] 85 unter Hinweis etwa auf Matscher, Die Verfahrensgarantien der EMRK in Zivilrechtssachen, ZÖR 1980, 1 [11]) gezeigt, dass diese Grundsätze auch für den Meistbotsverteilungsbeschluss gelten. Auch bei der Meistbotsverteilung handle es sich um eine Entscheidung über „civil rights“ iSd Art 6 EMRK, weil dabei zwar nicht über die materiellen Ansprüche der Gläubiger gegen den Schuldner an sich, wohl aber über die Teilnahmeansprüche all jener Personen entschieden werde, die Ansprüche auf Zuweisungen aus der Verteilungsmasse geltend machen. Daraus sei abzuleiten, dass der Meistbotsverteilungsbeschluss zumindest in jenen Fällen auch eine über das Exekutionsverfahren hinausgehende materielle Rechtskraft entfaltet, in denen zuvor Widerspruch erhoben und über diesen entschieden wurde, sodass eine spätere Klage zur Durchsetzung des besseren Rechts (§ 231 Abs 4 EO) nicht auf einen Rechtsgrund gestützt werden könne, dem das Gericht im Verteilungsbeschluss bereits rechtskräftig die Anerkennung versagt hat.
Diese Ausführungen sind dahin zu ergänzen, dass im Exekutionsverfahren bindend über die Zuweisung des Meistbots entschieden wird, weshalb es sich bei der Frage, welchem anmeldenden Gläubiger das bessere Recht zukommt, nicht bloß um eine Vorfrage im Exekutionsverfahren handelt.
4.3. Nach Auffassung des erkennenden Senats widerspräche es schließlich auch jeglicher Verfahrensökonomie, eine Frage, die aufgrund eines konkreten Sachverhalts bereits im Meistbotsverteilungsverfahren zwischen den konkreten Parteien erörtert und rechtskräftig entschieden worden ist, in einem Bereicherungsverfahren zwischen denselben Parteien aufgrund desselben Sachverhalts noch einmal und – wie die Klägerin meint – anders zu beurteilen. Es werden im vorliegenden Verfahren keinerlei neue Umstände geltend gemacht und auch keine Sachverhalts- oder Rechtsfragen behandelt, die im Exekutionsverfahren nicht berücksichtigt worden wären. Aus der Gesamtkonzeption des § 231 EO ergibt sich, dass im Verteilungsbeschluss über den Widerspruch (nur) zu entscheiden ist, wenn ausschließlich Rechtsfragen zu lösen und Tatsachen nicht strittig sind (RS0003359). Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass zwar möglicherweise die Bindung an den Verteilungsbeschluss bei Tatfragen gelockert ist; § 231 Abs 4 EO ist aber jedenfalls insoweit einschränkend auszulegen, als – im Sinn des Plenissimarbeschlusses vom 20. 4. 1915 (Judikatenbuch Nr 220 = GlUNF 7404) – eine weitere Klage nicht zulässig ist, wenn in einem weiteren Verfahren zwischen denselben Parteien lediglich Rechtsfragen einer neuerlichen Beurteilung unterzogen werden sollen; eine ins Gewicht fallende Beeinträchtigung des Rechtsschutzes dieser Parteien durch Annahme einer Bindungswirkung des Verteilungsbeschlusses kann bei dieser Konstellation nicht erkannt werden.
Gerade eine solche Konstellation liegt hier vor. Das Vorgehen der Klägerin bezweckt ausschließlich, eine Rechtsfrage, über die bereits rechtskräftig entschieden wurde, nochmals aufzurollen, weil sie sich im Exekutionsverfahren mit ihren Argumenten nicht durchzusetzen vermochte (die Klägerin weist in ihrer Revision sogar darauf hin, dass sie vor der Wahl gestanden sei, eine Amtshaftungsklage aufgrund der nach ihrer Ansicht fehlerhaften Entscheidungen im Exekutionsverfahren oder die Bereicherungsklage einzubringen). Ihrem Argument, dass so kein Rechtsschutz gegen „unrichtige“ Verteilungen gegeben sei, kann entgegengehalten werden, dass die Klägerin im Verteilungsverfahren umfassendes rechtliches Gehör und die Möglichkeit zur Ergreifung von Rechtsmitteln hatte und diese Möglichkeit auch genützt hat. Dass sie die Entscheidung des Rekursgerichts nicht weiter bekämpfen konnte, liegt an den in § 528 ZPO normierten Beschränkungen.
4.4. Soweit die Revision geltend macht, dass von der beklagten Partei kein Einwand der Bindungswirkung erhoben wurde, ist darauf hinzuweisen, dass die materielle Rechtskraft auch, soweit sie als Bindungswirkung auftritt, von Amts wegen wahrzunehmen ist (RS0074226; vgl auch RS0132136). Eine Verletzung der Bindungswirkung der im Verfahren über die Pfandvorrechtsklage ergangenen Entscheidung des Berufungsgerichts kann schon allein deshalb nicht vorliegen, weil diese Entscheidung vom Obersten Gerichtshof zu 3 Ob 36/18t abgeändert wurde.
5. Der Revision der Klägerin war somit ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
Textnummer
E127276European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0060OB00186.19Z.1219.000Im RIS seit
07.02.2020Zuletzt aktualisiert am
24.11.2020