TE Vwgh Erkenntnis 2019/12/20 Ro 2018/10/0010

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Veröffentlicht am 20.12.2019
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E1E
E1M
E3D E11306000
E3D E15104000
E3D E15202000
E3L E15103020
E6J
L55005 Baumschutz Landschaftsschutz Naturschutz Salzburg
L55055 Nationalpark Biosphärenpark Salzburg
001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
59/04 EU - EWR
80/02 Forstrecht
89/07 Umweltschutz

Norm

AVG §8
B-VG Art130 Abs1
B-VG Art132 Abs1 Z1
EURallg
ForstG 1975
ForstG 1975 §85
ForstG 1975 §87
ForstG 1975 §88 Abs1
NationalparkG Slbg 2014
NationalparkG Slbg 2014 §3 Abs3
NatSchG Slbg 1999
SchutzwaldV §1
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §7
VwRallg
12010E267 AEUV Art267
12010M004 EUV Art4 Abs3
31992L0043 FFH-RL Anh1
31992L0043 FFH-RL Art6 Abs3
32005D0370 AarhusKonvention
32005D0370 AarhusKonvention Art6 Abs1
32005D0370 AarhusKonvention Art9 Abs2
32005D0370 AarhusKonvention Art9 Abs3
62002CJ0127 Waddenvereniging and Vogelsbeschermingvereniging VORAB
62015CJ0664 Protect Natur-, Arten- und Landschaftschutz Umweltorganisation VORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler sowie die Hofräte Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer, Dr. Fasching und die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Klima, LL.M., über die Revision des U in W, vertreten durch Dr. Werner Heißig, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Johannesgasse 14, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Salzburg vom 8. Jänner 2018, Zlen. 405-1/224/1/3-2017, 405-1/227/1/3-2017, betreffend forstrechtliche Bewilligung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Zell am See, mitbeteiligte Partei: J S in K), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1 1. Mit Bescheid vom 18. August 2014 erteilte die belangte Behörde dem Mitbeteiligten unter Auflagen die Bewilligung zur Fällung von ca. 100-120 fm Holzmasse in Form von Einzelstammentnahmen (Artenanteil: 8/10 Zirbe, 2/10 Fichte) auf dem einen Schutzwald darstellenden (vgl. § 21 Forstgesetz 1975 - ForstG) und in der Außenzone des Nationalparks Hohe Tauern befindlichen Grundstück Nr. X, KG K., wobei eine Bringung mittels Hubschrauber vorgesehen wurde.

2 Über Antrag des Mitbeteiligten, der Schwierigkeiten hinsichtlich der naturparkbehördlichen Bewilligung der Hubschrauberflüge vorbrachte, erteilte die belangte Behörde diesem mit weiterem Bescheid vom 26. August 2016 unter Auflagen die Bewilligung zur Fällung von ca. 230 fm Holzmasse in Form einer Seiltrasse mit seitlichen Einzelstammentnahmen (Artenanteil: 8/10 Zirbe, 2/10 Fichte) auf oben genanntem Grundstück, wobei nun eine Bringung mittels Langstreckenseilbahn festgelegt wurde. 3 Beide Bescheide begründete die belangte Behörde - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - unter Zugrundelegung der von ihr jeweils eingeholten forstfachlichen Stellungnahmen "in Bezug auf Natura 2000", wonach aufgrund der rechtlichen Bestimmung des Salzburger Nationalparkgesetzes 2014 - S.NPG in der Außenzone des Nationalparks Maßnahmen im Zuge der üblichen forst- und holzwirtschaftlichen Nutzung keiner besonderen Einschränkung unterworfen seien und somit die Zulässigkeit etwaiger forstlicher Maßnahmen "primär" nur nach den Bestimmungen des ForstG zu beurteilen sei. Durch die Nominierung des Nationalparks Hohe Tauern als Natura 2000-Gebiet nach den Richtlinien 79/409/EWG (Vogelschutz-Richtlinie - VSchRL) und 92/43/EWG (Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie - FFH-RL) müssten diese Richtlinien des Rates jedoch in die forstfachliche und rechtliche Beurteilung einfließen. Bei Einhaltung der vom forstfachlichen Amtssachverständigen formulierten Auflagen sei davon auszugehen, dass eine erhebliche Auswirkung auf die Erhaltungsziele des Natura 2000-Gebietes im Bereich des Lebensraums "Alpiner Lärchen-Zirbenwald" - entsprechend den forstrechtlich relevanten Bestimmungen im Forstverfahren - nicht gegeben sei. 4 2. Der Revisionswerber, eine nach § 19 des Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes 2000 anerkannte Umweltorganisation, erhob mit Schriftsatz vom 19. Oktober 2017 Beschwerde gegen die beiden genannten Bescheide, nachdem ihm diese aufgrund eines Antrags nach dem Umweltinformationsgesetz zugestellt worden waren. Seine Beschwerdelegitimation als übergangene Partei stützte er auf Art. 6 Abs. 1 lit. b iVm Art. 9 Abs. 2 Aarhus-Konvention iVm Art. 6 Abs. 3 FFH-RL.

