Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der ***** 2014 verstorbenen B***** M*****, wegen Feststellung des Erbrechts zwischen den Antragstellern 1. Dr. S***** M*****, und 2. V***** M*****, beide vertreten durch Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, sowie 3. Verlassenschaft nach dem ***** 2014 verstorbenen Dr. A***** M*****, vertreten durch den Verlassenschaftskurator DI M***** M*****, dieser vertreten durch Mag. Andreas Berchtold und Dr. Norbert Kollerics, Rechtsanwälte in Graz, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Drittantragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 17. April 2018, GZ 4 R 303/17h-158, mit welchem der Beschluss des Bezirksgerichts Graz-West vom 25. September 2017, GZ 217 A 143/14t-151, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass er lautet:
„Das Erbrecht sämtlicher Antragsteller wird zu je einem Drittel des Nachlasses festgestellt.
Die Erbantrittserklärungen des Erstantragstellers und der Zweitantragstellerin werden abgewiesen, soweit sie jeweils zu einem weiteren Sechstel des Nachlasses abgegeben wurden.“
Der Erstantragsteller und die Zweitantragstellerin sind schuldig, der Drittantragstellerin binnen 14 Tagen die mit 4.304,75 EUR bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen (darin 1.525,40 EUR Barauslagen, 463,22 EUR Umsatzsteuer) zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Erblasserin B***** M***** und ihr Ehegatte Dr. A***** M***** kamen bei einem Verkehrsunfall am 8. April 2014 ums Leben. Sie hatten keine gemeinsamen Kinder und hinterließen keine letztwillige Anordnung. Die Erblasserin hatte zwei Kinder, ihr Ehegatte hatte drei Kinder.
Im Verlassenschaftsverfahren nach der Erblasserin gaben ihre Kinder Erbantrittserklärungen aufgrund des Gesetzes je zur Hälfte des Nachlasses ab; die durch einen Kurator vertretene Verlassenschaft ihres Ehegatten gab aufgrund des Gesetzes eine Erbantrittserklärung zu einem Drittel des Nachlasses ab. Im Verfahren über das Erbrecht ist strittig, ob der Ehegatte die Erblasserin überlebt hat. Wenn nicht, erben deren Kinder je zur Hälfte; sonst erben sie und die Verlassenschaft je zu einem Drittel.
Nach den (ihrem Inhalt nach unstrittigen) Sterbeurkunden war der Todeszeitpunkt der Erblasserin 9:31 Uhr, jener des Ehegatten 10:50 Uhr.
Das Erstgericht stellte das Erbrecht der beiden Kinder fest und wies die Erbantrittserklärung der Verlassenschaft ab.
Es nahm als erwiesen an, dass die „Wiederbelebungsversuche“ bei der Erblasserin um 10:30 Uhr wegen Erfolglosigkeit abgebrochen worden seien. Hingegen habe eine Ärztin den Ehegatten um 10:45 Uhr „medizinisch lebend“ einem anderen Arzt übergeben. Danach habe es beim Ehegatten noch eine „Schnappatmung“ gegeben, bei der es sich um ein Atemmuster vor dem Eintritt des „Todes“ handle, weiters habe das EKG keine Nulllinie aufgewiesen. Der Ehegatte sei in ein Krankenhaus eingeliefert worden, wo er mit einem „Restkreislauf“ eingelangt sei; dort sei um 10:50 Uhr „der medizinische Tod“ eingetreten. Es könne aber „nicht ausgeschlossen“ werden, dass der Hirntod beim Ehegatten „gleichzeitig“ mit jenem der Erblasserin eingetreten sei. Rechtlich führte das Erstgericht aus, dass es für den Todeszeitpunkt aus rechtlicher Sicht auf den vollständigen und irreversiblen Funktionsverlust des gesamten Gehirns, also auf den „Gesamthirntod“, ankomme. Dieser Zeitpunkt könne beim Ehegatten der Erblasserin nicht ermittelt werden. Damit sei nicht bewiesen, dass der Ehegatte die Erblasserin überlebt habe. Daher werde nach § 11 TEG vermutet, dass sie gleichzeitig gestorben seien.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Es teilte die Auffassung des Erstgerichts, dass als Todeszeitpunkt der „Gesamthirntod“ anzusehen sei. Dieser stehe nicht fest, sodass § 11 TEG anwendbar sei. Damit sei dem Ehegatten das Erbrecht nicht angefallen. Eine erhebliche Rechtsfrage liege nicht vor, weil das Rekursgericht der herrschenden Meinung zur Maßgeblichkeit des Hirntodes gefolgt sei.
