TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/3 W110 2211131-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.09.2019
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Entscheidungsdatum

03.09.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W110 2211131-1/22E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Peter CHVOSTA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA.

Afghanistan, vertreten durch: Verein Menschenrechte Österreich (VMÖ) gegen den Bescheid des BFA, Regionaldirektion Niederösterreich (BAT) vom 25.10.2018, Zl. 1094031310-151733963, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.08.2019 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 55, 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG und §§ 52, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte (gemeinsam mit seiner damaligen Ehefrau sowie seinem minderjährigen unmündigen Sohn) am 10.11.2015 nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der am selben Tag durchgeführten Erstbefragung gab der Beschwerdeführer u.a. an, dass er als etwa siebenjähriges Kind im Jahr 1996 mit seinen Eltern in den Iran gezogen und dort aufgewachsen sei. Er habe mit seiner Familie den Iran verlassen, weil sein Aufenthalt nicht mehr verlängert worden sei und die Abschiebung nach Afghanistan gedroht habe. Nach Afghanistan könne er nicht mehr zurück, da er dort den Militärdienst leisten müsste und seine junge Ehefrau nicht alleine in Afghanistan leben lassen könne. Sollte er den Militärdienst verweigern, drohe ihm die Todesstrafe. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan sei sein Leben und das seiner Familie in Gefahr.

Am 23.8.2016 meldete die Landespolizeidirektion Niederösterreich der belangten Behörde, dass der Beschwerdeführer von seiner Ehefrau angezeigt worden sei, da er sie körperlich misshandelt und massiv mit dem Umbringen bedroht habe. Diese Drohungen seien auch vom Vater des Beschwerdeführers ausgestoßen worden.

2. In seiner Einvernahme am 8.5.2017 berichtete der Beschwerdeführer von seiner strafgerichtlichen Verurteilung wegen fortgesetzter Gewaltausübung zu einer 11-monatigen Freiheitsstrafe, von seiner bevorstehenden Scheidung und von seiner Psychotherapie, die er einmal wöchentlich in Anspruch nehme. Als Rückkehrbefürchtung brachte der Beschwerdeführer vor, dass in Afghanistan Krieg herrsche und die Taliban insbesondere Heimkehrer aus Europa verfolgen würden. Den Grund der seinerzeitigen Ausreise seiner Eltern in den Iran kenne er nicht; es habe damals Krieg geherrscht, und seine Eltern hätten dort nicht mehr bleiben wollen. Seine Eltern hätten den Fluchtgrund nicht wirklich erzählt, und er, der Beschwerdeführer, auch nicht gefragt. Anlässlich dieser Einvernahme legte der Beschwerdeführer Bestätigungen von Sprach- und Erste Hilfe-Kursen sowie mehrere Unterstützungsschreiben vom Mai 2017 vor, in denen vor allem die Hilfs- und Integrationsbereitschaft des Beschwerdeführers und seiner Verwandten hervorgehoben wurde.

Mit Schriftsatz vom 23.5.2017, 15.1.2018 und vom 18.6.2018 übermittelte der Beschwerdeführer (jeweils gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern) u.a. Urteile des Landesgerichts Korneuburg, des Oberlandesgerichts Wien und des Bezirksgerichts Mistelbach sowie integrationsbescheinigende Unterstützungsschreiben und wies auf die Sicherheitslage in Afghanistan und die fehlende Existenzgrundlage im Falle einer Rückkehr hin.

3. Mit Bescheid vom 25.10.2018 wies die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100 idF BGBl. I 145/2017 (im Folgenden: AsylG 2005), als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ab (Spruchpunkte I. und II.). Mit Spruchpunkt III. wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 leg. cit. nicht erteilt, mit Spruchpunkt IV. eine Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 erlassen und mit Spruchpunkt V. nach § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 - 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Nach Wiedergabe der Einvernahmeprotokolle traf die belangte Behörde in ihrer Bescheidbegründung Länderfeststellungen zur allgemeinen Situation in Afghanistan und stellte die Nationalität und Volksgruppenzugehörigkeit, nicht jedoch die Identität des Beschwerdeführers fest. Ferner stellte die belangte Behörde fest, dass der Beschwerdeführer mittlerweile geschieden sei und seiner ehemaligen Ehefrau die alleinige Obsorge des Sohnes übertragen worden sei. Nicht festgestellt werden könne, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan bedroht oder verfolgt werden würde. Beweiswürdigend führte die belangte Behörde u.a. aus, dass der Beschwerdeführer keine tatsächliche, personenbezogene Verfolgung in Afghanistan vorgebracht habe. Rechtlich folgerte die Behörde daraus, dass der Beschwerdeführer kein Flüchtling iSd Genfer Flüchtlingskonvention sei und mit seiner in Parwan lebenden Schwester einen familiären Anknüpfungspunkt zwecks Aufbau einer Existenzgrundlage nach seiner Rückführung nach Afghanistan habe. Der Beschwerdeführer habe keinen Kontakt zu seinem Sohn, weshalb kein Hinweis auf familiäre Anknüpfungspunkte und damit ein schützenswertes Familienleben iSd Art. 8 EMRK bestünde.