5 3. Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers als unzulässig zurück, weil diesem die Beschwerdelegitimation fehle. 6 Begründend führte es im Kern aus, der Revisionswerber könne seine Parteistellung im Fällungsbewilligungsverfahren nicht auf innerstaatliches Recht stützen. Da der Forstbehörde keine Kompetenz zukomme, in unmittelbarer Anwendung des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL über den forstrechtlich gegebenen Rahmen hinaus gehende Untersuchungen vorzunehmen, könne der Revisionswerber im forstrechtlichen Fällungsbewilligungsverfahren keine Beschwerdelegitimation für sich beanspruchen. Das Rechtsmittel des Revisionswerbers sei unzulässig, weil "das Forstgesetz für die vorliegende Zirbenfällung kompetenzmäßig im Lichte des Art. 10 Z 10 B-VG keine Grundlage zur unmittelbaren Anwendung der FFH-RL auf dem Boden der Aarhus-Konvention" biete.

7 Die Revision sei zulässig, weil die zu untersuchende Rechtsfrage, ob das ForstG im Rahmen eines Verfahrens zur Erteilung einer Fällungsbewilligung die Verpflichtung auferlege, die unmittelbare Anwendung der FFH-RL zu prüfen oder diese Aufgabe (ausschließlich) der Nationalparkbehörde überantwortet sei, bislang nicht durch den Verwaltungsgerichtshof geklärt sei. 8 4. Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende ordentliche Revision, die das Verwaltungsgericht samt den Akten des Verfahrens vorgelegt hat.

9 Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10 1.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Aarhus-Übereinkommens, BGBl. III Nr. 88/2005 idF BGBl. III Nr. 58/2014, haben folgenden Wortlaut:

"Artikel 2

Begriffsbestimmungen

Im Sinne dieses Übereinkommens

(...)

4. bedeutet 'Öffentlichkeit' eine oder mehrere natürliche oder juristische Personen und, in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder der innerstaatlichen Praxis, deren Vereinigungen, Organisationen oder Gruppen;

5. bedeutet 'betroffene Öffentlichkeit' die von umweltbezogenen Entscheidungsverfahren betroffene oder wahrscheinlich betroffene Öffentlichkeit oder die Öffentlichkeit mit einem Interesse daran; im Sinne dieser Begriffsbestimmung haben Nichtregierungsorganisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen und alle nach innerstaatlichem Recht geltenden Voraussetzungen erfüllen, ein Interesse.

(...)

Artikel 6

Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungen über bestimmte

Tätigkeiten

(1) Jede Vertragspartei

a) wendet diesen Artikel bei Entscheidungen darüber an, ob die in Anhang I aufgeführten geplanten Tätigkeiten zugelassen werden;

b) wendet diesen Artikel in Übereinstimmung mit ihrem innerstaatlichen Recht auch bei Entscheidungen über nicht in Anhang I aufgeführte geplante Tätigkeiten an, die eine erhebliche Auswirkung auf die Umwelt haben können. Zu diesem Zweck bestimmen die Vertragsparteien, ob dieser Artikel Anwendung auf eine derartige geplante Tätigkeit findet;

(...)

