TE Bvwg Erkenntnis 2019/6/27 W184 2157660-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.06.2019
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Entscheidungsdatum

27.06.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W184 2157660-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Werner PIPAL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.04.2017, Zl. 1103653603/160143655, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.06.2019 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die beschwerdeführende Partei, ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, brachte nach der illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 28.01.2016 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz ein.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde folgende Entscheidung über diesen Antrag getroffen:

"I. Der Antrag auf internationalen Schutz wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen.

II. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wird Ihnen der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

III. Die befristete Aufenthaltsberechtigung wird Ihnen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 11.04.2018 erteilt."

Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens wurden im angefochtenen Bescheid folgendermaßen zusammengefasst (gekürzt und teilweise anonymisiert durch das Bundesverwaltungsgericht):

"A) Verfahrensgang

...

Anlässlich der niederschriftlichen Befragung am 29.01.2016 ... gaben

Sie an, dass Sie Ihr Herkunftsland deshalb verlassen hätten, weil in Afghanistan Krieg herrschen würde und Sie im Iran illegal aufhältig gewesen wären und Angst gehabt hätten, nach Afghanistan abgeschoben zu werden.

...

Am 17.02.2017 wurden Sie von dem zur Entscheidung berufenen

Organwalter des BFA einvernommen. Es folgen die

entscheidungsrelevanten Auszüge aus dieser Einvernahme (LA = Leiter

der Amtshandlung, AW = Asylwerber):

...

LA: Gehören Sie einer bestimmten Volksgruppe bzw. einem bestimmten Stamm an?

AW: Ich bin Tadschike.

...

LA: Wo halten sich Ihre Familienangehörigen aktuell auf?

AW: Meine Familie lebt im Iran, in der Stadt XXXX , in dem Stadtteil XXXX , den Straßennamen kenne ich nicht, weil sie erst vor kurzem umgesiedelt sind.

LA: Seit wann genau lebt Ihre Familie nun im Iran?

AW: Mein Vater war zehn Jahre, als er in den Iran gekommen ist. Danach befragt, gebe ich an, dass er meine Mutter erst im Iran kennengelernt hat.

LA: Wie bestreiten Ihre Familienangehörigen den Lebensunterhalt in der Heimatregion bzw. Herkunftsregion?

AW: Nur von meinem Vater, er arbeitet als Hilfsarbeiter am Bau.

LA: Welche weiteren Familienangehörigen (Großeltern, Geschwister, Onkel, Tanten, sonstige Angehörige) haben Sie noch in Ihrem Heimatland bzw. Herkunftsland?

AW: Es leben nur die Enkel meiner Großmutter in Afghanistan, in der Provinz Herat, in dem Distrikt XXXX , genauer weiß ich es nicht, in der Nähe der Pilgerstätte " XXXX ". Die haben angerufen und gefragt, ob ich Christ geworden bin, und ich habe ja gesagt.

LA: Seit wann leben Ihre Verwandten dort?

AW: Die waren schon von damals immer dort.

LA: Bitte nennen Sie die Namen, Vornamen und die Anschrift dieser Verwandten.

AW: Sie heißen XXXX , sie leben dort schon mit ihren Familien und sind auch verheiratet.

...

LA: Wann hatten Sie das letzte Mal Kontakt mit diesen Personen?

AW: Das war 40 Tage vor Christmas, das war im Jahr 2016, bevor es 2017 geworden ist.

LA: Wie genau hat die Kontaktaufnahme stattgefunden?

AW: Sie haben angerufen und gefragt, ob ich Christ geworden bin. Danach befragt, gebe ich an, dass ich vorher niemals mit diesen Verwandten Kontakt hatte.

LA: Wie ist es möglich, dass Sie niemals Kontakt zu diesen Verwandten hatten und diese Sie dann aus heiterem Himmel anrufen?

AW: Sie haben irgendwie von den Schwierigkeiten aus dem Iran erfahren. Sie hatten dort Bekannte, von denen haben sie erfahren, dass Beamte bei uns waren.

LA: Woher wussten diese Verwandten, dass Sie Christ geworden sind?

AW: Es war im 09. Monat des Jahres 1394 ... Ich habe zu dieser Zeit

als Taxifahrer gearbeitet und einen Gast transportiert, dem ich gesagt habe, dass ich arbeitslos bin, er hat mich gefragt, ob ich Werbung machen wollen würde. Er hat sich als XXXX vorgestellt, er hat mich angerufen und mir Zettel in englischer Sprache gegeben, ich konnte das aber nicht lesen. Ich sollte von XXXX anfangen und ich habe meinen Bruder, der heute bei mir hier ist, mitgenommen, dann haben wir die Zettel in die Türen der Häuser eingeklemmt. Wir haben die Sachen auch am nächsten Tag verteilt, da hat mich ein Mann in Zivil gefragt, was ich dort mache, XXXX hat zu mir gesagt, dass es Werbung für den Hausunterricht wäre. Der Mann hat gefragt, wo ich das ausgeteilt habe, ich habe den Ort genannt und er hat mich nach meinem Namen gefragt. Er hat mich nach meinem Ausweis gefragt, aber ich hatte nur meine Fitnesskarte mit. Er hat mich an der Hand gepackt und gesagt, dass ich Werbung für das Christentum machen würde, der andere hat die Zettel wieder eingesammelt. Ich habe ihn mit der Faust ins Gesicht geschlagen und er ist in den Bach gefallen, ich habe die Tasche mit den Zetteln fallen gelassen und wir sind geflüchtet. Ich bin zu einem Freund geflüchtet und ich habe ihm am nächsten Tag davon erzählt, weil ich am selben Tag zu müde war, er hat unsere Ausreise organisiert. Meine Eltern haben davon nichts gewusst. Es war um 11 Uhr in der Nacht, in der Stadt Teheran, von dort sind wir ausgereist.

