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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AVG §58 Abs2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens und den Hofrat Dr. Pürgy sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Juli 2019, Zl. W264 2125839-2/9E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (mitbeteiligte Partei: B A in W, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Jordangasse 7/4), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 1. März 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Mit Bescheid vom 29. März 2016 wurde dieser Antrag vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) abgewiesen. Aufgrund einer dagegen erhobenen Beschwerde erteilte ihm das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 4. Oktober 2017 den Status des subsidiär Schutzberechtigten. Es wurde eine befristete Aufenthaltsbewilligung bis zum 3. Oktober 2018 erteilt. 2 Die mitbeteiligte Partei stellte am 12. August 2018 einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung. Mit Bescheid vom 9. Oktober 2018 erkannte das BFA ihr den Status des subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkt I), wies den Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ab (Spruchpunkt II), erteilte keinen Aufenthaltstitel aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 56 AsylG 2005 (Spruchpunkt III) sowie keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt IV). Es erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt V) und stellte fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt VI). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen festgelegt (Spruchpunkt VII).
3 Dagegen wurde von der mitbeteiligten Partei fristgerecht Beschwerde an das BVwG erhoben.
4 Mit Erkenntnis vom 24. Juli 2019 gab das BVwG nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung der Beschwerde statt und behob ersatzlos sämtliche Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides.
5 In Erledigung der Beschwerde gegen die Spruchpunkte III., IV. und V. wurde festgestellt, dass gemäß § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan auf Dauer unzulässig sei, und ein Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt werde.
6 Begründend führte das BVwG aus, dass der mitbeteiligten Partei keine individuelle Gefährdung im Herkunftsstaat drohe. Auch aus der allgemeinen Lage in Afghanistan lasse sich eine Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten nicht herleiten. Es stünde eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar-e Sharif und Herat zur Verfügung.
7 Zur Aufenthaltsberechtigung plus führte das BVwG aus, dass eine umfassende Integration der mitbeteiligten Partei erfolgt sei. Eine Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.
8 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Amtsrevision, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, das BVwG wäre von (näher bezeichneter) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofs abgewichen. Bestehe ein unlösbarerer Widerspruch zwischen Spruch und Begründung eines Erkenntnisses, so sei dies nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofs rechtswidrig. Rechtswidrig sei ein Erkenntnis auch dann, wenn der Spruch nicht begründet werde. Mit Spruchpunkt I. des Bescheides sei der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt worden; dass die Gründe für die Aberkennung nicht vorliegen würden, sei dem angefochtenen Erkenntnis aber nicht zu entnehmen. Auch die Behebung des Spruchpunktes II. (Abweisung des Verlängerungsantrages) begründe das BVwG nicht. Auch die Ausführungen des BVwG hinsichtlich der Aufenthaltstitel gemäß §§ 56 und 57 AsylG 2005 stehe in unlösbarem Widerspruch zum angefochtenen Erkenntnis, mit dem dieser Spruchpunkt ersatzlos behoben wurde. Der Spruchpunkt des Bescheides zur Aberkennung von subsidiärem Schutz sei ersatzlos behoben worden; daher sei der Mitbeteiligte bei Erlassung des Erkenntnisses subsidiär schutzberechtigt gewesen. Die Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung seien somit nicht vorgelegen. Aus demselben Grund würden auch die Voraussetzungen für die Feststellung der Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung sowie der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG nicht vorliegen.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senats erwogen:
10 Die Revision ist zulässig und begründet.
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. VwGH 21.10.2014, Ro 2014/03/0076; 20.5.2015, Ra 2015/20/0067, mwN).
12 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erweist sich eine Entscheidung als mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet, wenn Spruch und Begründung einer Entscheidung zueinander im Widerspruch stehen, sofern sich der vorliegende Widerspruch nicht als bloß terminologische Abweichung darstellt, deren Wirkung sich im Sprachlichen erschöpft (vgl. etwa VwGH 13.12.2018, Ra 2018/09/0189, mwN).
13 Im Spruch des Erkenntnisses hat das BVwG ausgesprochen, dass sämtliche Spruchpunkte, inklusive der Spruchpunkte I und II, ersatzlos behoben werden. Damit wurde auch die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten aufgehoben. In der Begründung führte das BVwG demgegenüber aus, dass dem Mitbeteiligten eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar-e Sharif und Herat möglich sei und wies die Beschwerde "gegen Spruchpunkt II." als unbegründet ab. Das BVwG ging daher in seiner rechtlichen Beurteilung davon aus, dass dem Mitbeteiligten der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zukommen solle. 14 Spruchpunkt I., der tatsächlich die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten betraf, findet keine Erwähnung in der rechtlichen Beurteilung im Erkenntnis, weil das BVwG offenkundig annahm, dass Spruchpunkt I. die Nichtgewährung des Status des Asylberechtigten durch den Bescheid vom 29. März 2016 betraf. Für die Behebung des Spruchpunktes I. fehlt daher überhaupt jegliche Begründung im Erkenntnis.
15 Wie die Amtsrevision richtig aufzeigt, liegt damit ein unlösbarer Widerspruch zwischen Spruch und Begründung vor bzw. fehlt eine Begründung für die Aufhebung der Spruchpunkte I. und II..
16 Die Amtsrevision ist aber auch im Hinblick auf die Ausführungen des BVwG hinsichtlich der Aufenthaltstitel gemäß §§ 56 und 57 AsylG 2005 im Recht. Durch die ersatzlose Behebung des Spruchpunktes I. durch das Erkenntnis des BVwG ist der Mitbeteiligte weiterhin subsidiär schutzberechtigt gewesen. Es lagen daher weder die Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung bzw. die Feststellung der Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung vor, noch jene für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005.
17 Nach dem Gesagten ist das angefochtene Erkenntnis sowohl mit inhaltlicher als auch mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet. Es war daher wegen prävalierender inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 9. Jänner 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019190363.L00Im RIS seit
13.02.2020Zuletzt aktualisiert am
13.02.2020