Entscheidungsdatum
30.09.2019Norm
BFA-VG §18 Abs3Spruch
G314 2223603-1/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des deutschen Staatsangehörigen XXXX, geboren am XXXX, vertreten durch XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 19.08.2019,Zl. XXXX, betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu Recht:
A) Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung
zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.
B) Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene
Bescheid dahingehend abgeändert, dass es in Spruchpunkt I. zu lauten hat: "Gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG wird gegen den Beschwerdeführer ein für die Dauer von sechs Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen."
C) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
Verfahrensgang:
Der BF wurde am XXXX.2019 verhaftet und in der Folge in der Justizanstalt XXXX angehalten. Mit Schreiben vom 21.05.2019 wurde er vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) aufgefordert, sich zur beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zu äußern. Er erstattete eine entsprechende Stellungnahme.
Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX.2019, XXXX, wurde der BF zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt. Am XXXX.2019 wurde er vor dem BFA zur Prüfung einer allfälligen aufenthaltsbeendenden Maßnahme vernommen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde daraufhin gegen ihn gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein für die Dauer von 7 1/2 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG aberkannt (Spruchpunkt III.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit seinen strafgerichtlichen Verurteilungen und seiner Flucht aus der Justizanstalt begründet. Private oder familiäre Anbindungen stünden dem nicht entgegen. Die dem BF anlässlich seiner bedingten Entlassung erteilten Weisungen könnten auch von seinem Herkunftsstaat aus befolgt werden.
Am XXXX.09.2019 wurde der BF bedingt aus dem Strafvollzug entlassen und noch am selben Tag in seinen Herkunftsstaat abgeschoben.
Gegen den oben angeführten Bescheid richtet sich die wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und der Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde mit den Anträgen auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung und auf Durchführung einer Beschwerdeverhandlung, mit der der BF die Behebung oder die Herabsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbots anstrebt. Hilfsweise wird auch ein Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag gestellt. Der BF begründet die Beschwerde zusammengefasst damit, dass er nicht versucht habe, aus der Justizanstalt zu fliehen, sondern lediglich verspätet vom Freigang zurückgekehrt sei. Er lebe seit drei Jahren in Österreich, habe hier ein geregeltes Leben geführt und sei stets erwerbstätig gewesen. Das Aufenthaltsverbot greife unverhältnismäßig in sein Privatleben ein. Die Behörde habe die Einstellungszusage seines früheren Arbeitgebers und die auf Dauer angelegte Partnerschaft mit einer in Österreich lebenden spanischen Staatsangehörigen nicht berücksichtigt. Bei Berücksichtigung des reuigen und einsichtigen Verhaltens des BF könne nicht von einer Gefahr für Grundinteressen der Gesellschaft ausgegangen werden, zumal er seine Gewaltbereitschaft unter Alkoholeinfluss anerkenne und therapiebereit sei.
Das BFA erstattete eine ausführliche Stellungnahme zur Beschwerde, beantragte deren Abweisung und legte die Beschwerde samt den Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor, wo sie am 20.09.2019 einlangte.
Feststellungen:
Der BF wurde am XXXX geboren, stammt aus Deutschland, wo er bis April 2016 lebte, und spricht Deutsch. In seinem Herkunftsstaat besuchte er die Schule und absolvierte eine Kochausbildung. Er ist alkoholabhängig, aber abgesehen davon gesund und arbeitsfähig. Er ist ledig und für zwei minderjährige, in Deutschland lebende Töchter aus einer mittlerweile beendeten Lebensgemeinschaft, mit denen er in regelmäßigem telefonischen Kontakt steht, sorgepflichtig.
Ab Mitte April 2016 hielt sich der BF in Österreich auf, wo er ab Mai 2017 mit Hauptwohnsitz gemeldet und mit saisonbedingten Unterbrechungen in verschiedenen Hotels in XXXX erwerbstätig war. Im August 2017 wurde ihm eine Anmeldebescheinigung als Arbeitnehmer ausgestellt. Der BF knüpfte hier freundschaftliche Beziehungen zu mehreren Arbeitskollegen und lebte ab ungefähr Mitte 2018 in einer Partnerschaft mit einer spanischen Staatsangehörigen, die ebenfalls in einem Hotel in XXXX arbeitete, ohne dass ein gemeinsamer Haushalt bestand.
