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E000 EU- Recht allgemeinNorm
AsylG 2005 §8 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Faber, als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, über die Revision des X Y in Z, vertreten durch Dr.in Julia Ecker, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Opernring 7/18, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. November 2018, Zl. W218 2173177-1/13E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),
Spruch
I. den Beschluss gefasst:
Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, zurückgewiesen.
II. zu Recht erkannt:
In seinem übrigen Umfang wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, stellte am 1. März 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, er habe Afghanistan im Alter von etwa drei Jahren verlassen und sei im Iran aufgewachsen. Seine Mutter habe ihm erzählt, dass sie Afghanistan aufgrund der Religion verlassen hätten. In Afghanistan habe er niemanden. Er könne nicht nach Afghanistan zurück, weil er Hazara sei.
2 Mit Bescheid vom 13. September 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.
3 In der dagegen erhobenen Beschwerde brachte der Revisionswerber hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigen unter Bezugnahme auf Länderinformationen insbesondere vor, er wäre im Falle einer Rückkehr einer ernsthaften Gefahr ausgesetzt, Opfer von willkürlicher Gewalt zu werden. Als schiitischer Hazara wäre er Verfolgung und Diskriminierung ausgesetzt. Er habe - seit er wenige Jahre alt gewesen sei - nie mehr in Afghanistan gelebt, sei mit den dortigen Gebräuchen nicht vertraut und verfüge über kein soziales Netzwerk in Afghanistan und über keinerlei finanzielle Mittel. Eine Abschiebung nach Afghanistan würde daher eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) diese Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
5 Begründend führte das BVwG hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten insbesondere aus, der Revisionswerber sei jung, arbeitsfähig und im erwerbsfähigen Alter und verfüge über Berufserfahrung. Er habe die Möglichkeit sich beispielsweise eine Existenzgrundlage in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat zu sichern und spreche eine der in Afghanistan üblichen Landessprachen. Da er im afghanischen Familienverband aufgewachsen sei und eine afghanische Schule besucht habe, werde er allfällige Dialektauffälligkeiten schnell anpassen können. Er sei mit den afghanischen Sitten und Gebräuchen vertraut. Kabul, Mazar-e Sharif und Herat seien über den Flughafen gut erreichbar. Die afghanische Regierung behalte die Kontrolle über Kabul. Anschläge seien in reinen Wohngebieten nicht anzunehmen, weshalb die Sicherheitslage in Kabul, Mazar-e Sharif und Herat als ausreichend sicher zu bewerten sei. Dem Revisionswerber sei es zumutbar, in Kabul einen Wohnraum zu suchen und sich mit den bislang ausgeübten oder anderen Tätigkeiten ein für seinen Lebensunterhalt ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften. Er könne sich auch an in Kabul ansässige staatliche, nicht-staatliche oder internationale Hilfseinrichtungen wenden.
6 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene Revision nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, erwogen:
7 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Gruppenverfolgung von Hazara abgewichen. Weiters wendet sie sich gegen die Annahme einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative insbesondere in Kabul, aber auch in den Städten Mazar-e Sharif und Herat. Die aktuellen UNHCR-Richtlinien seien nicht ausreichend berücksichtigt worden. Die Beurteilung des BVwG in der Frage, ob dem Revisionswerber im Falle seiner Abschiebung in sein Herkunftsland das reale Risiko einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung drohen würde, sei nicht auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt. Das BVwG habe die persönlichen Umstände des Revisionswerbers, insbesondere, dass er im Iran aufgewachsen sei, nicht berücksichtigt. Die Feststellung, dass ihn seine Familie finanziell unterstützen könne, würde seinen Abgaben widersprechen. Die Bestätigung der Rückkehrentscheidung verstoße gegen die Rechtsprechung des VwGH.
8 Die Revision ist teilweise zulässig. Sie ist auch teilweise
begründet.
Zu Spruchpunkt I.:
9 Soweit sich die Revision gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten wendet, ist sie nicht zulässig. 10 Wenn die Revision ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur möglichen Gruppenverfolgung von Hazara geltend macht, vermag sie nicht aufzuzeigen, dass dem Revisionswerber auf Grund seiner Volksgruppenzugehörigkeit eine solche drohen könnte.
