Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Außerstreitsache des Antragstellers Dr. med. univ. E*, vertreten durch Dr. Heinz-Peter Wachter, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Antragsgegnerin R*, vertreten durch Nada Sleiman, Rechtsanwältin in Essen, wegen Anerkennung einer ausländischen Entscheidung über die Ehescheidung, über den Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 13. Februar 2018, GZ 43 R 41/18z-24, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 20. September 2017, GZ 96 FAM 24/17k-11, mit der Maßgabe bestätigt wurde, dass der Antrag nicht zurück-, sondern abgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
I. Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben, die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Verfahrens dritter Instanz sind weitere Verfahrenskosten.
II. Die Revisionsrekursbeantwortung der Antragsgegnerin wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Der Antragsteller beantragte am 24. 5. 2017 beim Erstgericht die Anerkennung der am 14. 7. 2016 vor dem Familiengericht Nord-Riad im Königreich Saudiarabien erfolgten Scheidung der zwischen ihm und der Antragsgegnerin am 17. 3. 2009 vor dem Amtsgericht für Sicherheiten und Ehen in Riad, Königreich Saudiarabien, geschlossenen Ehe. Der gewöhnliche Aufenthalt beider Parteien während des Scheidungsverfahrens sei in Deutschland und Saudiarabien gelegen.
Die Antragsgegnerin sprach sich gegen den Antrag aus. Das Verfahren in Österreich sei wegen eines in Deutschland vor dem Thüringer Oberlandesgericht anhängigen Verfahrens auf Anerkennung derselben Scheidung unzulässig. Die ausländische Scheidung sei darüber hinaus nicht anzuerkennen, weil die Parteien seit dem Jahr 2009 ihren Wohnsitz in Deutschland hätten, weshalb Deutschland für die Scheidung international zuständig gewesen sei. Darüber hinaus seien Scheidungen nach der Scharia in der Europäischen Union nicht anzuerkennen.
Mit Schriftsatz vom 9. 3. 2018 legte die Antragsgegnerin den Bescheid des Präsidenten des Thüringer Oberlandesgerichts vom 27. 2. 2018 zu * vor, mit dem der Antrag des (auch hier) Antragstellers auf Anerkennung der auch im vorliegenden Verfahren gegenständlichen Ehescheidung abgelehnt wurde.
Nach dem übereinstimmenden Parteienvorbringen und den Feststellungen der Vorinstanzen war der Antragsteller zum Zeitpunkt der Ehescheidung österreichischer Staatsbürger, die Antragsgegnerin jordanische Staatsangehörige. Die Scheidung erfolgte durch erstmals am 14. 7. 2016 vorgenommenen einseitigen Ausspruch der Scheidungsformel durch den Antragsteller. Der Antragsteller leitete das Verfahren über die Anerkennung dieser Ehescheidung beim Thüringer Oberlandesgericht zu einem nicht festgestellten Zeitpunkt vor dem 1. 3. 2017 ein.
Das Erstgericht wies den Antrag wegen internationaler Streitanhängigkeit zurück.
Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Antragstellers nicht Folge und bestätigte den Beschluss des Erstgerichts mit der Maßgabe, dass der Antrag abgewiesen werde.
Es bejahte die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts und führte aus, der vom Erstgericht angenommene Zurückweisungsgrund liege nicht vor. Die Anerkennung sei gemäß § 97 Abs 2 Z 1 AußStrG zu verweigern, weil eine einseitige Verstoßung der Ehefrau durch den Ehemann nach islamischem Recht dem österreichischen orde public widerspreche. Daher komme es nicht darauf an, ob die verfahrensgegenständliche Scheidung in Deutschland anerkannt werde. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil die Frage des Vorrangs eines früher anhängig gemachten Anerkennungsverfahrens noch nicht Gegenstand einer höchstgerichtlichen Entscheidung sei.
Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Antragstellers mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss im antragsstattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Rechtliche Beurteilung
Zu I.: Der Revisionsrekurs ist zulässig, er ist auch im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.
1. Zur internationalen Rechtshängigkeit
1.1. Die in § 66 Abs 1 Z 1 AußStrG genannten Mängel können auch dann in einem Revisionsrekurs geltend gemacht werden, wenn sie vom Rekursgericht verneint wurden (RS0121265). Dies gilt für den Mangel der inländischen Gerichtsbarkeit ebenso wie für das Verfahrenshindernis der internationalen Streitanhängigkeit oder Rechtshängigkeit (2 Ob 217/12v; 1 Ob 44/11v).
1.2. Die in § 56 Abs 1 AußStrG aufgezählten Mängel – die Unzulässigkeit des Rechtswegs, das Fehlen der inländischen Gerichtsbarkeit, das Vorliegen einer rechtskräftig entschiedenen Sache und die Antragsrückziehung unter Anspruchsverzicht – sind gemäß § 55 Abs 3 iVm § 71 Abs 4 AußStrG von Amts wegen wahrzunehmen (Schramm in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 66 Rz 6; vgl RS005982 [T23] = 6 Ob 51/09g).
1.3. Daher wäre eine (gegebene) internationale Rechtshängigkeit auch ohne Geltendmachung im Verfahren dritter Instanz aufzugreifen. Sie wurde vom Rekursgericht aber zutreffend verneint.
1.4. Außerhalb des Anwendungsbereichs eigenständiger Regeln der internationalen Rechtshängigkeit (beispielsweise Art 19 der – hier nicht anzuwendenden, siehe unten 2.2. – Brüssel IIa-VO) sind im inländischen Zivilverfahren die Regeln über die Rechtshängigkeit im Hinblick auf das ausländische Verfahren dann anzuwenden, wenn die zu erwartende ausländische Entscheidung im Inland anerkennungsfähig wäre (RS0120264; 8 Ob 82/05z mwN).
1.5. Ob und unter welchen Voraussetzungen ein Staat die Entscheidungen eines anderen Staats anerkennt, ist eine souveräne Entscheidung (Wagner, Anerkennung und Wirksamkeit ausländischer familienrechtlicher Rechtsakte nach autonomem deutschen Recht, FamRZ 2006, 744 [746]). Dabei erstrecken sich die Wirkungen der Anerkennung einer ausländischen Entscheidung nach autonomem staatlichen Recht ausschließlich auf das Staatsgebiet des Anerkennungsstaats (Fuchs in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG §§ 97–100 Rz 13).
1.6. Im Inland kann daher nicht mit Erfolg begehrt werden, dass eine Entscheidung in einem Drittstaat oder mit Wirkung für einen Drittstaat anzuerkennen wäre (Fuchs in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG §§ 97–100 Rz 13). Über die Anerkennung entscheidet vielmehr jeweils das eigene Anerkennungsrecht. Ein sogenanntes „Doppelexequatur“ – die Anerkennung einer Anerkennungsentscheidung – wird von den Rechtsordnungen daher überwiegend abgelehnt (Kropholler, Internationales Privatrecht6 [2006] § 60 III.2.).
1.7. Die dargestellten Grundsätze gelten sowohl für § 97 AußStrG (Fuchs in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG §§ 97–100 Rz 13) als auch für die Anerkennung einer Entscheidung, durch die im Ausland eine Ehe geschieden wurde, nach § 107 des deutschen FamFG (Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit). Die in dieser Bestimmung geregelte Entscheidung über einen positiven Anerkennungs- oder einen negativen Feststellungsantrag legt für alle verbindlich fest, ob eine Ehescheidung (Eheaufhebung etc) in Deutschland (Hervorhebung durch den Senat) anzuerkennen ist (Geimer, Internationales Zivilprozessrecht7 Rz 3019 [„im Inland“]).