In Deutschland war der BF ab 2001 wiederholt strafgerichtlich verurteilt worden. Im Juni 2001 wurde wegen gewerbsmäßigen Suchtgifthandels eine zunächst bedingt nachgesehene Freiheitstrafe von zwei Jahren verhängt; die Strafaussetzung wurde in der Folge widerrufen. Nach dem Vollzug eines Teils dieser Strafe 2006/2007 wurde dem BF der Strafrest Anfang 2013 erlassen. 2004 wurde er wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe verurteilt. 2005 folgten zwei weitere Verurteilungen zu Geldstrafen wegen einer Beleidigung und einer vorsätzlichen Körperverletzung. 2006 wurde der BF wegen Bedrohung zu einer Geldstrafe und wegen fahrlässiger Trunkenheit am Steuer zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zwei Monaten und sieben Tagen verurteilt. Es folgte die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten wegen versuchter räuberischer Erpressung, Nötigung und Körperverletzung, die teilweise zur Bewährung ausgesetzt und letztlich 2013 erlassen wurde. 2009 wurde wegen Beleidigung eine Geldstrafe verhängt, 2011 wegen Körperverletzung in vier Fällen, einmal in Tateinheit mit Bedrohung, eine 10-monatige Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt und 2016 erlassen wurde. Zuletzt wurde gegen den BF 2012 wegen des Besitzes kinderpornographischer Schriften eine Geldstrafe verhängt.
In Österreich wurde der BF erst einmal strafgerichtlich verurteilt. Am XXXX.06.2019 verhängte das Landesgericht XXXX wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 und Abs 5 Z 1 StGB (ausgehend von einem Strafrahmen von sechs Monaten bis fünf Jahren Freiheitsstrafe) eine 24-monatige Freiheitsstrafe, wobei ein Strafteil von 16 Monaten für eine dreijährige Probezeit bedingt nachgesehen wurde. Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass er am XXXX.03.2019 in alkoholisiertem Zustand einem Freund ein Bierglas kraftvoll gegen den Hals stieß und ihm so vorsätzlich eine an sich schwere Körperverletzung (5 cm lange Verletzung der rechten Halsseite und der Halsvene, die operativ versorgt werden musste) auf eine Weise, mit der Lebensgefahr verbunden ist, zufügte. Bei der Strafzumessung wurde das reuige Nachtatverhalten des BF (Erste Hilfe, Verständigung der Rettung, Entschuldigung beim Opfer und Versorgung von dessen Hund) als deutlich mildernd, vier einschlägige, wenn auch schon längere Zeit zurückliegende Vorstrafen sowie die zweifache Qualifikation der Körperverletzung (an sich schwer und auf eine mit Lebensgefahr verbundene Weise) hingegen als erschwerend gewertet.
Der BF verbüßte die Freiheitsstrafe (unter Berücksichtigung der Vorhaft ab XXXX.03.2019) bis zur bedingten Entlassung am XXXX.2019 in der Justizanstalt XXXX, wo seien Führung als mäßig beurteilt wurde und er als Freigänger abgelöst werden musste, weil er am XXXX.07.2019 verspätet vom Freigang zurückkehrte. Für die Dauer der dreijährigen Probezeit wurde sowohl anlässlich der Verurteilung als auch anlässlich der bedingten Entlassung die Bewährungshilfe angeordnet und dem BF die Weisung, sich einer Alkoholentwöhnungstherapie zu unterziehen, erteilt. Bei der bedingten Entlassung wurde er zusätzlich angewiesen, ein Beschäftigungsverhältnis einzugehen und darüber binnen Monatsfrist zu berichten. Diese Auflagen sind nicht zwingend in Österreich durchzuführen, sondern können z.B. auch von Deutschland aus erfüllt werden. Der BF hatte für die Zeit nach der Haftentlassung einen Arbeitsplatz in XXXX in Aussicht.
Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsakts des BVwG.
Die Feststellungen zur Identität des BF sowie zu seinen persönlichen und familiären Verhältnissen beruhen auf seinem (dem BVwG in Kopie vorliegenden) Personalausweis, den entsprechenden Angaben im Strafurteil sowie auf seinen damit übereinstimmenden Angaben.