4. Mit Verfahrensanordnung vom 5.11.2018 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater für eine allfällige Beschwerdeerhebung zur Seite gestellt.

5. Gegen diesen Bescheid richtete sich die vorliegende rechtzeitig und zulässig eingebrachte Beschwerde des Beschwerdeführers (sowie seiner Eltern und Geschwister) wegen unrichtiger Feststellungen, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Neben Ausführungen zur Stellung der Frau in Afghanistan wurde auch vorgebracht, dass der Beschwerdeführer und seine Familienangehörigen als "verwestlicht" wahrgenommene Personen asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt seien.

Mit Schriftsatz vom 3.5.2019 legte der Beschwerdeführer weitere integrationsbescheinigende Unterlagen vor.

6. Am 6.8.2019 fand im Beisein des Beschwerdevertreters sowie einer Dolmetscherin für die Sprache Dari eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt. Die belangte Behörde nahm an der Verhandlung nicht teil. Im Rahmen der Verhandlung, in der auch die Situation des Beschwerdeführers in Österreich erörtert wurde, gab der Beschwerdeführer u.a. an, seinen Sohn seit drei Jahren nicht mehr gesehen zu haben und vor ca. zwei Monaten einen Antrag hinsichtlich seines Besuchsrechts gestellt zu haben. Befragt zu seinen Rückkehrbefürchtungen verwies der Beschwerdeführer darauf, dass sein Vater "seinerzeit" Mitglied einer Partei gewesen sei und er, der Beschwerdeführer, befürchte, wegen der Probleme seines Vaters verfolgt und getötet zu werden. Bei welcher Partei sein Vater war und um wen es sich bei den Verfolgern handle, wisse er nicht, weil sein Vater nicht über seine Probleme mit den Kindern gesprochen habe.

7. Beweis wurde erhoben durch die Einvernahme des Beschwerdeführers, durch Einsichtnahme in den Inhalt des Verwaltungsaktes, in die vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen sowie in das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.6.2018, zuletzt aktualisiert am 4.6.2019 (kurz: LIB 4.6.2019). Ferner wurde eine ACCORD-Anfragebeantwortung vom 26.7.2019 zur Sicherheitslage und sozioökonomischen Lage in Herat und Mazar-e- Sharif herangezogen (Beil ./2).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Situation in Afghanistan:

1.1.1. Allgemeines

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (LIB 4.6.2019, S. 65).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen. Dies ist den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zuzuschreiben (LIB 4.6.2019, S. 68). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 4.6.2019, S. 22).

Im Jänner 2018 waren 56,3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14,5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29,2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 4.6.2019, S. 76).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht. In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheits-operationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (LIB 4.6.2019, S. 69).

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen, wie der Islamische Staat, verübten "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben. Die Auflistung der high-profile Angriffe zeigt, dass die Anschläge in großen Städten, auch Kabul, hauptsächlich im Nahebereich von Einrichtungen mit Symbolcharakter (Moscheen, Tempel bzw. andere Anbetungsorte), auf Botschaften oder auf staatliche Einrichtungen stattfinden. Diese richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung, ausländische Regierungen und internationale Organisationen (LIB 4.6.2019, S. 69).

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, das Personenstands- und Urkundenwesen ist kaum entwickelt. Die lokalen Gemeinschaften verfügen über zahlreiche Informationen über die Familien in dem Gebiet, und die Ältesten haben einen guten Überblick (LIB 4.6.2019, S. 351).

1.1.2. Sicherheitslage

Im ersten Quartal 2019 wurden in Afghanistan 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte) registriert, darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist. Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen verursacht. Zu diesem Trend könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde. Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit mit unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden. Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Am stärksten betroffen waren Zivilisten (in dieser Reihenfolge) in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (LIB 4.6.2019, S. 13f.).

1.1.2.1. Situation in Kabul (Stadt/Provinz)

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen, die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben. Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen. Im Zeitraum 1.1.2017 - 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren (LIB 4.6.2019, S. 91f.).

Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul, auch dem Haqqani-Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben. So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal ("terrorists to hire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden (LIB 4.6.2019, S. 93).

Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt. Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Mai-Wochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen. Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt. Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt (LIB 4.6.2019, S. 14f.).

1.1.2.2. Situation in Herat

Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. In dieser Provinz befindet sich das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden. Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv. Ende Oktober 2017 wurde verlautbart, dass die Provinz Herat zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat. Im Zeitraum 1.1.2017 - 30.4.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt (LIB 4.6.2019, S. 145ff.). Am 2.8.2017 stürmten ein Selbstmordattentäter und ein bewaffneter Schütze während des Abendgebetes die schiitische Moschee Jawadia in Herat Stadt; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet (LIB 4.6.2019, S. 74).