11 Das BVwG setzte sich mit der Situation der Hazara und der Frage einer drohenden Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit des Revisionswerbers zu dieser Volksgruppe auseinander und kam - gestützt auf Länderberichte und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte - zu dem Ergebnis, dass nicht von einer Gruppenverfolgung ausgegangen werden könne. Dass sich das BVwG hierbei von den Leitlinien der Judikatur entfernt habe, vermag die Revision nicht darzulegen (vgl. VwGH 6.11.2018, Ra 2018/18/0462, mwN).
Zu Spruchpunkt II.:
12 Aus den in der Revision angegebenen Gründen ist sie allerdings zulässig und auch berechtigt, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wendet.
13 Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. VwGH 25.2.2019, Ra 2018/20/0039, mwN).
14 Das BVwG stützt seine Feststellung, dass dem Revisionswerber bei einer Rückkehr in die Städte Mazar-e Sharif, Herat oder Kabul der Aufbau einer Existenzgrundlage möglich sei, im Rahmen der Beweiswürdigung maßgeblich auf die vom Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office - EASO) herausgegebene "Country-Guidance: Afghanistan - Guidance note and common analysis" vom Juni 2018. Diese gehe davon aus, dass alleinstehenden Männern eine innerstaatliche
Fluchtalternative in den Städten Mazar-e Sharif, Herat und Kabul zumutbar sei, auch wenn es in dem Neuansiedlungsgebiet kein Unterstützungsnetzwerk gäbe.
15 Dabei übersieht das BVwG, dass diese Country-Guidance des EASO, der das Unionsrecht - vergleichbar Informationen des UNHCR (vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533, mwN) - eine besondere Bedeutung zumisst (vgl. Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU und Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU; vgl. dazu VwGH 27.5.2019, Ra 2019/14/0153), von dieser Einschätzung ausdrücklich jene Gruppe von Rückkehrern ausnimmt, die entweder außerhalb Afghanistans geboren wurden oder lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt haben (S. 109):
"For applicants who were born and/or lived outside Afghanistan for very long period of time, IPA may not be reasonable if they do not have a support network which would assist them in accessing means of basic subsistence.
The following elements should be taken into account in this assessment:
? Support network: a support network would be of particular importance in the assessment of the reasonableness of IPA for such applicants.
? Local knowledge: particular consideration should be given to whether the applicant has local knowledge and maintained any ties with Afghanistan. Afghan nationals who resided outside of the country over a prolonged period of time may lack essential local knowledge necessary for accessing basic subsistence means and basic services. The support network could also provide the applicant with such local knowledge.
? Social and economic background: the background of the applicant, including their educational and professional experience and connections, as well as whether they were able to live on their own outside Afghanistan, could be relevant considerations."
16 Damit hat sich das BVwG aber in Bezug auf den Revisionswerber, der nach den Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses ab seinem dritten Lebensjahr bis zu seiner Ausreise im Iran lebte, gar nicht auseinandergesetzt.
17 Zu Recht zeigt die Revision zudem auf, dass die Feststellung, der Revisionswerber könne bei einer Rückkehr mit finanzieller Hilfe seiner Familie aus dem Iran rechnen, in Widerspruch zu den Angaben des Revisionswerbers in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG steht, in der er die finanzielle Situation seiner im Iran aufhältigen Familie als sehr schlecht beschrieben hat. Das BVwG hat aber nicht dargelegt, aus welchen Gründen es im Rahmen seiner Beweiswürdigung dennoch zu dieser Feststellung gelangt ist.
18 Es kann nicht ausgeschlossen werden kann, dass das BVwG bei Vermeidung dieser Verfahrensfehler zu Feststellungen gelangt wäre, die für den Revisionswerber im Zusammenhang mit der Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative günstiger wären. 19 Das angefochtene Erkenntnis war somit in Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und der rechtlich darauf aufbauenden Aussprüche mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet. Es war insoweit daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben. 20 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere auf § 50 VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 28. August 2019
Schlagworte
Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018140308.L01Im RIS seit
05.02.2020Zuletzt aktualisiert am
05.02.2020