TE Vwgh Erkenntnis 2020/1/16 Ra 2019/21/0360

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Veröffentlicht am 16.01.2020
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht
41/02 Staatsbürgerschaft

Norm

AVG §56
AVG §58 Abs2
AVG §60
BFA-VG 2014 §18 Abs2 Z1
BFA-VG 2014 §18 Abs3
B-VG Art133 Abs6 Z1
FrÄG 2011
FrPolG 2005 §67
FrPolG 2005 §67 Abs1
FrPolG 2005 §70 Abs1
FrPolG 2005 §70 Abs3 idF 2011/I/038
FrPolG 2005 §86 Abs3
VwGG §26 Abs1 Z1
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §29
VwGVG 2014 §29 Abs4
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des H C A, in W, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das am 1. Oktober 2019 mündlich verkündete Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, I409 2132250- 2/6Z, betreffend Aberkennung der aufschiebenden Wirkung für die Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein nigerianischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner Einreise in Österreich am 7. Februar 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2 In der Folge wurde er straffällig und zunächst mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 14. August 2014 wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall und Abs. 3 SMG (gewerbsmäßiges Überlassen von Suchtgift an einen anderen) zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten (davon sechs Monate bedingt nachgesehen) rechtskräftig verurteilt. Der unbedingte Teil der Freiheitsstrafe wurde bis zum 29. September 2014 vollzogen. Ungeachtet dessen wurde der Revisionswerber rückfällig und es wurde deshalb über ihn mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 5. März 2015 wegen desselben, in Form des Versuchs begangenen Deliktes nach § 15 StGB, § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall und Abs. 3 SMG eine unbedingte Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verhängt. Unter einem wurde die Probezeit der ersten Verurteilung auf fünf Jahre verlängert. Aus dem Vollzug der Freiheitsstrafe wurde der Revisionswerber am 3. Oktober 2015 unter Festsetzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt entlassen. 3 Mit Bescheid vom 19. Juli 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) sodann den vom Revisionswerber gestellten Antrag auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkte I. und II.). Unter einem sprach das BFA (von Amts wegen) aus, dass dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde. Des Weiteren erließ das BFA gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt III.). Außerdem erließ das BFA gegen den Revisionswerber gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG noch ein mit vier Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt IV.). Schließlich sprach das BFA aus, dass einer Beschwerde "gegen diese Entscheidung über Ihren Antrag auf internationalen Schutz" gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt werde (Spruchpunkt V.), gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI.) und dass der Revisionswerber gemäß § 13 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 sein Recht zum Aufenthalt ab dem 14. August 2014 verloren habe (Spruchpunkt VII.).

4 Der Revisionswerber ist seit 7. November 2016 mit einer österreichischen Staatsbürgerin, die er im Februar 2016 kennen gelernt hatte, verheiratet. Im Hinblick darauf, dass seine Ehefrau in der Vergangenheit durch die Ausübung einer Beschäftigung in Deutschland ihr unionsrechtliches Freizügigkeitsrecht in Anspruch genommen hatte, stellte der Revisionswerber am 9. Februar 2018 bei der Niederlassungsbehörde einen Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte. Über diesen Antrag wurde bisher deshalb nicht entschieden, weil die Niederlassungsbehörde das BFA gemäß § 55 Abs. 3 NAG mit der Frage einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasste.