Die Provinz ist u.a. als Hauptkorridor für den Menschenschmuggel in den Iran bekannt - speziell von Kindern. Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge (LIB 4.6.2019, S. 146f.).

Was die Nahrungsmittelversorgung anbelangt, ist zu bemerken, dass weit verbreitete Konflikte und die schwere Dürre über 150.000 Menschen gezwungen haben, aus ihren Dörfern im Nordwesten Afghanistans zu fliehen und in der Stadt Herat Schutz zu suchen. Ihr Zustand ist nach wie vor äußerst prekär, da sie mit Nahrungsmittelmangel und begrenztem Zugang zur Gesundheitsversorgung konfrontiert sind. Die Lebensbedingungen dieser Menschen sind unzureichend und in Bezug auf Unterkünfte, Wasser und sanitäre Einrichtungen besonders schlecht (ACCORD Themendossier zur Sicherheits- und sozioökonomischen Lage in Herat und Masar-e Sharif vom 27.7.2019 S. 11). Das Famine Early Warning System Network (FEWS NET) bewertet die Versorgungslage in der Stadt Herat mit Phase 2 (Phase 1 "Minimal" - 5 "Hungersnot"), wonach die Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch aufweisen und nicht in der Lage sind, sich wesentliche, nicht-nahrungsbezogene Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ACCORD-Themendossier zur Sicherheits- und sozioökonomischen Lage in Herat und Masar-e Sharif vom 27.7.2019, S. 6).

1.1.2.3. Situation in Mazar-e Sharif

Die Provinz Balkh, deren Hauptstadt Mazar-e Sharif ist, gilt nach wie vor als eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften, oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte. Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen. Diese militärischen Operationen werden in gewissen Gegenden der Provinz geführt. Dabei werden Taliban getötet und manchmal auch ihre Anführer. Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen.

Die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar (LIB 4.6.2019, S. 108ff.).

Was die Nahrungsmittelversorgung betrifft, bewertet das FEWS NET die Versorgungslage in Masar-e Sharif mit Phase 1 (Phase 1 "Minimal" - 5 "Hungersnot"), wonach die Haushalte in der Lage sind, den Bedarf an lebensnotwendigen Lebensmitteln und Nicht-Nahrungsmitteln zu decken, ohne atypische und unhaltbare Strategien für den Zugang zu Nahrung und Einkommen zu verfolgen (ACCORD-Themendossier zur Sicherheits- und sozioökonomischen Lage in Herat und Masar-e Sharif vom 27.7.2019, S. 6).

1.1.3. Ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34,1 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht. Schätzungen zufolge sind 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch-iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen (LIB 4.6.2019, S. 319).

Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (LIB 4.6.2019, S. 319f.).

Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan bilden Tadschiken in weiten Teilen Afghanistans ethnische Inseln, namentlich in den größeren Städten: In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit. Aus historischer Perspektive identifizierten sich Sprecher des Dari-Persischen in Afghanistan nach sehr unterschiedlichen Kriterien, etwa Siedlungsgebiet oder Herkunftsregion. Der Hauptführer der "Nordallianz", einer politisch-militärischen Koalition, ist Dr. Abdullah Abdullah, dessen Mutter Tadschikin und dessen Vater Pashtune ist. Trotz seiner gemischten Abstammung, sehen ihn die Menschen als Tadschiken an. Auch er selbst identifiziert sich politisch gesehen als Tadschike, da er ein hochrangiger Berater von Ahmad Shah Masoud, war. Mittlerweile ist er "Chief Executive Officer" in Afghanistan; ein Amt, das speziell geschaffen wurde und ihm die Rolle eines Premierministers zuweist. Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (LIB 4.6.2019, S. 324).

1.1.4. Religionen

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben. Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert. Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (LIB 4.6.2019, S. 309).

1.1.5. Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen erhebliche Fortschritte gemacht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern nur schwer durchzusetzen (LIB 4.6.2019, S. 295f.).

Zu den bedeutendsten Menschenrechtsfragen zählen außergerichtliche Tötungen, Verschwindenlassen, willkürliche Verhaftungen, Festnahmen (u. a. von Frauen wegen "moralischer Straftaten") und sexueller Missbrauch von Kindern durch Mitglieder der Sicherheitskräfte. Weitere Probleme sind Gewalt gegenüber Journalisten, Verleumdungsklagen, durchdringende Korruption und fehlende Verantwortlichkeit und Untersuchung bei Fällen von Gewalt gegen Frauen. Diskriminierung von Behinderten, ethnischen Minderheiten sowie aufgrund von Rasse, Religion, Geschlecht und sexueller Orientierung, besteht weiterhin mit geringem Zuschreiben von Verantwortlichkeit. Die weit verbreitete Missachtung der Rechtsstaatlichkeit und die Straffreiheit derjenigen, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben, sind ernsthafte Probleme. Missbrauchsfälle durch Beamte, einschließlich der Sicherheitskräfte, werden von der Regierung nicht konsequent bzw. wirksam verfolgt. Bewaffnete aufständische Gruppierungen greifen mitunter Zivilisten, Ausländer und Angestellte von medizinischen und nicht-staatlichen Organisationen an und begehen gezielte Tötungen regierungsnaher Personen. Regierungsfreundliche Kräfte verursachen eine geringere - dennoch erhebliche - Zahl an zivilen Opfern (LIB 4.6.2019, S. 295f.).