LA: Woher wussten nun Ihre Verwandten davon, dass Sie Christ geworden sind?

AW: Als wir in der Türkei waren, sind Beamte zu meinen Eltern ins

Haus ... gekommen. Sie haben meine Familie geschlagen. Sie haben

meinen Vater auf die Polizei gebracht und ihm gesagt, dass wir Christen geworden sind, und er sagte aber nein, dass wir Muslime wären und er auch. Sie haben den Scheich aus unserer Gegend angerufen und dieser ist gekommen und hat gesagt, dass mein Vater auch Moslem wäre und seine Söhne einfach einen Fehler gemacht hätten. Mein Vater wurde freigelassen und mein Vater hat uns in die Türkei Geld geschickt. Das hat sich über Bekannte herumgesprochen und das ist auch noch bis Afghanistan gekommen.

LA: Wie haben diese Verwandten auf Ihre Aussage reagiert, dass Sie Christ geworden wären?

AW: Sie haben mich beschimpft. Sie haben gesagt, dass sie mich bei einer Rückkehr nach Afghanistan töten würden. Falls sie mich hier in Österreich finden würden, würden sie mich hier auch töten.

LA: Woher wussten diese Leute, dass Sie hier in Österreich sind?

AW: Sie haben mich anfangs gefragt, wie es mir geht und wo ich gerade bin.

LA: Woher hatten Ihre Verwandten aus Herat Ihre Telefonnummer?

AW: Das weiß ich nicht, vielleicht haben sie mich über Facebook gefunden. Sie haben auf der Nummer meines Bruders angerufen.

LA: Haben Sie in einem anderen europäischen Land bzw. in anderen Ländern Angehörige?

AW: Nein, habe ich nicht.

LA: Stehen Sie in regelmäßigem Kontakt mit Ihren Familienangehörigen, z. B. per Telefon, E-Mail, Skype, usw.?

AW: Ich habe mit meiner Familie einmal in der Woche Kontakt über das Internet.

...

LA: Haben Sie immer an Ihrem Heimatort gelebt?

AW: Ich bin im Iran geboren und auch aufgewachsen.

...

LA: Wissen Sie, warum Ihre Familienangehörigen damals Afghanistan verlassen haben und in den Iran übersiedelt sind?

AW: Das weiß ich nicht, ich habe ihn nie gefragt, ich kenne mich in Afghanistan nicht aus.

...

LA: Seit wann wollten Sie Christ werden?

AW: Ich war die ersten sechs Monate hier unter Schock, ich habe die Kirche auch schon zwei bis drei Mal besucht. Wegen meines Bruders habe ich mich nicht getraut.

LA: Warum haben Sie sich wegen Ihres Bruders nicht getraut?

AW: Ich hatte Angst, dass meinem Bruder etwas passiert.

LA: Was haben Sie bei Ihren Besuchen in der Kirche genau gemacht?

AW: Ich habe mit einer Frau gesprochen, sie hat mir alles gesagt. Ich ging dort hin und habe gebetet, es wurde auch unterrichtet. Ich weiß aber nicht viel darüber. Am 21. gibt es noch einen Termin.

LA: Welche christlichen Gebete kennen Sie?

AW: Ich kenne nur das Gebet, das am Sonntag gesprochen wird, das Gebet um Rabani, das am Sonntag gesprochen wird, ich habe noch nicht so viele Informationen darüber.

LA: Welche christlichen Feiertage kennen Sie?

AW: Es gibt Christmas, es gibt auch noch einen Feiertag eid-epasar (Ostern).

LA: Wie viele Apostel gibt es?

AW: Es gibt ca. 15 Apostel.

LA: Welches christliche Fest ist das höchste im Jahr?

AW: Das weiß ich nicht.

LA: Wann haben Sie sich entschlossen, der islamischen Welt den Rücken zu kehren und Christ zu werden?

AW: Nachdem ich nach Europa gekommen bin und alles hier gesehen habe und eingesehen habe, dass der Islam Blut vergießt und das Christentum Frieden, Liebe und Erbarmen ist.

LA: Gab es ein Ereignis, wonach Sie sich zu diesem Schritt entschlossen haben?

AW: Ich habe, nachdem ich hierhergekommen bin, den Islam und das Christentum verglichen. Der Islam hat mit Blutvergießen zu tun.

LA: Haben Sie die Frage verstanden?

AW: Ja, das habe ich.

LA: Warum haben Sie noch bei Ihrer Erstbefragung angegeben, dass Sie dem muslimischen Glauben zugehörig sind?

AW: Damals war ich noch Moslem. Danach befragt, gebe ich an, dass das erst fünf bis sechs Monate danach war, als wir unseren Platz hatten und Ruhe hatten.

LA: Gab es dann ein Ereignis, das Sie bewogen hat, den Glauben zu wechseln?

AW: Nein, aber ich habe die beiden Religionen verglichen und habe mich dann entschlossen.

LA: Seit wann haben Sie sich für das Christentum interessiert?

AW: Erst seit Anfang 2017.

LA: Haben Sie im Iran das Christentum auch schon praktiziert?

AW: Nein, das habe ich nicht, ich wusste ja nichts davon.

LA: Was machen Sie, wenn Sie eine Kirche betreten?

AW: Wenn ich die Kirche betrete, beten wir das Rabine-Gebet, und am 21.02. muss ich noch einmal dorthin. Ich besuche die Kirche auch am Sonntag.

LA: Was machen Sie, wenn Sie eine Kirche verlassen?

AW: Wenn das Gebet fertig ist, dann geht jeder hinaus und geht seinen Weg.