1.8. Nach § 97 AußStrG können Anerkennungsentscheidungen nicht ihrerseits anerkannt werden (vgl Nademleinsky in Gitschthaler/Höllwerth, Ehe- und Partnerschaftsrecht § 97 AußStrG Rz 4).
1.9. Aus all dem folgt, dass das Rekursgericht das Verfahrenshindernis der internationalen Rechtshängigkeit zu Recht verneint hat.
2. Zur Anerkennungsfähigkeit der ausländischen Entscheidung
2.1. Die Anerkennung ausländischer Entscheidungen über den Bestand einer Ehe richtet sich gemäß § 100 AußStrG primär nach völkerrechtlichen Abkommen oder Rechtsakten der Europäischen Union; sonst nach den §§ 97 ff AußStrG (1 Ob 21/17w; 6 Ob 96/11b; 6 Ob 69/11g).
2.2. Ein hier anzuwendendes völkerrechtliches Übereinkommen ist nicht ersichtlich. Die Brüssel IIa-VO ist im Anlassfall nicht anwendbar, weil die Anerkennung von Entscheidungen, die in einem Drittstaat ergangen sind, nicht unter das Unionsrecht fällt (EuGH 12. 5. 2016, Rs C-281/15, EU:C:2016:343 Sahyouni Rz 20–22; 1 Ob 21/17w).
2.3. Gemäß § 97 Abs 1 AußStrG wird eine ausländische Entscheidung über die Trennung ohne Auflösung des Ehebands, die Ehescheidung oder die Ungültigerklärung einer Ehe sowie über die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Ehe in Österreich anerkannt, wenn sie rechtskräftig ist und kein Grund zur Verweigerung der Anerkennung vorliegt.
2.4. Der Begriff der „Entscheidung“ im Sinn des § 97 AußStrG ist weit auszulegen und nicht auf konstitutive Entscheidungen einer ausländischen Behörde über die Auflösung beziehungsweise den Bestand einer Ehe einzuschränken. Vielmehr reicht es aus, dass das Gericht an der Ehescheidung – wenngleich nur durch Abhaltung eines Schlichtungsverfahrens oder durch Registrierung der Scheidung – mitgewirkt hat (RS0121191; 6 Ob 189/06x).
2.5. Wie sich aus der vom Antragsteller mit seinem Antrag vorgelegten Scheidungsurkunde ergibt, hat das Familiengericht Nord-Riad die durch Ausspruch der Scheidungsformel stattgefundene Scheidung der Parteien bestätigt. Damit liegt eine ausländische „Entscheidung“ im Sinn des § 97 Abs 1 AußStrG vor.
2.6. § 97 Abs 2 AußStrG regelt die Gründe für eine Verweigerung der Anerkennung. Im vorliegenden Fall ist näher auf die Voraussetzungen des § 97 Abs 2 Z 1 und Z 4 AußStrG einzugehen.
3.1. Gemäß § 97 Abs 2 Z 1 AußStrG ist die Anerkennung zu verweigern, wenn sie den Grundwerten der österreichischen Rechtsordnung (ordre public) offensichtlich widerspricht. Dabei ist zwischen der Anerkennungsfähigkeit in Bezug auf den Inhalt der Entscheidung (materieller ordre public) sowie im Hinblick auf das der Entscheidung vorangegangene Verfahren (formeller ordre public) zu unterscheiden (Fuchs in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG §§ 97–100 Rz 19).