Artikel 9

Zugang zu Gerichten

(...)

(2) Jede Vertragspartei stellt im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicher, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit,

(a) die ein ausreichendes Interesse haben oder alternativ

(b) eine Rechtsverletzung geltend machen, sofern das Verwaltungsverfahrensrecht einer Vertragspartei dies als Voraussetzung erfordert,

Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht und/oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle haben, um die materiellrechtliche und verfahrensmäßige Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen anzufechten, für die Artikel 6 und - sofern dies nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht vorgesehen ist und unbeschadet des Absatzes 3 - sonstige einschlägige Bestimmungen dieses Übereinkommens gelten.

Was als ausreichendes Interesse und als Rechtsverletzung gilt, bestimmt sich nach den Erfordernissen innerstaatlichen Rechts und im Einklang mit dem Ziel, der betroffenen Öffentlichkeit im Rahmen dieses Übereinkommens einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren. Zu diesem Zweck gilt das Interesse jeder Nichtregierungsorganisation, welche die in Artikel 2 Nummer 5 genannten Voraussetzungen erfüllt, als ausreichend im Sinne des Buchstaben a. Derartige Organisationen gelten auch als Träger von Rechten, die im Sinne des Buchstaben b verletzt werden können.

Absatz 2 schließt die Möglichkeit eines vorangehenden Überprüfungsverfahrens vor einer Verwaltungsbehörde nicht aus und lässt das Erfordernis der Ausschöpfung verwaltungsbehördlicher Überprüfungsverfahren vor der Einleitung gerichtlicher Überprüfungsverfahren unberührt, sofern ein derartiges Erfordernis nach innerstaatlichem Recht besteht.

(3) Zusätzlich und unbeschadet der in den Absätzen 1 und 2 genannten Überprüfungsverfahren stellt jede Vertragspartei sicher, dass Mitglieder der Öffentlichkeit, sofern sie etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen, Zugang zu verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren haben, um die von Privatpersonen und Behörden vorgenommenen Handlungen und begangenen Unterlassungen anzufechten, die gegen umweltbezogene Bestimmungen ihres innerstaatlichen Rechts verstoßen.

(...)"

11 1.2. Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen - FFH-RL lautet:

"Artikel 6

(...)

(3) Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die ein solches Gebiet jedoch einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, erfordern eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung und vorbehaltlich des Absatzes 4 stimmen die zuständigen einzelstaatlichen Behörden dem Plan bzw. Projekt nur zu, wenn sie festgestellt haben, daß das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird, und nachdem sie gegebenenfalls die Öffentlichkeit angehört haben.

(...)"

12 1.3. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Forstgesetzes 1975 (ForstG), BGBl. Nr. 440/1975 idF BGBl. I Nr. 56/2016, haben folgenden Wortlaut:

"B. Behördliche Überwachung der Fällungen Bewilligungspflichtige Fällungen

§ 85. (1) Einer Bewilligung der Behörde bedürfen

a) Kahlhiebe und diesen gleichzuhaltende Einzelstammentnahmen (Abs. 2) auf einer zusammenhängenden Fläche ab einer Größe von einem halben Hektar,

(...)

(2) Einzelstammentnahmen sind Kahlhieben gleichzuhalten, wenn nach ihrer Ausführung weniger als fünf Zehntel der vollen Überschirmung zurückbleiben würde. Gesicherte Verjüngungen auf Teilflächen sind bei dieser Berechnung als voll überschirmt einzubeziehen.

(...)

Fällungsantrag

§ 87. (1) Die Erteilung einer Fällungsbewilligung hat der Waldeigentümer zu beantragen. Steht das Verfügungsrecht über den Wald, der Gegenstand des Bewilligungsverfahrens ist, auf Grund einer Fruchtnießung nicht dem Waldeigentümer zu, so hat der danach Verfügungsberechtigte den Antrag zu stellen.

