TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/13 W187 2140902-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.09.2019
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Entscheidungsdatum

13.09.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §34 Abs4
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W187 2140903-1/22E

W187 2140899-1/20E

W187 2140902-1/15E

W187 2140901-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hubert REISNER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1. XXXX , geboren am XXXX , 2. XXXX , geboren am XXXX , 3. dem minderjährigem XXXX , geboren am XXXX und 4. der minderjährigen XXXX , geboren am XXXX , alle Staatsangehörigkeit Afghanistan, die Minderjährigen vertreten durch ihre Mutter XXXX , alle vertreten durch die ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, gegen die Bescheide des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom jeweils XXXX , 1. XXXX , 2. XXXX , 3. XXXX und 4. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht erkannt:

A)

Den Beschwerden wird stattgegeben und XXXX und XXXX gemäß § 3 Abs 1 Asylgesetz 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, dass XXXX und XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

I. Verfahrensgang

1. Das Ehepaar XXXX (in der Folge: Erstbeschwerdeführer) und XXXX (in der Folge: Zweitbeschwerdeführerin) sowie deren minderjähriger Sohn XXXX (in der Folge: Drittbeschwerdeführer) reisten gemeinsam unter Umgehung der Einreisebestimmungen schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet ein, wo sie am XXXX ihren Antrag auf internationalen Schutz stellten.

2. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin wurden im Rahmen ihrer jeweiligen Erstbefragungen am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari zu ihren Identitäten, ihrer Reiseroute und ihren Fluchtgründen einvernommen. Dabei gaben sie übereinstimmend an, miteinander verheiratet und Eltern des Drittbeschwerdeführers zu sein. Der Erstbeschwerdeführer gab an, am

XXXX geboren zu sein, der Volksgruppe der Dashik anzugehören sowie schiitischer Moslem zu sein. Als Beweggrund für die gemeinsame Ausreise führte er an, dass er Sunnit und seine nunmehrige Ehefrau (die Zweitbeschwerdeführerin) Schiitin gewesen sei. Ihr Vater sei aufgrund seiner Religion streng gegen eine Heirat gewesen. Der Erstbeschwerdeführer habe daher seine Religion gewechselt und sei Schiit geworden, um die Zweitbeschwerdeführerin heiraten zu können. Seine Familie habe dann von seinem Religionswechsel erfahren und ihn daraufhin aus der Familie ausgeschlossen. Sein Onkel habe ihn verbrennen wollen. Aus Angst um sein Leben habe er mit seiner Familie das Land verlassen.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab an, am XXXX geboren zu sein, der Volksgruppe der Hazara anzugehören sowie schiitische Moslemin zu sein. Zum Fluchtgrund führte sie aus, dass sie Schiitin sei und ihr Mann (der Erstbeschwerdeführer) der sunnitischen Religionsgruppe angehört habe. Nach ihrer Hochzeit hätten sie Probleme mit ihren Familien bekommen, weil diese gegen die Heirat gewesen seien. Als ihr Kind (der Drittbeschwerdeführer) zur Welt gekommen sei, hätten sie beschlossen, dass ihr Kind nicht in dieser Gesellschaft aus Angst und Hass aufwachsen solle. Aus Angst um ihr Leben hätten sie ihre Heimat verlassen. Weiter gab die Zweitbeschwerdeführerin an, dass ihre Fluchtgründe auch für den gemeinsamen Sohn, den Drittbeschwerdeführer, gelten würden.

3. Mit Schreiben vom XXXX übermittelte die Zweitbeschwerdeführerin dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Bestätigung ihrer Psychotherapeutin über den regelmäßigen Besuch einer Therapie wegen posttraumatischer Belastungsstörung.

4. Am XXXX wurde die gemeinsame Tochter des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin, XXXX (in der Folge: Viertbeschwerdeführerin), geboren. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin stellten am XXXX als gesetzliche Vertretung für die Viertbeschwerdeführerin den Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren. Es werde beantragt, der Viertbeschwerdeführerin zumindest denselben Schutz wie ihren Eltern im Asylverfahren zu gewähren.

5. Am XXXX langte bei der belangten Behörde eine Stellungnahme der Beschwerdeführer zur Einvernahme samt Vorlage von Dokumenten ein.

6. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin wurden am XXXX vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein ihres Rechtsvertreters und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari niederschriftlich zu ihrem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen.

Im Wesentlichen zusammengefasst gab der Erstbeschwerdeführer zum Fluchtgrund an, dass seine Frau (die Zweitbeschwerdeführerin) Schiitin sei und er selbst aus einer strenggläubigen sunnitischen Familie stamme. Ihre Heirat sei daher nicht akzeptabel gewesen. Schlussendlich hätten sie sich in einer schiitischen Gebetseinrichtung trauen lassen. Danach habe der Erstbeschwerdeführer seine Frau zum Haus seines Großvaters gebracht, wo sie ein Jahr lang gelebt hätten, obwohl seine Familie damit nicht einverstanden gewesen sei. Seine Frau sei dort stark unter Druck gesetzt und sowohl psychisch als auch physisch misshandelt worden. Zwei Monate nach der Hochzeit habe der Erstbeschwerdeführer vom sunnitischen zum schiitischen Glauben gewechselt. Eines Tages sei er in der Arbeit gewesen, als seine Frau angerufen und ihm gesagt habe, dass sie geschlagen worden sei und ihr die Hand weh tue. Er sei dann nach Hause gefahren, wo sich herausgestellt habe, dass ihre Hand gebrochen war. Der Erstbeschwerdeführer habe seine Frau dann zu jemandem, der ihr einen Verband angelegt habe, und anschließend zu seinem Freund, XXXX , gebracht. Seine Frau habe ihm erzählt, dass sie unter dem Druck der Misshandlungen seiner Familie gegenüber erwähnt habe, dass auch er seinen Glauben gewechselt habe. Der Erstbeschwerdeführer habe dann mit seiner Familie sprechen wollen und sei nach Hause gegangen. Dort habe er festgestellt, dass ihr gesamtes Eigentum im Hof verteilt gewesen sei. Es sei dann zu einer körperlichen Auseinandersetzung gekommen. Sie hätten ihn als Verräter bezeichnet und ungläubig genannt, er habe in dem Haus nichts mehr verloren. Sei Großvater habe gemeint, man solle ihn töten. Sie hätten dann eine Gasflasche nach ihm geworfen, deren Brenner bereits gebrannt habe. Der Beschwerdeführer sei geflüchtet und zu einem Krankenhaus gelaufen, wo man seine Wunden versorgt habe. Danach habe er beschlossen, nur noch verdeckt zu leben, damit seine Familie ihm nichts mehr antun könne. Sie hätten dann zwei Jahre versteckt bei seinem Freund XXXX gelebt. Am XXXX seien sie von Kabul Richtung Europa geflohen.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab im Zuge ihrer niederschriftlichen Einvernahme zum Fluchtgrund im Wesentlichen an, dass die Familie ihres Mannes (des Erstbeschwerdeführers) nicht mit der Heirat einverstanden gewesen sei, weil sie Schiitin und er Sunnit sei. Nachdem sie geheiratet hätten und sie zu ihrem Mann gezogen sei, sei sie nach ungefähr einem Monat beschimpft, beleidigt und geschlagen worden. Ein Jahr lang habe sie so gelebt. Ihr Mann sei in der Arbeit gewesen und habe davon nichts mitbekommen. Der Großvater habe ihr mit noch größeren Qualen gedroht, sollte sie ihrem Mann davon erzählen. Etwa sieben Monate nach ihrer Hochzeit sei sie schwanger geworden. Die Familie ihres Mannes habe ihr gedroht, dass sie nur noch warten würden, bis das Kind geboren sei. Danach würden sie sie durch ihren Mann verstoßen lassen. Eines Tages habe sie gekocht. Die Familie des Mannes habe sie wiederum kritisiert und etwa gesagt, dass der Schnittlauch dreckig sei genau wie sie selbst. Dann hätten sie sie zusammengeschlagen, ihr Haare ausgerissen und ihr die Hand gebrochen. Sie seien auch mit einem Schraubenzieher auf sie losgegangen und hätten ihr damit in den Schulterbereich gestoßen. Wäre sie nicht ausgewichen, hätte der Schraubenzieher ihr Herz getroffen. Dabei hätten sie sie beschimpft. Die Zweitbeschwerdeführerin sei im fünften Monate schwanger gewesen und habe versucht, ihren Bauch zu schützen. Dennoch hätten sie sie am ganzen Körper geschlagen und sie getreten. Dabei sei ihr herausgerutscht, dass ihr Mann ebenfalls Schiite sei. Die Familie des Mannes habe sie daraufhin an den Haaren gepackt und aus dem Haus gezerrt. Die Zweitbeschwerdeführerin sei zu ihrem Vater gefahren und habe ihn gebeten, sie in sein Haus zu lassen. Er habe dies verweigert, obwohl ihr Mann nunmehr ebenfalls Schiite sei. Die Zweitbeschwerdeführerin habe dann ihren Mann angerufen. Ihr Mann habe sie zu jemandem gebracht, der ihre Wunden versorgt habe, und anschließend seien sie zu XXXX , einem Freund ihres Mannes, gegangen. Ihr Mann sei wütend und aufgebracht gewesen und habe mit seiner Familie reden wollen. Gegen 22 Uhr habe die Zweitbeschwerdeführerin ihren Mann angerufen und gefragt, wo er sei. Er habe sich sehr schlecht angehört und gesagt, dass er im Krankenhaus sei, weil es eine Auseinandersetzung mit einer Gasflasche gegeben habe. Ihr Mann sei dann mit Verbänden zurückgekommen. Seine Familie habe ihn umbringen wollen. Ihr Mann habe ihr erzählt, dass sein Großvater gesagt habe, es sei die Pflicht, ihn umzubringen. Sie seien dann bis zu ihrer Ausreise bei XXXX geblieben.