1.1.6. Rückkehr

1.1.6.1. Rückkehrmöglichkeiten

In Afghanistan gibt es insgesamt vier internationale Flughäfen (in Kabul, Herat, Mazar e-Sharif und Kandahar); alle vier werden für militärische und zivile Flugdienste genutzt. Trotz jahrelanger Konflikte verzeichnet die afghanische Luftfahrtindustrie einen Anstieg in der Zahl ihrer wettbewerbsfähigen Flugrouten. Daraus folgt ein erleichterter Zugang zu Flügen für die afghanische Bevölkerung.

Der Flughafen in Kabul ist ein internationaler Flughafen und liegt 16 km außerhalb des Stadtzentrums von Kabul. In den letzten Jahren wurde der Flughafen erweitert und modernisiert. Auch der im Jahr 2013 eröffnete internationale Flughafen in Mazar-e Sharif erfüllt derzeit die Anforderungen eines erhöhten Personen- und Frachtverkehrsaufkommens nicht und muss nach internationalen Standards ausgebaut werden. Eine private afghanische Fluglinie führt seit kurzem auch internationale Flüge nach Delhi durch. Diese Flüge werden als nutzbringend für die afghanische Bevölkerung im Norden angesehen - sowohl wirtschaftlich als auch insbesondere für jene, die spezielle medizinische Behandlungen benötigen. Indien ist die fünfte internationale Destination, die vom Flughafen Mazar-e Sharif aus angeflogen wird (ferner Türkei, Iran, Vereinigte Arabische Emirate und Saudi-Arabien). Der internationale Flughafen Herat befindet sich 10 km von der Provinzhauptstadt Herat entfernt und wird u.a. von den Sicherheitskräften der ISAF benutzt. Seit 2012 gilt er als internationaler Flughafen mit Flügen in den Iran, nach Pakistan, Dubai oder Tadschikistan (LIB 4.6.2019, S. 265f.).

1.1.6.2. Rückkehrsituation

Insgesamt sind in den Jahren zwischen 2012 und 2017 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan heim (LIB 4.6.2019, S. 371).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, von den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und von Internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung, wo Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden können (LIB 4.6.2019, S. 372 f.).

IOM gewährt seit April 2019 keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr, sondern eine Barzuwendung von ca. 150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten; nur wenige Rückkehrer hatten die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM genutzt (LIB 4.6.2019, S. 16).

Die Organisationen IOM, IRARA, ACE und AKAH bieten Unterstützung und nachhaltige Begleitung bei der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Schulungen an. NRC bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an und hilft bei Grundstücksstreitigkeiten. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden. IOM etwa bietet ein Programm zur unterstützten freiwilligen Rückkehr und Reintegration in Afghanistan an. Das Norwegian Refugee Council bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an (LIB 4.6.2019, S. 373).

Auch UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrer/innen anwesend, begleitet die Ankunft und verweist Personen welche einen Rechtsbeistand benötigen an die Afghanistan Independent Human Rights Commission. Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben (LIB 26.03.2019, S. 369 f.). Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft. Seit 2016 erhalten Rückkehr/innen Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (LIB 4.6.2019, S. 374).

1.1.6.3. Soziale Verhältnisse für Rückkehrer

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Quellen zufolge verlieren nur sehr wenige Afghanen in Europa den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere, wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen "professionellen" Netzwerken (Kolleg/innen, Kommilitonen etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 4.6.2019, S. 359f.).

1.1.6.4. Gesundheitsversorgung

Theoretisch ist die medizinische Versorgung in staatlichen Krankenhäusern kostenlos. Dennoch ist es üblich, dass Patienten Ärzte und Krankenschwestern bestechen, um bessere bzw. schnellere medizinische Versorgung zu bekommen. Eine begrenzte Anzahl an staatlichen Krankenhäusern in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten, wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. Für den Zugang zur medizinischen Versorgung sind der Besitz der afghanischen Staatsbürgerschaft und die Mitnahme eines gültigen Ausweises bzw. der Tazkira erforderlich. In öffentlichen Krankenhäusern in den größeren Städten Afghanistans können leichte und saisonbedingte Krankheiten sowie medizinische Notfälle behandelt werden. Es ist nicht auszuschließen, Beeinträchtigungen, wie Herz-, Nieren-, Leber- und Bauchspeicheldrüsenerkrankungen, die eine komplexe, fortgeschrittene Behandlung erfordern, wegen mangelnder technischer bzw. fachlicher Expertise nicht behandelt werden können. Wenn eine bestimmte medizinische Behandlung in Afghanistan nicht möglich ist, sehen sich Patienten gezwungen, ins Ausland (meist Indien, Iran, Pakistan oder Türkei) zu reisen. Da die medizinische Behandlung im Ausland kostenintensiv ist, haben zahlreiche Patienten, die es sich nicht leisten können, keinen Zugang zu einer angemessenen medizinischen Behandlung (LIB 4.6.2019, S. 365)

Es gibt keine staatliche Unterstützung für den Erwerb von Medikamenten. Die Kosten dafür müssen von den Patienten getragen werden. Nur privat versicherten Patienten können die Medikamentenkosten zurückerstattet werden. 90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden dennoch nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (LIB 4.6.2019, S. 363f.).