LA: Nennen Sie den Namen der Kirche, die Sie jeden Sonntag aufsuchen.

AW: Den Namen kenne ich nicht. Es steht am Zettel.

LA: Hätten Sie damals die Möglichkeit gehabt, sich woanders ins Heimatland zu begeben, um sich der angegebenen Übergriffe, Probleme bzw. Schwierigkeiten zu entziehen bzw. haben Sie das schon erwogen oder versucht, z. B. in ein anderes Gebiet, z. B. Kabul oder Herat?

AW: Ich habe niemanden in Afghanistan, ich habe dort keinen Menschen, ich kenne mich dort nicht aus.

LA: Warum haben Sie dann bei Ihrer Erstbefragung angeben, dass Sie und Ihr Bruder aus Afghanistan in den Iran geflüchtet sind wegen der Sicherheitslage?

AW: Weil ich, wenn ich die Wahrheit gesagt hätte, dass ich aus dem Iran stamme, wieder in den Iran abgeschoben worden wäre.

LA: Was würde bei Ihrer aktuellen (fiktiven) Heimkehr nach Afghanistan passieren? Was würde Sie dort erwarten?

AW: Ich wurde hier ja Christ, es gibt in Afghanistan keine Möglichkeit, dass ich meinen Glauben ausüben kann. Die Enkel meiner Großmutter väterlicherseits würden mich finden.

LA: Wie sollten Sie von den Verwandten aus Herat gefunden werden?

AW: Die kennen sich dort aus und werden mich finden.

LA: Was spricht dagegen, dass Sie sich als junger und arbeitsfähiger Mann ein eigens Leben in Kabul aufbauen?

AW: Ich bin arbeitsfähig, aber ich war noch nie in Afghanistan. Ich bin jetzt auch noch Christ, und die Enkel meines Großvaters Schwester würden mich finden. Wie soll ich dort leben? ..."

Es folgten im angefochtenen Bescheid die Sachverhaltsfeststellungen, die Beweiswürdigung sowie die rechtliche Beurteilung zu den einzelnen Spruchpunkten. Der Status des Asylberechtigten könne nicht zuerkannt werden, weil ein asylrelevantes Vorbringen nicht glaubhaft gemacht worden sei. Aufgrund des Fehlens von Angehörigen im Herkunftsstaat sei subsidiärer Schutz zu gewähren und eine befristete Aufenthaltsberechtigung zu erteilen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher nur der Spruchpunkt I. angefochten und im Wesentlichen das bisherige Vorbringen wiederholt wurde.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 19.06.2019 eine mündliche

Verhandlung durch, in welcher die beschwerdeführende Partei und die

als Zeugin vernommene Pfarrerin der Evangelischen Kirche A. B. in

XXXX , Frau XXXX , Folgendes aussagten (gekürzt und teilweise

anonymisiert durch das Bundesverwaltungsgericht, RI = Richter, BF1 =

beschwerdeführende Partei, RV = Rechtsvertreter der

beschwerdeführenden Partei, Z = Zeugin):

"Aufgerufen wird die Zeugin ...

RI: Wie sind die BFs zu Ihnen gekommen?

Z: Sie haben damals in XXXX in einem Camp gelebt, wo 50 Flüchtlinge waren. Ich hatte schon Kontakt mit einer Familie, nämlich der Frau XXXX . Diese sind schon länger davor an mich herangetreten und sagten, sie sind evangelisch und sie möchten gerne an der Gemeinde teilnehmen. Diese waren aus dem Iran. Ich habe gesagt, ich kann sie nicht gleich taufen, auch wenn sie schon evangelisch waren. Sie haben einen Taufkurs von einem Jahr besucht und sie kamen zum Gottesdienst. Ende 2016 sind dann auch die BFs mitgekommen, dort habe ich sie kennengelernt und sie haben im Jänner auch gesagt, sie möchten getauft werden und einen Taufkurs machen.

RI: Frau XXXX hat auch dort im Asylheim gewohnt?

Z: Ja, genau. Sie hatten damals noch kein Asyl. Ich habe zum Containerdorf auch Kontakt gehabt. In der Gemeinde haben sie, weil sie immer in den Gottesdiensten waren, die Texte in Farsi gedruckt, damit die anderen es mitbekommen können. Ich habe dann mit den BFs ein Erstgespräch geführt. Sie sind eingestiegen mit einem Taufkurs über ein Jahr zusammen mit anderen. Die anderen sind zu Ostern getauft worden und die BFs haben den Kurs weitergemacht und wurden zu Weihnachten getauft. Sie haben sich auch in die Gemeinde integriert. Sie waren einige Male im Jugendclub, den es jetzt nicht mehr gibt.

RI: Die Messen sind auf Deutsch oder Englisch?

Z: Gottesdienste sind auf Deutsch. Ich bin seit einem Jahr im Sabbatical. Wir haben die Bibeltexte und den Ablauf auf Farsi ausgedruckt.

RI: Haben Sie diesen Taufkurs selber gemacht und in welchem Umfang?

Z: Ja. Es waren zehn größere Blöcke, jeweils einige Stunden, wo wichtige Themen besprochen wurden, über die Bibel, den Aufbau, die wichtigen Texte, die Taufe, was bedeutet Abendmahl, etc. Mir war es wichtig, dass ich mit ihnen ins Gespräch gekommen bin.

RI: Dieser Unterricht war auf Deutsch?

Z: Beim Erstgespräch hatte ich jemanden zum Übersetzen, damit ich weiß, wo stehen die Menschen, wo muss ich anknüpfen beim Kurs. Einen anderen Teil haben wir auf Englisch gemacht. Zweimal war auch jemand dabei, der von Deutsch auf Farsi übersetzt hat.

RI: Sind die beiden immer zu dem Unterricht erschienen?

