Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Jänner 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oshidari und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Dr. Brenner und Dr. Setz-Hummel in Gegenwart des Schriftführers Mag. Hauer in der Strafsache gegen Kamran H***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und 2 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 12. September 2019, GZ 154 Hv 28/19w-47, sowie dessen Beschwerde gegen den zugleich ergangenen Beschluss auf Widerruf bedingter Strafnachsichten nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 1. Jänner 2000 geborene Kamran H***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und 2 erster Fall StGB (A./1./), der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (A./2./), des Vergehens der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung nach § 205a Abs 1 erster und dritter Fall StGB (B./), des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 und 2 StGB (C./), der Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 3 dritter Fall StGB (D./) und des Vergehens der beharrlichen Verfolgung nach § 107a Abs 1, Abs 2 Z 1 und Z 2 StGB (E./) schuldig erkannt.
Danach hat er – soweit für die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung – in W*****
A./ Melanie S***** mit Gewalt, durch Entziehung der persönlichen Freiheit oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben (§ 89 StGB) zur Duldung des Beischlafs oder einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt, und zwar
1./ am 31. Juli 2018, indem er ihr zunächst auf die Brüste griff, sie dann festhielt, obwohl sie sagte, dass er aufhören soll, sie auf eine Parkbank drückte, sie mit seinem Gewicht fixierte, ihre Hände mit einer Hand festhielt, ihr die Hose hinunterzog, seinen erigierten Penis aus seiner Hose zog und den vaginalen Geschlechtsverkehr an ihr vollzog, wobei sie weinend vergeblich versuchte, ihn wegzustoßen, er sie aber noch fester auf die Parkbank drückte und ihr sagte, sie solle leise sein, worauf sie aus Angst ihre Gegenwehr aufgab, und er nach seiner Ejakulation sagte, sie solle zu weinen aufhören, weil er fertig sei, nun werde sie aufgrund des Geschlechtsverkehrs wieder Gefühle für ihn entwickeln und alles werde wieder gut, wobei die Tat für Melanie S***** eine Traumafolgestörung zur Folge hatte, die einer an sich schweren Körperverletzung mit Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit von mehr als 24 Tagen Dauer (§ 84 Abs 1 StGB) gleichzusetzen ist;
2./ zu nicht mehr feststellbaren Zeitpunkten von Anfang 2018 bis vor 31. Juli 2018 in zumindest fünf Angriffen, und zwar in der Zeit vor Mai 2018 in zumindest drei und in der Zeit von Juni bis vor dem 31. Juli 2018 in zumindest zwei Angriffen, indem er sie jeweils festhielt, obwohl sie versuchte, aufzustehen und wegzugehen und ihm sagte, dass er aufhören soll, ihr intensiv auf die Brüste und zwischen ihre Beine auf den Vaginalbereich griff und ihr unter ihre Kleidung griff und gegen ihren Willen einen oder zwei seiner Finger in die Scheide einführte;
B./ zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt zwischen Mitte August 2018 bis spätestens Ende 2018 mit Melanie S***** gegen ihren Willen und nach vorangegangener Einschüchterung den Beischlaf vorgenommen, indem er an ihr ohne Gewaltanwendung einen Geschlechtsverkehr vollzog, obwohl sie ihm davor sagte, dass sie dies nicht will, indem „er ihr vor dem Hintergrund der zu Punkt A./, C./, D./ und E./ angeführten Taten“ sinngemäß sagte, wenn sie jetzt mit ihm schlafe, werde er sie in Zukunft in Ruhe lassen;
C./ von Sommer 2017 bis zuletzt am 23. März 2019 gegen Melanie S***** eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem er
I./ sie gefährlich bedrohte, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, und zwar
1./ am 13. Februar 2019 mit einer weiteren Vergewaltigung, indem er ihr, als sie ihm wiederholt mitteilte, dass sie keinen Kontakt und keinen Geschlechtsverkehr mit ihm will, über Instagram schrieb, er wolle sie „ficken“ und werde das tun, ob sie ihn lasse oder nicht, er tue es, egal ob sie weine oder schreie;
2./ zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt von Anfang August 2018 bis spätestens März 2019 zumindest mit der Zufügung einer Körperverletzung, indem er ihr mitteilte, er werde ihr eine Glasflasche über den Kopf schlagen;
3./ zu nicht mehr feststellbaren Zeitpunkten im Dezember 2017
a./ zumindest mit der Zufügung einer Körperverletzung ihr nahestehender Personen, indem er ihr über WhatsApp oder Instagram schrieb, er werde ihre beiden kleinen Geschwister schlagen;