Die medizinische Versorgung ist z.B. bei psychischen Erkrankungen nicht in ausreichendem Maße gegeben, wenn auch etwa in Mazar-e Sharif ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) sowie ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus und in Kabul eine weitere psychiatrische Klinik existiert. Landesweit bieten alle Provinzkrankenhäuser kostenfreie psychologische Beratungen an, die in einigen Fällen sogar online zur Verfügung stehen. Mental erkrankte Personen können beim Roten Halbmond, in entsprechenden Krankenhäusern und bei anderen Nichtregierungsorganisationen behandelt werden (LIB 4.6.2019, S. 364f.).

Viele Menschen in Afghanistan haben konfliktbedingt keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung. Die Behandlung von Traumata gilt als einer der wesentlichsten Mängel im öffentlichen Gesundheitswesen Afghanistans. Medizinische Einrichtungen werden zunehmend zum Ziel militärischer Angriffe (ACCORD-Themendossier zur Sicherheits- und sozioökonomischen Lage in Herat und Masar-e Sharif vom 27.7.2019 S. 11).

1.2 Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger der tadschikischen Volksgruppe. Er wurde am XXXX in Afghanistan geboren, verließ mit seiner Familie als etwa siebenjähriges Kind Afghanistan und lebte rund 19 Jahre lang bis 2015 - also bis zur Ausreise nach Europa - im Iran. Dort arbeitete er von seinem 8. Lebensjahr an als Schneider, zwischendurch auch für rund zwei Jahre als Schweißer.

Der Beschwerdeführer ist gesund. In Österreich leben sein Vater (als subsidiär Schutzberechtigter) sowie seine Mutter - ebenso wie seine Schwester - (als Asylberechtigte). Von seinen - gleichfalls in Österreich lebenden - drei Brüdern ist einer (nach den Bestimmungen des Familienverfahrens) asylberechtigt, die beiden anderen Brüder sind bei offenem Beschwerdeverfahren vorläufig aufenthaltsberechtigt. In Afghanistan lebt lediglich eine - verheiratete - Schwester des Beschwerdeführers in Parwan.

Mit Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 28.3.2017, XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs. 1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 11 Monaten verurteilt, da er längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt gegen seine Ehefrau ausübte, indem er sie regelmäßig (zumindest) mit einer Verletzung am Körper gefährlich bedrohte, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, sie regelmäßig ohrfeigte, wegstieß, würgte, ihren Kopf gegen die Wand stieß und sie auf diese Weise am Körper verletzte.

Mit Urteil vom 2.5.2018, XXXX , löste das Bezirksgericht Mistelbach die zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Ehefrau in Teheran geschlossene Ehe auf und stellte das alleinige Verschulden des Beschwerdeführers an der Zerrüttung der Ehe fest. In den Entscheidungsgründen stellte das Bezirksgericht ferner fest, dass der Beschwerdeführer seine Ehefrau wiederholt misshandelt und ihr etwa wöchentlich körperliche Gewalt angetan habe, indem er sie ohrfeigte, wegstieß oder Gegenstände nach ihr warf. Weiters habe der Beschwerdeführer seine Ehefrau regelmäßig mit dem Umbringen bedroht.

Die geschiedene Ehefrau des Beschwerdeführers, der mit pflegschaftsgerichtlichem Beschluss die alleinige Obsorge des gemeinsamen Sohnes übertragen wurde, ist asylberechtigt; von ihrem Status wurde das Asyl zugunsten des am XXXX im Iran geborenen Sohnes des Beschwerdeführers abgeleitet. Der Beschwerdeführer hat seinen Sohn vor rund drei Jahren das letzte Mal gesehen. Vor ca. zwei Monaten beantragte der Beschwerdeführer beim zuständigen Bezirksgericht sein Besuchsrecht.

