TE OGH 2019/11/27 7Ob173/19w

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Veröffentlicht am 27.11.2019
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** Z*****, vertreten durch Dr. Sven Rudolf Thorstensen, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei M***** Limited, *****, wegen 62.878 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 24. September 2019, GZ 16 R 113/19h-5, womit der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 29. August 2019, GZ 17 Cg 77/19x-2, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden ersatzlos behoben.

Dem Erstgericht wird die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund der fehlenden sachlichen Zuständigkeit aufgetragen.

Die Kosten des Rekurs- und des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung von 62.878 EUR sA. Zur Zuständigkeit des Gerichts berief er sich auf Art 17 EuGVVO. Die Beklagte biete in Österreich Glücksspiele ohne Konzession an, sodass der zwischen den Streitparteien abgeschlossene Glücksspielvertrag nach § 879 Abs 1 ABGB unerlaubt und somit unwirksam sei. Die Spieleinsätze des Klägers seien bereicherungsrechtlich als auch schadenersatzrechtlich rückführbar, zumal der Eingriff ins Glücksspielmonopol auch eine Schutzgesetzverletzung bewirke. Die Beklagte sei eine Limited nach maltesischem Recht und habe ihren Sitz in Malta.

Das Erstgericht wies die Klage a liminie mangels sachlicher Zuständigkeit zurück. Die Klage sei auf Rückzahlung aufgrund Rückabwicklung eines Geschäfts mit der Beklagten gerichtet, die ein eingetragenes Unternehmen sei und für die dieses Geschäft unternehmensbezogen sei, sodass die Zuständigkeit des Handelsgerichts Wien gegeben sei. Wenngleich der Kläger deliktische Schadenersatzansprüche behaupte, mache er doch inhaltlich Ansprüche aus dem Vertragsverhältnis geltend.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Da eine direkte vertragliche Beziehung der Streitteile vorliege, bedürfe es für die Beurteilung des Schadenersatz- und des Bereicherungsanspruchs nach § 1431 ABGB auch der Beurteilung des unternehmensbezogenen Geschäfts im Hinblick auf die behauptete Verbotswidrigkeit, sodass von der handelsgerichtlichen Zuständigkeit auszugehen sei.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil – soweit überblickbar – zur Frage der handelsgerichtlichen Zuständigkeit für einen Bereicherungsanspruch wegen verbotenen Glücksspiels gemäß § 1431 ABGB keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bestehe.

In seinem dagegen gerichteten Revisionsrekurs beantragt der Kläger die Beschlüsse der Vorinstanzen zu beheben und dem Erstgericht die Einleitung des ordentlichen Verfahrens aufzutragen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, er ist auch berechtigt.

1. Voranzustellen ist, dass die Rechtssache derzeit noch nicht streitanhängig ist. Die internationale Zuständigkeit österreichischer Gerichte ist daher (noch) nicht überprüfbar (9 Ob 84/18w).

2. Gemäß § 51 Abs 1 Z 1 JN gehören vor die selbständigen Handelsgerichte, falls der Streitgegenstand an Geld oder Geldeswert den Betrag von 15.000 EUR übersteigt, Streitigkeiten aus unternehmensbezogenen Geschäften, wenn die Klage gegen einen im Firmenbuch eingetragenen Unternehmer gerichtet ist und das Geschäft auf Seiten des Beklagten ein unternehmensbezogenes Geschäft ist. Betrifft die Klage, wie hier, einen ausländischen Rechtsträger, so ist § 51 Abs 1 Z 1 JN analog anzuwenden, wenn dieser seinem Wesen nach den typischerweise im österreichischen Firmenbuch eingetragenen Unternehmen annähernd gleichzusetzen ist, insbesondere wenn er mit einem Unternehmer kraft Rechtsform iSd § 2 UGB vergleichbar ist (RS0123482). Nach den Klagsangaben ist diese Voraussetzung bei der Beklagten (Limited nach maltesischem Recht) erfüllt. Zu prüfen ist, ob eine Streitigkeit „aus einem unternehmensbezogenen Geschäft“ vorliegt.