Der Drittbeschwerdeführer und die Viertbeschwerdeführerin wurden aufgrund ihres jungen Alters nicht einvernommen.

7. Mit Schreiben vom XXXX legten die Beschwerdeführer jeweils eine Deutschkursbesuchsbestätigung für den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin vor und baten um Erlassung des Bescheides.

8. Mit den gegenständlich angefochtenen Bescheiden wurden die Anträge des Erstbeschwerdeführers, der Zweitbeschwerdeführerin, des Drittbeschwerdeführers sowie der Viertbeschwerdeführerin sodann sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den Beschwerdeführern gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gegen die Beschwerdeführer wurde gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Unter Spruchpunkt IV. wurde die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG mit zwei Wochen [gemeint: 14 Tage] ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

Für ein allfälliges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde den Beschwerdeführern amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

9. Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer, die Minderjährigen vertreten durch ihre Mutter, alle vertreten durch den amtswegig beigegebenen und im Spruch ausgewiesenen Rechtsberater, mit Schreiben vom XXXX , bei der belangten Behörde eingelangt am

XXXX , gemeinsam fristgerecht vollumfängliche Beschwerde wegen Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens, infolge dessen eine mangelhafte Beweiswürdigung und eine unrichtige rechtliche Beurteilung vorgenommen worden sei, sowie infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Das BFA legte die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor und verzichtete unter einem auf die Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.

10. Mit Eingaben vom XXXX und XXXX übermittelten die Beschwerdeführer Dokumente und Integrationsunterlagen.

11. Die Zweitbeschwerdeführerin legte mit Schreiben vom XXXX eine Bestätigung des ÖIF über die Teilnahme an einem Werte- und Orientierungskurs vor.

12. Mit Schreiben vom XXXX legte der Erstbeschwerdeführer weitere Integrationsunterlagen vor.

13. Am XXXX übermittelten die Beschwerdeführer dem Bundesverwaltungsgericht weitere Integrationsunterlagen.

14. Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurden den Parteien einschlägige Länderinformationen zu Afghanistan übermittelt.

15. Am XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin im Beisein des ausgewiesenen Rechtsvertreters und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari vom erkennenden Richter zu ihren Anträgen auf internationalen Schutz und ihren Beschwerdegründen im Familienverfahren einvernommen wurden. Die belangte Behörde verzichtete nach Ladung schriftlich auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.

Die Verhandlungsschrift lautet auszugsweise:

"[...]

Richter: Verstehen Sie die Dolmetscherin gut?

Beschwerdeführer 1: Ja.

Beschwerdeführerin 2: Ja.

Richter: Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen? Liegen Gründe vor, die Sie daran hindern?

Beschwerdeführer 1: Ja.

Beschwerdeführerin 2: Ja. Wir sind gesund.

Richter: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente, befinden Sie sich in medizinischer Behandlung?

Beschwerdeführer 1: Ich bin gesund und stehe unter keiner ärztlichen Behandlung.

Beschwerdeführerin 2: Ich leide unter psychischen Krankheiten und bin in ärztlicher Behandlung und nehme regelmäßig Medikamente ein.

Derzeit nehme ich folgende Medikamente: I-XEL 25 mg (Kapseln), LAMOTRIGIN 1A Pharma 25 mg (lösliche Tabletten) und TRITTICO retard 150 mg (Tabletten). Ich habe davor dieses Medikament mit dem Namen Levetiracetam Gene-ricon 500 mg Filmtabletten gegen epileptische Anfälle genommen. Derzeit nehme ich dieses Medikament nicht. Levetiracetam Genericon musste ich zweimal täglich nehmen. Nachdem ich die neuen Medikamente verschrieben bekommen habe, hat mein behandelnder Arzt gemeint, dass ich die Medikamente gegen Epilepsie für eine Weile nicht nehmen soll, weil noch nicht festgestellt worden ist, ob meine Anfälle tatsächlich epileptische Anfälle sind. Es ist noch nicht endgültig abgeklärt, ob es sich tatsächlich um epileptische Anfälle handelt.

[...]

Richter: Können Sie sich an Ihre Aussage vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erinnern? Waren diese richtig, vollständig und wahrheitsgetreu?

Beschwerdeführer 1: Ja, ich kann mich an meine Angaben vor dem BFA erinnern. Ich habe die Wahrheit gesagt.

Beschwerdeführerin 2: Ich kann mich an meine Angaben erinnern. Ich habe auch die Wahrheit gesagt, ich bin aber nicht mehr befragt worden, um alles, was ich auf meinem Herzen hatte zu erzählen.

Richter: Geben Sie Ihr Geburtsdatum an. Wo sind Sie auf die Welt gekommen?

Beschwerdeführer 1: Ich bin am XXXX in XXXX geboren.

Beschwerdeführerin 2: Ich bin am XXXX geboren, es ist aber zu einem Fehler gekommen. Auf meinem Ausweis steht XXXX . Ich bin in XXXX geboren. Mein Sohn XXXX ist in Afghanistan in XXXX geboren, am XXXX . Meine Tochter XXXX ist in Österreich geboren und zwar am XXXX .

Richter: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?

Beschwerdeführer 1: Dari ist meine Muttersprache. Ich kann auch Englisch, Urdu sprechen, die beiden ersten Sprachen kann ich auch lesen und schreiben. Ich habe auch Deutschkurse inklusive B1 absolviert. Ich kann Deutsch auch lesen und schreiben. Meine Kinder sprechen die Muttersprache Dari. Beide besuchen den Kindergarten. Mein Sohn geht seit drei Jahren in den Kindergarten und er spricht gut Deutsch. Meine Tochter ist zwar drei Jahre alt, aber sie kann auch Deutsch sprechen. Meine Tochter war in der Kinderkrippe, dann ging sie in den Kindergarten.

