TE Vwgh Erkenntnis 2019/9/26 Ra 2018/10/0083

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Veröffentlicht am 26.09.2019
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof

Norm

B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §42 Abs2 Z1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Bleiweiss, über die Revision des W M in G, vertreten durch Dr. Sebastian Lenz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Laurenzerberg 1/30, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 3. April 2018, Zl. LVwG-AV-273/001-2018, betreffend Sozialhilfe (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Tulln), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Schreiben vom 9. Mai 2017 beantragte der Revisionswerber "die Kostenübernahme durch die Sozialhilfe ab 01.01.2017 rückwirkend" für seine Unterbringung in einer näher genannten Pflegeeinrichtung in Klosterneuburg.

2 Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Tulln vom 3. Juli 2017 wurde über diesen Antrag wie folgt entschieden:

"Dem Antrag (des Revisionswerbers) ... vom 09.05.2017, bei

der Bezirkshauptmannschaft Tulln, Soziale Verwaltung am 29.05.2017 eingelangt, auf Hilfe bei stationärer Pflege durch Übernahme der Kosten für die Betreuungs- und Pflegemaßnahmen wird ab 01.06.2017 stattgegeben."

3     Mit weiterem Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Tulln vom

1. Februar 2018 wurde wie folgt entschieden:

     "Der Antrag (des Revisionswerbers) ... vom 9.5.2017,

eingelangt bei der Behörde am 29.05.2017, auf Hilfe bei

stationärer Pflege durch Übernahme der Kosten für die Betreuungs-

und Pflegemaßnahmen ... wird für den Zeitraum vom 1.1.2017 bis

31.5.2017 abgewiesen."

4     Mit dem angefochtenen Erkenntnis des

Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 3. April 2018

wurde einer gegen den letztgenannten Bescheid vom Revisionswerber

erhobenen Beschwerde "gemäß § 28 Verwaltungsgerichtsverfahrensgeset

z ... Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos

behoben" (Spruchpunkt 1.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 25a VwGG die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt 2.). 5 Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, mit Bescheid der Behörde vom 3. Juli 2017 sei der Antrag des Revisionswerbers vom 9. Mai 2017 "vollinhaltlich dahingehend erledigt" worden, dass dem Antrag ab 1. Juni 2017 stattgegeben worden sei. Es stehe "demnach mit Rechtskraft des Bescheides vom 3. Juli 2017 fest", dass der gegenständliche Antrag, soweit er sich auf den nicht stattgebenden Zeitraum beziehe, abweisend entschieden worden sei und eine neuerliche Bescheiderlassung "über einen bereits rechtskräftig entschiedenen Zeitraum wegen rechtskräftig entschiedener Sache unzulässig" sei. Der Spruch des Bescheides vom 3. Juli 2017 sei eindeutig und bedürfe keiner ergänzenden Bescheidauslegung. Insbesondere durch die Anführung der Datumsangabe "ab 1. Juni 2017" ergebe sich zweifelsfrei, dass der gegenständliche Antrag, soweit er sich auf den nicht stattgebenden Zeitraum beziehe, abweisend entschieden worden sei. 6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

7 Das Verwaltungsgericht legte die Verfahrensakten vor. 8 Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

9 Die Revision macht in ihrer Zulässigkeitsbegründung geltend, das Verwaltungsgericht weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wann vom Vorliegen einer rechtskräftig entschiedenen Sache auszugehen sei, ab. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtes liege dem Bescheid der Behörde vom 1. Februar 2018 nicht "dieselbe Sache" wie jenem vom 3. Juli 2017 zugrunde. Das Verwaltungsgericht verstoße gegen das Recht des Revisionswerbers auf eine inhaltliche Entscheidung.

10 Die Revision ist zulässig und begründet:

11 Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtes kann keine

Rede davon sein, dass dem Spruch des Bescheides der belangten Behörde vom 3. Juli 2017 "eindeutig und zweifelsfrei" zu entnehmen sei, dass der Antrag vom 9. Mai 2017, "soweit er sich auf den nicht stattgebenden Zeitraum beziehe", abweisend entschieden wurde. Dem Spruch dieses Bescheides ist vielmehr zu entnehmen, dass diesem Antrag ab 1. Juni 2017 stattgegeben wird, ohne dass über davor liegende Zeiträume abgesprochen wurde. Auch aus der Begründung des Bescheides ergibt sich in keiner Weise, dass über davor liegende Zeiträume negativ entschieden werden sollte; es wird vielmehr einleitend - insofern unzutreffend - darauf hingewiesen, dass der Revisionswerber die Übernahme der Kosten für stationäre Pflege "ab 01.06.2017" beantragt habe.

12 Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtes liegt daher in Bezug auf den Bescheid der Behörde vom 3. Juli 2017 ein Fall vor, in dem die Behörde eine beantragte Sozialhilfeleistung nicht etwa zum Teil zuerkannt und im Übrigen abgewiesen, sondern den Antrag in Ansehung bestimmter Zeiträume - hier: zunächst - unerledigt gelassen hat (vgl. zu derartigen Konstellationen im Bereich des Sozialhilferechtes VwGH, 21.12.2016, Ro 2014/10/0021; 24.6.2015, 2012/10/0178). Die Annahme des Verwaltungsgerichtes, die Behörde habe mit ihrem Bescheid vom 1. Februar 2018 eine bereits rechtskräftig entschiedene Sache nochmals entschieden, trifft demnach nicht zu.

13 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

14 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 5 VwGG abgesehen werden.

15 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 26. September 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018100083.L00

Im RIS seit

05.02.2020

Zuletzt aktualisiert am

05.02.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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