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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AVG §45 Abs2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie den Hofrat Dr. Schwarz und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, in der Rechtssache der Revision des Z H in W, vertreten durch Dr.in Julia Ecker, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Opernring 7/18, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Juli 2019, W233 2192249-1/9E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein pakistanischer Staatsangehöriger, stellte am 16. Dezember 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er im Wesentlichen damit, dass er in Lahore vor einer schiitischen Moschee ehrenamtlich als Wachmann gearbeitet habe. Im Zuge dieser Tätigkeit habe er einen Mann durchsucht und eine Pistole entdeckt. Dieser Mann sei von der Polizei festgenommen worden, wobei es sich hausgestellt habe, dass dieser Mitglied in einer terroristischen Organisation gewesen sei. Etwa eine Woche später seien einige Männer zu ihm nach Hause gekommen und hätten das Feuer auf sein Haus eröffnet. Daraufhin habe er Anzeige bei der Polizei erstattet, die nichts unternommen habe. Er sei daher zu seinem Cousin nach Islamabad geflohen. In Islamabad sei während einer Autofahrt auf ihn und seine Freundin geschossen worden. Seine Freundin sei dabei ums Leben gekommen, er selbst habe schwere Verletzungen davongetragen.
2 Mit Bescheid vom 9. März 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Pakistan zulässig sei und legte eine zweiwöchige Frist ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 7 In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Zulässigkeit zusammengefasst vorgebracht, das BVwG habe keine Erhebungen in Pakistan zum Vorbringen des behaupteten Anschlags auf den Revisionswerber und gegen ihn gerichteter Drohungen durchgeführt. Die Beweiswürdigung sei unvertretbar, weil sich das BVwG nicht mit dem Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung beim Revisionswerber und deren Auswirkungen auf dessen Aussagefähigkeit und die Nachvollziehbarkeit seiner Angaben auseinandergesetzt habe. Der zeitliche Widerspruch, der vom BVwG zur Begründung der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des Revisionswerbers zu den Gründen seiner Flucht herangezogen worden sei, sei nicht gegeben. Das schwere Trauma, welches der Revisionswerber erlitten habe, mache es für ihn schwierig, konkrete zeitliche Einordnungen zu treffen. Es fehle an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, wie eine erlittene Traumatisierung bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigen sei. Weiters habe das BVwG Ermittlungen hinsichtlich der Zugehörigkeit des Revisionswerbers zur Volksgruppe der Syed und Minderheitenkaste Naqvi unterlassen. Es habe weiters die Schwere des Krankheitsbildes des Revisionswerbers verkannt und die Einholung medizinischer Sachverständigengutachten trotz entsprechenden Beweisantrages unterlassen. Zuletzt wendet sich die Revision gegen die im Sinn des Art. 8 EMRK durchgeführte Interessenabwägung.
8 Insoweit sich die Revision gegen die Beweiswürdigung wendet, ist darauf hinzuweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes dieser - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Der - zur Rechtskontrolle berufene - Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 29.4.2019, Ra 2019/20/0154, mwN). Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt darauf hingewiesen, dass psychische Erkrankungen im Hinblick auf konstatierte Unstimmigkeiten im Aussageverhalten zu berücksichtigen sind (vgl. VwGH 12.6.2018, Ra 2018/20/0250, mwN).
9 Es gelingt der Revision nicht, in Bezug auf die gesamte Beweiswürdigung eine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Mangelhaftigkeit aufzuzeigen. Die von der Revision konkret beanstandeten beweiswürdigenden Erwägungen des BVwG betreffen nur einen Teilaspekt der Fluchtgeschichte, nämlich den vorgebrachten Angriff während einer Autofahrt. Das BVwG erachtete aber bereits das laut Vorbringen des Revisionswerbers auslösende Ereignis seiner Verfolgung, nämlich die Festnahme eines Mannes vor einer Moschee und daran anschließende Drohungen, als unglaubwürdig, wobei sich das Verwaltungsgericht dabei nicht auf zeitliche Widersprüche, sondern auf andere Unstimmigkeiten im Aussageverhalten des Revisionswerbers stützte. Diese Erwägungen greift die Revision aber nicht substanziiert an.