Z: Sie sind immer erschienen.

RI: Die Taufe war vor über einem Jahr. Sind die beiden nachher auch noch zum Gottesdienst gekommen?

Z: Ja, dieser ist am Sonntag.

RI: Sind beide regelmäßig gekommen?

Z: Es ist nicht Pflicht für Evangelische, an jedem Sonntag zum Gottesdienst zu kommen. Die beiden sind regelmäßig gekommen. Ich würde mich freuen, wenn alle so oft kommen würden.

RI: Wann haben Sie sie zuletzt gesehen, von heute zurückgerechnet?

Z: Ich war jetzt nicht dort. Ich habe eine Vertreterin in der Gemeinde. Diese kennt sie auch.

RI: Was sagen Sie dazu? Haben die beiden eine Überzeugung, sodass Sie an den christlichen Glauben tatsächlich glauben?

Z: So etwas zu sagen, ist immer schwer, weil man in das Herz nicht hineinschauen kann. Soweit ich es in der Arbeit und im Taufkurs und Erstgespräch mitbekommen habe, war da wirklich Interesse an dieser Religion da, die uns Dinge gibt, die sie so nicht im Islam erlebt haben, z. B. Toleranz und Vergebung, Nächstenliebe. Es ging in den Gesprächen nie um Asyl. Sie hatten auch Interesse, an der Gemeinde anzuknüpfen. Ich kann dies mit gutem Gewissen sagen.

RI: Wie viele Leute sind in so einem Taufunterricht?

Z: Das erste Mal waren es sechs Menschen und dann sind die BFs und noch zwei weitere dazugekommen. Einer hat sich danach entschieden, katholisch zu werden. Die Höchstzahl war zehn.

RI: Haben die beiden auch Fragen gestellt und sich interessiert?

Z: Man kann in einem Jahr, in zehn Blöcken, nicht das gesamte Wissen vermitteln. Es geht um mehr als Wissen. Es waren sehr schöne Gespräche.

RI: Was haben die BF wissen wollen?

Z: Das ist schon lange her. Ich war manchmal beeindruckt über Gespräche, z. B. über Vergebung. Natürlich wollten sie auch etwas über Jesus wissen. Der BF1 hat andere Fragen gestellt, weil er älter war. Ich habe die beiden als wirklich interessiert wahrgenommen.

RI: Wieso wird man nicht auf einen christlichen Namen getauft?

Z: Die Namensgebung hat mit der Taufe nichts zu tun. Die Kirche hat früher die Funktion des Standesamtes gehabt und daher hatte die Namensgebung diese Bedeutung.

RI an RV: Haben Sie Fragen?

RV: Wie lange hat die Taufvorbereitung gedauert?

Z: Der erste Kurs war im Februar und getauft wurden sie am 17.12.2017. Sie wurden auch im Rahmen des Gottesdienstes getauft, weil das für die Gemeinde ein schönes Fest ist.

...

RI an BF1: Was befürchten Sie für den Fall, dass Sie nach Afghanistan zurückkehren müssen?

BF1: Ich werde getötet.

RI: Was heißt das genau? Wer tötet Sie, wo, wie und warum?

BF1: Die Enkelkinder meines Onkels. Sie haben uns angerufen und haben gefragt, ob wir konvertiert sind. Ich habe daraufhin gesagt:

Ja, das habe ich gemacht. Sie haben dann nach dem Grund gefragt und gleichzeitig auch gedroht, mich zu töten.

RI: Wie heißen diese Enkelkinder?

BF1: XXXX .

RI: Diese vier Personen haben Sie nacheinander angerufen auf Ihrem Handy?

BF1: Der XXXX hat bei meinem Bruder angerufen. Er hat gesagt, dass er im Namen aller vier Personen spricht.

RI: Wie hat dieser XXXX erfahren, was Sie in Österreich tun?

BF1: Als wir im Iran waren, sind wir dann in die Türkei gefahren. Nachdem wir den Iran verlassen haben, haben die iranischen Geheimdienste unser Haus durchsucht. So hat es sich sehr schnell verbreitet, dass wir uns für das Christentum interessieren. Somit haben auch unsere oben genannten Verwandten davon erfahren.

RI: Haben Sie sich im Iran auch schon für das Christentum interessiert?

BF1: Im Iran habe ich mich für das Christentum nicht interessiert. Ich bin mit einem Motorrad als Taxi gefahren. Ich habe dann einen Fahrgast gehabt. Er hat mich gefragt, ob ich etwas dazuverdienen möchte und ob ich mit ihm arbeiten möchte. Er hat mich dann angerufen, nachdem ich ihm meine Telefonnummer gegeben hatte. Er hat mir gesagt, dass ich diverse Zettel für eine Werbung verteilen soll, in denen es darum ging, dass die häuslichen Gegenstände verkauft werden sollten. Die Zettel waren auf Englisch. Ich habe sie nicht verstanden, warum es tatsächlich geht. So habe ich gemeinsam mit meinem Bruder diese Zettel verteilt. Dann kam eine Person und hat gefragt, was ich gerade mache. Es kamen dann zwei Personen, die einen relativ langen Bart getragen haben, einer davon hat meine Hand genommen und wollte mich festhalten. Er hat nach meinem Ausweis verlangt, den ich nicht hatte. Ich habe ihm eine Sportklubkarte gezeigt. Sie haben mit mir geschimpft und gefragt, warum ich solche Zettel verteile. Der andere hat alle Zettel, die ich verteilt hatte, wieder eingesammelt und er hat gesagt, dass ich mich für das Christentum interessiere und dass es strafbar ist, und hat gefragt, warum ich Werbung für das Christentum mache. In dem Moment habe ich mich mit Gewalt von ihm befreit, und gemeinsam mit meinem Bruder bin ich mit meinem Motorrad davongefahren. Somit sind wir mit meinem Bruder zu einem Freund gefahren. Ich habe ihm erzählt, was passiert sei. Er hat uns drei Millionen Toman gegeben. Am folgenden Tag, nämlich am Mittwoch, sind wir über Teheran in die Türkei gefahren.

