TE Vwgh Erkenntnis 2019/12/18 Ra 2019/10/0119

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Veröffentlicht am 18.12.2019
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §58 Abs2
AVG §60
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §28 Abs2 Z2
VwGVG 2014 §28 Abs3
VwGVG 2014 §29 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision der Niederösterreichischen Landesregierung gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 26. Juni 2019, Zl. LVwG-AV-1213/001-2018, betreffend Aufhebung und Zurückverweisung in einer Angelegenheit des NÖ Naturschutzgesetzes 2000 (belangte Behörde:

Niederösterreichische Landesregierung; mitbeteiligte Parteien:

1. L - F in S, 2. Ö N in W, 3. Ö - A in W, 4. W Ö in W, 5. N L in S, und 6. N T in S), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Begründung

I.

1 1. Mit Bescheid vom 18. September 2018 erteilte die belangte Behörde den fünft- und sechstmitbeteiligten Parteien gemäß § 20 Abs. 4 und 5 NÖ Naturschutzgesetz 2000 - NÖ NSchG 2000 die artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung zum Fangen und Töten von insgesamt maximal 40 Fischottern in näher bestimmten Gebieten. 2 Die belangte Behörde stützte diese Genehmigung auf Ermittlungsergebnisse (Gutachten und entsprechende Ergänzungen), die bereits einem Bescheid vom 28. Februar 2017, mit welchem die belangte Behörde den fünft- und sechstmitbeteiligten Parteien schon einmal eine Ausnahmegenehmigung für das Fangen und Töten von Fischottern erteilt hatte, zugrunde lagen, und begründete dies damit, dass vor dem Hintergrund des im vorliegenden Verfahren eingeholten Sachverständigengutachtens, wonach die aufgrund des Bescheides vom 28. Februar 2017 erfolgte Entnahme von 20 Tieren zu keiner Verschlechterung des Erhaltungszustandes des Fischotters in Niederösterreich geführt hätte, "von der Identität der zu beurteilenden Sachverhalte des Erst- und des gegenständlichen Verfahrens auszugehen" sei.

3 2. Mit dem nunmehr angefochtenen - u.a. aufgrund von Beschwerden der erst- bis sechstmitbeteiligten Parteien ergangenen - Beschluss vom 26. Juni 2019 hob das Verwaltungsgericht den Bescheid vom 18. September 2018 gemäß § 28 Abs. 3 (zweiter Satz) VwGVG auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurück. Weiters wurde ausgesprochen, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.

4 Begründend führte das Verwaltungsgericht im Kern aus, die belangte Behörde habe zur Begründung ihres Bescheides auf ein "Vorverfahren" zurückgegriffen und sich (lediglich) auf die sachverständige Klärung der Frage, ob sich durch die aufgrund des Bescheides vom 28. Februar 2017 erfolgte Entnahme der 20 Fischotter eine Änderung in der Größe der Fischotterpopulation im Vergleich zum Zeitpunkt der Erlassung dieses Bescheides ergeben habe, beschränkt.

5 Zur Feststellung des Vorliegens einer "identen Sachlage" zum hier relevanten Entscheidungszeitpunkt seien aber keine fachlichen Erhebungen erfolgt. So sei nicht geklärt worden, ob die fachlichen Ausführungen des "Vorverfahrens" noch gültig seien bzw. ob sich Änderungen ergeben hätten. Ebenso fehle eine fachliche Beurteilung dahin, ob durch den gegenständlichen Eingriff die Population der Fischotter in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet trotz der Ausnahmegenehmigung ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszustand verweile.

6 Den Ausspruch nach § 25a Abs. 1 VwGG begründete das Verwaltungsgericht im Wesentlichen mit einem Verweis auf den Wortlaut des Art. 133 Abs. 4 B-VG.

7 3. Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision der Niederösterreichischen Landesregierung (als der belangten Behörde vor dem Verwaltungsgericht), die das Verwaltungsgericht samt den Akten des Verfahrens vorgelegt hat.

8 Die dritt - und viertmitbeteiligten Parteien erstatteten eine gemeinsame Revisionsbeantwortung.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

9 1. In ihren Zulässigkeitsgründen bringt die Revision - unter konkreten Hinweisen auf hg. Rechtsprechung - vor, der angefochtene Beschluss weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Zulässigkeit einer kassatorischen Entscheidung durch das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG ab.

10 2. Die Revision erweist sich als zulässig und begründet. 11 2.1. Nach der mittlerweile ständigen, vom hg. Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Ro 2014/03/0063, ausgehenden hg. Rechtsprechung zur Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit einer Aufhebung und Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG stellt die Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. etwa VwGH 21.11.2019, Ra 2018/10/0090, mwN).

12 Selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, rechtfertigen keine Zurückverweisung der Sache, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung (§ 24 VwGVG) zu vervollständigen sind. Ebenso entspricht es der ständigen hg. Rechtsprechung, dass das Verwaltungsgericht die Ergänzung eines unvollständigen Gutachtens selbst zu veranlassen hat und selbst die Notwendigkeit der Einholung eines weiteren Gutachtens im Allgemeinen die Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG nicht rechtfertigt (vgl. etwa VwGH 26.6.2019, Ra 2018/11/0092, mwN).

13 2.2. Das Verwaltungsgericht hat im vorliegenden Fall zwar (angebliche) Mängel im verwaltungsbehördlichen Verfahren aufgezeigt und auf die Notwendigkeit ergänzender Sachverhaltsermittlungen unter Mitwirkung von Sachverständigen verwiesen. Inwieweit diese fehlenden Ermittlungen eine Aufhebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG rechtfertigen, wurde vom Verwaltungsgericht allerdings nicht dargetan (vgl. VwGH 9.9.2015, Ra 2014/04/0031 = VwSlg.19.185 A). 14 Es ist im vorliegenden Fall auch nicht erkennbar, dass es sich bei den vom Verwaltungsgericht angenommenen Mängeln um krasse bzw. besonders gravierende Ermittlungslücken der Behörde im obigen Sinn handle. Die Behörde hat weder jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen noch kann ihr vorgeworfen werden, nur ansatzweise ermittelt oder nur völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt zu haben. Auch ist nicht davon auszugehen, dass die Klärung der vom Verwaltungsgericht als offen angesehenen Fragen (vgl. Rz 5) besonders schwierige und umfangreiche Ermittlungen erfordere.

15 Im Lichte der eingangs dargestellten hg. Judikatur wäre das Verwaltungsgericht daher gehalten gewesen, die von ihm als erforderlich erachteten Ermittlungsschritte selbst zu setzen, mithin über die Beschwerde gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG in der Sache selbst zu entscheiden.

16 2.3. Darüber hinaus ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach das Verwaltungsgericht seiner Verpflichtung zur nachvollziehbaren Begründung des Nichtvorliegens seiner meritorischen Entscheidungszuständigkeit nicht entsprochen hat, wenn sich - wie im vorliegenden Fall - dem Beschluss iSd § 28 Abs. 3 VwGVG keine Begründung dazu entnehmen lässt, warum das Verwaltungsgericht davon ausgegangen ist, dass die Ergänzung des Ermittlungsverfahrens durch das Verwaltungsgericht selbst nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre (vgl. etwa VwGH 27.09.2018, Ra 2017/10/0101, mwN).

17 3. Der angefochtene Beschluss war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 18. Dezember 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019100119.L00

Im RIS seit

14.02.2020

Zuletzt aktualisiert am

14.02.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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