10 Die Revision legt mit ihrem allgemein gehaltenen Hinweis auf die vom Revisionswerber erlittene Traumatisierung - schon mangels näherer Konkretisierung - nicht dar, welche vom BVwG herangezogenen beweiswürdigenden Erwägungen im Zusammenhang mit dem Aussageverhalten des Revisionswerbers betreffend den Anlassvorfall und daran anschließender Drohungen aus welchen auf eine psychische Erkrankung des Revisionswerber zurückzuführenden Gründen in einem anderen Licht zu sehen wären. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass der Revisionswerber in der mündlichen Verhandlung seine Einvernahmefähigkeit bestätigte. Der damalige Rechtsvertreter des Revisionswerbers brachte zwar einen avisierten Arzttermin wegen des Verdachts auf eine posttraumatische Störung vor, sah aber ebenfalls keine Beeinträchtigung des Revisionswerbers in Bezug auf seine Einvernahmefähigkeit (siehe Protokoll vom 12. Juni 2019, S 4). In der Stellungnahme vom 2. Juli 2019 übermittelte der Rechtsvertreter einen medizinischen Befund mit dem Vorbringen, dass diesem zu entnehmen sei, dass ein Verbleib des Revisionswerbers in Österreich notwendig sei. Dass die bereits abgelegte Aussage nunmehr anders zu bewerten sei, wurde hingegen nicht behauptet.
11 Soweit die Zulässigkeitsbegründung der Revision auf die Unterlassung von Recherchen in Pakistan abzielt, ist ihr entgegenzuhalten, dass ein allgemeines Recht auf eine fallbezogene Überprüfung des Vorbringens des Asylwerbers durch Recherche im Herkunftsstaat nicht besteht (vgl. VwGH 25.6.2019, Ra 2019/19/0193, mwN). Angesichts der Würdigung des Vorbringens des Revisionswerbers durch das BVwG nach Durchführung einer Verhandlung ist ein Verstoß gegen den Amtswegigkeitsgrundsatz in Bezug auf Erhebungen im Herkunftsstaat fallbezogen nicht ersichtlich. Entgegen den Ausführungen in der Revision hat der Revisionswerber auch keinen Beweisantrag in diese Richtung gestellt bzw. die Durchführung konkreter Recherchen vor Ort angeregt.
12 Werden Verfahrensmängel - wie hier Ermittlungsmängel - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, muss auch in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensmangels als erwiesen ergeben hätten (vgl. etwa VwGH 29.5.2019, Ra 2019/20/0062, mwN). Dem Vorbringen in der Zulässigkeitsbegründung lässt sich keine Relevanzdarstellung im Sinn der zitierten Rechtsprechung entnehmen. Es wird nicht konkret dargestellt, welche Feststellungen zu treffen gewesen wären und zu welchem für den Revisionswerber günstigeren Ergebnis diese führen hätten können. 13 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. VwGH 31.10.2019, Ra 2019/20/0484, mwN). Fallbezogen ist festzuhalten, dass sich das BVwG mit den vorgelegten Beweismitteln zum gesundheitlichen Zustand des Revisionswerbers auseinandergesetzt und die dort festgehaltenen Diagnosen festgestellt hat. Davon ausgehend ist es zum Schluss gekommen, dass keine schwerwiegenden Erkrankungen vorliegen, welche im Falle der Rückkehr zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen würden. Dass die vom Revisionswerber ins Treffen geführten Krankheiten in seinem Fall jene oben beschriebene Schwere und Intensität aufweisen würden, welche dazu führen könnte, dass es im Fall seiner Rückführung in das Heimatland mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK im Sinn der dargestellten Rechtsprechung kommen werde, wird in der Revision nicht konkret dargetan.
14 Im Übrigen hat der Revisionswerber - entgegen dem Vorbringen in der Revision - weder in der Beschwerde noch in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG die Einholung medizinischer Sachverständigengutachten beantragt. Es kann fallbezogen nicht als unvertretbar erkannt werden, dass sich das BVwG ausgehend von der dargestellten Sachlage nicht veranlasst sah, von Amts wegen medizinische Sachverständigengutachten einzuholen (vgl. zur eingeschränkten Prüfungsbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes in Zusammenhang mit der Notwendigkeit amtswegiger Erhebungen VwGH 31.10.2019, Ra 2019/20/0445, mwN).
15 Soweit die Revision zur Zulässigkeit vorbringt, das BVwG gehe von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative ab, genügt der Hinweis, dass das BVwG im gegenständlichen Fall keine innerstaatliche Fluchtalternative geprüft bzw. angenommen hat.
16 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG (vgl. etwa VwGH 11.6.2019, Ra 2019/20/0250, mwN). Familiäre Beziehungen unter Erwachsenen fallen nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur dann unter den Schutz des Art. 8 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. VwGH 8.9.2016, Ra 2015/20/0296 bis 0299, mwN). Dem Revisionswerber gelingt es nicht aufzuzeigen, dass die im Rahmen der Rückkehrentscheidung vorgenommene Interessenabwägung in einer unvertretbaren Weise erfolgt wäre. Die Ausführungen des Revisionswerbers legen auch kein besonderes Abhängigkeitsverhältnis zu seinem Vater und zu den Geschwistern des Revisionswerbers offen.
17 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 10. Jänner 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019200579.L00Im RIS seit
11.02.2020Zuletzt aktualisiert am
11.02.2020