In Österreich lebt der - derzeit alleinstehende - Beschwerdeführer mit einem (vorläufig aufenthaltsberechtigten) Bruder gemeinsam in einem Haushalt und besucht seine Eltern ein- oder zweimal pro Woche. Er verfügt über einen größeren Freundes- und Bekanntenkreis, der auch Österreicher miteinschließt, spricht nach Absolvierung der B1-Prüfung die deutsche Sprache sehr gut, hat 2016 ca. einen Monat lang ehrenamtlich bei der Feuerwehr gearbeitet, ist ansonsten aber keiner entgeltlichen Erwerbstätigkeit in Österreich nachgegangen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr einer wie immer gearteten Verfolgung, insbesondere wegen Problemen seines Vaters und dessen Zugehörigkeit einer nicht näher feststellbaren Partei, ausgesetzt wäre. Insbesondere ist nicht feststellbar, dass dem Beschwerdeführer aufgrund der Tatsache, dass er im Iran und in Europa gelebt hat, konkret und individuell als Rückkehrer Gewalt in Afghanistan droht.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückführung in die Städte Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde. Der Beschwerdeführer ist in der Lage, in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat eine einfache Unterkunft zu finden, sich Beziehungen zu dort wohnhaften und mit der dortigen Gesellschaft vertrauten Personen aufzubauen und hat zudem die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Die Länderfeststellungen beruhen auf den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten. Das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation basiert auf eine Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger unbedenklicher Quellen und gewährleistet einen in den Kernaussagen schlüssigen Überblick über die aktuelle Lage in Afghanistan. Für das Bundesverwaltungsgericht bestand kein Grund, an der Richtigkeit der Länderberichte zu zweifeln. Dies gilt auch für den Inhalt der ACCORD-Anfragebeantwortung vom 26.7.2019 zur Sicherheitslage und sozioökonomischen Lage in Herat und Mazar-e Sharif.

2.2. Zu den Feststellungen über die Person des Beschwerdeführers:

2.2.1. Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers und zu seinem Leben im Iran sowie zu seinen sonstigen familiären Verhältnissen gründet auf seinen eigenen Angaben, die teilweise - wie etwa die strafgerichtliche Verurteilung oder die Scheidung von seiner Ehefrau - im Verwaltungsakt durch die entsprechenden Unterlagen untermauert wurden (siehe AS 135 und S. 3ff. der Verhandlungsniederschrift). Dies gilt auch für die Feststellung über seine gesundheitliche Verfassung, wobei die vom Februar bis Juni 2017 in Anspruch genommene Psychotherapie nicht übersehen wird, aber zeitlich doch schon einigermaßen weit zurückliegt, sodass die Angaben des Beschwerdeführers in der Beschwerdeverhandlung, wonach er gesund sei, unbedenklich erscheinen (S. 2f. der Verhandlungsniederschrift). Dass der Beschwerdeführer seit drei Jahren seinen Sohn nicht mehr gesehen hat, geht ebenfalls auf die eigenen Angaben des Beschwerdeführers zurück (und findet auch in der Stellungnahme des Kinder- und Jugendhilfeträgers vom 2.10.2018 eine Stütze, worin die alleinige Obsorgeübertragung an die Kindesmutter befürwortet und im Übrigen ausgeführt wurde, dass der Beschwerdeführer zu seinem Sohn "keinen Kontakt gepflegt und auch sonst kein Interesse gezeigt" habe).

2.2.2. Was die behaupteten Verfolgungsgründe anbelangt, konnte diesem Vorbringen keine Glaubwürdigkeit zuerkannt werden:

Zunächst ist zu bemerken, dass der Beschwerdeführer überhaupt keine näheren Angaben über die Gründe oder die Identität der Verfolger machen konnte. Nach allgemeiner Lebenserfahrung ist davon auszugehen, dass eine Person, die eine Verfolgung befürchtet, über die Motive und die Identität der Verfolger weitgehend genau Bescheid weiß und zumindest ein massives Interesse daran hat, seinen Kenntnisstand über ihm drohende Probleme so viel wie möglich zu erweitern bzw. zu vertiefen. Der Beschwerdeführer hätte im konkreten Fall die Möglichkeit gehabt, sich bei seinem Vater entsprechend zu erkundigen, wenn er tatsächlich eine Verfolgung im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan befürchten würde. Dies wäre umso naheliegender gewesen, als der Beschwerdeführer selbst wusste, dass es sich um Ereignisse handelt, die vor der Ausreise im Jahr 1997 geschehen sein müssten (siehe AS 135, 141), weshalb die Frage nach der Aktualität allfälliger damaliger Fluchtgründe offensichtlich ist. Welche sachlichen Gründe den Beschwerdeführer an einer solchen Informationsbeschaffung hinderten, konnte auch in der Beschwerdeverhandlung nicht abschließend geklärt werden, da der Beschwerdeführer trotz mehrmaliger Nachfrage lediglich ausweichend antwortete (S. 6f. der Verhandlungsniederschrift). Zu bedenken ist überdies, dass der Zeitraum, den der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang ungenützt gelassen hat, sehr lange ist und letztlich von der Antragstellung im November 2015 bis zur Beschwerdeverhandlung im August 2019 reicht. In der Beschwerdeverhandlung erweckte der Beschwerdeführer bei seinen Antworten auf die Fragen zur befürchteten Verfolgung nicht den Eindruck, alles in seiner Macht Stehende versucht zu haben, um in den Besitz möglichst vieler Informationen und Details über seine ihm drohende Verfolgung zu gelangen. Unter Würdigung aller dieser Umstände kann das Aussageverhalten des Beschwerdeführers - auch unter Berücksichtigung seines persönlichen Eindrucks in der Verhandlung - nur dahingehend interpretiert werden, dass er selbst seine Verfolgung aufgrund von Problemen seines Vaters als nicht wahrscheinlich erachtet.