b./ mit einem Vermögensnachteil, indem er ihr über WhatsApp oder Instagram schrieb, er werde zu ihrer Arbeitsstelle kommen und dafür sorgen, dass sie ihre Lehrstelle verliere, dann könne sie ihm jeden Tag zur Verfügung stehen;
II./ sie durch gefährliche Drohungen mit zumindest der Zufügung einer Körperverletzung zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigte und zu nötigen versuchte, und zwar
1./ mittels Übermittlung von Drohnachrichten über Instagram, wobei es je beim Versuch blieb (§ 15 StGB), weil Melanie S***** verweigerte, und zwar
a./ zur Aufhebung der Sperre seines Accounts und zu einem Gespräch, und zwar
i./ am 22. März 2019, indem er ihr unter einem neuen Account über Instagram schrieb, warum sie ihn blockiert habe, jetzt sei sie „sein Problem“, wenn er sie aber umgebracht habe, dann sei „sein Problem fertig“, wenn sie ihm noch einmal sage, dass ihn etwas ihr Leben betreffend nichts angehe, dann „ficke“ er ihre Mutter, er werde sie sehen, sie solle nur warten, sie werde sehen, was er mit ihr mache, es habe „jetzt begonnen“, sie solle aufpassen, sie solle morgen mit ihm „normal reden“ und sich „normal“ benehmen, bevor er „etwas mache“, wenn sie ihn blockiere, werde er ihr auflauern;
ii./ am 23. März 2019, indem er ihr erneut über Instagram sinngemäß schrieb, er habe „s****“ (gemeint: Säure) bei sich, die er ihr ins Gesicht schütte (vgl Punkt C./II./2./), sie solle aufpassen, er gebe ihr nur noch eine Chance;
b./ am 10. März 2019 zu einem Treffen, er werde ansonsten am Donnerstag „mit meine m*****“ (gemeint: Messer; vgl Punkt C./II./3./) kommen, er könne „vieles machen“, er wäre „ein Hurensohn“, wenn er nichts mache, heute sei er „normal“, aber in den nächsten Tagen nicht, deshalb solle sie lieber heute auf ihn treffen, und, als sie standhaft verneinte, eine für andere Personen, darunter eine Freundin von Melanie S*****, ersichtliche Nachricht postete, ob ihm jemand eine Waffe oder ein Messer leihen könne, wobei er darauf abzielte, dass auch diese Nachricht Melanie S***** zur Kenntnis gelangt;
2./ von Mai bis Anfang August 2018 in mehreren Angriffen zu Treffen an einem Tag zu jedem Wochenende, indem er ihr vor dem Hintergrund früherer Drohungen (vgl Punkt C./I./3./ und C./II./3./) unter anderem sagte und über Instagram oder WhatsApp mitteilte, er werde ansonsten zu ihrer Arbeitsstelle kommen und sie schlagen, sowie er werde ihr Säure ins Gesicht schütten;
3./ von Sommer 2017 bis Mai 2018 in einer Vielzahl regelmäßiger Angriffe dazu, sich mit überhaupt keinen männlichen Bekannten und auch nicht mit bestimmten weiblichen Bekannten zu treffen, bestimmte Kleidung wie Hotpants nicht zu tragen, ihm immer zu sagen, mit welchen Freundinnen sie wohin gehe, sich von ihm auf ihren Wegen außerhalb ihrer Wohnung begleiten zu lassen und ständig für ihn über WhatsApp oder Instagram erreichbar zu sein, indem er ihr sagte, er werde sie ansonsten schlagen und sie werde sehen, was dann passiere, und, wenn sie auf Kontaktaufnahmen nicht umgehend reagierte, zahlreiche Nachrichten mit teilweise bedrohlichem Inhalt übermittelte, sie werde schon sehen, was passiere, wenn sie sich nicht melde, wobei er seine Drohungen dadurch untermauerte, dass er bei Treffen ein Messer mit sich führte und einmal demonstrativ mit diesem herumspielte und sagte, er werde sie einmal damit abstechen, und ihr zu einer anderen Gelegenheit sagte, er sei schon ein paar mal bei Gericht gewesen und wegen Körperverletzung angezeigt worden, weil er fast jemanden umgebracht hätte;
III./ von Sommer 2017 bis Jänner 2018 sie in zumindest vier Fällen und zuletzt am 28. Oktober 2018 in einem weiteren Fall am Körper durch Versetzen von Schlägen sowohl mit der flachen Hand als auch mit der Faust in das Gesicht oder auf den Kopf sowie durch Versetzen von Tritten misshandelte;
D./ Melanie S***** durch gefährliche Drohungen mit zumindest der Zufügung einer Körperverletzung zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung genötigt, die besonders wichtige Interessen der genötigten Person verletzte, nämlich zur Aufrechterhaltung der Beziehung oder der Rücknahme des mitgeteilten Beziehungsendes, und zwar
I./ im Dezember 2017, indem er ihr, als sie versuchte, sich von ihm zu trennen, sagte, er werde „überall hinkommen“ wo sie sei und sie immer kontrollieren und er werde sie schlagen;
II./ im Mai 2018, indem er, als sie ihm sagte, dass sie nun endgültig mit ihm Schluss mache, weil sie sein Verhalten nicht mehr ertragen könne, sagte, dass sie sich sehr gut überlegen solle, was sie tue, weil „etwas“ passieren könne, wenn sie ihre Meinung nicht ändere.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen auf Z 4, 10 und 11 des § 281 Abs 1 StPO gerichtete Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten versagt.