Deutschkenntnisse des BF sind aufgrund seiner Herkunft und seines Lebensmittelpunkts in Deutschland und Österreich plausibel, zumal die Einvernahme ohne Dolmetsch erfolgte. Seine Ausbildung wird anhand seiner Angaben dazu festgestellt. Die Alkoholabhängigkeit ergibt sich aus der Stellungnahme vom 25.05.2019, in der der BF den Alkoholentzug während der Untersuchungshaft erwähnt. Dafür sprechen auch die Weisung zu einer Alkoholentwöhnungstherapie und das mit der Beschwerde vorgelegte Schreiben einer Beratungsstelle für Abhängigkeitserkrankte. Da der BF sich gegenüber dem BFA als gesund bezeichnete, ist davon auszugehen, dass keine weiteren schwerwiegenden gesundheitlichen Probleme bestehen. Seine Arbeitsfähigkeit folgt daraus, aus seinem erwerbsfähigen Alter und der bis zur Inhaftierung ausgeübten Erwerbstätigkeit.
Der BF gab im Verwaltungsverfahren konsistent an, sich seit April 2016 in Österreich aufzuhalten, sodass ihm insoweit zu folgen ist, obwohl erst ab Mai 2017 Wohnsitzmeldungen laut dem Zentralen Melderegister (ZMR) und Versicherungszeiten laut Versicherungsdatenauszug bestehen. Die Anmeldebescheinigung ist im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR) dokumentiert. Der BF nannte dem BFA mehrere Personen, mit denen er sich in Österreich anfreundete, und schilderte seine Beziehung mit einer spanischen Staatsangehörigen schlüssig und nachvollziehbar. Ein gemeinsamer Haushalt ist weder seinen Angaben noch dem Beschwerdevorbringen zu entnehmen.
Die strafgerichtlichen Verurteilungen des BF in Deutschland werden anhand des aktenkundigen ECRIS-Auszugs festgestellt. Einige (aber bei weitem nicht alle) Verurteilungen gab der BF auch in der Stellungnahme vom 25.05.2019 und bei der Einvernahme vor dem BFA zu. Bei letzterer schilderte er auch, dass er 2006/2007 in XXXX in Haft gewesen sei, was insofern mit dem ECRIS-Auszug in Einklang steht, weil er offenbar einen Teil der 2001 verhängten zweijährigen und der 2006 verhängten 15-monatigen Freiheitsstrafe verbüßte, wobei der Rest in der Folge jeweils zur Bewährung ausgesetzt und letztlich erlassen wurde.
Die Feststellungen zu der vom BF in Österreich begangenen Straftat, zu seiner Verurteilung und zu den Strafbemessungsgründen basieren auf dem Urteil des Landesgerichts XXXX, das im Einklang mit dem vorliegenden Polizeibericht steht. Der unmittelbar nach der Tat festgestellte hohe Alkoholgehalt in der Atemluft des BF (1,5 mg/l) und die Notwendigkeit einer operativen Versorgung der Verletzung werden dem Polizeibericht entnommen. Die Verurteilung wird auch durch die entsprechende Eintragung im Strafregister belegt.
Die Feststellungen zum Strafvollzug basieren auf der Vollzugsinformation und der Wohnsitzmeldung in der Justizanstalt laut ZMR. Das Vollzugsverhalten des BF wird anhand der im Protokollsvermerk des Landesgerichts XXXX vom XXXX.08.2019 wiedergegebenen Stellungnahme der Justizanstalt zur bedingten Entlassung des BF festgestellt. Er räumt in der Beschwerde übereinstimmend damit ein, am XXXX.07.2019 zu spät vom Freigang zurückgekehrt zu sein. Die im angefochtenen Bescheid festgestellte Flucht des BF kann dagegen nicht konstatiert werden, zumal sich den vorgelegten Verwaltungsakten keine entsprechenden Beweisergebnisse entnehmen lassen.
Die bedingte Entlassung des BF geht aus dem entsprechenden Beschluss des Landesgerichts XXXX und aus dem Strafregister hervor. Die Anordnung der Bewährungshilfe und die dem BF erteilten Weisungen ergeben sich aus dem Strafurteil und aus dem Beschluss über die bedingte Entlassung. Der Umstand, dass die Weisungen auch vom Ausland aus erfüllt werden können, ist angesichts des Fehlens einer an den BF gerichteten Anordnung, Österreich nicht zu verlassen, als notorisch anzusehen und wurde vom Landesgericht XXXX auch bestätigt (siehe Aktenvermerk vom 19.08.2019). Die Vorlage der Einstellungszusage wurde bei der Einvernahme des BF am 17.07.2019 protokolliert.
