TE OGH 2019/12/19 4Ob230/19f

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Veröffentlicht am 19.12.2019
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Priv.-Doz. Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** M*****, vertreten durch Dr. Bernd Bakay, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die Beklagte G***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Paul Delazer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen zuletzt 22.597,96 EUR sA, Rente (Streitwert 3.544,46 EUR) und Feststellung (Streitwert 3.750 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 16. Oktober 2019, GZ 4 R 119/19k-46, womit das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 25. Juni 2019, GZ 81 Cg 17/18i-40, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 501,91 EUR (darin 83,65 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Klägerin wurden Handbäder in flüssigem Paraffin ärztlich verordnet. Die Beklagte bezog das Paraffin von der Herstellerin, verpackte es in Plastiksäcke und versah diese mit ihrem Etikett. Von der Beklagten wurde das Produkt an eine Zwischenhändlerin verkauft, die es an jene Apotheke weiterverkaufte, von der es an die Klägerin verkauft wurde. Anwendungs- oder Warnhinweise waren zu keinem Zeitpunkt der Lieferkette auf oder in der Verpackung oder als Beilage zum Produkt enthalten. Von der Klägerin wurde das Paraffin im Zuge von mehreren Anwendungen jeweils (unsachgemäß) direkt in einem Kochtopf ohne Wasserbad erhitzt. Nach ca sechs Anwendungen erhitzte die Klägerin neuerlich Paraffin, ließ die Herdplatte mehrere Minuten unbeaufsichtigt, worauf das Paraffin entflammte. Beim Versuch, den Kochtopf auf den Balkon zu tragen, verrutschte der Deckel, wodurch die Klägerin durch das heiße und flüssige Paraffin im Gesicht, am Brustkorb und den oberen Extremitäten schwer verletzt wurde. In einem Parallelverfahren gegen den Apotheker wurde dieser bereits zu Schadenersatz verpflichtet.

Die Vorinstanzen verurteilten die Beklagte als Anscheinsherstellerin nach PHG unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens der Klägerin von 50 % zum Ersatz der Hälfte des Schadens. Die Beklagte habe damit rechnen müssen, dass ihr Paraffin in die Hände von Endverbrauchern gelange. Sie habe ihre Instruktionspflicht nicht hinreichend erfüllt.

Dagegen richtet sich die – von der Klägerin beantwortete – Revision der Beklagten, mit der sie die Klagsabweisung beantragt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist, ungeachtet des Zulassungsausspruchs des Berufungsgerichts, in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen im Sinne von § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

1. Die vom Berufungsgericht als erheblich bezeichnete Frage, ob wegen der Aufklärungspflicht des Apothekers über Arzneimittel (§ 10 Apothekenbetriebs-ordnung 2005 – ABO 2005) der Hersteller von der Instruktionspflicht nach dem PHG entbunden ist, stellt sich im Anlassfall nicht, sodass sie die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht stützen kann. Der Rechtsansicht der Revisionswerberin zur Entlastung des Herstellers von der Instruktionspflicht nach dem PHG liegt zugrunde, dass es sich bei ihrem Produkt um ein Arzneimittel handeln soll.

2.1 Nach § 1 AMG sind „Arzneimittel“ Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die 1. zur Anwendung im oder am menschlichen oder tierischen Körper und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Linderung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind, oder 2. im oder am menschlichen oder tierischen Körper angewendet oder einem Menschen oder einem Tier verabreicht werden können, um entweder a) die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen, oder b) als Grundlage für eine medizinische Diagnose zu dienen (Abs 1 leg cit). Als Arzneimittel gelten Gegenstände, die ein Arzneimittel enthalten oder auf die ein Arzneimittel aufgebracht ist und die zur Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper bestimmt sind (Abs 2 leg cit).

Aus dem Vorbringen der Beklagten, die im erstinstanzlichen Verfahren ausdrücklich den Standpunkt vertrat, dass es sich beim klagsgegenständlichen Paraffin um kein Arzneimittel nach der gesetzlichen Definition handle, lässt sich nicht ansatzweise ableiten, dass das von der Beklagten vertriebene Produkt die gesetzlich normierten Eigenschaften eines Arzneimittels haben soll.

2.2 Die Beklagte vertritt im Rechtsmittel die Rechtsansicht, dass (allein) „die ärztliche Verordnung aus der Chemikalie der Beklagten ein Arzneimittel macht“. Dieser Standpunkt lässt sich mit der eindeutigen Rechtslage nicht vereinbaren. Nach § 2 Abs 2 Z 7 ÄrzteG zählt zu den ärztlichen Tätigkeiten unter anderem die Verordnung „von Heilmitteln, Heilbehelfen und medizinisch diagnostischen Hilfsmitteln“. Der Begriff des Heilmittels umfasst dabei „Arzneien und sonstige Mittel“ (vgl § 136 Abs 1 ASVG). Arzneimittel im Sinne des § 1 Abs 1 AMG fallen unter Arzneien (10 ObS 52/96). Aus § 2 Abs 2 Z 7 ÄrzteG ergibt sich, dass „Heilmittel“ als Begriff weiter ist als „Arzneimittel“, und dass Ärzte somit neben Arzneimitteln auch andere Heilmittel und darüber hinaus auch Heilbehelfe verordnen können. Ärzte können demnach nicht ausschließlich Arzneimittel verordnen. Allein eine ärztliche Verordnung macht aus einem Stoff nicht notwendigerweise ein Arzneimittel. Aufgrund dieser klaren gesetzlichen Regelung ergibt sich, dass es bei der Qualifikation als Arzneimittel nicht auf den formalen Umstand einer ärztlichen Verordnung, sondern auf die (hier nicht behaupteten) Eigenschaften des Stoffes (Funktionsarzneimittel) oder dessen Bestimmung (Präsentationsarzneimittel) ankommt (vgl 4 Ob 190/17w Pkt 3.1.f).

2.3 Schon wegen der aufgezeigten eindeutigen Regelung durch das Gesetz liegt keine erhebliche Rechtsfrage vor (RIS-Justiz RS0042656).

3. An das oben Gesagte anknüpfend werfen auch die Ausführungen zu einzelnen Bestimmungen der ABO 2005 (§ 5 Abs 7 und § 6 Abs 1 leg cit) keine erhebliche Rechtsfrage auf, weil im Rechtsmittel auch in diesem Zusammenhang nur mit Vorschriften für Arzneimittel argumentiert wird.

4. Nach den Feststellungen hätte die Klägerin das Paraffin in einem Wasserbad (sachgemäß) erwärmt, wenn die Verpackung einen Hinweis enthalten hätte. Das Berufungsgericht setzte sich damit bei der Behandlung der Beweisrüge der Beklagten inhaltlich auseinander und verwarf die Beweisrüge. Es kann daher dahinstehen, ob für die Beklagte mit der von ihr begehrten Negativfeststellung aus rechtlicher Sicht überhaupt etwas gewonnen wäre. Weder den dazu getroffenen Erwägungen des Berufungsgerichts noch den entsprechenden Ausführungen im Rechtsmittel kommt Relevanz zu.

5. Fragen zum Umfang der Aufklärungspflicht bzw zu den berechtigten Sicherheitserwartungen der Anwender nach PHG begründen – ausgenommen den Fall einer hier nicht vorliegenden korrekturbedürftigen Fehlbeurteilung – keine erhebliche Rechtsfrage (RS0107610 [T10]).

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO.

Textnummer

E127211

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0040OB00230.19F.1219.000

Im RIS seit

05.02.2020

Zuletzt aktualisiert am

19.08.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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