3.2. Bei der ordre public-Prüfung ist nicht das ausländische Recht als solches, sondern das Ergebnis seiner Anwendung zu beurteilen (Nademleinsky/Neumayr, Internationales Familienrecht² [2017] Rz 05.125; Spellenberg in Staudinger [2016] § 109 FamFG Rz 362; Verschraegen, Anm zu 6 Ob 69/11g, ÖJZ 2012, 263). Im Vergleich zu § 6 IPRG ist die materiell-rechtliche ordre public-Prüfung gemäß § 97 Abs 2 Z 1 AußStrG abgeschwächt, weil es einen Unterschied macht, ob österreichische Gerichte an der Statusbegründung bzw -beendigung (unter Beachtung von § 6 IPRG im Zuge der Anwendung ausländischen Rechts) mitwirken oder ob eine solche bereits im Ausland erfolgte und ihre Nichtanerkennung zudem zu hinkenden Rechtsverhältnissen führen würde (Nademleinsky/Neumayr, Internationales Familienrecht² Rz 05.125; Verschraegen, ÖJZ 2012, 262).
3.3. Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass eine Scheidung durch einseitige Verstoßung der Ehefrau durch den Ehemann nach islamischem Recht (talaq) dem inländischen ordre public widerspreche (6 Ob 189/06x ZfRV 2007, 35 [Nademleinsky] = Posch, ZfRV 2007, 124; 3 Ob 130/07z; 7 Ob 10/08h; vgl 6 Ob 69/11g; RS0121192 [T1]).
3.4. Eine Sanierung des Verstoßes gegen den ordre public durch das Einverständnis der Ehefrau wurde zunächst mit der Begründung abgelehnt, der gegen öffentliche Interessen gerichtete Widerspruch gegen Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung sei nicht disponibel (3 Ob 130/07z; 7 Ob 10/08h, jeweils zu einem allenfalls nachträglich zum Ausdruck gebrachten Einverständnis der Frau mit der Scheidung).
3.5. Zu 6 Ob 69/11g wurde hingegen ausgesprochen, dass die Anerkennung einer islamisch-rechtlichen Verstoßung der Ehefrau durch den Ehemann (bei ausreichendem Inlandsbezug) nur dann im Widerspruch zum inländischen (materiellen) ordre public stehe, wenn sie ohne das Einverständnis der Frau erfolgte. Als maßgeblich für die Ablehnung der Anerkennung erwies sich, dass die Ehefrau durch die spätere Einbringung einer Scheidungsklage in Österreich zu erkennen gegeben hatte, mit der im Iran stattgefundenen Verstoßung von Anfang an nicht einverstanden gewesen zu sein (vgl in diesem Sinn auch Spellenberg in Staudinger, FamFG § 109 Rz 359).
3.6. Die Rechtsansicht, dass das Einverständnis der Ehefrau mit der einseitigen Verstoßungsscheidung die orde public-Widrigkeit der Anerkennung einer derartigen ausländischen Entscheidung beseitige, entspricht der im Schrifttum einhellig vertretenen Auffassung (Fuchs in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG §§ 97–100 Rz 19; Neumayr in Burgstaller/Neumayr, IZVR II § 97 AußStrG Rz 28; Spellenberg in Staudinger, FamFG § 109 Rz 357, 359; Rauscher, Talaq und deutscher ordre public, IPRax 2000, 391 [394]; Nademleinsky, Anerkennung eheauflösender Entscheidungen durch die Personenstandsbehörde, Zak 2007, 409 Fn 5). Das wird unter anderem damit begründet, dass ein staatliches Interesse am Schutz einer Ehe, die aus Sicht der Partner gescheitert ist, nicht ersichtlich sei (Fuchs in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG, §§ 97–100 Rz 19; vgl Verschraegen, ÖJZ 2012, 262).
3.7. Keine einhellige Ansicht besteht darüber, ob allein die Zustimmung zur Statusänderung – also der Auflösung der Ehe – oder auch eine Zustimmung zur Art der Entscheidung vorliegen müsse. Eine Meinung stellt die Zustimmung zur Statusänderung in den Vordergrund und wertet die Einforderung oder Annahme finanzieller Leistungen, die an die Ehescheidung geknüpft sind, oder die Einbringung einer eigenen Ehescheidungsklage der Ehefrau als ein die ordre public-Widrigkeit beseitigendes Einverständnis der Ehefrau mit der anzuerkennenden Entscheidung (Fuchs in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG, §§ 97–100 Rz 19).
