TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/8 W171 2219930-1

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Veröffentlicht am 08.10.2019
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Entscheidungsdatum

08.10.2019

Norm

BFA-VG §22a
BFA-VG §22a Abs1 Z3
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §76
FPG §76 Abs2 Z2
VwGVG §35 Abs2
VwGVG §35 Abs3

Spruch

W171 2219930-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor MORAWETZ, MBA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA Rumänien, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl: XXXX zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird gemäß § 22a Abs. 1 Z. 3 BFA-VG idgF iVm § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG idgF stattgegeben und der Schubhaftbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zahl XXXX , aufgehoben sowie die Anhaltung in Schubhaft vom 19.04.2019 bis zum 02.05.2019 für rechtswidrig erklärt.

II. Gemäß § 35 Abs. 2 VwGVG iVm § 1 Z. 1 VwG-AufwErsV hat der Bund dem Beschwerdeführer zu Handen seines ausgewiesenen Vertreters Aufwendungen in Höhe von € 737,60 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

III. Der Antrag der Behörde auf Kostenersatz wird gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 31.08.2017 wurde der Beschwerdeführer wegen § 38a Abs 2 lit a FinStrG zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten, davon 14 Monate bedingt, und nach § 44 Abs 2 FinStrG zu einer Geldstrafe von EUR 120.000,- (im Uneinbringlichkeitsfall zu 2 Monaten Ersatzfreiheitsstrafe) verurteilt. Mit selbem Urteil wurde auf einen anteiligen Wertersatz von € 235.392,55, im Uneinbringlichkeitsfall 4 Monate Ersatzfreiheitsstrafe, erkannt.

1.2. Am 30.01.2019 trat der Beschwerdeführer seine Haftstrafe an.

1.3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.03.2019 wurde gegen den Beschwerdeführer gem. § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein für die Dauer von 7 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Weiters wurde gem. § 70 Absatz 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt. Der Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot wurde gem. § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer am 09.04.2019 Beschwerde ein.

1.4. Der Beschwerdeführer wurde am 19.04.2019 nach Verbüßung der Strafhaft übernommen und in weitere Folge aufgrund eines Festnahmeauftrages des BFA nach § 34 Abs. 3 Z3 BFA-VG gem. § 40 Abs. 1 Z 1 BFA VG festgenommen und in das PAZ eingeliefert.

In einer Einvernahme zur möglichen Schubhaftverhängung am selben Tag gab der Beschwerdeführer an, dass er am 28.01.2019 mit dem Zug aus Rumänien nach Österreich gekommen sei, um seine Haftstrafe anzutreten. Er verfüge über € 500 Bargeld. In Österreich lebe eine Tante, bei der er geschlafen habe, als er Ausgang aus dem Gefängnis gehabt habe. Nach seiner Entlassung habe er vorgehabt, mit dem Zug nach Rumänien zurückzukehren. In Rumänien lebten seine Frau, sein minderjähriger Sohn, seine Eltern und eine Schwester.

1.5. Mit dem nunmehr angefochtenen Mandatsbescheid wurde über den BF gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

Die Behörde begründete die Verhängung der Schubhaft damit, dass gegen den Beschwerdeführer ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot bestehe. Er stelle durch seine Straffälligkeit eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Er gehe keiner Erwerbstätigkeit nach, habe keinen ordentlichen Wohnsitz in Österreich und verfüge weder über berufliche, soziale noch familiäre Bindungen. Er sei obdachlos und daher für das behördliche Verfahren nicht greifbar. Er habe sich nicht als vertrauenswürdig erwiesen und sei davon auszugehen, dass erhebliche Fluchtgefahr vorliege. Es sei zu prognostizieren, dass der Beschwerdeführer versuchen werde, sich im Verborgenen unrechtmäßig aufzuhalten und er weitere Straftaten zur Finanzierung des illegalen Aufenthalts begehen werde. Die Voraussetzungen für die Inschubhaftnahme des Beschwerdeführers seien daher gegeben und zur Sicherung der Abschiebung wegen bestehenden Fluchtgefahr auch verhältnismäßig. Ein gelinderes Mittel komme im gegenständlichen Fall nicht in Betracht und sei die Inschubhaftnahme als "ultima ratio" zu Sicherung der Abschiebung des Beschwerdeführers dringend erforderlich.