Anhaltspunkte für familiäre oder über die Feststellungen hinausgehende private oder berufliche Bindungen des BF in Österreich bestehen nicht.
Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
Aufgrund der in § 18 Abs 5 BFA-VG angeordneten amtswegigen Prüfung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG ist der Antrag des BF, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, weder notwendig noch zulässig und daher zurückzuweisen.
Zu Spruchteil B):
Als Staatsangehöriger von Deutschland ist der BF EWR-Bürger iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG.
Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen EWR-Bürger, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei einer besonders schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit (so etwa bei einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren) kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs 3 FPG auch unbefristet erlassen werden.
Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 19.02.2014, 2013/22/0309).
Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Art 8 Abs 2 EMRK legt fest, dass der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft ist, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Gemäß § 9 BFA-VG ist (ua) die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 FPG, durch das in das Privat- und Familienleben eines Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration
(Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen.
Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt ergibt Folgendes:
Mangels eines fünf Jahre übersteigenden Aufenthalts des BF in Österreich ist der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 zweiter bis vierter Satz FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt") anzuwenden.
Das persönliche Verhalten des BF stellt eine solche Gefahr dar, die Grundinteressen der Gesellschaft an Ruhe und Ordnung, an der Verhinderung strafbarer Handlungen und am Schutz der Rechte und Freiheiten anderer berührt, weil er einem Freund vorsätzlich und auf eine mit Lebensgefahr verbundene Weise eine schwere Körperverletzung zufügte. Aufgrund des belasteten Vorlebens des BF und der Wirkungslosigkeit diverser strafgerichtlicher Sanktionen ist zusammen mit seinem problematischen Alkoholkonsum auf eine beträchtliche von ihm ausgehende Gefahr zu schließen, zumal die Straftat noch nicht lange zurückliegt und er erst vor kurzem aus dem Strafvollzug entlassen wurde. Insbesondere aufgrund der einschlägigen Vorstrafen besteht eine erhebliche Wiederholungsgefahr. Dies zeigt sich nicht zuletzt am Verhalten des BF während des Strafvollzugs, wo er den Status eines Freigängers aufgrund einer verspäteten Rückkehr in die Justizanstalt kurz nach seiner Verurteilung wieder verlor. Dies relativiert die in der Beschwerde vorgebrachte und auch durch das Nachtatverhalten untermauerte Reue und zeigt, dass der BF durch den bis dahin erlittenen Freiheitsentzug noch nicht signifikant geläutert worden war.
Der Gesinnungswandel eines Straftäters ist grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat (siehe VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0233). Das gilt auch im Fall einer (erfolgreich) absolvierten Therapie (so z.B. VwGH 20.12.2018, Ra 2018/21/0112). Derzeit kann daher noch nicht von einem Wegfall oder einer wesentlichen Minderung der durch die strafgerichtliche Verurteilung des BF indizierten Gefährlichkeit ausgegangen werden, zumal er noch nicht einmal die benötigte Alkoholentwöhnungstherapie abgeschlossen hat.
Unter Bedachtnahme auf Art und Schwere der Straftaten, auf das Persönlichkeitsbild, das sich daraus ergibt, und das Gesamtverhalten des BF ist die für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots erforderliche aktuelle Gefährdung von öffentlichen Interessen in maßgeblicher Intensität zu bejahen. Seine massive Gewaltdelinquenz legt aufgrund der bisherigen Wirkungslosigkeit von Geldstrafen sowie bedingten und unbedingten Freiheitsstrafen nahe, dass von ihm auch zukünftig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung iSd § 67 Abs 1 FPG ausgehen wird. Aktuell kann ihm keine positive Zukunftsprognose attestiert werden.
Mangels in Österreich aufhältiger Mitglieder der Kernfamilie des BF greift das Aufenthaltsverbot nicht in sein Familienleben ein. Der damit verbundene Eingriff in sein Privatleben ist trotz seiner Absicht, die Erwerbstätigkeit nach dem Strafvollzug in Österreich fortzusetzen, verhältnismäßig, zumal aufgrund der Straffälligkeit ein besonders großes Interesse an der Aufenthaltsbeendigung besteht und er die Kontakte zu seinen in Österreich lebenden Bezugspersonen, die zuletzt ohnedies haftbedingt eingeschränkt waren, durch Telefonate, Briefe oder elektronische Kommunikationsmittel (E-Mail, Internet) sowie durch Besuche außerhalb Österreichs pflegen kann. Angesichts der erst 3 1/2jährigen Dauer des Inlandsaufenthalts ist es dem BF trotz der Einstellungszusage eines österreichischen Arbeitgebers zumutbar, die Erwerbstätigkeit außerhalb Österreichs fortzusetzen und auch die gerichtlich angeordnete Therapie in einem anderen Staat durchzuführen. Das Aufenthaltsverbot wurde somit dem Grunde nach zu Recht erlassen.