5 Gegen den in Rn. 3 dargestellten Bescheid hatte der Revisionswerber eine Beschwerde eingebracht, der das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nicht die aufschiebende Wirkung zuerkannte. Über diese Beschwerde verhandelte das BVwG am 4. Oktober 2016 und am 21. Juni 2018. In der zweiten Verhandlung zog der Revisionswerber - so sein Vorbringen - die Beschwerde, soweit sie sich gegen die Spruchpunkte I. und II. des Bescheides des BFA vom 19. Juli 2016 richtete, zurück. Eine Entscheidung des BVwG über den verbleibenden Teil der Beschwerde, insbesondere in Bezug auf die Rückkehrentscheidung und das damit verbundene Einreiseverbot, ist nach der Aktenlage bisher nicht ergangen. 6 Allerdings erließ das BFA dann den Bescheid vom 5. August 2019, mit dem es über den Revisionswerber gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein für die Dauer von vier Jahren befristetes Aufenthaltsverbot verhängte (Spruchpunkt I.). Unter einem sprach das BFA aus, dass gemäß § 70 Abs. 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde gegen das Aufenthaltsverbot gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt werde (Spruchpunkt III.). 7 In der Begründung ging das BFA davon aus, der Revisionswerber habe im Hinblick auf die Ehe mit einer "freizügigkeitsberechtigten" österreichischen Staatsbürgerin die "Eigenschaft als begünstigter Drittstaatsangehöriger" erlangt, sodass die mit Bescheid vom 19. Juli 2016 erlassene Rückkehrentscheidung gegenstandslos geworden und damit dem Einreiseverbot die Grundlage entzogen worden sei (Hinweis auf VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0151). Jedoch stelle der Revisionswerber aufgrund seiner "Verurteilungen" und seines "Verhaltens seither" weiterhin eine "Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit" dar. Diesbezüglich bezog sich das BFA dann auf die in Rn. 2 angeführten Urteile - ohne jedoch zu den ihnen zugrundeliegenden Straftaten nähere Feststellungen zu treffen - und folgerte, der weitere Aufenthalt des Revisionswerbers stelle eine "schwerwiegende und erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung" dar. Aufgrund "ihrer Historie und der Anzahl der Verurteilungen", die "allesamt" auf der gleichen schädlichen Neigung beruhten, und aufgrund der "desolaten finanziellen Situation des Revisionswerbers (keine Erwerbstätigkeit, kein Einkommen in Österreich)" sei "mit einer Fortsetzung bzw. Wiederholung des bisherigen Verhaltens zu rechnen". Der Revisionswerber habe bisher seinen Lebensunterhalt "offenkundig mit Suchtmitteln bestritten". Dass sein Verhalten eine "schwerwiegende, erhebliche und vor allem nachhaltige Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit" darstelle, ergebe sich "zwingend aus der Summe seines Fehlverhaltens und der Umstände seiner bisherigen Lebensführung", wobei dann noch darauf verwiesen wurde, dass die dem Revisionswerber zur Last liegende Suchtgiftdelinquenz ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstelle, an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse bestehe.

8 Im Wesentlichen inhaltsgleich argumentierte das BFA dann auch bei der Begründung der auf § 18 Abs. 3 BFA-VG gestützten Aberkennung der aufschiebenden Wirkung für eine Beschwerde. Die sofortige Ausreise des Revisionswerbers und die sofortige Durchsetzbarkeit des Aufenthaltsverbotes seien im Interesse der öffentlichen Ordnung erforderlich, weil der Revisionswerber "immer wieder im Bereich der Suchtmitteldelikte straffällig" werde und deshalb bereits zweimal rechtskräftig verurteilt worden sei. Er verfüge "offenkundig" über keine ausreichenden Existenzmittel und verdiene seinen Unterhalt "offenkundig" mit strafbaren Handlungen "im Suchtmittelmilieu". Die wirtschaftliche Situation sei "dergestalt", dass der Revisionswerber auch in Zukunft ähnliches Fehlverhalten setzen werde bzw. setzen müsse, um "über die Runden zu kommen". Es liege somit "ganz klare Wiederholungsgefahr" vor. Im Übrigen habe der Revisionswerber gegenüber den Behörden "Täuschungs- und Umgehungshandlungen gesetzt", indem er zum Beispiel im Asylverfahren falsche Angaben zu seiner angeblichen Homosexualität gemacht habe. Der Revisionswerber sei nicht ausreisewillig und müsse daher abgeschoben werden. Die sofortige Umsetzung des Aufenthaltsverbotes sei somit geboten, weil der Revisionswerber durch sein "oben geschildertes Verhalten" die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde, wobei dadurch ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt werde.