(2) Neben den im Abs. 1 bezeichneten Personen steht das Recht zur Antragstellung auch sonstigen Verfügungsberechtigten zu, soweit die Ausübung ihrer Rechte Fällungen erforderlich macht.

(3) Wird in den Fällen des Abs. 1 zweiter Satz oder des Abs. 2 das Recht zur Antragstellung ausgeübt, so kommt in den Verfahren hierüber dem Waldeigentümer Parteistellung zu.

(...)

Fällungsbewilligung

§ 88. (1) Die Fällungsbewilligung ist zu erteilen, wenn der beantragten Fällung Bestimmungen dieses Bundesgesetzes nicht entgegenstehen.

(...)"

13 1.4. § 1 der Verordnung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft vom 12. Juli 1977 über die Behandlung und Nutzung der Schutzwälder - Schutzwaldverordnung, BGBl. Nr. 398/1977, lautet auszugsweise:

"§ 1. (1) Auf Schutzwälder finden die Bestimmungen des § 85 Abs. 1 lit. a und b sowie des § 86 Abs. 2 des Forstgesetzes 1975 mit der Maßgabe Anwendung, daß die Flächengröße mit 0,20 ha festgesetzt wird.

(2) § 85 Abs. 2 des Forstgesetzes 1975 findet auf Schutzwälder mit der Maßgabe Anwendung, daß die Überschirmung mit acht Zehntel festgesetzt wird.

(...)"

14 2. Die Revision ist aus den in der Zulassungsbegründung des angefochtenen Beschlusses dargelegten Überlegungen - denen sich der Revisionswerber anschließt - zulässig. Sie erweist sich auch als begründet.

15 3. Das Verwaltungsgericht ist im angefochtenen Beschluss davon ausgegangen, dass eine auf die Aarhus-Konvention gestützte Parteistellung des Revisionswerbers und damit dessen Beschwerdelegitimation im vorliegenden Fall deshalb zu verneinen sei, weil die Forstbehörde im Fällungsbewilligungsverfahren die FFH-RL nicht anzuwenden habe.

16 3.1. Gemäß Art. 132 Abs. 1 Z 1 B-VG kann gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.

17 Demnach können nur diejenigen natürlichen oder juristischen Personen eine solche Beeinträchtigung von Rechten mit Beschwerde bei einem Verwaltungsgericht geltend machen, denen in einem vorangegangenen Verwaltungsverfahren Parteistellung zukam oder zuerkannt wurde. Parteistellung im Verwaltungsverfahren und die Befugnis zur Beschwerdeerhebung an ein Verwaltungsgericht hängen nach der (innerstaatlichen) Rechtslage somit unmittelbar zusammen (vgl. VwGH 28.3.2018, Ra 2015/07/0055).

18 Nach § 87 ForstG kommt im Fällungsbewilligungsverfahren dem Waldeigentümer bzw. einem von diesem verschiedenen Verfügungsberechtigten Parteistellung zu. Eine ausdrückliche Zuerkennung der Parteistellung an eine Umweltorganisation als Formalpartei findet sich im ForstG nicht. Vor dem Hintergrund (bloß) der innerstaatlichen Rechtslage kam dem Revisionswerber daher keine Parteistellung zu.

19 3.2. Hinsichtlich einer aus der Aarhus-Konvention abgeleiteten Parteistellung einer Umweltorganisation ist dem Verwaltungsgericht (zunächst) darin zuzustimmen, dass Umweltorganisationen darauf beschränkt sind, im Verfahren die Beachtung der aus dem Unionsumweltrecht hervorgegangenen Rechtsvorschriften überprüfen zu lassen (vgl. VwGH 25.4.2019, Ra 2018/07/0380-0382, unter Bezugnahme auf EuGH 20.12.2017, C- 664/15).

