TE Vwgh Beschluss 2020/1/7 Ra 2017/22/0215

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Veröffentlicht am 07.01.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht
60/04 Arbeitsrecht allgemein
62 Arbeitsmarktverwaltung

Norm

AuslBG §24
AVG §37
AVG §45 Abs2
B-VG Art133 Abs4
NAG 2005 §41 Abs2 Z4
NAG 2005 §41 Abs4
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §17

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, in der Revisionssache des M A P, vertreten durch Dr. Ladislav Margula, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Habsburgergasse 4/7, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 2. Oktober 2017, VGW-151/063/12309/2017-3, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

2.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis bestätigte das Verwaltungsgericht den Bescheid der belangten Behörde vom 22. Juni 2017, mit dem der Erstantrag des Revisionswerbers, eines Staatsangehörigen der USA, vom 9. März 2017 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte" gemäß § 41 Abs. 2 Z 4 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), in Verbindung mit § 24 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) in der fallbezogen noch anzuwendenden Fassung vor BGBl. I Nr. 66/2017 (vgl. § 34 Abs. 44 AuslBG ), abgewiesen worden war.

2.2. Das Verwaltungsgericht führte begründend im Wesentlichen aus, laut dem eingeholten Gutachten des Arbeitsmarktservice (AMS) vom 11. Mai 2017 komme der vom Revisionswerber beabsichtigten selbständigen Erwerbstätigkeit als Buchhändler kein gesamtwirtschaftlicher Nutzen im Sinn des § 24 AuslBG zu. Von einem solchen wäre (nur) dann auszugehen, wenn mit der Tätigkeit ein nachhaltiger Transfer von Investitionskapital und/oder die Schaffung bzw. Sicherung von Arbeitsplätzen verbunden wäre.

Vorliegend sei ein maßgeblicher Transfer von Investitionskapital vom Ausland nach Österreich im Rahmen der beabsichtigten Tätigkeit weder behauptet noch bescheinigt worden; der Revisionswerber habe vielmehr selbst eingeräumt, dass ein Geldfluss vom Ausland in das Bundesgebiet nicht zu erwarten sei. Eine Beschäftigung von Arbeitskräften sei ebenso nicht dargetan worden, habe doch der Revisionswerber angegeben, das Geschäft allein betreiben und die Buchführung bei seinen Firmen in Estland und Polen belassen zu wollen. Ein maßgeblicher Impuls für die österreichische Wirtschaft und damit ein gesamtwirtschaftlicher Nutzen sei daher nicht gegeben.

Die in der Beschwerde hervorgehobene "Wichtigkeit, Eigenartigkeit und besondere kulturelle Bedeutung des Buchhandels" stelle für sich allein kein relevantes Kriterium für die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels dar.

Der Revisionswerber sei daher nicht als "selbständige Schlüsselkraft" im Sinn des § 24 AuslBG zu erachten. Der beantragte Aufenthaltstitel sei mangels Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen zu versagen.

2.3. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die Revision nicht zulässig sei.

3. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die außerordentliche Revision, in der keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufgezeigt wird.

4.1. Der Revisionswerber macht geltend, die beabsichtigte Tätigkeit als Buchhändler falle in den Kreativleistungssektor. Es fehle Rechtsprechung, ob auch in diesem Bereich bei der Beurteilung des gesamtwirtschaftlichen Nutzens auf den Transfer von Investitionskapital und/oder die Schaffung bzw. Sicherung von Arbeitsplätzen abzustellen sei. Richtiger Weise seien die genannten Kriterien für den Kreativleistungssektor zu eng; bei derartigen Leistungen seien die Wertschöpfungsgesichtspunkte "als offen zu bewerten" und bedürfe es daher weder eines Transfers von Investitionskapital noch der Schaffung bzw. Sicherung von Arbeitsplätzen.

4.2. Voranzustellen ist, dass zwar laut § 41 Abs. 4 zweiter Satz NAG bei Vorliegen eines negativen Gutachtens im Sinn des § 24 AuslBG der Antrag auf Erteilung einer "Rot-Weiß-Rot - Karte" abzuweisen ist. Dies bedeutet aber nicht, dass ein solches Gutachten nicht durch den Antragsteller entkräftet oder widerlegt werden könnte oder die Behörde bzw. das Verwaltungsgericht an ein unschlüssiges Gutachten gebunden wäre (vgl. VwGH 9.8.2018, Ra 2016/22/0104).

Vorliegend kann jedoch - wie im Folgenden zu zeigen sein wird - eine Entkräftung oder Widerlegung durch den Revisionswerber oder eine (auch von Amts wegen wahrzunehmende) Unschlüssigkeit des Gutachtens des AMS nicht erkannt werden.