9 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber mit Schriftsatz vom 3. September 2019 Beschwerde, in der er vorrangig die unterlassene Einräumung von Parteiengehör vor Erlassung des Aufenthaltsverbotes geltend machte. Insbesondere hätte er zur vom BFA unterstellten schlechten wirtschaftlichen Situation vorgebracht, dass seine Ehefrau mit einem Nettoeinkommen von etwa 1.600,- EUR beschäftigt sei und damit den Lebensunterhalt für sich und den Revisionswerber bestreite; zum Nachweis dafür wurden mit der Beschwerde entsprechende Gehaltsabrechnungen vorgelegt. In diesem Zusammenhang verwies der Revisionswerber auch darauf, dass er - für den Fall der Ausstellung der Aufenthaltskarte - mittlerweile eine Arbeitsstelle gefunden habe, wozu er eine Einstellungszusage vorlegte. Im Übrigen habe er den Antrag auf internationalen Schutz nicht rechtsmissbräuchlich gestellt. Das Aufenthaltsverbot sei außerdem schon deshalb zu Unrecht verhängt worden, weil dessen Erlassung nach § 67 Abs. 1 FPG vorausgesetzt hätte, dass das persönliche Verhalten des Revisionswerbers eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Eine solche Gefährdungsprognose hätte nähere Feststellungen zu den strafgerichtlichen Verurteilungen, die allein kein Aufenthaltsverbot begründen könnten, erfordert, die das BFA jedoch nicht getroffen habe. In diesem Zusammenhang habe das BFA im Übrigen auch das Wohlverhalten des Revisionswerbers, nunmehr über einen Zeitraum von vier Jahren, und das "Eingebunden-Sein in eine Ehe" bei der Beurteilung der Wiederholungsgefahr außer Acht gelassen.

10 In der Beschwerde beantragte der Revisionswerber abschließend die "Vorab-Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung", weil deren Aberkennung nur bei - hier nicht gegebenen - "schwersten Gefährdungen der öffentlichen Ordnung" gerechtfertigt sei. Die Beschwerde langte bei der Außenstelle Innsbruck des BVwG am 16. September 2019 ein. Am 19. September 2019 stellte der Revisionswerber an das BVwG das Ersuchen "um dringende Beschlussfassung zur aufschiebenden Wirkung" und brachte dann am 25. September 2019 einen Fristsetzungsantrag ein.

11 Das BVwG führte sodann über die Beschwerde am 1. Oktober 2019 eine mündliche Verhandlung durch. An deren Ende verkündete der Richter das vorliegend angefochtene Erkenntnis, mit dem die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des Bescheides des BFA vom 5. August 2019 als unbegründet abgewiesen wurde. Des Weiteren wurde gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ausgesprochen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. Mit Schriftsatz vom 4. Oktober 2019 stellte der Revisionswerber den (fristgerechten) Antrag auf schriftliche Ausfertigung dieser Entscheidung, dem - nach der Aktenlage - bisher nicht entsprochen wurde. 12 Gegen dieses mündlich verkündete Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen hat:

13 Die Revision erweist sich - entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG - aus den nachstehend angeführten Gründen unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als zulässig; sie ist auch berechtigt. 14 Das gegen den Revisionswerber erlassene Aufenthaltsverbot wurde vom BFA wegen dessen (unbestrittener) Stellung als begünstigter Drittstaatsangehöriger auf § 67 FPG gegründet. Nach dessen Abs. 1 kann (unter anderem) gegen einen begünstigten Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