1.6. Der Beschwerdeführer wurde am 02.05.2019 auf dem Landweg über Ungarn nach Rumänien überstellt.

1.6. Gegen den Schubhaftbescheid erhob der BF durch seinen Rechtsvertreter rechtzeitig Beschwerde und begründete die Rechtswidrigkeit der Schubhaft im Wesentlichen damit, dass keine Notwendigkeit für eine Schubhaftverhängung im Anschluss an die Strafhaft bestehe, da die Abschiebung des Beschwerdeführers im Anschluss an die Strafhaft innerhalb von 72 Stunden hätte erfolgen können. Die Fluchtgefahr sei darüber hinaus mangelhaft begründet. Der Beschwerdeführer sei freiwillig nach Rumänien ausgereist, habe sich zwischen seiner Verurteilung und dem Antritt der Strafhaft wohlverhalten und seine Strafe freiwillig angetreten. Er sei nicht obdachlos, sondern verfüge über einen Wohnsitz in Rumänien, wo ihm auch die Ladung für eine Zeugeneinvernahme am 29.01.2019 zugestellt worden sei. Er hatte in seiner Einvernahme auch angegeben, freiwillig nach Rumänien ausreisen zu wollen. Die Angaben in dieser Einvernahme hätten keine Berücksichtigung im Bescheid gefunden, etwa die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Tante, bei der er sich während seines Ausgangs aufgehalten habe. Abschließend wurde der Ersatz des Aufwandes nach § 35 VwGVG beantragt.

1.6. Das BFA legte die Verwaltungsakten vor, erstattete eine Stellungnahme und beantragte unter Hinweis auf die Begründung im angefochtenen Mandatsbescheid die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

In der Stellungnahme wurde vorgebracht, dass sich der Sicherungsbedarf auf den Aufenthalt im Bundesgebiet ohne behördliche Meldung und ohne Dokumentation, die Meldung lediglich in Justizanstalten, die mehrmalige Straffälligkeit, und die fehlende soziale Verankerung stütze. Der Beschwerdeführer sei ohne Aufschub beim nächsten Sammeltransport angemeldet und zum nächstmöglichen Termin abgeschoben worden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

A. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Rumänien und besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft. Der Beschwerdeführer ist somit EWR-Bürger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 8 FPG. Seine Identität steht fest.

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 31.08.2017 wurde der Beschwerdeführer wegen § 38a Abs 2 lit a FinStrG zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten, davon 14 Monate bedingt, und nach § 44 Abs 2 FinStrG zu einer Geldstrafe von EUR 120.000,- (im Uneinbringlichkeitsfall zu 2 Monaten Ersatzfreiheitsstrafe) verurteilt. Mit selbem Urteil wurde auf einen anteiligen Wertersatz von € 235.392,55, im Uneinbringlichkeitsfall 4 Monate Ersatzfreiheitsstrafe, erkannt.

Der Beschwerdeführer reist laut eigenen Angaben nach seiner Verurteilung am 31.08.2017 aus dem Bundesgebet aus und erst am 28.01.2019 wieder nach Österreich ein. Grund der Einreise war eine Ladung zu einer Zeugeneinvernahme am 29.01.2019. Die Ladung war dem Beschwerdeführer in Rumänien zugestellt worden. Am 30.01.2019 trat er seine Haftstrafe an und wurde am 19.04.2019 aus der Strafhaft entlassen.

Es bestehen keine Hinweise dafür, dass sich der Beschwerdeführer zwischen 31.08.2017 und 28.01.2019 illegal in Österreich aufgehalten hätte.

Laut Angaben des Beschwerdeführers verfügt er im Bundesgebiet über eine Tante, bei der er während seines Haftausgangs auch Unterkunft nahm.

Das BFA erließ gegen den Beschwerdeführer am 20.02.2019 einen Festnahmeauftrag. Der gegenständliche Mandatsbescheid wurde am 19.04.2019 erlassen. Der Beschwerdeführer befand sich ab 19.04.2019 in Schubhaft und wurde am 02.05.2019 nach Rumänien abgeschoben.

Festgestellt wird, dass es die belangte Behörde unterlassen hat, ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren hinsichtlich der Ausreisewilligkeit und einer Wohnsitzmöglichkeit des Beschwerdeführers in Österreich durchzuführen. Der Beschwerdeführer gab an, während des Haftausgangs bei einer Tante Unterkunft genommen zu haben und nach der Entlassung nach Rumänien ausreisen zu wollen. Die Behörde stellte jedoch fest, dass der Beschwerdeführer in Österreich obdachlos und ein illegaler Verbleib in Österreich wahrscheinlich sei.