Beschwerdeführerin 2: Dari ist meine Muttersprache. Diese Sprache kann ich auch lesen und schreiben. Ich kann ein bisschen Urdu sprechen. Deutsch habe ich auch gelernt. Ich habe den Sprachkurs A1 mit Abschluss absolviert. Derzeit besuche ich den A2 Kurs.

Richter: Geben Sie Ihre Volksgruppe, Religion und Ihren Familienstand an.

Beschwerdeführer 1: Ich bin Tadschike und bin schiitischer Moslem. Meine gesamte Familie ist aber Sunnite. Ich habe die Religionsrichtung geändert und zwar zu den Schiiten. Wir haben unsere Ehe hier in XXXX auch eintragen lassen. Dazu habe ich auch ein Dokument, das ich Ihnen vorlegen werde. Nachdem meine Tochter geboren wurde, wurde von uns die Heiratsurkunde verlangt. Wir hatten diese Urkunde aber nicht. Wir haben uns erkundigt, und uns wurde gesagt, dass so ein Dokument verlangt, wird, damit unsere Tochter eine Geburtsurkunde erhalten kann.

Der Beschwerdeführer 1 legt vor: eidesstaatliche Erklärung über meine Personaldaten und den Personenstand vom XXXX vor dem Bezirksgericht XXXX . Dieses wird in Kopie zum Akt genommen.

Beschwerdeführerin 2: Ich bin Schiite und gehöre der Volksgruppe der Hazara an. Wir haben traditionell in unserer Moschee die Ehe geschlossen. Wir haben unseren Familiennamen gehalten. Meine Kinder sind zwar Moslem, aber eine Richtung für meine Kinder möchte ich nicht aussuchen, weil ich selbst darunter sehr gelitten habe.

Richter: Erziehen Sie die Kinder religiös?

Beschwerdeführer 1: Sie sollen ihre Religion selbst aussuchen, aber sie sollen Informationen über die Religionen haben.

Beschwerdeführerin 2: Nein.

Richter: Können Sie bitte soweit wie möglich chronologisch angeben, wann und wo Sie sich in Afghanistan aufgehalten haben.

Beschwerdeführer 1: Ich bin in XXXX geboren bis zu meinem 6. Lebensjahr habe ich dort gelebt. Mit sechs Jahren ist meine Mutter verstorben. Mein Vater hat nur eidlich geheiratet und wir sind in den Iran gezogen. Ich habe die Schule dort abgeschlossen und habe zwei Jahre ein höheres Studium im Bereich Elektrotechnik gelernt. Ich war 17, als mein Vater verstorben ist. Nach seinem Tod bin ich zwei weitere Jahre im Iran geblieben. Dann bin ich nach XXXX gezogen. Dort habe ich im Haus meines Großvaters gelebt. Ich kann mich an das Jahr, in dem ich aus dem Iran nach XXXX gezogen bin nicht genau erinnern. Ich glaube, es war das erste Jahr der Regierung vom Präsidenten Karsai. Ich bin bis 2014 in XXXX geblieben. Dann bin ich nach Europa aufgebrochen.

Beschwerdeführerin 2: Ich bin bis zu meinem 12. Lebensjahr in XXXX geblieben. Danach sind wir nach XXXX gezogen. Ich bin auch in XXXX bis 2014 geblieben. Anschließend sind wir in diese Richtung nach Europa gekommen.

Richter: Was haben Sie in Afghanistan und gegebenenfalls im Iran gemacht, gearbeitet, gelernt oder etwas Anderes?

Beschwerdeführer 1: Ich habe im Iran die Schule absolviert und studiert. Nach meiner Ausbildung bin ich nach XXXX gegangen. In XXXX angekommen, habe ich nach Arbeit gesucht. Ich habe bei verschiedenen amerikanischen Firmen gearbeitet. Ca. 1,5 Jahre habe ich bei einer afghanischen Firma gearbeitet. Unter der Bezeichnung XXXX sollte eine kleine Siedlung gebaut werden. Der Vertrag von dieser Siedlung wurde an die afghanische Firma gegeben, wo ich arbeitete. Es war eine Baufirma. Die amerikanischen Firmen waren auch Baufirmen, bei denen ich arbeitete. Eine Firma war eine Logistikfirma, die auch Bauarbeiten erledigt.

Beschwerdeführerin 2: Ich bin sechs Jahre in die Schule gegangen und habe zuhause auch genäht. Ich machte Schneiderarbeiten. Meine Familie war eine traditionelle Familie. Ich durfte nicht weiter in die Schule gehen. Ich war eine Hausfrau.

Richter: Welche Schulbildung haben Sie erhalten?

Beschwerdeführer 1: Betreffend meines Abschlusses haben ich meine Unterlagen schon den belangten Behörden vorgelegt. Ich habe die Schule im Iran mit einem Abschluss abgeschlossen und dann zwei Jahre lang die Ausbildung als Elektrotechniker gemacht. Im Iran gibt es auch eine allgemeine Aufnahmeprüfung. Wenn man bestimmte Punkte für bestimmte Studien erhalten hat, wird man dann beraten, welche Möglichkeiten für ein Studium vorhanden sind. Mir wurde gesagt, dass meine Punkte für ein Studium als Elektrotechniker ausreichen werden. Ich habe zwei Jahre studiert und ich habe auch eine Bestätigung erhalten, dass ich diese höhere Bildung absolviert habe.

Beschwerdeführerin 2: Ich habe keinen Abschluss.

Richter: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

Beschwerdeführer 1: Ich habe zwei Onkel väterlicherseits und drei Tanten väterlicherseits, die in XXXX leben. Eine Schwester von mir lebt nördlich von XXXX in XXXX , das ist die Hauptstadt von XXXX . Sie ist dort verheiratet. Ich habe einen Bruder, der in XXXX lebt. Tanten und Onkel mütterlicherseits habe ich keine. Die Tanten mütterlicherseits sind verstorben.

Beschwerdeführerin 2: Meine Mutter ist verstorben. Ich habe eine Schwester und einen Bruder, welche mit meinem Vater gemeinsam in XXXX leben. Mein Bruder ist taub. Er ist auch mit einer Frau, die taub ist verheiratet. Diese beiden können kein eigenständiges Leben führen, deshalb leben sie gemeinsam mit meinem Vater in einem Familienhaus. Ich habe zwei Onkel väterlicherseits, diese leben auch in XXXX . Meine Verwandten mütterlicherseits sind verstorben. Tanten väterlicherseits habe ich keine gehabt.

Richter: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie (Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Onkel)?

Beschwerdeführer 1: Nein.

Beschwerdeführerin 2: Nein.

Richter: Haben Sie in Afghanistan andere Verwandte oder sonstige wichtige Kontaktpersonen und wie heißen sie? Wo leben sie? Haben Sie zu ihnen Kontakt?

Beschwerdeführer 1: Nein, auch zu meinem Freund XXXX habe ich seit 2014 keinen Kontakt mehr.

Beschwerdeführerin 2: Nein.

Richter: Wie ist Ihr Leben derzeit in Österreich? Was machen Sie in Österreich?