Gegen diese Entscheidung richtet sich ein außerordentlicher Revisionsrekurs der Verlassenschaft, der aufgrund rechtskräftiger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als rechtzeitig anzusehen ist. Die Rechtsmittelwerberin strebt die Feststellung des Erbrechts der Parteien zu je einem Drittel an, hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag. Aufgrund der vom Erstgericht getroffenen Feststellung des „medizinischen“ Todes zu unterschiedlichen Zeitpunkten, die sich auch in den Sterbeurkunden widerspiegle, sei § 11 TEG nicht anzuwenden.
Die Kinder der Erblasserin beantragen in der ihnen freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben. Maßgebend für die Beurteilung des Erbrechts sei der Eintritt des Hirntodes, dessen Zeitpunkt das Erstgericht nicht habe feststellen können.
Rechtliche Beurteilung
Der außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig, weil § 11 TEG im vorliegenden Fall nicht anzuwenden ist; er ist aus diesem Grund auch berechtigt.
1. Im Verfahren über das Erbrecht ist strittig, ob der Ehegatte die Erblasserin überlebt hat. Die Vorinstanzen haben den Eintritt des Hirntodes als maßgebend angesehen, wegen der diesbezüglichen Negativfeststellung ein non liquet angenommen, daher die Kommorientenvermutung des § 11 TEG angewendet und auf dieser Grundlage den Anfall des Erbrechts an den Ehegatten verneint.
2. Voraussetzung für die Anwendung des § 11 TEG ist allerdings, dass nicht bewiesen werden kann, dass eine Person die andere überlebt hat. Zunächst ist daher zu fragen, ob ein solcher Beweis nicht ohnehin erbracht ist. Das trifft hier entgegen der Auffassung der Vorinstanzen zu:
2.1. Nach § 29 Abs 1 PStG 2013 ist der Tod als Personenstandsfall iSv § 1 Abs 2 PStG 2013 von der zuständigen Personenstandsbehörde in das Zentrale Personenstandsregister einzutragen. Diese Eintragung hat nach § 30 Z 2 PStG 2013 auch den Zeitpunkt des Todes zu enthalten, sie erfolgt nach § 36 Abs 2 PStG 2013 aufgrund amtswegiger Ermittlung des Sachverhalts. Die Eintragung im Personenstandsregister ist Grundlage für die Sterbeurkunde, die wie alle anderen Personenstandsurkunden ein Auszug aus diesem Register ist (§ 53 Abs 1 iVm § 57 Abs 1 PStG 2013).
2.2. Die Sterbeurkunde ist eine öffentliche Urkunde iSv § 292 Abs 1 ZPO (hier iVm § 35 AußStrG). Sie begründet daher vollen Beweis dessen, was die Behörde darin bezeugt hat. Dieser volle Beweis erfasst auch den in der Urkunde genannten Todeszeitpunkt (9 Ob 14/18a). Sind bei zwei Verstorbenen unterschiedliche Zeitpunkte genannt, so ist daher zunächst der volle Beweis erbracht, dass einer den anderen überlebt hat, § 11 TEG ist in diesem Fall nicht anwendbar. Im vorliegenden Fall wäre auf dieser Grundlage erwiesen, dass der Ehegatte die Erblasserin überlebt hat.
2.3. Nach § 292 Abs 2 ZPO kann allerdings die Unrichtigkeit der in einer öffentlichen Urkunde bezeugten Tatsache bewiesen werden. Erforderlich ist der Beweis des Gegenteils (Ziehensack in Höllwerth/Ziehensack § 292 ZPO Rz 7; Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka5 § 292 Rz 3). Das gilt mangels Unterscheidung im Gesetz auch für den Zeitpunkt des Todes. Der nach § 292 Abs 1 ZPO anzunehmende volle Beweis fällt daher weg, wenn (positiv) bewiesen wird, dass der in der Sterbeurkunde genannte Zeitpunkt nicht zutrifft. Wird in diesem Fall nicht zugleich auch ein anderer Zeitpunkt bewiesen, greift die Vermutung des § 11 TEG. Die gelegentlich vertretene Ansicht, dass (offenbar) immer der von der Personenstandsbehörde bezeugte Todeszeitpunkt maßgebend sei (Welser, Erbrechtskommentar § 536 ABGB Rz 2; Schauer/Motal in Klang3 § 536Rz 8; Werkusch-Christ in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.07 [Stand 1. 8. 2019] § 536 Rz 4, alle noch unter Hinweis auf das nach dem PStG 2013 nicht mehr existierende „Sterbebuch“ iSd §§ 27 ff PStG 1983), trifft daher in dieser Allgemeinheit nicht zu.
