TE Vwgh Beschluss 2019/11/5 Ra 2019/20/0470

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Veröffentlicht am 05.11.2019
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E6O
10/07 Verwaltungsgerichtshof

Norm

EURallg
VwGG §24 Abs1 Z2
VwGG §25a Abs5
VwGG §30
VwGG §30a
VwGG §34 Abs1
VwGG §61
62017CO0441 Kommission / Polen

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, die Hofräte Mag. Eder und Dr. Schwarz, die Hofrätin Mag. Schindler sowie den Hofrat Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, über den Antrag des A Y in W, auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung in Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG den Beschluss gefasst:

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Antragsteller ist irakischer Staatsangehöriger und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz, den das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) unter gleichzeitiger Erlassung einer Rückkehrentscheidung (samt weiteren Aussprüchen) abgewiesen hat. Mit Erkenntnis vom 11. September 2019 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet ab und erklärte die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

2 In seinem unmittelbar beim Verwaltungsgerichtshof eingebrachten Schriftsatz vom 18. September 2019 stellt der Antragsteller einen "Antrag auf Gewährung von einstweiligem Rechtschutz nach Unionsrecht" und begehrt vom Verwaltungsgerichtshof die Erlassung einer einstweiligen Anordnung, "mit der dem BFA vorläufig die Durchführung der Abschiebung der antragstellenden Partei untersagt wird". Zur Darlegung der Erforderlichkeit einer solchen Maßnahme verweist er darauf, dass "die Gewährung von aufschiebender Wirkung erst mit Erhebung der Revision in Betracht komm(e)" und "(z)wischen dem Antrag auf Gewährung von Verfahrenshilfe, der diesbezüglichen Entscheidung und der Ausfertigung und Einbringung der Revision durch eine rechtsanwaltliche Vertretung mehrere Wochen vergehen könn(t)en, in denen die zu bekämpfende Entscheidung bereits vollstreckt werden" könne.

3 Im gleichen Schriftsatz beantragt der Antragsteller - mit näherer Begründung und unter Vorlage eines Vermögensbekenntnisses -

die Gewährung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision gegen das Erkenntnis des BVwG. 4 Der Antragsteller bringt vor, zur Entscheidung über den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung sei der Verwaltungsgerichtshof selbst (und nicht das Bundesverwaltungsgericht) zuständig.

5 Zwar habe der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 29. Oktober 2014, Ro 2014/04/0069, eine Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts zur Erlassung einstweiliger Anordnungen nach Unionsrecht angenommen, wenn ein entsprechender Antrag mit einer Revision gestellt werde. Nach dieser Rechtsprechung sei das Verwaltungsgericht das "sachnächste" Gericht, weil es bereits mit der Sache vertraut sei und ihm mit der Einführung der zweigliedrigen Verwaltungsgerichtsbarkeit auch Aufgaben im Revisionsverfahren übertragen worden seien (Hinweis auf § 24 Abs. 1, § 25a Abs. 1 und § 30a VwGG), auch die Entscheidungskompetenz über die aufschiebende Wirkung liege nach § 30 Abs. 2 VwGG zuerst bei den Verwaltungsgerichten, bevor der Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung berufen sei. 6 Anders verhalte es sich jedoch im vorliegenden Fall. Die Entscheidung "über die Prozesskostenhilfe" liege gemäß § 61 Abs. 3 VwGG hinsichtlich der außerordentlichen Revision ausschließlich beim Verwaltungsgerichtshof. Der gegenständliche Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung nach Unionsrecht ergehe "in Akzessiorietät zum Antrag auf Verfahrenshilfe", der gemäß § 24 Abs. 1 Z 2 VwGG unmittelbar beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen sei. Daher werde auch der Antrag auf Erlassung der einstweiligen Anordnung unmittelbar beim Verwaltungsgerichtshof eingebracht. Das Verwaltungsgericht habe keine Kenntnis über den Inhalt des vorliegenden Antrags auf Verfahrenshilfe und es komme ihm in der Sache auch keine Entscheidungskompetenz zu. Dies sei ein zentraler Unterschied zur Rolle des Verwaltungsgerichts im Provisorialverfahren nach § 30 Abs. 2 VwGG. Daher sei hier der Verwaltungsgerichtshof als sachnächstes Gericht für die Erlassung der einstweiligen Anordnung zuständig, "um die volle Wirksamkeit der späteren Gerichtsentscheidung über das Bestehen der aus dem Unionsrecht hergeleiteten Recht(e) - Recht auf wirksame Prozesskostenhilfe und Hintanhaltung einer Verletzung von Art. 19 Abs. 2 GRC - sicherzustellen" (Hinweis auf EuGH 11.1.2001, C-1/99, Kofisa Italia, Rn. 11 und 48).

7 Der Verwaltungsgerichtshof ist für die Entscheidung über den Antrag nicht zuständig.

8 Eine Zuständigkeit kraft der im Antrag behaupteten "Akzessorietät zum Antrag auf Verfahrenshilfe" ist nicht zu erkennen. Die Zuständigkeit zur Erledigung des vorliegenden Antrags kann nicht von manipulativen und formalen Umständen wie der Verbindung zweier Anträge durch den Antragsteller im gleichen Schriftsatz abhängig gemacht werden, sondern muss sich am Inhalt des Antragsgegenstands ausrichten.