3. Vor dem Inkrafttreten des Handelsrechts-Änderungsgesetzes (HaRÄG, BGBl I 2005/120) mit 1. 1. 2007 gehörten nach § 51 Abs 1 Z 1 JN vor die selbständigen Handelsgerichte Streitigkeiten (mit einem 10.000 EUR übersteigenden Wert) „aus Handelsgeschäften“, wenn die Klage gegen einen Kaufmann, eine Handelsgesellschaft oder eine registrierte Genossenschaft gerichtet und das Geschäft auf Seiten des Beklagten ein Handelsgeschäft war. Die Änderung des Grundtatbestands in den §§ 1 ff UGB durch das HaRÄG erforderte zwar eine Neufassung des § 51 Abs 1 Z 1 JN. Eine Änderung zur früheren Rechtslage ist für die Zuständigkeit der Handelsgerichte insoweit aber nicht eingetreten, sodass zur näheren Konkretisierung dieses Tatbestandserfordernisses auf die bisherige Rechtsprechung zurückgegriffen werden kann (RS0046425 [T3]).

4. Nach dieser ist Voraussetzung für die Zuständigkeit des Handelsgerichts, dass der Anspruch aus einem unternehmensbezogenen Geschäft abgeleitet wird und somit in einem sachlichen Zusammenhang mit der Gewerbetätigkeit steht und aus dem unternehmensbezogenen Geschäft selbst geltend gemacht wird (RS0046425). Ein Anspruch wird dann aus einem unternehmensbezogenen Geschäft selbst abgeleitet, wenn dieses den rechtserzeugenden Sachverhalt darstellt, auf welchen der Kläger den Anspruch stützt. Es genügt nicht, dass der eingeklagte Anspruch anlässlich der unternehmerischen Tätigkeit des Beklagten entstanden ist, sondern es ist das Hervorgehen des Anspruchs, somit auch der Streitigkeit selbst, aus dem unternehmensbezogenen Geschäft, erforderlich (RS0046425 [T1]).

5.1 Für Schadenersatzansprüche gegen einen Unternehmer gilt, dass diese nur dann vor die Handelsgerichte gehören, wenn sie aus der Erfüllung, Schlechterfüllung oder Nichterfüllung eines unternehmensbezogenen Geschäfts abgeleitet werden (RS0113977). Beruht der – geltend gemachte – Haftungsgrund unmittelbar auf dem Gesetz und nicht auf der Verletzung von Pflichten aus einem unternehmensbezogenen Geschäft, ist nicht das Handelsgericht, sondern das allgemeine Zivilgericht zuständig (9 Ob 84/18w mwN).

5.2 Der Kläger leitet den geltend gemachten Schadenersatzanspruch ausdrücklich nicht aus seinem Vertrag mit der Beklagten ab, sondern gründet ihn ausschließlich auf eine Schutzgesetzverletzung (deliktischen Schadenersatz infolge Eingriffs in das Glücksspielmonopol).

6.1 Die Kondiktion bei verbotenen und sittenwidrigen Verträgen (§ 879 ABGB) erfolgt nach § 877 ABGB. Die Nichtigkeit des Vertrags führt dazu, dass die Causa für die Vermögensverschiebung wegfällt, was grundsätzlich zur Rückabwicklung des nichtigen Rechtsgeschäfts gemäß § 877 ABGB führt (9 Ob 40/18z = RS0132415, 4 Ob 10/19b je mwN). Die Rechtsfolgen der Rückabwicklung nach § 877 ABGB entsprechen jenen der §§ 1431 und 1437 ABGB (8 Ob 130/07m).