Hinzu kommt, dass die persönliche Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers insofern gemindert ist, als der Beschwerdeführer in der Verhandlung vehement behauptete, in der Erstbefragung über eine Gefährdung in Afghanistan nicht gefragt worden zu sein, um dann auf Vorhalt des Protokolls, aus dem sich das Gegenteil ableiten ließ, zu erklären, dass sein Vater ihm zum Zeitpunkt der Erstbefragung noch nichts über seine Probleme bei einer Rückkehr erzählt habe (S. 7 der Verhandlungsniederschrift). Ferner fällt auf, dass der Beschwerdeführer im Rahmen der Erstbefragung als Rückkehrbefürchtung vorbrachte, dass er in Afghanistan den Wehrdienst leisten müsse und seine Ehefrau nicht alleine lassen könne (AS 13), wogegen er in der Beschwerdeverhandlung erklärte, überhaupt nicht zu wissen, ob eine Wehrpflicht in Afghanistan besteht (S. 8 der Verhandlungsniederschrift). Dies erweckt den Eindruck eines am Verfahrensergebnis orientierten Aussageverhaltens des Beschwerdeführers. Dies gilt umso mehr, als er hinsichtlich seiner Verfolgungsbefürchtungen zwar einerseits betonte, nichts Näheres über seine möglichen Verfolger zu wissen, andererseits aber versicherte, dass er auch in größeren Städten, wie Herat oder Mazar-e Sharif, Verfolgung ausgesetzt wäre (S. 7 der Verhandlungsniederschrift).

Obiter ist zu bemerken, dass dem Vater des Beschwerdeführers im Verfahren zu W138 2211128-1 der Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt wurde; vielmehr hat er seine Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides zurückgezogen (würde man die Aussagen des Vaters des Beschwerdeführers in seinem Verfahren heranziehen, ist anhand seiner Aussagen im Einvernahmeprotokoll, wonach er durch die Taliban vor seiner Ausreise im Jahr 1997 verfolgt worden sei, weder ersichtlich, dass derartige Ereignisse vor mehr als 22 Jahren auch heute noch aktuell wären, noch lässt sich erkennen, dass die damaligen Probleme des Vaters - etwa wegen dessen Prominenz - nach so langer Zeit auch noch Auswirkungen auf seinen Sohn, den Beschwerdeführer, insbesondere im Falle einer Ansiedlung in den Großstädten Mazar-e Sharif oder Herat haben könnten [im Übrigen hatte sich auch der Vater des Beschwerdeführers in seiner eigenen Erstbefragung laut angefochtenem Bescheid auf wirtschaftliche Ausreisegründe beschränkt]).

2.2.3. Dass der Beschwerdeführer bei einer allfälligen Rückkehr nach Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif nicht in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde, ergibt sich aus einer Zusammenschau der wiedergegebenen Länderberichte zu Kabul, Herat und Mazar-e Sharif und den festgestellten persönlichen Umständen und familiären Verhältnissen des Beschwerdeführers. In einer Gesamtbetrachtung der Länderberichte wird zwar deutlich, dass die Versorgungslage in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif angespannt ist, eine Versorgung mit Nahrung und Wasser in einem lebensnotwendigen Ausmaß jedoch möglich ist. Auch Wohnraum, Unterkünfte und Gesundheitseinrichtungen stehen - wenn auch nur begrenzt - den Länderfeststellungen zufolge zur Verfügung. Es kann den Erkenntnismitteln zur Lage in Afghanistan insgesamt nicht entnommen werden, dass alleine der Umstand einer Rückkehr aus dem westlichen Ausland bei fehlenden Netzwerken vor Ort einer Existenzsicherung (wenn auch nur auf geringer Stufe) in den oben genannten Städten entgegenstünde.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit der Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder wegen Zuständigkeit eines anderen Staates oder wegen Schutzes in einem EWR-Staat oder in der Schweiz zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der RL 2004/83/EG des Rates verweist).

Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist ein Flüchtling, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist somit die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht zur Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 5.9.2016, Ra 2016/19/0074 uva.).

Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 10.6.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.2.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.1.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.3.2000, 99/01/0256 mwN).

Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht gemäß § 3 AsylG 2005 setzt positiv getroffene Feststellungen von Seiten der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 11.6.1997, 95/01/0627). Dabei genügen aber nicht bloße Behauptungen, sondern bedarf es, um eine Anerkennung als Flüchtling zu erwirken, hierfür einer entsprechenden Glaubhaftmachung durch den Asylwerber (vgl. VwGH 4.11.1992, 92/01/0560). Die Glaubhaftmachung hat das Ziel, die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit bestimmter Tatsachenbehauptungen zu vermitteln. Glaubhaftmachung ist somit der Nachweis einer Wahrscheinlichkeit. Dafür genügt ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit als der, der die Überzeugung von der Gewissheit rechtfertigt (VwGH 29.5.2006, 2005/17/0252). Im Gegensatz zum strikten Beweis bedeutet Glaubhaftmachung ein reduziertes Beweismaß und lässt durchwegs Raum für gewisse Einwände und Zweifel am Vorbringen des Asylwerbers. Entscheidend ist, ob die Gründe, die für die Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung sprechen, überwiegen oder nicht. Dabei ist eine objektivierte Sichtweise anzustellen.

3.1.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens konnte eine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden. Anhaltspunkte, die eine mögliche individuelle Verfolgung des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat als wahrscheinlich erscheinen lassen, sind im gesamten Verfahren nicht hervorgekommen:

Auch eine Verfolgung des Beschwerdeführers als Angehöriger der sozialen Gruppe der Rückkehrer aus dem Iran (bzw. aus Europa) scheidet aus. Soweit im Rahmen der Beschwerde eine "verwestliche" Wertehaltung des Beschwerdeführers als asylrelevant geltend gemacht wurde, ist zu entgegen, dass die aktuellen Länderberichte nicht den Schluss zulassen, dass eine allfällige sogenannte "westliche Orientierung" zurückkehrender Männer im sozialen Leben in Afghanistan im Allgemeinen zu vergleichbar massiven und integritätsbeeinträchtigenden Konflikten führt, wie sie insbesondere afghanische Frauen im Allgemeinen erleben. Dafür, dass diese Einschätzung gerade beim Beschwerdeführer aus individuellen Gründen anders zu treffen wäre, lassen sich im vorliegenden Fall auch angesichts des Alters des Beschwerdeführers und des persönlichen Eindrucks, den der Beschwerdeführer im Rahmen seiner Beschwerdeverhandlung vermittelt hat, keine Anhaltspunkte erkennen (zur Frage einer "westlichen" Orientierung afghanischer Männer vgl. VwGH 15.12.2016, Ra 2016/18/0329).

Es ist daher im vorliegenden Fall nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan aus in der GFK genannten Gründen (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung) Eingriffen von erheblicher Intensität in seine zu schützende persönliche Sphäre ausgesetzt wäre.

Vollständigkeitshalber wird bemerkt, dass es für den Beschwerdeführer nicht möglich ist, gemäß § 34 AsylG 2005 einen asylrechtlichen Schutzstatus oder Aufenthaltstitel von der geschiedenen Ehefrau abzuleiten, weil mit der Beendigung der Ehe die "ursprüngliche" Eigenschaft als "Familienangehöriger" verloren geht (VwGH 28.1.2016, Ra 2015721/0230; 24.10.2018, Ra 2018/14/0040). Auch eine Ableitung eines asylrechtlichen Schutzstatus vom minderjährigen Sohn des Beschwerdeführers scheidet aus, da das Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 6 AsylG 2005 nicht auf Familienangehörige eines Fremden anzuwenden ist, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten selbst "nur" im Rahmen eines Familienverfahrens zuerkannt wurde.

3.2. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:

3.2.1. Wird ein Asylantrag "in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten" abgewiesen, ist dem Asylwerber gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, "wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstattlichen Konfliktes mit sich bringen würde".

Gemäß § 8 Abs. 3 und 6 AsylG 2005 ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich dieses Status abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offensteht oder wenn der Herkunftsstaat des Asylwerbers nicht festgestellt werden kann.

Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird - auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören - der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten (oder anderer in § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erwähnter) Rechte ausgesetzt wäre, kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen (VwSlg. 15.437 A/2000; VwGH 21.9.2000, 99/20/0373; 21.6.2001, 99/20/0460; 16.4.2002, 2000/20/0131).

Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus (VwGH 25.4.2017, Ra 2017/01/0016; 29.5.2019, Ra 2019/20/0043). Um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können, reicht es aber nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können (VwGH 18.7.2019, Ra 2019/19/0197 mwN).

3.2.2. Gemäß den Länderfeststellungen ist die allgemeine Situation hinsichtlich der Sicherheits- und Versorgungslage kritisch und die Rückkehrsituation insbesondere für junge Afghanen ohne familiäres Netzwerk, die obendrein nie zuvor in Afghanistan gelebt haben, schwierig.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die allgemeine Situation in Afghanistan jedoch nicht so gelagert, dass die Ausweisung dorthin automatisch gegen Art. 3 EMRK verstoßen würde (VwGH 19.6.2017, Ra 2017/19/0095 mwN). Ferner entspricht es der Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts, dass es einem gesunden Asylwerber im erwerbsfähigen Alter, der eine der Landessprachen Afghanistans beherrscht, mit den Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut sei und di

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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