15 Es ist ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes,

dass bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. etwa VwGH 26.6.2019, Ra 2019/21/0131, Rn. 8, mwN). 16 Gemäß § 70 Abs. 1 FPG wird ein Aufenthaltsverbot spätestens mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar; der hiervon betroffene Fremde hat unmittelbar nach Eintritt der Durchsetzbarkeit des Aufenthaltsverbotes auszureisen. Es ist ihm jedoch gemäß § 70 Abs. 3 FPG von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich. Unter (im Wesentlichen) denselben Voraussetzungen, nämlich wenn deren sofortige Ausreise oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist, kann gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG (unter anderem) bei begünstigten Drittstaatsangehörigen die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot aberkannt werden. 17 Der Verwaltungsgerichtshof judizierte schon zur inhaltsgleichen Vorgängerregelung des § 70 Abs. 3 FPG, nämlich § 86 Abs. 3 FPG in der bis zum Inkrafttreten des FrÄG 2011 am 1. Juli 2011 geltenden Stammfassung, in ständiger Rechtsprechung, dass die ausnahmsweise Nichtgewährung des einem Fremden zustehenden Durchsetzungsaufschubes einer besonderen, über die schon für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Erwägungen hinausgehenden Begründung bedürfe, verlange doch die Versagung des Durchsetzungsaufschubes die nachvollziehbare Prognose, der Aufenthalt des Fremden für ein (weiteres) Monat gefährde die öffentliche Ordnung oder Sicherheit (vgl. etwa VwGH 31.3.2008, 2008/21/0127, mwN). Allgemein auf die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung Bezug nehmende Überlegungen, die schon bei der Entscheidung über die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes anzustellen seien, vermögen die Begründung für die Versagung eines Durchsetzungsaufschubes daher keinesfalls zu ersetzen (siehe VwGH 23.10.2008, 2008/21/0325, mwN). Unter Bezugnahme auf diese Judikatur, die auch für die aktuelle Rechtslage gelte, wiederholte der Verwaltungsgerichtshof dann auch in Bezug auf § 70 Abs. 3 FPG (in der seit 1. Juli 2011 unverändert geltenden Fassung des FrÄG 2011), dass Überlegungen, die schon bei der Entscheidung über die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes anzustellen seien, die Begründung für die Versagung eines Durchsetzungsaufschubes keinesfalls zu ersetzen vermögen (siehe VwGH 12.9.2013, 2013/21/0094).

18 Davon ging der Verwaltungsgerichtshof auch bei seiner zu § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG ergangenen Entscheidung VwGH 4.4.2019, Ra 2019/21/0053, aus. Nach dieser Bestimmung ist die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung vom BFA abzuerkennen, wenn - wie bei der Versagung eines Durchsetzungsaufschubs nach § 70 Abs. 3 FPG - die sofortige Ausreise des Drittstaatsangehörigen im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist. Dem Vorbringen in der dort erhobenen Amtsrevision, dem Wortlaut des Gesetzes sei die Notwendigkeit des Vorliegens besonderer Umstände für die Annahme der Erforderlichkeit einer sofortigen Ausreise nicht zu entnehmen, hielt der Verwaltungsgerichtshof seine ständige Rechtsprechung zur Begründung der Notwendigkeit einer sofortigen Ausreise eines Fremden entgegen. Unter Bezugnahme auf das in der vorstehenden Rn. angeführte Erkenntnis VwGH 12.9.2013, 2013/21/0094, betonte er einmal mehr, es genüge dafür nicht, auf eine - die Aufenthaltsbeendigung als solche rechtfertigende - Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Fremden zu verweisen, sondern es sei darüber hinaus darzutun, warum die Aufenthaltsbeendigung sofort - ohne Aufschub und unabhängig vom Ergebnis des Beschwerdeverfahrens - zu erfolgen habe. Dazu sei es nicht ausreichend, jene Überlegungen ins Treffen zu führen, die schon bei der Entscheidung über die Verhängung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme selbst maßgeblich gewesen seien. 19 Diese Ausführungen gelten sinngemäß auch für die unter den (im Wesentlichen) inhaltsgleichen Voraussetzungen gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG mögliche Aberkennung der aufschiebenden Wirkung in Bezug auf die Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot. Es bedarf daher einer über die Erwägungen für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes nach § 67 FPG hinausgehenden besonderen Begründung, weshalb die Annahme gerechtfertigt ist, der weitere Aufenthalt des Fremden während der Dauer des Beschwerdeverfahrens gefährde die öffentliche Ordnung oder Sicherheit derart, dass die sofortige Ausreise bzw. Abschiebung des Fremden schon nach Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides - ohne Aufschub und unabhängig vom Ergebnis des Beschwerdeverfahrens - erforderlich ist.