B. Beweiswürdigung:

2.1. Die Identität des Beschwerdeführers konnte aufgrund seines rumänischen Personalausweises festgestellt werden.

Die Verurteilung des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem im Akt aufliegenden Strafregisterauszug.

Die Wiedereinreise des Beschwerdeführers ins Bundesgebiet am 28.01.2019 ergibt sich aus seinen eigenen Angaben und der im Akt aufliegenden Ladung zur Zeugeneinvernahme am 29.01.2019, die an die rumänische Adresse des Beschwerdeführers adressiert ist. Im Akt finden sich keine Hinweise auf einen Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich zwischen August 2017 und 28.01.2019. Ergänzend ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich als EWR-Bürger zur Einreise und Aufenthalt bis zu drei Monaten (bei Vorhandensein entsprechender finanzieller Mittel) berechtigt war. Das Aufenthaltsverbot wurde erst am 18.03.2019 erlassen, als sich der Beschwerdeführer schon in Strafhaft befand. Dem Beschwerdeführer ist daher kein illegaler Aufenthalt vorzuwerfen.

Die Feststellungen zur Erlassung des Festnahmeauftrags, zur weiteren Anhaltung und zur Abschiebung ergeben sich aus dem Akteninhalt und der Einsicht in die Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung.

Die Feststellung, dass es die belangte Behörde unterlassen hat, ein ordentliches Ermittlungsverfahren durchzuführen, ergibt sich aus dem Akteninhalt sowie dem angefochtenen Bescheid.

C. Rechtliche Beurteilung

1. Zu Spruchpunkt I.:

1.1. Gesetzliche Grundlage:

Der mit "Schubhaft" betitelte § 76 FPG idgF lautet:

Der mit "Schubhaft" betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), lautet:

"(1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß."

1.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich:

Die belangte Behörde hat nach einer knapp gehaltenen Einvernahme am 19.04.2019 einen Mandatsbescheid erlassen. Der Bescheid ist mit "Mandatsbescheid" bezeichnet und stützt sich im Spruch auf § 57 Abs. 1 AVG.

Im gegenständlichen Fall befand sich der Beschwerdeführer seit 30.01.2019 in Strafhaft und wurde bereits am 20.02.2019 ein Festnahmeauftrag erlassen. Der Beschwerdeführer wurde zwar am Tag der Bescheiderlassung zur Verhängung der Schubhaft einvernommen, ein Ermittlungsverfahren ist dem angefochtenen Bescheid jedoch nicht zu entnehmen.

Sowohl aus dem Gesetzestext als auch aus den erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage zu § 76 FPG geht deutlich hervor, dass der Gesetzgeber die Verhängung der Schubhaft jedenfalls dann nicht im Mandatsverfahren zulassen wollte, wenn sich der Fremde bereits aus einem anderen Grund in Haft befindet und diese Anhaltung nicht bloß kurzfristig ist. In diesem Fall läge nämlich keine Gefahr im Verzug dahingehend vor, dass sich ein Fremder (etwa) seiner Abschiebung entziehen könne. Es ist somit in den Fällen, in denen ein Fremder, so wie hier der Beschwerdeführer, bei Einleitung des Verfahrens zur Erlassung eines die Schubhaft anordnenden Bescheides (die hier, wie sich aus dem Festnahmeauftrag ergibt, spätestens am 20.02.2019 erfolgt ist) nicht bloß kurzfristig in Haft angehalten wird, geboten, im Fall der beabsichtigten Erlassung eines die Schubhaft anordnenden Bescheides ein Ermittlungsverfahren durchzuführen. Das Ergebnis dieses Verfahrens ist dem Fremden im Rahmen des ihm zustehenden Parteiengehörs zur Kenntnis zu bringen, um die rechtzeitige Wahrnehmung seiner Rechtsschutzbehelfe, die ihm nach Erlassung des Bescheides zustehen (§ 76 Abs. 7 iVm § 82 Abs. 1 Z. 3 FPG), nicht zu vereiteln (VwGH vom 27.01.2010, 2009/21/0009).