20 Dem vorliegenden Fall liegt nun zugrunde, dass es sich bei der von der forstrechtlichen Fällungsbewilligung betroffenen Grundfläche um einen im Natura 2000-Gebiet Nationalpark Hohe Tauern gelegenen "Alpinen Lärchen- und/oder Arvenwald (Zirbenwald)", somit um einen natürlichen Lebensraumtyp von gemeinschaftlichem Interesse laut Anhang I Punkt 9420 der FFH-RL handelt.

21 Nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL erfordern Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Schutzgebietes in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die ein solches Gebiet jedoch einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen.

22 Eine derartige Verträglichkeitsprüfung ist für die verfahrensgegenständlichen Fällungen weder nach den Bestimmungen des S.NPG, welches keine diesbezügliche Bewilligungspflicht vorsieht, noch nach dem Salzburger Naturschutzgesetz 1999 (oder einer nach diesem Gesetz erlassenen Verordnung), welches im Gebiet des Nationalparks Hohe Tauern grundsätzlich nicht anzuwenden ist (vgl. § 3 Abs. 3 S.NPG), durchzuführen.

23 Die vorliegenden Fällungen waren vielmehr ausschließlich Gegenstand eines Bewilligungsverfahrens nach dem ForstG iVm der Schutzwaldverordnung. Eine Prüfung der Fällungen vor dem Hintergrund des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL sehen die hier maßgeblichen Bestimmungen des ForstG allerdings nicht vor, was bedeutet, dass nach der innerstaatlichen Rechtslage die hier gegenständlichen Fällungen trotz ihrer Situierung in einem natürlichen Lebensraumtyp von gemeinschaftlichem Interesse gemäß Anhang I der FFH-RL entgegen den Vorgaben des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL keiner Verträglichkeitsprüfung im Sinne dieser Bestimmung unterliegen. 24 3.3. Jedes im Rahmen seiner Zuständigkeit angerufene nationale Gericht als Organ des Mitgliedstaates ist verpflichtet, in Anwendung des in Art. 4 Abs. 3 EUV niedergelegten Grundsatzes der Zusammenarbeit das unmittelbar geltende Unionsrecht uneingeschränkt anzuwenden und die Rechte, die es den Einzelnen verleiht, zu schützen. Ist es nicht möglich, die volle Wirksamkeit des Unionsrechtes im Wege einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts sicherzustellen, so hat ein innerstaatliches Gericht für die volle Wirksamkeit dieser unionsrechtlichen Normen im Wege des Anwendungsvorranges Sorge zu tragen, indem es jede möglicherweise entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lässt. Ausgehend davon trifft die Verwaltungsgerichte und die Verwaltungsbehörden insbesondere die Verpflichtung, im Anwendungsbereich des Unionsrechts die einschlägigen Rechtsvorschriften der Union zu identifizieren und deren Sinn auch anhand der Rechtsprechung der Gerichte der Europäischen Union, insbesondere des EuGH, der letztlich zur Auslegung der Rechtsvorschriften der Europäischen Union zuständig ist (vgl. Art. 267 AEUV), zu erfassen (vgl. etwa VwGH 6.3.2019, Ro 2018/03/0031 ua., mwN).

25 Vor dem Hintergrund des Vorranges der gemeinschaftsrechtlichen FFH-RL und der sich daraus ergebenden Konsequenz, dass die Vereinbarkeit der forstrechtlichen Bestimmungen mit den Zielen und Vorgaben der FFH-RL gegeben sein muss (vgl. Pürgy, Natura 2000 (2005), 361), ging die Forstbehörde im vorliegenden Fall daher zutreffend davon aus, dass sie im Rahmen des von ihr zu führenden Bewilligungsverfahrens auch die Frage der Vereinbarkeit der beantragten Fällungen mit den Schutzgebieten der FFH-RL zu berücksichtigen habe (vgl. dazu VwGH 16.4.2004, 2001/10/0156 ua., VwSlg. 16.335 A, Pkt. 21.6.5.4. ff, sowie - zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 3 FFH-RL - EuGH 7.9.2004, C-127/02, Rz 70). 26 3.4. In seinem Urteil vom 20.12.2017, C 664/15, führte der EuGH zur Parteistellung einer Umweltorganisation auf Grundlage der Aarhus-Konvention Folgendes aus:

"38 Von den zuständigen nationalen Behörden im Rahmen von Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43 erlassene Entscheidungen, die sich u. a. auf die Richtigkeit der aus einer Prüfung der Umweltverträglichkeit eines Plans oder Projekts in einem Schutzgebiet in Bezug auf die Risiken des Projekts oder Plans für ein solches Gebiet gezogenen Schlussfolgerungen beziehen, fallen nämlich, unabhängig davon, ob sie selbständig oder in eine Genehmigungsentscheidung integriert sind, unter Art. 6 Abs. 1 Buchst. b des Übereinkommens von Aarhus und damit in den Anwendungsbereich von dessen Art. 9 Abs. 2. Denn sie implizieren, dass die zuständigen nationalen Behörden vor der Genehmigung einer Tätigkeit prüfen, ob diese unter den Umständen des Einzelfalls erhebliche Umweltauswirkungen haben können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. November 2016, Lesoochranarske zoskupenie VLK, C- 243/15, EU:C:2016:838, Rn. 56 und 57).

39 Eine Umweltorganisation wie Protect, die unter den Begriff 'betroffene Öffentlichkeit' im Sinne von Art. 2 Abs. 5 des Übereinkommens von Aarhus fällt, muss in einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht gemäß Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens die nationalen Rechtsvorschriften, die die Rechtsvorschriften der Union im Bereich der Umwelt umsetzen, u. a. die aus Art. 6 der Richtlinie 92/43 hervorgegangenen nationalen Rechtsvorschriften, sowie die unmittelbar anwendbaren Vorschriften des Umweltrechts der Union geltend machen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. November 2016, Lesoochranarske zoskupenie VLK, C-243/15, EU:C:2016:838 Rn. 59 und 60).

40 Hier sieht es aber so aus, als habe Protect im Bewilligungsverfahren zwar einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43 gerügt, den nach Abschluss des Verfahrens ergangenen Bewilligungsbescheid aber nur wegen Verstoßes gegen die der Umsetzung der Richtlinie 2000/60 dienenden nationalen Rechtsvorschriften angefochten, die vorangegangene, auf Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43 beruhende Entscheidung hingegen gelten lassen. Das vorlegende Gericht wird zu prüfen haben, ob dies tatsächlich der Fall ist.

41 Die zuständige nationale Behörde hatte mit der vorangegangenen Entscheidung auf der Grundlage einer Verträglichkeitsprüfung, die sie bei dem Vorhaben gemäß der Richtlinie 92/43 in Bezug auf das Schutzgebiet durchgeführt hatte, aber festgestellt, dass das Gebiet im Sinne von Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie als solches nicht beeinträchtigt werde. Dies könnte bedeuten, dass das Vorhaben im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Buchst. b des Übereinkommens von Aarhus keine erhebliche Auswirkung auf die Umwelt haben kann. Dann fiele die spätere wasserrechtliche Entscheidung nicht unter Art. 6 und damit insoweit auch nicht unter Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens.

42 Das setzt aber voraus, dass das vorlegende Gericht in der Lage ist, zu überprüfen, ob es tatsächlich ausgeschlossen ist, dass das Vorhaben erhebliche negative Auswirkungen auf den Zustand der Gewässer hat, um die es im Bewilligungsverfahren des Ausgangsverfahrens geht.

43 Nur wenn das vorlegende Gericht nach dieser Überprüfung zu dem Schluss gelangen sollte, dass erhebliche negative Auswirkungen auf den Zustand der betreffenden Gewässer ausgeschlossen sind, wäre für die Frage, ob im vorliegenden Fall eine Umweltorganisation wie Protect das Recht hat, einen Bescheid über die Bewilligung eines möglicherweise gegen die Verpflichtung aus Art. 4 der Richtlinie 2000/60, eine Verschlechterung des Zustands der Gewässer zu verhindern, verstoßenden Vorhabens anzufechten, Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus maßgeblich.

(...)