Beschwerdeführer 1: Derzeit wohnen wir in XXXX in einem Heim, das von der XXXX betreut wird. Ich besuche einen Deutschsprachkurs. Ich besuche derzeit einen Vorbereitungskurs für eine Integrationsprüfung. In XXXX gibt es zwei Prüfungen. Eine Prüfung ist mit der Kürzung ÖSD, das heißt Österreich, Schweiz und Deutschland. Für diese Prüfung habe ich die A2 Deutsch-prüfung abgelegt. Die zweite Prüfung hat die Abkürzung DTÖ, die gehört zu ÖIF. Dabei lernen wir über Österreich und über die Gesetze in Österreich. Derzeit besuche ich den Vorbereitungskurs für diese Prüfung. In der XXXX gibt es einen Computerraum, wo ich online Deutsch lerne und mich für die B1 Prüfung vorbereite. Dort gibt es auch eine Lehrerin. Bei XXXX arbeite ich. Diesbezüglich habe ich auch schon eine Bestätigung vorgelegt. Diese Firma gehört zum Bundesland XXXX . Ich bin im Bereich Aufsicht zuständig. Wir schauen, dass die WCs instand gehalten werden und zwar im Sinne der Reinigung. Wenn etwas kaputt wird in den WCs, dann berichten wir es, damit es renoviert wird. Ich habe mehrmals mit XXXX zusammengearbeitet. Diese kehren die Straßen, sie halten die Straßen sauber. In meiner Freizeit bereite ich mich auf den Führerschein vor. Ich lerne dafür oder ich gehe mit den Kindern in den Park oder ins Museum.

Beschwerdeführerin 2: Seitdem ich nach Österreich gekommen bin, besuche ich den Deutsch-kurs, ca. ein Jahr habe ich einmal wöchentlich in einem Altersheim gearbeitet. Seit ca. drei Monaten, arbeite ich einmal in der Woche beim XXXX . Es war ein Programm für eine Woche, um die Stadt zu säubern. Ich habe mich dort eingetragen und ich habe diese Woche dort gearbeitet. Es gab sehr viele Anwerber, die diese Arbeit wollten und ich habe gewartet, bis ich drangekommen bin. Für die ganze Woche haben wir als Geschenk ca. 80 Euro bekommen. Ich mache einmal in der Woche Gymnastik. Letzten Winter gab es seitens der XXXX gratis Schwimmkurse, die habe ich besucht. Ich habe einen Kurs fürs Radfahren absolviert. Ich gehe ein, zwei bis dreimal in der Woche Radfahren, weil es wichtig für meine Gesundheit ist. Ich gehe auch spazieren. Einmal in der Woche, also mittwochs habe ich eine österreichische Freundin, die mich zuhause besucht. Zweimal in der Woche besuche ich den Sprachkurs. Freitags bin ich für eine Stunde bei einer Psychotherapie, einer Gesprächstherapie. Ich versuche meistens die Kinder in den Kindergarten zu bringen, weil ich seit November eine Stunde täglich spazieren gehe. Nachdem ich die Kinder in den Kindergarten gebracht habe, komme ich zu Fuß zurück, das dauert ca. eine Stunde. Wenn ich auch zum Deutschkurs gehe, entweder beim Hingehen oder beim Zurückkommen, gehe ich einmal zu Fuß. Die Kinder hole ich oder mein Mann um 16.00 vom Kindergarten ab. Je nachdem wir Zeit hat. Die Kinder gehen in den Kindergarten und kommen um 16:00 Uhr zurück. Wenn die Kinder vom Kindergarten zurückkommen und nicht müde sind, dann gehen wir in den Park, welcher in der Nähe unserer Unterkunft ist. Wenn sie aber müde sind, dann bleiben sie zuhause und spielen zuhause. Nachdem jetzt das Wetter besser geworden ist, habe ich für die beiden Kinder Schutzhelme besorgt und ich möchte ihnen im Hof des Heimes Radfahren beibringen.

Richter: Haben Sie Freunde in Österreich?

Beschwerdeführer 1: Ja, ich habe einen Freund und Freundinnen, mein Freund heißt XXXX . Er hat bei der XXXX gearbeitet. Ich lernte ich bei der XXXX kennen. Er arbeitet zwar nicht mehr bei der XXXX , aber wir sind noch befreundet. Ich habe auch weibliche Freundinnen. Diese heißen Frau XXXX , welche uns mittwochs besucht. Frau XXXX , Frau XXXX und Frau XXXX , welche uns heute bei der Verhandlung begleitet.

Beschwerdeführerin 2: Alle Damen, die von meinem Mann erwähnt wurden, sind unsere gemeinsamen Freundinnen. Beim XXXX habe ich auch Freunde und Freundinnen. Wir besuchen uns aber nicht gegenseitig, wir sind nur Kollegen und Kolleginnen. Manchmal, in unserer Freizeit gehen wir zusammen Kaffee trinken. Einmal war eine Party vom XXXX organisiert gewesen, dort habe ich auch teilgenommen. Es gibt einen Frauenverein, namens XXXX . Dort treffen wir uns. Dieser Verein wird von einer Afghanin namens XXXX geleitet. Beim Treffen sind Frauen aus verschiedenen Ländern dabei, z.B. aus Tschetschenien. Es sind aber auch Österreicher dabei. Manchmal trinken wir gemeinsam einen Kaffee und wir unterhalten uns. Jede Frau spricht über die Kultur ihres Landes. Manchmal sprechen wir auch über unsere Probleme.

Richter: Sind Sie Mitglied in einem Verein?

Beschwerdeführer 1: Nein.

Beschwerdeführerin 2: Ich bin im Verein XXXX Mitglied.

Richter: Hatten Sie Probleme mit der Polizei oder einem Gericht?

Beschwerdeführer 1: Nein.

Beschwerdeführerin 2: Nein.

Richter: Schildern Sie den Vorfall, der zu Ihrer Flucht geführt hat!