9 Nach ihrem Inhalt ergibt sich aus der Antragsbegründung, wonach zwischen dem Antrag auf Gewährung von Verfahrenshilfe, der diesbezüglichen Entscheidung und der Ausfertigung und Einbringung der Revision durch eine rechtsanwaltliche Vertretung mehrere Wochen vergehen könnten, in denen die zu bekämpfende Entscheidung bereits vollstreckt werden könne, dass der Antrag erkennbar das Ziel verfolgt, dem BFA die Abschiebung des Antragstellers (mindestens) so lang zu verbieten, bis der Antragsteller mithilfe eines in weiterer Folge im Rahmen der bewilligten Verfahrenshilfe bestellten (oder bei Nichtgewährung der Verfahrenshilfe: selbst gewählten) Rechtsanwalts zur Einbringung einer Revision, verbunden mit einem Antrag, ihr aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, in der Lage ist.

10 Dies lässt erkennen, dass sich der Antrag nicht akzessorisch zum Verfahren über die Gewährung der Verfahrenshilfe verhält, sondern zum Verfahren über die beabsichtigte Revision, die beim Verwaltungsgericht einzubringen ist. Seinem Inhalt nach ist der Antrag so zu verstehen, dass bereits vor Revisionseinbringung die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zur Sicherung der über die Revision ergehenden Entscheidung begehrt wird.

11 Daher ist auch auf den vorliegenden Antrag die Rechtsprechung zur Abgrenzung zwischen der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts und jener des Verwaltungsgerichthofes für Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz im Revisionssystem übertragbar. Dazu hat der Verwaltungsgerichtshof - sowohl für Anträge auf Erlassung einstweiliger Anordnungen als auch für Anträge auf Gewährung der aufschiebenden Wirkung - die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts angenommen, bei dem die Revision einzubringen ist. Hinsichtlich auf Unionsrecht gestützter Anträge auf einstweilige Anordnung hat er dies u.a. damit begründet, dass zur Bestimmung der Zuständigkeit zur Erlassung darüber absprechender Beschlüsse im Revisionsverfahren von der "sachnächsten Zuständigkeit" auszugehen ist. Der Verwaltungsgerichtshof ist daher für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes jedenfalls bis zur Vorlage der Revision nicht berufen und somit unzuständig (vgl. VwGH 29.10.2014, Ro 2014/04/0069; 20.4.2017, Ra 2017/19/0113; 25.4.2017, Ra 2017/16/0039; 27.11.2018, Ra 2018/14/0139-142; 25.2.2019, Ra 2018/19/0611). Das Verwaltungsgericht ist sowohl bei einer ordentlichen Revision als auch im Falle einer außerordentlichen Revision bis zur Vorlage der Revision an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung über einen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Revision (oder einen Antrag auf Erlassung einstweiliger Anordnungen) zuständig und zur Entscheidung verpflichtet.

12 Dem Argument, dass das Verwaltungsgericht "keine Kenntnis über den Inhalt des vorliegenden Antrags auf Verfahrenshilfe" habe, ist die Rechtsprechung des EuGH und (ihm folgend) des Verwaltungsgerichtshofes entgegenzuhalten, aus der sich ergibt, dass unionsrechtlich begründete Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz den Streitgegenstand bezeichnen und die Umstände, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt, sowie den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung dem ersten Anschein nach rechtfertigende Sach- und Rechtsgründe anführen müssen. Der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter darf diesen nur dann gewähren, wenn die Notwendigkeit der Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft gemacht (fumus boni iuris) und ferner dargetan ist, dass sie dringlich in dem Sinne ist, dass sie zur Verhinderung eines schweren und nicht wieder gut zu machenden Schadens für die Interessen des Antragstellers bereits vor der Entscheidung der Hauptsache erlassen werden und ihre Wirkungen entfalten muss (vgl. VwGH 5.9.2018, Ra 2018/03/0056 mit Hinweis ua. auf EuGH 20.11.2017, C-441/17 R, Europäische Kommission gegen Republik Polen, Rz 28 ff). Das Unionsrecht verlangt somit nicht, dass das für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zuständige Gericht bereits vor Antragstellung Kenntnis über die relevanten Umstände hat, sondern es liegt am Antragsteller, dem zuständigen Gericht diese Kenntnis zu verschaffen. Im Übrigen ist bereits die Prämisse unzutreffend, dass der Verwaltungsgerichtshof im Stadium der Einbringung des Verfahrenshilfeantrags - abgesehen von dem bei ihm eingebrachten Antrag - umfassendere Kenntnis über das zugrundeliegende Verfahren hätte als das bereits zuvor mit dieser Rechtsangelegenheit befasste Verwaltungsgericht.

13 Der Antragsteller hat den vorliegenden Antrag ausdrücklich an den Verwaltungsgerichtshof gerichtet und damit die Erlassung der einstweiligen Anordnung durch den Verwaltungsgerichtshof begehrt. Für deren Erlassung ist der Verwaltungsgerichtshof aus den obigen Erwägungen jedoch unzuständig. Diese Unzuständigkeit führt zur Zurückweisung des vorliegenden Antrages, weil die Frage der Zuständigkeit in einer Konstellation, wie sie hier vorliegt, in der bisherigen Rechtsprechung noch nicht geklärt wurde und nicht offenkundig ist (vgl. VwGH 29.10.2014, Ro 2014/04/0069, mwN).

14 Der Antrag ist daher schon von vornherein im Sinn des § 34 Abs. 1 VwGG als nicht zur Behandlung durch den Verwaltungsgerichtshof geeignet und daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat (vgl. zur Zuständigkeit des Senates nochmals Ro 2014/04/0069, mwN) ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen (vgl. VwGH 20.12.2016, Fr 2016/21/0020; 27.11.2018, Ra 2018/14/0139-0142; 25.2.2019, Ra 2018/19/0611).

Wien, am 31. Oktober 2019

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht vorläufige Aussetzung der Vollziehung provisorischer Rechtsschutz EURallg6

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019200470.L00

Im RIS seit

05.02.2020

Zuletzt aktualisiert am

05.02.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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