66 Protect hätte also nur dann ein Recht aus Art. 6 des Übereinkommens von Aarhus auf Beteiligung am Bewilligungsverfahren, um dort einen etwaigen Verstoß gegen Art. 4 der Richtlinie 2000/60 geltend zu machen, wenn das vorlegende Gericht nach der Überprüfung, die es nach den Ausführungen oben in den Rn. 41 bis 43 vorzunehmen hat, zu dem Schluss gelangen sollte, dass das Vorhaben, um das es im Ausgangsverfahren geht, im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Buchst. b dieses Übereinkommens eine erhebliche Auswirkung auf die Umwelt haben könnte, insbesondere auf den Zustand der betreffenden Gewässer.

67 Sollte das vorlegende Gericht hingegen zu dem Schluss gelangen, dass das Vorhaben, um das es im Ausgangsverfahren geht, keine erhebliche Auswirkung auf den Zustand der betreffenden Gewässer haben kann, stünde Protect nur das Recht auf Anfechtung gemäß Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus zu.

68 Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus als solcher verpflichtet die Mitgliedstaaten nicht, ein Recht auf Beteiligung - als Partei des Verfahrens - an einem Bewilligungsverfahren wie dem, um das es im Ausgangsverfahren geht, zu gewähren. Etwas anderes gilt, wenn nach dem einschlägigen nationalen Recht die Parteistellung eine zwingende Voraussetzung für die Erhebung einer Klage gegen die am Ende des Verwaltungsverfahrens ergehende Entscheidung ist.

69 Stellt das nationale Recht nämlich eine solche Verknüpfung zwischen der Stellung als Partei im Verwaltungsverfahren und dem Recht, bei einem Gericht einen Rechtsbehelf einzulegen, her, kann die Stellung als Partei nicht verwehrt werden. Sonst hätte dieses Recht keine praktische Wirksamkeit, ja wäre ausgehöhlt, was nicht mit Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus in Verbindung mit Art. 47 der Charta vereinbar wäre."

27 3.5. Daraus ergibt sich, dass der Revisionswerber daher sowohl im Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 2 Aarhus-Konvention (für den Fall der Bejahung potentiell erheblicher Auswirkungen auf die Umwelt) als auch des Abs. 3 leg.cit. (im Fall der Verneinung eines erheblichen Verstoßes gegen umweltbezogene Bestimmungen) - da nach der österreichischen Rechtsordnung eine Verknüpfung zwischen bestehender Parteistellung im verwaltungsbehördlichen Verfahren und dem Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz besteht - grundsätzlich ein Recht auf Teilnahme bereits am behördlichen Verfahren gehabt hätte (vgl. VwGH Ra 2015/07/0055) und das Verwaltungsgericht dessen Beschwerdelegitimation nicht mit der Begründung der mangelnden Anwendbarkeit der Aarhus-Konvention auf den vorliegenden Fall verneinen hätte dürfen.

28 Indem das Verwaltungsgericht dies verkannt hat, hat es den angefochtenen Beschluss mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

29 4. Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

30 Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf § 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 20. Dezember 2019

Gerichtsentscheidung

EuGH 62015CJ0664 Protect Natur-, Arten- und Landschaftschutz Umweltorganisation VORAB
EuGH 62002CJ0127 Waddenvereniging and Vogelsbeschermingvereniging VORAB

Schlagworte

Besondere RechtsgebieteGemeinschaftsrecht Anwendungsvorrang, partielle Nichtanwendung von innerstaatlichem Recht EURallg1Gemeinschaftsrecht Auslegung Allgemein EURallg3Gemeinschaftsrecht Auslegung des Mitgliedstaatenrechtes EURallg2Gemeinschaftsrecht Richtlinie richtlinienkonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts EURallg4/3Gemeinschaftsrecht Richtlinie unmittelbare Anwendung EURallg4/1Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2Parteibegriff Parteistellung strittige Rechtsnachfolger Zustellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RO2018100010.J00

Im RIS seit

18.02.2020

Zuletzt aktualisiert am

18.02.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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