Beschwerdeführer 1: Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass meine Familie die Glaubensrichtung der Sunniten hat. Ich habe aber entschieden meine Frau zu heiraten. Meine Familie war aber damit nicht einverstanden, meine Frau zu heiraten, weil sie eine Schiitin ist. Nachdem wir uns kennenlernten, haben wir geheiratet, aber in einer Moschee der Schiiten. Nach der Eheschließung habe ich meine Frau zum Haus meines Großvaters, wo ich bereits gelebt habe, hingebracht. In diesem Haus leben zwei Onkel väterlicherseits von mir, eine Tante väterlicherseits und mein Bruder. Nach unserer Eheschließung habe ich mit meiner Frau gemeinsam ca. ein Jahr in diesem Haus gelebt. Eines Tages war ich in der Arbeit, als ich von meiner Frau einen Anruf bekommen habe, dass sie geschlagen worden ist. Sie war zu dieser Zeit mit unserem Sohn im fünften Monat schwanger. Abgesehen davon, dass sie meine Frau geschlagen haben, haben sie meine Frau auch aus dem Haus geworfen. Ich bin sofort gekommen und habe meine Frau gefragt, was passiert ist und sie hat mir den Vorfall geschildert. Ihre rechte Hand und der linke Fuß seitlich, die Knochen hatten Risse gehabt. Ich habe meine Frau zu einem speziell ausgebildeten Mann, einem ‚Shekasta Band', zum Verbinden gebracht. Nach der Behandlung habe ich mich an meinen Freund XXXX gewandt. Ich habe meine Frau zu seinem Haus gebracht. Ich habe meine Frau dort gelassen und bin zu meiner Familie gegangen, um mit ihnen diese Angelegenheit zu besprechen. Als ich im Haus angekommen bin, habe ich gesehen, dass sie unsere Hausgegenstände in den Hof geschmissen hatten und die Tür unseres Eingangs zugesperrt hatten, damit ich nicht hineingehen konnte. Ich habe an die Tür geklopft. Meine Tante ist gekommen und hat mir die Tür zwar aufgemacht, hat aber mit mir verbal gestritten. Ich habe gefragt, wo das Problem liegt und warum sie meine Frau so behandelt haben. Sie hat mir gesagt, dass ich abtrünnig geworden wäre. Mir stehe das nicht mehr zu in diesem Haus weiterzuleben. Als wir miteinander diskutiert haben, sind meine Onkel, mein Großvater und mein Bruder heruntergekommen. Sie haben begonnen mich zu schlagen. Mein Großvater hat gesagt, ‚Wir sollen ihn umbringen, er ist ein Verräter'. Mein jüngerer Onkel mit dem Namen XXXX hat die Gaslampe aufgehoben und auf mich geworfen. Die Gaslampe hatte zwei Liter Volumen. Als diese Gaslampe, die gebrannt hat, die in meine Richtung geworfen wurde, um mein Gesicht vor Verbrennungen zu schützen, habe ich meine Hände vors Gesicht gehalten. Meine beiden Arme und Hände sind verbrannt (Der Beschwerdeführer zeigt seine Arme und Hände. Am rechten Unterarm und am rechten Handrücken sind Verbrennungsnarben erkennbar, die etwas unterhalb des Ellbogens am stärksten Narben gebildet haben. Vom linken mittleren Oberarm bis zum linken Armrücken sind ebenfalls Verbrennungsnarben erkennbar, wobei sie am linken Oberarm schwere und deutlich erkennbare Narben hinterlassen haben.) Mein Hemd begann zu brennen. Am linken Oberarm wollte ich es wegreißen, dabei hat sich auch Haut und Fleisch gelöst. Nachdem XXXX die Gaslampe in Richtung meines Gesichtes geworfen hatte und mein Hemd zu brennen begonnen hatte, ist die Gaslampe explodiert. Ich wusste, dass sie von mir nicht ablassen würden. Ich habe gesehen, dass ich keine Chance habe und ich bin davongelaufen. Ich bin auf die Straße gegangen, unser Haus ist in der Nähe von der Straße. Ich bin in ein Taxi eingestiegen und bin Richtung Spital gefahren. Ich bin dort ambulant versorgt worden. Sie haben mich nachhause geschickt und gemeint, dass ich nach 10 Tagen nochmal zum Spital für eine Kontrolle kommen sollte. In dieser Zeit war meine Frau sehr besorgt. Ich habe sie angerufen, ich habe ihr gesagt, was mit mir passiert ist, aber wenn ich zu Hause bin, werde ich alles erzählen. Ich bin zum Haus meines Freundes XXXX gefahren. Ich habe nach diesem Angriff festgestellt, dass die Verwandten vorhaben meine Frau und mich umzubringen, deswegen haben wir die Entscheidung getroffen, etwas Geld zu sammeln und nach Europa zu fliehen. Wir sind ca. zwei Jahre im Haus von XXXX geblieben und haben dort versteckt gelebt. Nachdem meine Frau schwanger war, konnten wir nicht sofort wegreisen. Meine Frau hat in dieser Zeit kaum das Haus verlassen. Ich bin sehr zeitig in der Früh in die Arbeit gegangen und am späten Abend kam ich nachhause zurück, damit ich nicht erkannt werden kann und, dass sie mich auch nicht finden können. Wir stammen grundsätzlich aus XXXX . Diese haben seit 25 Jahren die Macht in Afghanistan. Meine Familie hat sehr viele Kontakte unter den Machthabern und den Dschihadisten. Mein Onkel und mein Bruder handeln mit Fahrzeugen und deren Ersatzteilen. Ihre Handelstätigkeiten führen sie sowohl in Mazar-e Sharif, als auch in Jalalabad und auch in Herat aus. Aus diesem Grund haben wir uns entschieden im Haus von XXXX versteckt zu leben. Am XXXX sind wir nach Europa aufgebrochen. Wir sind ca. drei Monate unterwegs gewesen. Am XXXX sind wir in XXXX angekommen und wir haben den Asylantrag gestellt.

Richter: Wie weit ist das Haus Ihres Freundes XXXX vom Haus Ihrer Familie entfernt und wie weit ist dieses Haus von Ihrem damaligen Arbeitsplatz entfernt?

Beschwerdeführer 1: Das Haus von meinem Großvater befindet sich im XXXX Bezirk in XXXX . Das Haus von XXXX ist im XXXX Bezirk in XXXX ca. 50 Minuten mit dem Auto entfernt. Mein Arbeitsplatz war ganz in der Nähe des Hauses von XXXX , ca. zwei Gassen weiter, also waren es fünf Minuten Fußweg.

Die Verhandlung wird von 12:32 Uhr bis 12:50 Uhr unterbrochen.

Richter: Schildern Sie den Vorfall, der zu Ihrer Flucht geführt hat!