...

RI: Sind Ihre Eltern sehr religiös?

BF1: Sie sind nicht sehr streng religiös.

RI: Haben Ihre Eltern fünfmal am Tag gebetet und sind in die Moschee gegangen?

BF1: Nein.

RI: Das heißt, Sie sind auch nicht sehr religiös erzogen worden?

BF1: Nein.

RI: Was sagen Ihre Eltern dazu, dass Sie nun Christ sind?

BF1: Wir haben zwar darüber gesprochen. Sie haben aber nichts dazu gesagt. Sie haben nur gesagt, es ist unser Leben. Wir sind frei, Entscheidungen zu treffen, was unser Leben betrifft.

RI: Zum welchem Zeitpunkt und aus welchem Anlass haben Sie sich für das Christentum zu interessieren begonnen?

BF1: Die ersten fünf oder sechs Monate nach meiner Ankunft in Österreich war ich krank. In der Flüchtlingseinrichtung, wo ich gewohnt habe, haben wir diverse Gespräche mit anderen Mitbewohnern gehabt. Ich habe dann nach der Adresse der Kirche gefragt. Ich habe mir dann eine Kirche angeschaut, und die Atmosphäre in der Kirche hat mich sehr interessiert. Ich habe dort die Ruhe und Liebe gespürt. Somit habe ich mich für das Christentum interessiert.

RI: Welche Kirche war das?

BF1: Die evangelische Kirche in XXXX . In (dieser Stadt) habe ich gewohnt.

RI: Sind Sie davor in Österreich einmal in eine Moschee gegangen?

BF1: Nein.

RI: Sind Sie im Iran in die Moschee gegangen?

BF1: Nein, ich habe mich mit meiner Arbeit und mit meinem Leben beschäftigt. Die Religion hat mich dort nicht interessiert, bis wir eben dieses Problem bekommen haben und ich im Zuge dessen den Iran verlassen habe.

RI: In welche Kirche gehen Sie jetzt?

BF1: Auch jetzt gehe ich in XXXX in die Kirche.

RI: Wie oft gehen Sie in die Kirche?

BF1: Im Monat gehe ich ein- oder zweimal in die Kirche. Es ist für mich sehr schwierig, die Kirche zu besuchen, weil ich krank bin, ich nehme Medikamente und ich bin auch in ärztlicher Behandlung deswegen. Meistens versuche ich, sonntags in die Kirche zu gehen. Wenn ich in XXXX in die Kirche gehe, dann ist es für mich einfacher, als wenn ich woanders in die Kirche gehen sollte, wenn ich mit dem Zug irgendwohin fahren muss.

RI: Wohnen Sie jetzt noch in XXXX ?

BF1: Nein, in der XXXX im XXXX . Bezirk in Wien.

RI: Zu welcher Uhrzeit ist der Gottesdienst in XXXX ?

BF1: Um 09:30 Uhr fängt es an.

RI: Wann waren Sie das letzte Mal dort?

BF1: Diese Woche nicht, die Woche davor am Sonntag.

RI: Was war das für ein Feiertag am Sonntag?

BF1: Es fängt an mit der Glocke, dann gibt es Musik und es wird von der Bibel gelesen. Es wird auch für die Bedürftigen gebetet und es wird auch das Gebet Unser Vater vorgelesen.

RI: Welches Fest ist am vorletzten Sonntag gefeiert worden?

BF1: Vor einem Monat circa war die Auferstehung des Jesus Christus. Vorletzten Sonntag weiß ich nicht. Ich glaube, es ging um diese 50 Tage nach der Auferstehung des Jesus Christus, aber ich bin mir nicht mehr so ganz sicher.

RI: Können Sie dem Gottesdienst, der auf Deutsch ist, gut folgen?

BF1: Zum Teil ja und auch zum Teil nicht. Wichtig ist für mich, dass ich daran glaube und dass ich mit dem Herzen dabei bin.

RI: Was ist für Sie wichtig am Christentum? Warum gehen Sie dorthin?

BF1: Liebe, Frieden, Freundschaft und den Bedürftigen zu helfen.

RI: Ist das im Islam nicht so?

BF1: Vom Islam habe ich nicht so viel gelesen, das weiß ich nicht. Im Islam gibt es sehr viel Blutvergießen.

RI: Welche christlichen Gebete haben Sie bis jetzt gelernt?

BF1: Du Gott, dass du im Himmel bist.

RI: Haben Sie die Gebete auf Deutsch oder Farsi gelernt?

BF1: In Farsi.

RI: Was sind wichtige Feste bei Ihrer Kirche im Jahresablauf?

BF1: Die Auferstehung des Jesus, Pfingsten und die Geburt von Jesus.

RI: Wie heißen die Eltern von Jesus Christus?

BF1: Josef, sein Vater der Erde, und Gott, der Vater des Himmels. Die Mutter ist Maria.

RI: Haben Sie eine Bibel zu Hause, in der Sie manchmal lesen?

BF1: Ja, ich habe eine und mein Bruder auch eine.

RI: Auf Deutsch oder Farsi?

BF1: Auf Farsi.

RI: Welche Stellen lesen Sie gerne?

BF1: Ich fange von vorne an bis zum Ende. Vor allem, wo es um die Entstehung der Erde geht, über Adam und Eva und über die zwölf Jünger.

RI: Wie ist die Bibel gegliedert?