2.4. Der Beweis der Unrichtigkeit ist den Antragstellern allerdings nicht gelungen:
(a) Zwar überwiegt im österreichischen Schrifttum (auch) für das Erbrecht die Auffassung, dass der Hirntod als Tod im Rechtssinn anzusehen ist (Welser, Erbrechtskommentar § 536 ABGB Rz 2; Eccher/Nemeth in Schwimann/G. Kodek5 § 536 Rz 4; im Ergebnis wohl auch Schauer/Motal in Klang3 § 536 Rz 7 f). Folgt man dieser Auffassung, könnte der durch die Sterbeurkunde erbrachte volle Beweis des Todeszeitpunkts (§ 292 Abs 1 ZPO) durch den Beweis (§ 292 Abs 2 ZPO) widerlegt werden, dass der Hirntod nicht zu diesem Zeitpunkt eingetreten sei. Gelänge dieser Beweis bei einer der beiden Sterbeurkunden, wäre der sonst auf deren Grundlage anzunehmende Beweis des Überlebens nicht erbracht, sodass die in § 11 TEG angeordnete Vermutung eines gleichzeitigen Todes griffe.
(b) Im vorliegenden Fall haben die Vorinstanzen allerdings auf der Tatsachenebene nur „nicht ausgeschlossen“, dass der Hirntod beim Ehegatten „gleichzeitig“ mit jenem der Erblasserin eingetreten sei. Diese bloße Negativfeststellung kann den nach § 292 Abs 1 ZPO erbrachten vollen Beweis der beiden Todeszeitpunkte nicht erschüttern (4 Ob 4/06a mwN; zuletzt etwa Ziehensack in Höllwerth/Ziehensack § 292 ZPO Rz 7). Vielmehr ist aufgrund von § 292 Abs 1 ZPO weiterhin vom Überleben des Ehegatten auszugehen, § 11 TEG ist daher nicht anwendbar. Damit kann letztlich auch offen bleiben, ob tatsächlich der Hirntod als Tod im Rechtssinn anzusehen ist: Da ohnehin nicht erwiesen ist, dass der Hirntod nicht zu den in den Sterbeurkunden bezeugten Zeitpunkten eingetreten ist, kommt es auf diese Frage im konkreten Fall nicht an.
3. Auf dieser Grundlage hat der außerordentliche Revisionsrekurs der Verlassenschaft nach dem Ehegatten Erfolg. Da aufgrund der vollen Beweis machenden Sterbeurkunden feststeht, dass der Ehegatte die Erblasserin überlebt hat, fiel ihm das gesetzliche Erbrecht zu einem Drittel an. Daher ist der angefochtene Beschluss entsprechend abzuändern: Das Erbrecht der beiden Kinder der Erblasserin und der Verlassenschaft nach ihrem Ehegatten ist zu je einem Drittel festzustellen; im darüber hinausgehenden Umfang von je einem Sechstel sind die Erbantrittserklärungen der Kinder abzuweisen.
4. Die diese Entscheidung tragenden Erwägungen können wie folgt zusammengefasst werden:
Ist strittig, ob eine Person die andere überlebt hat, so machen die Sterbeurkunden nach § 292 Abs 1 ZPO vollen Beweis für die darin bezeugten Todeszeitpunkte. Die Kommorientenvermutung des § 11 TEG ist daher nur dann anwendbar, wenn bewiesen wird, dass zumindest einer der in den Sterbeurkunden genannten Todeszeitpunkte unrichtig ist.
5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 78 Abs 2 iVm § 185 AußStrG. Die Verlassenschaft nach dem Ehegatten hat im Erbrechtsstreit zur Gänze obsiegt, die ihr gegenüberstehenden Kinder haben daher deren Kosten zu ersetzen. Mangels rechtzeitiger Bewertung nach § 4 RATG ist Bemessungsgrundlage für den Ersatz der Vertretungskosten der Zweifelsstreitwert nach § 14 RATG (2 Ob 170/18s). Streitgenossenzuschlag gebührt nur in Höhe von 10 %.
Textnummer
E127214European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0020OB00062.19K.1217.000Im RIS seit
05.02.2020Zuletzt aktualisiert am
09.08.2021