6.2 Nach der Rechtsprechung fallen Ansprüche nach Auflösung des Geschäfts oder Rücktritts vom Geschäft (etwa Bereicherungsansprüche oder Rückforderung des irrig Geleisteten) nicht in die Zuständigkeit des Handelsgerichts nach § 51 Abs 1 Z 1 JN (RS0046419). Dies wurde in der Entscheidung 2 Ob 67/08d mit ausführlicher Begründung dahingehend relativiert, dass Ansprüche auf Rückabwicklung eines durch Rücktritt vom Vertrag aufgelösten Rechtsgeschäfts, das auf Seiten des Beklagten ein unternehmensbezogenes Geschäft war, unter den Zuständigkeitstatbestand des § 51 Abs 1 Z 1 JN fallen, weil erst der rechtliche Charakter und Inhalt des Rechtsgeschäfts Aufschluss über die Zulässigkeit des Rücktritts geben können (RS0123493). Zu Kondiktionsansprüchen nach §§ 877, 1431 ABGB nahm die Entscheidung 2 Ob 67/08d nicht Stellung.

6.3 Bei Klagen auf Rückforderung nach (irrtümlicher) Zahlung einer Nichtschuld nach § 1431 ABGB wurde eine handelsgerichtliche Zuständigkeit verneint (1 Ob 543/93). In der Entscheidung 10 Ob 2/04y lehnte der Oberste Gerichtshof die Zuständigkeit des Handelsgerichts für eine auf die Feststellung der Unwirksamkeit eines Handelsgeschäfts gerichteten Klage ab. Rechtsgrund der Klage sei nicht das angefochtene Rechtsgeschäft, sondern die behauptete fehlende Vertretungsbefugnis oder ein listiges und sittenwidriges Verhalten der vertragsschließenden (juristischen) Person bzw die im allgemeinen Recht begründete Befugnis, derartige Rechtsgeschäfte anzufechten und dem Benachteiligten gegenüber als unwirksam zu erklären. Aus dieser rechtlichen Natur des Klagsgrundes ergebe sich, dass der Klagsanspruch von der rechtlichen Eigenart des angefochtenen Rechtsstreits unabhängig und der Zuständigkeitsgrund des § 51 Abs 1 Z 1 JN daher nicht gegeben sei.

6.4 Zusammengefasst gehören daher nach der Rechtsprechung Bereicherungsansprüche dann vor das Handelsgericht, wenn sie aus einem unternehmensbezogenen Geschäft abgeleitet werden, wenn dieses also selbst die unmittelbare Grundlage für die Beurteilung des Klagsanspruchs bildet. Voraussetzung ist ein enger Zusammenhang des geltend gemachten Anspruchs mit den durch ein Handelsgeschäft (ein unternehmensbezogenes Geschäft) selbst begründeten Forderungen und Pflichten (vgl 5 Ob 248/11y; 9 Ob 84/18w).

6.5 Begründet der Kläger – wie hier – die Nichtigkeit des Geschäfts nach § 879 Abs 1 ABGB mit der rechtswidrigen Durchführung von Glücksspielen trotz Fehlens einer Konzession, dann mag die Frage, ob die Beklagte über eine entsprechende Konzession verfügt zwar im Zusammenhang mit ihrem (Gewerbe-)Betrieb stehen und dessen Eigenschaft betreffen, der geltend gemachte Bereicherungsanpruch beruht aber gerade nicht auf der Verletzung der durch das unternehmensbezogene Geschäft selbst begründeten Rechte und Pflichten.

6.6 Macht der Kläger daher Bereicherungsansprüche aus der Rückabwicklung eines
– behauptetermaßen wegen Fehlens einer Konzession zur Durchführung von Glücksspielen – nach § 879 Abs 1 ABGB nichtigen Geschäfts nach §§ 877, 1431 ABGB geltend, so liegt mangels ausreichend engem Sachzusammenhang zu einem unternehmensbezogenen Rechtsgeschäft keine Streitigkeit iSd § 51 Abs 1 Z 1 JN vor.

7. Die Kostenentscheidung dieses unechten Zwischenstreits gründet sich auf § 52 ZPO.

Textnummer

E126934

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00173.19W.1127.000

Im RIS seit

06.02.2020

Zuletzt aktualisiert am

06.08.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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