3.8. Die andere Meinung verlangt hingegen ein Einverständnis der Frau auch mit der Art der Scheidung. Daher wird folgerichtig ein Einverständnis etwa daraus abgeleitet, dass die Frau selbst die Anerkennung der ausländischen Entscheidung beantragt (vgl Rauscher, IPRax 2000, 394). Bringt die (verstoßene) Ehefrau aber nachträglich im Anerkennungsstaat eine Scheidungsklage ein, wird darin die ausdrückliche Ablehnung der erfolgten Verstoßungsscheidung gesehen (in diesem Sinn 6 Ob 69/11g; Spellenberg in Staudinger, FamFG § 109 Rz 359).
3.9. Der Senat hält an der bereits zu 6 Ob 69/11g vertretenen Rechtsansicht fest, wonach das Anerkennungshindernis des § 97 Abs 1 Z 1 AußStrG dann nicht vorliegt, wenn die Ehefrau von Anfang an mit der einseitigen Verstoßungsscheidung einverstanden war.
3.10. Derartiges behauptet der Antragsteller in seinem Revisionsrekurs. Ob auch ein nachträgliches Einverständnis der Ehefrau mit der ausländischen Entscheidung ebenfalls geeignet ist, das Anerkennungshindernis zu beseitigen, kann daher dahinstehen.
3.11. Klarzustellen ist aber, dass nach Ansicht des Senats nicht schlechthin jede (vermögensrechtliche oder sonstige) Disposition, die die verstoßene Ehefrau im Hinblick auf die (im Entscheidungsstaat jedenfalls gültige) Entscheidung über die Ehescheidung trifft, als eine die ordre public-Widrigkeit beseitigende Zustimmung gewertet werden kann.
3.12. Im vorliegenden Fall wurde die mögliche ordre public-Widrigkeit der anzuerkennenden Entscheidung mit dem im erst- und zweitinstanzlichen Verfahren unvertretenen Antragsteller bislang nicht erörtert. Zur Vermeidung einer – auch im Außerstreitverfahren verbotenen (RS0037300 [T53, T55]) – Überraschungsentscheidung bedarf es daher der Aufhebung der Beschlüsse der Vorinstanzen.
3.13. Den Parteien wird im fortgesetzten Verfahren Gelegenheit zur Äußerung zu diesem Aspekt zu geben sein. Ausgehend davon wird das Erstgericht Feststellungen zu treffen haben, aufgrund derer beurteilt werden kann, ob die Antragsgegnerin selbst die mit der anzuerkennenden ausländischen Entscheidung beurkundete Ehescheidung anstrebte, wie der Antragsteller dies behauptet, oder ob sie sich der vom Antragsteller initiierten Scheidung nicht widersetzen konnte.
Sollte die Scheidung dem freien Willen der Antragsgegnerin entsprochen haben, wäre der Verweigerungsgrund des § 97 Abs 2 Z 1 AußStrG nicht erfüllt (vgl 6 Ob 69/11g).
4.1. Aus dem Akt ergibt sich darüber hinaus das mögliche Vorliegen des Versagungsgrundes des § 97 Abs 2 Z 4 AußStrG. Nach dieser Bestimmung ist die Anerkennung einer Entscheidung zu verweigern, wenn die erkennende Behörde bei Anwendung des österreichischen Rechts international nicht zuständig gewesen wäre.
4.2. Demnach hat die Prüfung der internationalen Zuständigkeit des Ursprungsstaats durch eine spiegelbildliche Anwendung des österreichischen internationalen Zuständigkeitsrechts, also insbesondere der § 76 Abs 2 JN und § 114 Abs 4 JN zu erfolgen („österreichische Jurisdiktionsformel“; Nademleinsky in Gitschthaler/Höllwerth, Ehe- und Partnerschaftsrecht² § 97 AußStrG Rz 11; vgl RS0002369).