Beschwerdeführerin 2: Wie ich bereits gesagt habe, meine Familie war eine traditionelle Familie. Auch als meine Mutter noch am Leben war. Sie haben mir nicht erlaubt, bzw. haben sie es verhindert, dass ich in die Schule gehe. Meine Familie hat es mir nicht erlaubt, mir meinen zukünftigen Ehemann selbst auszusuchen. Nachdem ich XXXX kennengelernt habe, war mein Vater mit unserer Ehe nicht einverstanden, weil er gemeint hat, dass wir Schiiten seien, und er sei ein Sunnite. Meine zwei Onkel väterlicherseits wollten mich aber mit einem Cousin meines Vaters, welcher ein Dschihadikommandant war verheiraten. Sie haben versucht meinen Vater davon zu überzeugen. Dieser Cousin väterlicherseits meines Vaters hat XXXX geheißen. Er hatte sechs Kinder gehabt und seine Frau war verstorben. Dieser Mann hatte viel Geld. Ich habe aber dagegen Widerstand geleistet und meinem Vater mitgeteilt, dass ich mit einer Ehe mit XXXX nicht einverstanden bin. Einerseits war mein Vater damit nicht einverstanden, dass ich XXXX heiraten werde, weil er einerseits eine andere Glaubensrichtung hatte, auf der anderen Seite zu einer anderen Volksgruppe gehörte, aber ich wusste auch, dass er vom Herzen meine Heirat mit XXXX nicht will. Ich sollte nach der Ansicht meines Vaters zuhause bleiben und gar nicht heiraten. Ich habe mit meinem Vater gesprochen und versucht ihn davon zu überzeugen XXXX zu heiraten. Mein Vater hat sich zwar einverstanden erklärt und mich auch bis in die Moschee begleitet, aber er hat gemeint, dass ich mit meiner Familie keinen Kontakt mehr pflegen soll, weil meine Onkel väterlicherseits gegen meinen Vater seien. Mein Vater sagte: ‚Mach mir keinen Skandal, gehe auf deinem Lebensweg'. Ich wusste, wenn ich zuhause bleiben würde, dann müsste ich irgendwann XXXX heiraten müssen. Deshalb habe ich darauf bestanden, dass ich XXXX heiraten würde. Nach der Hochzeit hat mich XXXX zu seinem Haus gebracht. Die Familie war geschockt. Bis zu einem Monat war aber alles "normal". Nach einem Monat hat es mit den verbalen Streitigkeiten begonnen. Mir wurde vorgeworfen, dass ich eine Hazara sei, dass ich eine Schiitin sei und, dass ich schmutzig sei. Ich hätte deren Sohn geraubt, ich sei älter als deren Sohn. Dann ist es zu Handgreiflichkeiten und zu häuslicher Gewalt gekommen. Ich habe keine andere Wahl gehabt, woanders zu leben, weil ich alleine war. Die Bedingungen des Lebens in Afghanistan sind schwierig. Als Frau kann man nicht alleine leben und ich war finanziell auch nicht in der Lage dazu. Als ich mich an den ältesten von XXXX Familie, nämlich an seine Großeltern wandte, sagten sie, es würde der Wahrheit entsprechen, dass ich eine Hazara und eine Schiitin sei. Sieben Monaten nach meiner Hochzeit wurde ich schwanger. Ich war im fünften Monat schwanger, es war ein Donnerstag und ich wollte ein afghanisches Essen ‚Lauchtaschen' (Bolani), welche im Öl gebraten werden zubereiten. Ich habe gemeinsam mit der Schwägerin, also mit der Frau von Bruder von XXXX die Lauchtaschen zubereiten wollen. Wir beide haben verbal gestritten. Die Schwägerin von XXXX hat mir vorgeworfen, dass ich nicht sauber arbeite. Als der Streit lauter wurde, sind seine Onkel, der Bruder und die Tante väterlicherseits heruntergekommen. Donnerstags und freitags sind meistens alle zuhause. Sie haben begonnen mich zu schlagen und sie haben mich auch beschimpft. Als ich durch die Schläge Schmerzen gespürt habe, habe ich vor lauter Schmerzen gesagt, dass ich nicht nur die einzige schmutzige Schiitin bin, sondern deren Sohn wurde auch ein Schiite. Als ich das gesagt habe, war es so, als würde man in ein Feuer Öl gießen. Sie hatten einen schärferen Gegenstand in der Hand. Ich weiß nicht ob es ein Schraubenzieher war, diesen warfen sie in meine Richtung. Ich wich mit meinem Gesicht aus und der Gegenstand traf mich zwischen dem Schlüsselbein und dem Brustkorb (die Beschwerdeführerin zeigt drei Narben, die in ihrer Größe etwa der Spitze eines breiten Schraubenziehers von etwa einem Zentimeter entsprechen und zwischen rechtem Schlüsselbein und der obersten Rippe liegen). Ich habe auch versucht, das Kind in meinem Leib zu schützen. Ich habe meine Haare auf dem Boden gesehen. Shah Reza hat versucht mich mit einem Holzstück zu schlagen, als ich mein Gesicht in Schutz genommen habe. Mein Handgelenk wurde getroffen und dadurch hatte ich einen Riss im Knochen des Handgelenkes erlitten. Der andere Onkel meines Mannes XXXX hat mich an den Haaren genommen und wollte mich in den Gang ziehen. Ich glaube, mein Fußknochen hat bei diesem Ziehen in den Gang einen Riss bekommen, weil es dort nicht ganz eben war, sondern, weil er an der Schwelle angekommen ist. XXXX wollte mich von der Küche über den Gang in den Hof werfen und mich somit aus dem Haus werfen. Die gesamte Familie hat mich dann aus dem Haus hinausgeworfen. Ich bin mit dem Taxi zum Haus meines Vaters gefahren, weil ich nirgendwo anders eine Möglichkeit hatte. Als mich mein Vater gesehen hat, fragte er mich, was los sei und was passiert sei. Ich habe ihn von dem Vorfall erzählt, dass ich auch erzählte, dass XXXX seine Glaubensrichtung geändert hat. Mein Vater hat mich geschimpft, und mir gesagt, dass er mich davon bereits gewarnt hatte und, dass ich bei ihm auch keinen Platz mehr habe. Ich habe das Haus meines Vaters verlassen. Ich habe den Sohn unseres Nachbars die Telefonnummer von XXXX gegeben und ihn gebeten, dass er XXXX anruft. Ich habe XXXX von dem Vorfall erzählt, XXXX kam sofort zu mir. XXXX hat mich zu einem "Shekasta Band" gebracht. Er hat mich behandelt. (Die Beschwerdeführerin 2 weint).

Die Verhandlung wird von 13:25 Uhr bis 13:28 Uhr unterbrochen.

Beschwerdeführerin 2: XXXX hat mich dann zum Haus von XXXX gebracht. XXXX wollte zu seiner Familie gehen und mit ihnen das ganze besprechen. Ich habe XXXX gewarnt, dass ich der Familie seine Glaubensänderung mitgeteilt habe. XXXX ist zu seiner Familie gegangen. Gegen 21:00 Uhr oder 21:30 Uhr hat er mich angerufen und mit mitgeteilt, was mit ihm passiert ist. Ich habe davon XXXX erzählt. Er ist ins Spital gefahren und hat Siya-wash nachhause mitgenommen. Ich habe gesehen, dass seine Hände verbunden waren. Dann hat mein verstecktes Leben begonnen. Es gab zwar keine Beschimpfungen oder Streitereien, aber ich habe ein Leben wie in einem Käfig geführt. Wir haben XXXX und seine Frau davon überzeugt, dass sie uns erlauben, dass wir mit ihnen leben dürfen. Am Anfang waren sie nicht einverstanden damit, dann haben sie das unter Bedingungen zugesagt. Sie haben gemeint, dass wir keinen Kontakt zu ihren Nachbarn haben sollen. Ich darf nicht grundlos das Haus verlassen und diesen Gefallen tun sie uns deswegen, weil ich schwanger sei. Die Lebensbedingungen waren schwierig, ich war schwanger und wir konnten nicht reisen. Außerdem hatten wir auch nicht genug Geld, für unsere Ausreise, XXXX hat gearbeitet und mein Kind ist auch auf die Welt gekommen. Nachdem wir so viel Geld hatten, dass wir damit ausreisen konnten, haben wir die Entscheidung getroffen zu fliehen.

Richter: Zu welcher Tageszeit hat sich der Vorfall mit der Familie von XXXX ereignet?

Beschwerdeführerin 2: Ich glaube, es war ca. zwischen 13:00 und 14:00 Uhr.

Richter: Sind Sie, über die geschilderten Vorfälle hinaus jemals persönlich bedroht oder angegriffen worden?

Beschwerdeführer 1: Nein.

Beschwerdeführerin 2: Zur Zeit der Taliban, damals habe ich noch nicht geheiratet gehabt. Ich war mit meinem tauben Bruder einkaufen. In den beiden Händen hatte ich Einkaufssäcke. Ich hatte zwar eine Burka gehabt, aber die Burka ist vorne bis zum Oberschenkel lang gewesen. Man musste die Burka zusammentun, damit man die Kleider nicht sehen kann. Ich habe plötzlich einen Schlag in dem Bereich meines Unterschenkels gespürt und ich wurde gefragt, wer diese Person sei, mit welcher ich unterwegs bin. Mein Bruder ist sowohl taub, als auch stumm. Mein Bruder konnte nicht antworten und bevor ich zum Antworten gekommen bin, haben sie begonnen ihn zu schlagen. Es war für mich ein Schock und ich kann es nie vergessen.

Richter: Wodurch sind Sie aktuell in Afghanistan bedroht?

Beschwerdeführer 1: Ich war in Afghanistan. Sie haben versucht mich umzubringen. Diese Gefahr besteht für mich auch heute weiterhin. Die traditionelle Familie, die ich habe, lösen die Probleme nicht durch den Staat, sondern sie lösen die Probleme unter sich. Ihrer Meinung nach bin ich ein Apostat. Meine Tötung wäre für jeden erlaubt. Ich kann nicht dorthin gehen. Das ist für mich die Gefahr. Ich möchte auch nicht in den vergangenen Lebensumständen zurückkehren, weil wir jetzt auch Kinder haben. Ich möchte nicht, dass meine Kinder unter solchen Umständen leben müssen. Ich möchte, dass meine Kinder diese Möglichkeit haben über ihre Religion und Zukunft selbst entscheiden können, besonders meine Tochter. Ich möchte nicht, dass meine Tochter unter den Lebensumständen leben muss, wie meine Frau gelebt hat.

Beschwerdeführerin 2: Das Leben meines Mannes ist in Gefahr. In einem Land, wo Menschen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit geschlagen und erniedrigt werden, in einem Land, wenn eine Frau durch häusliche Gewalt von einer anderen Frau bedroht ist, wo die Gedanken einer Frau mit den Füßen getreten werden. Eine Frau, die nicht so leben darf, wie sie es sich selbst wünscht, ihre Freiheit nicht hat. Ich akzeptiere so ein Land nicht.