BF1: In 66 Teile, 39 Teile vom Alten Testament und 27 Teile vom Neuen Testament.

RI: Was sind die wichtigsten Teile des neuen Testaments?

BF1: Der Teil, wo Jesus zu den anderen sagt, sie sollen alle anderen Völker taufen und dass man zuerst den Gott und dann die Menschen lieben soll.

...

RI: Kennen Sie die Zehn Gebote?

BF1: Woran ich mich erinnere, ist, dass wir nicht lügen sollen, dass wir unsere Eltern respektieren sollen, wir sollen zueinander lieb sein, und dass wir die anderen Frauen nicht begehren sollen.

RI: Diese Dinge könnten Sie auch machen, wenn Sie zurückkehren würden in den Iran oder nach Afghanistan und als schiitischer Moslem leben würden.

BF1: Ich habe die Frage nicht ganz verstanden.

RI: wiederholt und erklärt die Frage.

BF1: Mein Leben ist in Gefahr, seit diesem Vorfall hat meine Familie zehnmal umziehen müssen ..."

Die beschwerdeführende Partei legte in der Verhandlung einen Befund vor, wonach er an einer depressiven Störung und anderen psychischen Krankheitssymptomen leidet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person und den Fluchtgründen der beschwerdeführenden Partei wird festgestellt:

Die beschwerdeführende Partei ist Staatsbürger Afghanistans und gehört der Volksgruppe der Tadschiken und der schiitischen Religion an.

Die beschwerdeführende Partei lebte von Geburt an immer im Iran und ließ sich im Jänner 2016 nach Aufenthalten in zahlreichen anderen Staaten zusammen mit seinem minderjährigen Bruder von einem Schlepper illegal nach Österreich bringen.

Der beschwerdeführenden Partei droht im Herkunftsstaat eine Verfolgung aus Gründen der Religion.

Es wird festgestellt, dass bei der beschwerdeführenden Partei ein ernsthafter innerer Entschluss vorliegt, nach dem christlichen Glauben zu leben, und dass er demnach vorhat, auch nach Beendigung des Asylverfahrens sein weiteres Leben im christlichen Glauben zu führen und auch bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht zum Islam zurückzukehren.

Die beschwerdeführende Partei wurde einige Monate nach der illegalen Einreise nach Österreich im Asylwerberlager von einer konvertierten iranischen Familie in die Evangelische Kirche A. B. in XXXX eingeführt, absolvierte dort ab Anfang 2017 einen Taufkurs und wurde am 17.12.2017 getauft. Er besucht seitdem, also seit über zwei Jahren, mehrmals im Monat den Gottesdienst, beschäftigt sich laufend mit der christlichen Religion und hat sich detaillierte Kenntnisse darüber erworben. Am Christentum faszinieren ihn die praktizierte Nächstenliebe und die Vergebung der Sünden, während ihn beim Islam die praktizierte Gewalt, Intoleranz und das Blutvergießen abstoßen. Außerdem stellt die christliche Religion und insbesondere seine Pfarrgemeinde für ihn eine Quelle des inneren Friedens und einen Halt angesichts seiner gesundheitlichen Probleme dar.

Zur Lage von Konvertiten in Afghanistan wird festgestellt:

Todesstrafe

Die Todesstrafe ist in der Verfassung und im Strafgesetzbuch für besonders schwerwiegende Delikte vorgesehen (AA 5.2018). Das neue Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, sieht die Todesstrafe für Delikte wie Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, Angriff gegen den Staat, Mord und Zündung von Sprengladungen, Entführungen bzw. Straßenraub mit tödlicher Folge, Gruppenvergewaltigung von Frauen usw. vor (MoJ 15.5.2017: Art. 170). Die Todesstrafe wird vom zuständigen Gericht ausgesprochen und vom Präsidenten genehmigt (MoJ 15.5.2017: Art. 169). Sie wird durch Erhängen ausgeführt (AA 5.2018).

Die Anzahl der mit Todesstrafe bedrohten Verbrechen wurde durch den neuen Kodex signifikant reduziert (HRC 21.2.2018). So ist bei einigen Straftaten statt der Todesstrafe nunmehr lebenslange Haft vorgesehen (AI 22.2.2018).

Unter dem Einfluss der Scharia hingegen droht die Todesstrafe auch bei anderen Delikten (z. B. Blasphemie, Apostasie, Ehebruch). Berichten zufolge wurden im Jahr 2017 elf Menschen zu Tode verurteilt (AA 5.2018). Im November 2017 wurden fünf Männer im Pul-e-Charki-Gefängnis hingerichtet (AI 22.2.2018; vgl. HRC 21.2.2018). Des Weiteren fand am 28.1.2018 die Hinrichtung von drei Menschen statt. Alle wurden aufgrund von Entführungen und Mord zum Tode verurteilt. Zuvor wurden 2016 sechs Terroristen hingerichtet (AA 5.2018). Im Zeitraum 1.1 - 30.11.2017 befanden sich weiterhin 720 Person im Todestrakt (HRC 21.2.2018).

In der afghanischen Bevölkerung trifft diese Form der Bestrafung und Abschreckung auf eine tief verwurzelte Unterstützung. Dies liegt nicht zuletzt auch an einem als korrupt und unzuverlässig geltenden Gefängnissystem und der Tatsache, dass Verurteilte durch Zahlungen freikommen können. Obwohl Präsident Ghani sich zwischenzeitlich positiv zu einem möglichen Moratorium zur Todesstrafe geäußert hat und Gesetzesvorhaben auf dem Weg sind, die die Umwandlung der Todesstrafe in eine lebenslange Freiheitsstrafe vorsehen, ist davon auszugehen, dass weiter Todesurteile vollstreckt werden (AA 5.2018).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt (5.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan ...;

AI - Amnesty International (22.2.2018): Afghanistan 2017/2018, Todesstrafe ...;

HRC - UN Human Rights Council (21.2.2018): Situation of human rights in Afghanistan and technical assistance achievements in the field of human rights; Report of the United Nations High Commission on Human Rights ...;

MoJ - Ministry of Justice (15.5.2017): Strafgesetz ...;

USDOS - U.S. Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Afghanistan ...