4.3. Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertritt, ergibt sich aus § 24 AuslBG, dass für die Beurteilung, ob eine beabsichtigte selbständige Tätigkeit zur Stellung als Schlüsselkraft führt, der gesamtwirtschaftliche Nutzen der Erwerbstätigkeit maßgeblich ist. Bei der Beurteilung, ob ein derartiger gesamtwirtschaftlicher Nutzen vorliegt, ist insbesondere zu berücksichtigen, ob mit der selbständigen Erwerbstätigkeit ein Transfer von Investitionskapital verbunden ist und/oder ob die Erwerbstätigkeit der Schaffung von neuen oder der Sicherung von gefährdeten Arbeitsplätzen dient. Der Gesetzgeber stellt also darauf ab, ob ein zusätzlicher Impuls für die Wirtschaft zu erwarten ist (vgl. VwGH 21.3.2017, Ra 2017/22/0027; 17.4.2013, 2010/22/0204).

Für den erforderlichen gesamtwirtschaftlichen Nutzen bzw. zusätzlichen wirtschaftlichen Impuls genügt - entgegen der Argumentation des Revisionswerbers - nicht schon das (bloße) Vorliegen menschlicher Kreativität (im Sinn des Bestehens einschlägiger Kenntnisse und Fähigkeiten). Diese wird zwar regelmäßig Voraussetzung für die Erzielung eines gesamtwirtschaftlichen Nutzens bzw. eines zusätzlichen wirtschaftlichen Impulses sein, sie selbst stellt aber einen solchen (noch) nicht dar. Vielmehr muss ein solcher (durch sie hervorgerufener) gesamtwirtschaftlicher Nutzen bzw. zusätzlicher wirtschaftlicher Impuls erst materiell in Erscheinung treten, was insbesondere in Gestalt eines Transfers von Investitionskapital aus dem Ausland nach Österreich und/oder der Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen zu geschehen hat.

4.4. Davon ausgehend stellte das AMS in seinem Gutachten - im Einklang mit der Gesetzeslage und der Rechtsprechung - darauf ab, ob mit der vom Revisionswerber beabsichtigten Tätigkeit als Buchhändler - ob es sich dabei (wie vom Revisionswerber behauptet) um eine Tätigkeit im "Kreativleistungssektor" handle, ist ohne Belang - ein nachhaltiger Transfer von Investitionskapital und/oder die Schaffung bzw. Sicherung von Arbeitsplätzen verbunden sei. Da dies unstrittig nicht der Fall war, kam das AMS zum Ergebnis, dass ein maßgeblicher Impuls für die österreichische Wirtschaft und damit ein gesamtwirtschaftlicher Nutzen nicht gegeben sei.

Das Gutachten des AMS wies freilich keine Widersprüchlichkeit bzw. Unschlüssigkeit auf, sodass sich das Verwaltungsgericht der diesbezüglichen Beurteilung anschließen konnte.

5.1. Der Revisionswerber macht weiters geltend, das Gutachten des AMS lasse außer Acht, dass der internetgesteuerte globale Versandhandel zur Freisetzung von Arbeitskräften im traditionellen Buchhandel führe. Die beabsichtigte Tätigkeit würde einen potenziellen Beitrag leisten, um die im Buchhandel gefährdeten Arbeitsplätze zu sichern.

5.2. In einem Verfahren betreffend die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 41 Abs 2 Z 4 NAG ist im Fall einer erst jüngst aufgenommenen (oder noch aufzunehmenden) Tätigkeit eine Prognoseentscheidung zu treffen, wobei es dem Antragsteller obliegt, entsprechende Unterlagen vorzulegen, die eine realistische Abschätzung der zukünftigen Unternehmensentwicklung zulassen (vgl. VwGH 10.5.2016, Ra 2016/22/0023).

Vorliegend hat der Revisionswerber eine aktuelle bzw. auch künftige Beschäftigung von Arbeitskräften nicht dargetan, wollte er doch nach seinen Angaben das Geschäft allein als selbständiger Unternehmer betreiben. Im Hinblick darauf gelangte das Verwaltungsgericht - auf jedenfalls nicht unvertretbare Weise - zur Überzeugung, dass auch insofern ein maßgeblicher Impuls für die österreichische Wirtschaft und damit ein gesamtwirtschaftlicher Nutzen nicht gegeben sei.

6. Insgesamt werden daher in der - für die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision allein maßgeblichen - gesonderten Zulässigkeitsbegründung (vgl. VwGH 21.3.2017, Ra 2015/22/0147) keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

Die Revision war deshalb gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 7. Jänner 2020

Schlagworte

freie BeweiswürdigungSachverhalt Sachverhaltsfeststellung Materielle Wahrheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2017220215.L00

Im RIS seit

18.02.2020

Zuletzt aktualisiert am

18.02.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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