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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z8Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des H M, vertreten durch Mag. Robert Bitsche, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Nikolsdorfergasse 7-11/15, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Juli 2019, W170 2198356-1/12E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein iranischer Staatsangehöriger aus Teheran, stellte am 14. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, dass er von seinem Stiefvater mehrfach körperlich misshandelt und ihm der Schulbesuch untersagt worden sei.
2 Mit Bescheid vom 18. Mai 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Iran zulässig sei, und legte eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
4 In seiner Begründung führte das BVwG zusammengefasst aus, das Fluchtvorbringen sei glaubhaft, jedoch nicht asylrelevant. Die Verfolgung des Revisionswerbers durch seinen Stiefvater sei nicht mehr aktuell, weil der Revisionswerber als gesunder, volljähriger und arbeitsfähiger Mann nicht mehr von diesem abhängig sei. Darüber hinaus mangle es dem Sachverhalt an einem Konnex zu einem Konventionsgrund. Im Übrigen stehe dem Revisionswerber eine innerstaatliche Fluchtalternative in jeden anderen Landesteil - mit Ausnahme der Provinzen Sistan-Belutschistan, Kurdistan und West-Aserbaidschan - zur Verfügung, wobei im Falle einer Rückkehr keine Gefahr der Verletzung seiner in Art. 2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte bestehe. Im Rahmen der Rückkehrentscheidung führte das BVwG eine Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK durch und kam zu dem Ergebnis, dass die öffentlichen Interessen gegenüber den privaten Interessen des Revisionswerbers überwögen. 5 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, welche zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, das BVwG habe sich im Rahmen der Prüfung der innerstaatlichen Fluchtalternative mit den persönlichen Umständen des Revisionswerbers in unzureichendem Maße auseinandergesetzt und die Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK in unvertretbarer Weise durchgeführt.
6 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 10 Um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können, reicht es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. VwGH 18.11.2019, Ra 2019/18/0292, mwN).
11 Das BVwG traf fallbezogen hinreichend aktuelle Länderfeststellungen zur allgemeinen Situation im Herkunftsstaat (Sicherheits- und Versorgungslage) und setzte sich auch mit den persönlichen Umständen des Revisionswerbers auseinander. Demnach sei der Revisionswerber nunmehr volljährig, gesund sowie arbeitsfähig und verfüge über Schulbildung sowie Berufserfahrung. 12 Angesichts dieser Feststellungen kam das BVwG zu dem (im Übrigen ohnedies nur hilfsweisen) Ergebnis, dass dem Revisionswerber zusätzlich eine innerstaatliche Fluchtalternative in jedem anderen Landesteil des Iran - mit Ausnahme der Provinzen Sistan-Belutschistan, Kurdistan und West-Aserbaidschan - möglich und zumutbar sei.
13 Dass das angefochtene Erkenntnis an einer vom Verwaltungsgerichtshof wahrzunehmenden Fehlerhaftigkeit leide, vermag die Revision angesichts dieser Erwägungen mit ihrem diesbezüglich pauschalen Vorbringen nicht aufzuzeigen. 14 Soweit die Revision schließlich die vom BVwG vorgenommene Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK beanstandet, ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. VwGH 10.4.2019, Ra 2019/18/0049, mwN).
15 Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt. Es kann jedoch auch nicht gesagt werden, dass eine in drei Jahren erlangte Integration keine außergewöhnliche, die Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtfertigende Konstellation begründen "kann" und somit schon allein auf Grund eines Aufenthaltes von weniger als drei Jahren von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen gegenüber den privaten Interessen auszugehen wäre (vgl. VwGH 5.6.2019, Ra 2019/18/0078, mwN).
16 Liegt - wie im vorliegenden Fall - eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vor, so wird nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes allerdings regelmäßig erwartet, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären und einen entsprechenden Aufenthaltstitel zu rechtfertigen (vgl. etwa VwGH 10.4.2019 Ra 2019/18/0049, mwN). 17 Der Verwaltungsgerichtshof hat zudem mehrfach darauf hingewiesen, dass es im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. VwGH 28.2.2019, Ro 2019/01/0003, mwN; dort auch zur Bedeutung einer Lehre iZm Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK).
18 Das BVwG setzte sich im Rahmen seiner durchgeführten Interessenabwägung mit allen entscheidungswesentlichen sowie den zu Gunsten des Revisionswerbers sprechenden Umständen auseinander. Dabei wurden die Aufenthaltsdauer im Inland, seine Schulbildung, das bestehende Lehrverhältnis als Maurer, die daraus resultierende Selbsterhaltungsfähigkeit sowie der bestehende Bekannten- und Unterstützerkreis berücksichtigt.
19 Vor diesem Hintergrund kann der Verwaltungsgerichtshof ungeachtet der Integrationsbemühungen des Revisionswerbers nicht erkennen, dass die Interessenabwägung, in die das BVwG insbesondere auch den Lehrvertrag des Revisionswerbers einbezogen hat, fallbezogen unvertretbar wäre (vgl. zB VwGH 10.4.2019, Ra 2019/18/0049 und Ra 2019/18/0058; 18.9.2019, Ra 2019/18/0212; 23.10.2019, Ra 2019/19/0289; 20.11.2019, Ra 2019/20/0269). 20 Sofern der Revisionswerber in der Revision erstmals ins Treffen führt, dass ihm über eine Befragung hinausgehende Repressalien durch Sicherheitsbehörden drohen würden und er Schwierigkeiten bei seiner Einreise erlangen könne, da sein Bruder wegen illegaler Aktivitäten im Gefängnis sei, ist dem entgegenzuhalten, dass der Berücksichtigung dieses Vorbringens im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof das aus § 41 VwGG abzuleitende Neuerungsverbot entgegen steht und dieses schon daher keine Beachtung finden kann (vgl. VwGH 14.10.2019, Ra 2019/18/0396).
21 In der Revision werden daher keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme und von denen das rechtliche Schicksal der Revision abhängt. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 8. Jänner 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019180329.L00Im RIS seit
11.02.2020Zuletzt aktualisiert am
11.02.2020