Religionsfreiheit

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten (AA 5.2018; vgl. CIA 2017). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften, wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen, machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (USDOS 15.8.2017).

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 15.8.2017). Der politische Islam behält in Afghanistan die Oberhand; welche Gruppierung - die Taliban (Deobandi-Hanafismus), der IS (Salafismus) oder die afghanische Verfassung (moderater Hanafismus) - religiös korrekter ist, stellt jedoch weiterhin eine Kontroverse dar. Diese Uneinigkeit führt zwischen den involvierten Akteuren zu erheblichem Streit um die Kontrolle bestimmter Gebiete und Anhängerschaft in der Bevölkerung (BTI 2018).

Das afghanische Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, enthält keine Definition von Apostasie (vgl. MoJ 15.5.2017). Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion als Apostasie. Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des Abtrünnigen konfiszieren und dessen Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtsprechung Proselytismus (Missionierung, Anm.) illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 15.8.2017) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung "religionsbeleidigende Verbrechen" verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323). Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 15.8.2017).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert (FH 11.4.2018).

Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (USDOS 15.8.2017; vgl. AA 5.2018); so gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürger unabhängig von ihrer Religion (AA 5.2018). Wenn weder die Verfassung noch das Straf- bzw. Zivilgesetzbuch bei bestimmten Rechtsfällen angewendet werden können, gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung. Laut Verfassung sind die Gerichte dazu berechtigt, das schiitische Recht anzuwenden, wenn die betroffene Person dem schiitischen Islam angehört. Gemäß der Verfassung existieren keine eigenen, für Nicht-Muslime geltende Gesetze (USDOS 15.8.2017).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten (USDOS 15.8.2017). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nicht-muslimischen Glauben deklariert (HO U.K. 2.2017; vgl. USDOS 10.8.2016). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über die Konfession des Inhabers. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt (USDOS 15.8.2017). Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 15.8.2017).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 15.8.2017).

Christen berichteten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die meistens während ihres Aufenthalts im Ausland zum Christentum konvertierten, würden aus Furcht vor Vergeltung ihren Glauben alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern ausüben (USDOS 15.8.2017).

Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (CRS 13.12.2017).

Beobachtern zufolge sinkt die gesellschaftliche Diskriminierung gegenüber der schiitischen Minderheit weiterhin; in verschiedenen Gegenden werden dennoch Stigmatisierungsfälle gemeldet (USDOS 15.8.2017).

Mitglieder der Taliban und des IS töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 15.8.2017; vgl. CRS 13.12.2017, FH 11.4.2018). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 15.8.2017).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt (5.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan ...;

BTI - Bertelsmann Stiftung (2018): Afghanistan Country Report ...;

MoJ - Ministry of Justice (15.5.2017): Strafgesetz ...;

CIA - Central Intelligence Agency (2017): The World Factbook - Afghanistan ...;

CRS - Congressional Research Service (13.12.2017): Afghanistan:

Post-Taliban Governance, Security, and U.S. Policy ...;

FH - Freedom House (11.4.2018): Freedom in the World 2018 - Afghanistan ...;

HO U.K. - Home Office United Kingdom (2.2017): Country Policy and Information Note Afghanistan: Hindus and Sikhs ...;

USCIRF - U.S. Commission on International Religious Freedom (2017):

2017 Annual Report: Afghanistan Chapter ...;

USDOS - U.S. Department of State (15.8.2017): 2016 Report on International Religious Freedom - Afghanistan ...;

USDOS - U.S. Department of State (10.8.2016): 2015 Report on International Religious Freedom - Afghanistan ...

Schiiten

Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10 - 15% geschätzt (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Zur schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und ein Großteil der ethnischen Hazara (USDOS 15.8.2017). Die meisten Hazara-Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. In Uruzgan und vereinzelt in Nordafghanistan leben einige schiitische Belutschen (BFA Staatendokumentation 7.2016). Afghanische Schiiten und Hazara neigen dazu, weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein als ihre Glaubensbrüder im Iran (CRS 13.12.2017).

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen (FH 11.4.2018). Obwohl einige schiitischen Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demographischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiere; auch vernachlässige die Regierung in mehrheitlich schiitischen Gebieten die Sicherheit. Das afghanische Ministry of Hajj and Religious Affairs (MOHRA) erlaubt sowohl Sunniten als auch Schiiten, Pilgerfahrten zu unternehmen (USDOS 15.8.2017).

Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime ca. 30% (AB 7.6.2017; vgl. USDOS 15.8.2017). Des Weiteren tagen rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, regelmäßig, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (USDOS 15.8.2017).

Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen (USDOS 15.8.2017). Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet (CRS 13.12.2017). In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen u. a. der Taliban und des IS (HRW 2018; vgl. USCIRF 2017).

Unter den Parlamentsabgeordneten befinden sich vier Ismailiten. Einige Mitglieder der ismailitischen Gemeinschaft beanstanden die vermeintliche Vorenthaltung von politischen Posten (USDOS 15.8.2017).

...