Richter: Schildern Sie bitte nochmals die Gründe Ihrer Beschwerde!

Beschwerdeführer 1: Unsere Beschwerde wurde von der Diakonie verfasst. Wir haben ihnen gesagt, dass unser Leben in Afghanistan in Gefahr ist und, dass wir nicht dorthin zurückkehren können. Ich habe nicht genau verstanden, worüber ich jetzt sprechen soll.

Beschwerdeführerin 2: Der Dolmetscher war ein junger Mann, er konnte nicht alles so richtig übersetzten, so wie wir es geäußert haben. Ich bin mir sicher, dass alles, was wir gesagt haben, aus diesem Grund nicht in der Beschwerde steht. Als wir zur Diakonie gegangen sind, wurde unsere Beschwerde von einer Dame verfasst. Als Sie mich vorher fragten, ob ich Mitglied eines Vereins bin, habe ich vergessen, dass ich auch Mitglied des XXXX bin. Ich habe einen Ausweis vom XXXX . Wenn Sie mir erlauben würden, werde ich den Ausweis vom Gang holen.

Richter: Was würde passieren, wenn Sie jetzt nach Afghanistan zurückkehren müssten?

Beschwerdeführer 1: Erstens besteht für mein Leben Gefahr seitens meiner eigenen Familien und meines Stammes. Zweitens ist meine eigene Familie in Afghanistan gegen mich. Außerdem habe ich in Afghanistan mit niemandem Kontakt, der mir im Falle meiner Rückkehr helfen könnte. Ich habe keine Familie. Drittens, möchte ich wegen meinen Kindern nicht zurück nach Afghanistan kehren, weil ich nicht will, dass meine Kinder unter den oben angeführten Umständen leben müssen.

Beschwerdeführerin 2: Das, was mein Mann gesagt hat, ist nicht notwendig noch einmal zu wiederholen. Sein Leben ist in Gefahr. Mein Vater wird mir bis zum Ende seines Lebens nicht verzeihen und mich nicht akzeptieren. Die Gefahr besteht für uns seitens meiner Onkel väterlicherseits und seitens der Familie meines Mannes.

Richter: Könnte Sie der afghanische Staat gegen die Bedrohungen Ihrer Familien gegen Sie schützen?

Beschwerdeführer 1: Die Regierung ist nicht stark. Es gibt Korruptionen und Bestechungen. Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass ich aus XXXX stamme und die haben seit längerer Zeit Macht und gute Kontakte und gute Beziehungen zum Staat. Sie waren am Dschihad beteiligt. Aus diesem Grund haben sie einen engen Kontakt zu den Machthabern.

Beschwerdeführerin 2: In einem Land, wo die Sunniten die Mehrheit sind und die Schiiten die Minderheit sind und eine Feindschaft zwischen den Hazara und den XXXX seit dem Dschihad besteht. Zwischen zwei Stämmen, die ihre Feindschaften nie vergessen und immer noch ihre Komplexe haben, wird unsere kleine Familie mit den Füßen getreten.

Rechtsvertreterin: Wie haben Sie Ihren Mann kennengelernt?

Beschwerdeführerin 2: Mein Mann hat in der Siedlung XXXX gearbeitet. Mein Bruder hat auch dort im Fensterbereich gearbeitet. Ich bin ein oder zwei Mal in der Woche zum Arbeitsplatz meines Bruders gegangen, falls Probleme entstanden sind, dass ich diese lösen konnte, weil mein Bruder nicht sprechen konnte und wenn sein Chef ihm etwas sagen wollte, oder er seinem Chef etwas sagen wollte, habe ich für die Klarheit gesorgt. Ein Kollege meines Bruders hat XXXX geheißen, welcher ein Freund von XXXX war. XXXX ist immer wieder gekommen, um XXXX zu besuchen. Dort habe ich XXXX das erste Mal kennengelernt. Unsere Bekanntschaft hat ca. ein Jahr gedauert. Dann haben wir die Entscheidung getroffen zu heiraten. Ich habe gegen meine Familie Widerstand geleistet und ihn nach meinem eigenen Willen geheiratet.

Rechtsvertreterin: Seit wann tragen Sie kein Kopftuch mehr?

Beschwerdeführerin 2: Seitdem ich den österreichischen Boden betreten habe.

Rechtsvertreterin: Hatten Sie in Afghanistan auch schon kurze Haare?

Beschwerdeführerin 2: Ich habe kurze Haare sehr gerne gehabt. Ich habe nur ein einziges Mal meine Haare mit der Erlaubnis meines Vaters schneiden lassen unter dem Vorwand, dass ein Arzt mir empfohlen hätte die Haare kürzer schneiden zu lassen, weil ich einen Haarausfall habe. Ich habe es zwar selbst genossen, aber ich musste ein Kopftuch tragen.

Rechtsvertreterin: Wer führt zuhause den Haushalt bzw. wer macht bei Ihnen den Haushalt?

Beschwerdeführerin 2: Wenn mein Mann Zeit hat, dann machen wir ihn gemeinsam, aber meistens macht es XXXX , weil ich Medikamente nehme und meistens bin ich auch außerhalb des Heimes, weil ich z.B. bei Deutschkurs bin oder arbeite.

Rechtsvertreterin: Wer ist für die Kindererziehung zuständig?

Beschwerdeführerin 2: Wir beide.

Rechtsvertreterin: Was bedeutet für Sie Gleichberechtigung von Mann und Frau?

Beschwerdeführerin 2: Dass ich selbstständig eine Entscheidung treffen kann und, dass ich so leben kann, wie ich möchte, dass ich über meine Haare selber entscheiden kann, dass ich meine Kleider selber aussuchen kann, dass ich, das was ich brauchen selber einkaufen kann. Ich glaube ich wäre die erste afghanische Frau, die mit 17 Männern die Straße gekehrt hat. Die anderen Afghaninnen fragten mich, warum ich das tue. Dadurch würde ich das Ansehen der Afghaninnen beschädigen. Ich habe ihnen gesagt, dass ich gerne alles probiere, dass ich Radfahren kann, oder ich treffe mich mit einer Freundin, oder ich gehen mit Kollegen oder Kolleginnen Kaffee trinken. Ich gehe auch schwimmen, in Afghanistan stehen mir die Rechte nicht zu.

Rechtsvertreterin: Hatten Sie in Afghanistan schon Probleme, weil sie nicht dem traditionellen Frauenbild entsprochen haben?

Beschwerdeführerin 2: Ja.

Rechtsvertreterin: Können Sie uns, abgesehen von der Ehe ein Beispiel schildern?

Beschwerdeführerin 2: In Afghanistan kann man nicht so leben, wie man es sich wünscht. Die Entscheidungen werden von den anderen getroffen und man muss das machen, was einem befohlen wird. Ich möchte erwähnen, dass mein Mann derselben Meinung war, wie ich. Nachdem ich ihn kennengelernt habe, habe ich ein Jahr gewartet, bis ich ihn besser kennenlernen kann. Ich habe gegen alles, was für eine Frau nicht möglich war Widerstand geleistet.

Rechtsvertreterin: Was wünschen Sie sich für Ihre Tochter in Österreich?

Beschwerdeführerin 2: Ich hoffe, dass sie niemals Afghanistan sieht. Sie soll frei leben und für sich selbst entscheiden können. Schwierigkeiten, die ich gesehen habe, hoffe ich, dass sie niemals damit Erfahrungen macht und, dass sie von niemandem abhängig ist.