20 Mit der mündlichen Verkündung wird die Entscheidung unabhängig von der in § 29 Abs. 4 VwGVG geforderten Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung rechtlich existent und kann daher - wie im vorliegenden Fall geschehen - bereits nach der mündlichen Verkündung mit Revision angefochten werden. Das bloß mündlich verkündete Erkenntnis ist dann an seinem aus der niederschriftlichen Beurkundung hervorgehenden Inhalt zu messen (vgl. etwa VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0191, Rn. 13, mwN). 21 Die somit für das gegenständliche Verfahren maßgebliche, in der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 1. Oktober 2019 protokollierte Begründung der vorliegend bekämpften Entscheidung lautet (RI = Richter;

BF = Beschwerdeführer bzw. Revisionswerber):

"Der RI legt die Entscheidungsgründe dar und verweist insbesondere auf sein prozessuales Verhalten im Asylverfahren sowie auf die zwei Verurteilungen des BF nach dem SMG, die für seine Rückfallsneigung sprechen. Der belangten Behörde kann daher nicht entgegengetreten werden, wenn sie die sofortige Ausreise des BF im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit für erforderlich hielt. Daher kann es dem BF auch zugemutet werden, den Ausgang dieses Beschwerdeverfahrens im Ausland abzuwarten."

22 Dass diese Begründung, selbst unter Einbeziehung der offenbar für zutreffend erachteten diesbezüglichen Überlegungen des BFA (siehe oben Rn. 8), den in Rn. 19 dargestellten Anforderungen nicht genügt, ist schon deshalb evident, weil sie sich auf eine (rudimentäre) Wiederholung der für das Aufenthaltsverbot maßgeblichen Gründe beschränkt. Das macht die Revision zutreffend geltend. Darüber hinaus ist die Begründung auch deshalb mangelhaft, weil bei der Annahme einer "Rückfallsneigung" des Revisionswerbers auf das Beschwerdevorbringen zum Bestehen ausreichender Unterhaltsmittel durch das (belegte) Einkommen seiner Ehefrau und zum in strafrechtlicher Hinsicht bestehenden Wohlverhalten seit der letzten Tat (laut Strafregisterauskunft: am 3. Februar 2015) von mehr als viereinhalb Jahren vom BVwG nicht eingegangen wurde. Angesichts dessen ist nicht zu sehen, dass nunmehr die sofortige Ausreise des Revisionswerbers und das Abwarten des restlichen Beschwerdeverfahrens im Herkunftsstaat erforderlich sein sollen. Es fehlt nämlich eine nachvollziehbare Begründung dafür, dass das BFA, das Mitte 2016 die Erlassung eines mit vier Jahren befristeten Einreiseverbotes (samt Rückkehrentscheidung) für gerechtfertigt erachtete, dann Mitte 2019 - trotz der mittlerweile eingegangenen Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin und des erwähnten Wohlverhaltens sowie des Ablaufs aller Probezeiten - ein Aufenthaltsverbot mit derselben Dauer und überdies die sofortige Ausreise des Revisionswerbers vor Abschluss des Beschwerdeverfahrens für erforderlich ansah, obwohl schon die seinerzeit erlassene durchführbare Rückkehrentscheidung nicht effektuiert und mit der Erlassung des gegenständlichen Aufenthaltsverbotes bis Mitte 2019 zugewartet wurde. 23 Im Übrigen wird in der Revision auch noch zutreffend gerügt, dass es, und zwar auch schon vom BFA, unterlassen wurde, im Sinne der in Rn. 15 dargestellten Rechtsprechung nähere Feststellungen zu den den beiden Verurteilungen des Revisionswerbers zugrunde liegenden Straftaten zu treffen, was die Nachvollziehbarkeit der für die Annahme der Notwendigkeit einer sofortigen Ausreise erforderlichen spezifischen Gefährdungsprognose noch weiter beeinträchtigt. Diesbezüglich hilft es auch nicht, das "prozessuale Verhalten im Asylverfahren" ins Treffen zu führen, weil die damit offenbar angesprochene (teilweise) Zurückziehung der Beschwerde nicht per se auf eine missbräuchliche Stellung des Antrags auf internationalen Schutz schließen lässt.

24 Aus all diesen Gründen ist das angefochtene, im Widerspruch zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stehende Erkenntnis mit (vorrangiger) Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Es war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben. 25 Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 16. Jänner 2020

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher VerfahrensmangelBesondere RechtsgebieteIndividuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019210360.L00

Im RIS seit

11.02.2020

Zuletzt aktualisiert am

11.02.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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