Quellen:

AB - Afghan Bios (7.6.2017): National Ulema Council Afghanistan AUC

...;

BFA Staatendokumentation (7.2016): AfPak Grundlagen der Stammes- & Clanstruktur ...;

CIA - Central Intelligence Agency (2017): The World Factbook - Afghanistan ...;

CRS - Congressional Research Service (13.12.2017): Afghanistan:

Post-Taliban Governance, Security, and U.S. Policy ...;

FH - Freedom House (11.4.2018): Freedom in the World 2018 - Afghanistan ...;

HRW - Human Rights Watch (2018): Afghanistan, Events of 2017 ...;

USCIRF - U.S. Commission on the International Religious Freedom (2017): 2017 Annual Report: Afghanistan Chapter ...;

USDOS - U.S. Department of State (15.8.2017): 2016 Report on International Religious Freedom - Afghanistan ...

Christentum und Konversionen zum Christentum

Nichtmuslimische Gruppierungen, wie Sikhs, Baha'i, Hindus und Christen, machen ca. 0.3% der Bevölkerung aus. Genaue Angaben zur Größe der christlichen und Bahai-Gemeinschaften sind nicht vorhanden (USDOS 15.8.2017; vgl. USCIRF 2017). Die einzige im Land bekannte christliche Kirche hat ihren Sitz in der italienischen Botschaft (USCIRF 2017) und wird von der katholischen Mission betrieben (FT 27.10.2017; vgl. AIK o.D.). Die afghanischen Behörden erlaubten die Errichtung einer katholischen Kapelle unter den strengen Bedingungen, dass sie ausschließlich ausländischen Christen diene und jegliche Form des Proselytismus vermieden werde (vertrauliche Quelle 8.11.2017). Öffentlich zugängliche Kirchen existieren in Afghanistan nicht (USDOS 15.8.2017). Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens, da es in Afghanistan keine Kirchen gibt (abgesehen von einer katholischen Kapelle auf dem Gelände der italienischen Botschaft). Zu Gottesdiensten, die in Privathäusern von internationalen NGOs abgehalten werden, erscheinen sie meist nicht oder werden aus Sicherheitsgründen nicht eingeladen (AA 5.2018). Ausländische Christen dürfen ihren Glauben diskret ausüben (FT 27.10.2017).

Berichten zufolge gibt es im Land weiterhin keine christlichen Schulen (USDOS 15.8.2017); ein christliches Krankenhaus ist in Kabul aktiv (NYP 24.4.2014; vgl. CNN 24.4.2014, CURE o.D.). Auch gibt es in Kabul den Verein "Pro Bambini di Kabul", der aus Mitgliedern verschiedener christlicher Orden besteht und eine Schule für Kinder mit Behinderung betreibt (PBK o.D.; vgl. FT 27.10.2017). Des Weiteren sind je zwei jesuitische und evangelische Missionare in Afghanistan aktiv (FT 27.10.2017).

Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen (AA 5.2018). Christen berichteten von einer feindseligen Haltung gegenüber christlichen Konvertiten und der vermeintlichen christlichen Proselytenmacherei (USDOS 15.8.2017). Zu einer Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die speziell Christen diskriminiert, kommt es in Afghanistan in der Regel nur deshalb nicht, weil sich Christen nicht offen zu ihrem Glauben bekennen. In städtischen Gebieten sind Repressionen gegen Konvertiten aufgrund der größeren Anonymität weniger zu befürchten als in Dorfgemeinschaften (AA 9.2016). Beobachtern zufolge hegen muslimische Ortsansässige den Verdacht, Entwicklungsprojekte würden das Christentum verbreiten und Proselytismus betreiben (USDOS 15.8.2017).

Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert (AA 5.2018). Quellen zufolge müssen Christen ihren Glauben unbedingt geheim halten. Konvertiten werden oft als geisteskrank bezeichnet, da man davon ausgeht, dass sich niemand bei klarem Verstand vom Islam abwenden würde; im Falle einer Verweigerung, zu ihrem alten Glauben zurückzukehren, können Christen in psychiatrische Kliniken zwangseingewiesen, von Nachbarn oder Fremden angegriffen und ihr Eigentum oder Betrieb zerstört werden; es kann auch zu Tötungen innerhalb der Familie kommen. Andererseits wird auch von Fällen berichtet, wo die gesamte Familie den christlichen Glauben annahm; dies muss jedoch absolut geheim gehalten werden (OD 2018).

Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die oft während ihres Aufenthalts im Ausland konvertierten, üben aus Angst vor Diskriminierung und Verfolgung ihre Religion alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern aus (USDOS 15.8.2017). Zwischen 2014 und 2016 gab es keine Berichte zu staatlicher Verfolgung wegen Apostasie oder Blasphemie (USDOS 15.8.2017). Der Druck durch die Nachbarschaft oder der Einfluss des IS und der Taliban stellen Gefahren für Christen dar (OD 2018).

Die im Libanon geborene Rula Ghani, Ehefrau von Staatspräsident Ashraf Ghani, entstammt einer christlich-maronitischen Familie (NPR 19.2.2015; vgl. BBC 15.10.2014). Einige islamische Gelehrte behaupten, es gebe keine öffentlichen Aufzeichnungen ihrer Konvertierung zum Islam (CSR 13.12.2017).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt (5.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan ...;

AA - Auswärtiges Amt (9.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan ...;

AIK - Ambasciata d'Italia Kabul (o.D.): La Cappella ...;

BBC (15.10.2014): Afghanistan first lady Rula Ghani moves into the limelight ...;

CNN (24.4.2014): Afghanistan Violence ...;

CRS - Congressional Research Service (13.12.2017): Afghanistan:

Post-Taliban Governance, Security, and U.S. Policy ...;

CURE - CURE International Hospital of Kabul ...;

FT - First Things (27.10.2017): The church in Afghanistan ...;

NPR - National Public Radio (19.2.2015): For The First Time, An Afghan First Lady Steps Into The Spotlight ...;

NYP - The New York Post (24.4.2014):

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Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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