Rechtsvertreterin: Die Beschwerdeführerin hat einen Kurzhaarschnitt, trägt eine anliegende Jeans mit modernen Rissen, hohe Pumps, ein weißes T-Shirt mit Ausschnitt sowie Schmuck am Arm (einen Armreifen und einen Ring), ist leicht geschminkt und entspricht ihr Aussehen dem einer klassisch westlichen Frau. Sie trägt kein Kopftuch.

Rechtsvertreterin: Hätten Ihre Kinder Probleme in Afghanistan, weil sie keiner Volksgruppe zugehörig sind?

Beschwerdeführer 1: Vielleicht schon, ja.

Beschwerdeführerin 2: Der Name meines Sohnes ist XXXX . Das ist ein Name, der nur von den Schiiten getragen wird. Vom Aussehen meines Mannes sieht man auch, dass er kein Hazara ist. Wird mein Sohn, wenn er einmal erwachsen ist gefragt: "Dein Vater ist ein Tadschike und ein XXXX , wieso heißt du XXXX "?

[...]

Der Beschwerdeführer bringt nichts mehr vor.

Richter: Haben Sie die Dolmetscherin gut verstanden?

Beschwerdeführer 1: Ja.

Beschwerdeführerin 2: Ja."

Die Rechtsvertreterin legte im Rahmen der mündlichen Verhandlung Bestätigungen hinsichtlich der gesundheitlichen Verfassung der Zweitbeschwerdeführerin, eine Teilnahmebestätigung für einen Deutschkurs der Zweitbeschwerdeführerin, Teilnahmebestätigungen für vom Erstbeschwerdeführer geleistete gemeinnützige Arbeit sowie drei Empfehlungsschreiben vor.

Weiters erstattete die Rechtsvertreterin eine mündliche Stellungnahme zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer sowie zur Lage von Personen aus sunnitisch-schiitischen Mischehen und von afghanischen Frauen und brachte weitere Länderberichte ins Verfahren ein. Im Wesentlichen zusammengefasst führte sie aus, dass die Beschwerdeführer in Afghanistan einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt seien, da sie gegen den Willen ihrer Familien geheiratet hätten. Bei der Zweitbeschwerdeführerin handle es sich um eine Frau, die ihr Leben selbstbestimmt führen wolle, und sich dies auch für ihre Tochter wünsche. Bei einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan wäre sie von einer geschlechtsspezifischen Verfolgung betroffen, zumal sie in Afghanistan bereits gegen die sozialen Sitten verstoßen habe. Es sei ihr nicht zumutbar, sich den afghanischen Traditionen zu unterwerfen. Zudem stünden den Beschwerdeführern auch keine innerstaatliche Fluchtalternative offen, da sie weder ein soziales noch ein familiäres Netzwerk in Afghanistan hätten.

16. Mit Eingabe vom XXXX langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Stellungnahme der Beschwerdeführer, vertreten durch den amtswegig beigegebenen und im Spruch ausgewiesenen Rechtsberater, zu den Länderberichten ein. Mit Schreiben vom XXXX übermittelte das Bundesverwaltungsgericht die eingelangte Stellungnahme dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Kenntnis und Stellungnahme binnen 14 Tagen. Die belangte Behörde brachte keine Stellungnahme ein.

17. Mit Schreiben vom XXXX reichte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Beschwerde des Erstbeschwerdeführers einen Abschluss-Bericht der Landespolizeidirektion XXXX samt Protokoll der Beschuldigtenvernehmung des Erstbeschwerdeführers nach. Aus diesen Unterlagen ist ersichtlich, dass der Erstbeschwerdeführer des versuchten Diebstahls eines tragbaren Bluetooth-Speakers am XXXX zum Nachteil der XXXX Gesellschaft m.b.H. beschuldigt wird. Der Erstbeschwerdeführer wurde vom Ladendetektiv angehalten und bezahlte anschließend die Ware, jedoch nicht die begehrte Aufwandentschädigung in Höhe von € 150. In seiner Beschuldigteneinvernahme zeigte sich der Erstbeschwerdeführer diesbezüglich geständig.

18. Mit Schreiben vom 28.8.2019 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht den Beschwerdeführern sowie der belangten Behörde aktualisierte Länderinformationen zu Afghanistan zur Kenntnis und Stellungnahme. Mit Schreiben vom 5.9.2019 nahmen die Beschwerdeführer zu den Länderberichten Stellung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in die dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakten des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl und die gegenständlichen Verfahrensakten des Bundesverwaltungsgerichts betreffend die Beschwerdeführer, insbesondere durch Einsicht in die vorgelegten Dokumente und Integrationsunterlagen, sowie durch Durchführung einer mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die ins Verfahren eingeführten Länderberichte.

1. Feststellungen

1.1 Zu den Personen der Beschwerdeführer und ihrem Leben in Afghanistan

Die Beschwerdeführer tragen den im Spruch angeführten Namen und sind Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan. Der Erstbeschwerdeführer ist der Volksgruppe der Tadschiken zugehörig, die Zweitbeschwerdeführerin gehört der Volksgruppe der Hazara an. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind der sunnitischen Glaubensgemeinschaft zugehörig. Die beiden minderjährigen Kinder sind ebenfalls Moslems, sollen sich ihre Glaubensrichtung später jedoch selbst aussuchen.

Die Muttersprache der Beschwerdeführer ist Dari. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sprechen zudem etwas Urdu, der Erstbeschwerdeführer auch Englisch. Alle Beschwerdeführer sprechen ein wenig Deutsch.

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin heirateten am XXXX in Afghanistan und sind Eltern des Drittbeschwerdeführers und der Viertbeschwerdeführerin. Sie haben abgesehen vom Drittbeschwerdeführer und der Viertbeschwerdeführerin keine weiteren Kinder. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind im Entscheidungszeitpunkt jedenfalls volljährig, der Drittbeschwerdeführer und die Viertbeschwerdeführerin sind im Entscheidungszeitpunkt unmündige Minderjährige im Alter von sechs und drei Jahren. Der minderjährige Drittbeschwerdeführer und die minderjährige Viertbeschwerdeführerin sind ledig und kinderlos.

Der Erstbeschwerdeführer und der Drittbeschwerdeführer sind beide in XXXX , Afghanistan geboren. Der Erstbeschwerdeführer lebte dort bis zu seinem sechsten Lebensjahr, als er mit seinem Vater und seiner Stiefmutter in den Iran übersiedelte. Mit 19 Jahren zog der Erstbeschwerdeführer wieder nach XXXX zurück und lebte dort im Haus seines Großvaters. Die Zweitbeschwerdeführerin wurde in der afghanischen Provinz XXXX geboren und lebte dort bis zu ihrem zwölften Lebensjahr. Im Alter von zwölf Jahren übersiedelte sie mit ihrer Familie nach XXXX . Der Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführer lebten dort bis zu ihrer gemeinsamen Ausreise aus Afghanistan. Der Drittbeschwerdeführer lebte an keinem anderen Ort Afghanistans als in XXXX . Die Viertbeschwerdeführerin wurde in XXXX , Österreich geboren und war noch nie in ihrem Herkunftsstaat Afghanistan.

Der Erstbeschwerdeführer besuchte im Iran zwölf Jahre die Schule. Anschließend studierte er Elektrotechnik und schloss das Studium nach zwei Jahren ab. Nach seiner Ausbildung arbeitete er in XXXX bei verschiedenen Firmen, darunter auch amerikanische Unternehmen. Zuletzt war er bis zu seiner Ausreise im Jahr 2014 bei der Firma XXXX als Maintenance und HR Manager beschäftigt. Die Zweitbeschwerdeführerin besuchte in Afghanistan sechs Jahre die Schule und war anschließend Hausfrau. Zu Hause nähte sie oft und machte Schneiderarbeiten. Der minderjährige Drittbeschwerdeführer und die

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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