4.3. Da die hier zu beurteilende Anerkennungsfähigkeit einer Entscheidung eines Drittstaats nicht in den Geltungsbereich des Unionsrechts fällt und mangels eines ausdrücklichen Verweises des nationalen Rechts darauf, kommt es hingegen nicht auf die Zuständigkeitsnormen der Brüssel IIa-VO an (1 Ob 21/17w = RS0131452).
4.4. Ergibt sich, dass die erkennende Behörde des Ursprungsstaats unter spiegelbildlicher Anwendung österreichischen Rechts international unzuständig gewesen wäre, ist die Anerkennung zu versagen (Fuchs in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 97 Rz 27).
4.5. Gemäß dem hier einschlägigen § 76 Abs 2 JN ist für Streitigkeiten über die Scheidung, die Aufhebung oder die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Ehe die inländische Gerichtsbarkeit gegeben, wenn (1.) eine der Parteien die österreichische Staatsbürgerschaft hat oder (2.) die beklagte Partei ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat oder (3.) die klagende Partei ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und beide Ehegatten ihren letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland gehabt haben (die übrigen Fälle der Z 3 sind hier nicht relevant).
4.6. Nach dem Antragsvorbringen lag der gewöhnliche Aufenthalt der Parteien im Scheidungszeitpunkt in Deutschland und Saudiarabien. Die Vorinstanzen haben dazu keine Feststellungen getroffen. Damit kann das Vorliegen des Versagungsgrundes des § 97 Abs 2 Z 4 AußStrG nicht beurteilt werden.
4.7. So steht zwar fest, dass die Parteien nicht Staatsangehörige des Königreichs Saudiarabien sind, sodass die spiegelbildliche Anwendung des § 76 Abs 2 Z 1 JN die hypothetische internationale Zuständigkeit des saudischen Familiengerichts nicht zu begründen vermag.
Allerdings fehlen Feststellungen zu einem allfälligen gewöhnlichen Aufenthalt (im Sinn des § 66 Abs 2 JN) oder dem letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt beider Parteien im Königreich Saudiarabien. Dies ist aber für die spiegelbildliche Beurteilung nach § 76 Abs 2 Z 2 und Z 3 JN erforderlich.
4.8. Sollte sich erweisen, dass die Antragsgegnerin – die „spiegelbildlich“ als beklagte Partei im Sinn des § 76 Abs 2 Z 2 JN anzusehen ist – zum Zeitpunkt der anzuerkennenden ausländischen Entscheidung keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Königreich Saudiarabien hatte, oder es an den kumulativen (spiegelbildlichen) Voraussetzungen des § 76 Abs 2 Z 3 JN fehlt (gewöhnlicher Aufenthalt des Antragstellers und letzter gemeinsamer Aufenthalt beider Parteien im Königreich Saudiarabien), stünde der Anerkennung der ausländischen Entscheidung der Verweigerungsgrund des § 97 Abs 2 Z 4 AußStrG entgegen.
5. Da mit der vorliegenden Entscheidung die Rechtssache noch nicht iSd § 78 Abs 1 Satz 2 AußStrG erledigt wird, war ein Kostenvorbehalt auszusprechen (vgl RS0123011; 1 Ob 21/17w).
Zu II.:
Die Antragsgegnerin ist dem vom Erstgericht nach Zurückstellung des Akts (6 Ob 116/18d) erteilten Verbesserungsauftrag nicht nachgekommen. Die Rechtsmittelbeantwortung der Antragsgegnerin wäre deshalb gemäß § 67 AußStrG bereits vom Erstgericht zurückzuweisen gewesen. Aus verfahrensökonomischen Gründen ist sie vom Obersten Gerichtshof zurückzuweisen (RS0120077 [T9]).
Textnummer
E127218European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:E127218Im RIS seit
05.02.2020Zuletzt aktualisiert am
25.02.2022