Die Verfahrensrüge (Z 4) beschränkt sich ausschließlich auf den Vorwurf, die (im Urteil erfolgte) Begründung des Erstgerichts (US 25 ff) für die Abweisung der Anträge auf Vernehmung der Zeugin „Jasmin“ und auf ergänzende Vernehmung des Opfers stelle eine unzulässige vorgreifende Beweiswürdigung dar. Solcherart übersieht der Beschwerdeführer, dass die Richtigkeit der Begründung des Beschlusses nach § 238 Abs 3 StPO nicht unter Nichtigkeitssanktion steht (RIS-Justiz RS0116749; Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 9.98).
Damit bleibt nur der Vollständigkeit halber anzumerken, dass die Ablehnung der begehrten Beweisaufnahmen ohne Verletzung von Verteidigungsrechten erfolgte:
Der Antrag „auf Ausforschung und Einvernahme der Zeugin Jasmin, die mit dem Angeklagten in der JA telefoniert hat, weil diese sozusagen aus eigener Wahrnehmung gegenüber dem Angeklagten dargelegt hat, dass Melanie ihr gegenüber gesagt hat, sie möchte die Anzeige wegen Vergewaltigung zurückziehen, kann dies jedoch aus Angst vor eigener Bestrafung nicht tun“ (ON 46 S 93), enthielt kein Beweisthema (vgl RIS-Justiz RS0099301) und damit auch kein Vorbringen dazu, weshalb die Durchführung der begehrten Beweisaufnahme das behauptete Ergebnis erwarten lasse (vgl RIS-Justiz RS0118444).
Der Antrag auf „neuerliche Ladung und schon eine Einvernahme der Melanie S*****, um ihr die heutigen Resultate des Strafverfahrens, insbesondere die Aussagen der Frau P***** und die Aussagen des Angeklagten vorzuhalten, und ihr allenfalls vorzuhalten die Aussage der Zeugin Jasmin, wonach sie die Vergewaltigungsanzeige zurückziehen wollte“ (ON 46 S 94), erschöpfte sich schon deshalb in einer bloßen Erkundungsbeweisführung, weil der Antragsteller bloß auf hypothetische Beweisergebnisse (Angaben der „Zeugin Jasmin“) Bezug nahm und im Übrigen nicht bekannt gab, weshalb das Opfer bei neuerlicher Vernehmung von seiner bisherigen Aussage abweichen sollte (vgl RIS-Justiz RS0098117).
Die Subsumtionsrüge (Z 10) wendet ein, dass die zu A./, B./, C./ und D./ abgeurteilten Straftaten allesamt § 107b Abs 4 vierter Fall StGB unterstellt hätten werden müssen und reklamiert davon ausgehend die Anwendbarkeit des § 5 Z 4 JGG. Indem der Beschwerdeführer das Vorliegen der Voraussetzungen einer Tatbeurteilung nach § 107b Abs 3 Z 1 oder 2 StGB aber nicht einmal behauptet, macht er nicht klar, weshalb die erwähnte Qualifikation zum Tragen kommen soll (vgl die Bezugnahme des § 107b Abs 4 vierter Fall StGB auf „Gewalt nach Abs 3“).
Entgegen der Sanktionsrüge (Z 11 dritter Fall) hat das Schöffengericht mit der im Rahmen generalpräventiver Überlegungen getroffenen Aussage, „dass einst patriarchalische Gesellschaftsstrukturen“ nicht dazu führen dürfen, „dass männliche Täter ihre aufgewühlte Emotionslage so wenig im Griff haben, dass sie schwerwiegende Straftaten begehen“ (US 37), nicht auf die Volkszugehörigkeit des Angeklagten abgestellt (vgl dazu RIS-Justiz RS0120234), sondern männlich-autoritär geprägtes Sexualverhalten generell negativ bewertet.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufung und der (impliziten) Beschwerde folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Textnummer
E127274European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0120OS00143.19Z.0120.000Im RIS seit
07.02.2020Zuletzt aktualisiert am
07.02.2020