Allerdings ist die vom BFA mit 7 1/2 Jahren bemessene Dauer überschießend, weil die Vorstrafen des BF zum Teil schon länger zurückliegen und er nach mehr als zehn Jahren erstmals wieder in Strafhaft war, aus der er vorzeitig bedingt entlassen werden konnte. Zu seinen Gunsten sind auch sein Nachtatverhalten und die Einsicht in die Behandlungsbedürftigkeit seiner Alkoholabhängigkeit zu berücksichtigen. Die Dauer des Aufenthaltsverbots ist daher - dem entsprechenden Beschwerdeantrag folgend - auf sechs Jahre zu reduzieren. Eine weitere Reduktion scheitert am belasteten Vorleben des BF, der von ihm verursachten lebensgefährlichen Verletzung und dem problematischen Vollzugsverhalten. Das BVwG geht davon aus, dass aufgrund des konkreten Unrechtsgehalts der vom BF begangenen Straftat unter Berücksichtigung der Strafzumessungsgründe und der vorangegangenen Verurteilungen sowie der Notwendigkeit einer nachhaltigen Alkoholentwöhnung ein sechsjähriges Aufenthaltsverbot notwendig, aber auch ausreichend ist, um der von ihm ausgehenden Gefährlichkeit wirksam zu begegnen. Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist daher entsprechend abzuändern.
Gemäß § 70 Abs 3 FPG ist EWR-Bürgern bei der Erlassung einer Ausweisung von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich. Gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG kann die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot aberkannt werden, wenn die sofortige Ausreise der Betroffenen oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich ist. Einer Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung aberkannt wurde, hat das BVwG diese gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG vom Amts wegen zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des oder der Fremden in den Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2, Art 3 oder Art 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK bedeuten würde oder für ihn oder sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. In der Beschwerde gegen den in der Hauptsache ergangenen Bescheid sind die Gründe, auf die sich die Behauptung des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit stützt, genau zu bezeichnen.
Vor diesem gesetzlichen Hintergrund sind die Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheids nicht zu beanstanden. Aufgrund der Verurteilung des BF wegen einer in einem alkoholisierten Zustand auf lebensgefährliche Weise zugefügten schweren Körperverletzung ist dem BFA darin beizupflichten, dass seine sofortige Ausreise nach der Entlassung aus dem Strafvollzug im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich war. Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung war angesichts des belasteten Vorlebens des BF trotz der in der Beschwerde ins Treffen geführten Bindungen im Inland nicht zu beanstanden. Es ist möglich und zumutbar, den Transport seiner in Österreich verbliebenen Fahrnisse - allenfalls mit Hilfe seiner hier lebenden Freunde - vom Ausland aus zu organisieren.
Da der relevante Sachverhalt aus der Aktenlage und dem Beschwerdevorbringen geklärt erscheint und auch bei einem positiven Eindruck vom BF bei einer mündlichen Verhandlung keine Herabsetzung oder gar ein Entfall des Aufenthaltsverbotes möglich wäre, kann die beantragte Beschwerdeverhandlung gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG unterbleiben. Von deren Durchführung ist keine weitere Klärung der Angelegenheit zu erwarten, zumal das BVwG ohnedies von den Behauptungen des BF zu seinen privaten Anknüpfungen im Inland und zum Nichtvorliegen einer Flucht aus der Justizanstalt ausgeht, sodass kein klärungsbedürftiges Tatsachenvorbringen erstattet wurde.
Zu Spruchteil C):
Die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose und die Bemessung der Dauer eines Einreise- oder Aufenthaltsverbots sind im Allgemeinen nicht revisibel (VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0284). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.
Schlagworte
Aufenthaltsverbot, Herabsetzung, MilderungsgründeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:G314.2223603.1.00Zuletzt aktualisiert am
03.02.2020