Dass dies dem BFA nicht möglich gewesen wäre oder, dass sich die Notwendigkeit der Schubhaft erst mit der Entlassung aus der Strafhaft ergeben hätte, lässt sich weder dem bekämpften Bescheid noch den Verwaltungsakten entnehmen. Aus einem Schreiben des BFA an die Justizanstalt vom 20.02.2019 geht zwar hervor, dass ursprünglich eine Abschiebung im Stande der Festnahme und damit kein Schubhaftbescheid beabsichtigt war. Angesichts der Entlassung des Beschwerdeführers am 19.04.2019 und damit am Karfreitag erachtete das BFA die Verhängung der Schubhaft offenbar als notwendig. Das BFA wäre jedoch verpflichtet gewesen, ein Ermittlungsverfahren durchzuführen. Angesichts der mehrmonatigen Haftstrafe des Beschwerdeführers kam die Erlassung eines Mandatsbescheids nach § 57 Abs. 1 AVG nicht in Betracht.

Die Angaben des Beschwerdeführers wurden weder überprüft, noch fanden sie überhaupt Eingang in den Bescheid. Es wurde zwar festgestellt, dass der Beschwerdeführer eine Tante im Bundesgebiet habe, in der rechtliche Beurteilung wurde jedoch ausgeführt, dass er über keine familiäre Beziehung im Bundesgebiet verfüge. Die Angabe des Beschwerdeführers, dass er während des Haftausgangs bei seiner Tante gewohnt habe und damit über eine Unterkunft im Bundesgebiet verfüge, wurde nicht überprüft. Auch die Tatsache, dass der Beschwerdeführer zur Befolgung einer Ladung als Zeuge und anschließender Verbüßung seiner Haftstrafe in das Bundesgebiet eingereist war, wurde im Bescheid nicht berücksichtigt, da festgehalten wurde, der Beschwerdeführer sei obdachlos. Diese Argumentation greift jedoch angesichts des Wohnsitzes des Beschwerdeführers in Rumänien und der Einreise zur Verbüßung einer Haftstrafe zu kurz. Insgesamt geht aus dem Bescheid auch inhaltlich kein wie immer geartetes Ermittlungsverfahren hervor. Aufgrund des mangelhaften Ermittlungsverfahrens erwiest sich daher auch die rechtliche Beurteilung des angefochtenen Bescheids als mangelhaft.

Dass es der Behörde nicht möglich gewesen wäre, ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren zu führen, lässt sich dem Verwaltungsakt nicht entnehmen und wurde von der Behörde auch nicht vorgebracht.

Der gegenständliche Schubhaftbescheid erweist sich damit allein schon deshalb als rechtswidrig.

Der Beschwerde war daher gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG stattzugeben und der gegenständliche Schubhaftbescheid für rechtswidrig zu erklären.

1.3. Zur Rechtswidrigkeit der Anhaltung in Schubhaft:

Im gegenständlichen Fall wurde mit dem angefochtenen Bescheid über den Beschwerdeführer die Schubhaft angeordnet und diese auch in Vollzug gesetzt.

Da sich der angefochtene Schubhaftbescheid - wie bereits dargelegt - als rechtswidrig erwiesen hat und die darauf gestützte Anhaltung in Schubhaft somit nicht von einem Bescheid gedeckt ist, erweist sich auch die Anhaltung in Schubhaft als rechtswidrig.

Der Beschwerde war daher gemäß § 7 Abs. 1 Z 3 BFA-VG stattzugeben und die Anhaltung in Schubhaft für rechtswidrig zu erklären.

2. Zu Spruchpunkt II u. III.:

2.1. Der VwGH hat im Erkenntnis vom 23.04.2015, Zl. Ro 2014/21/0077, ausgeführt, dass die Beschwerde an das BVwG, soweit damit die dem (gemeint: rechtswidrigen) Schubhaftbescheid nachfolgende Anhaltung bekämpft wird, eine Beschwerde gegen die behauptete Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt darstellt, weshalb auch § 35 VwGVG zur Anwendung kommt, und zwar zumindest insoweit, als er einem Beschwerdeführer vor dem Verwaltungsgericht im Falle des Obsiegens in einem Beschwerdeverfahren wegen behaupteter Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt Kostenersatz einräumt.

§ 35 VwGVG lautet:

"(1) Die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG) obsiegende Partei hat Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei.

(2) Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei.

(3) Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei.

(4) Als Aufwendungen gemäß Abs. 1 gelten:

1. die Kommissionsgebühren sowie die Barauslagen, für die der Beschwerdeführer aufzukommen hat,

2. die Fahrtkosten, die mit der Wahrnehmung seiner Parteirechte in Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht verbunden waren, sowie

3. die durch Verordnung des Bundeskanzlers festzusetzenden Pauschalbeträge für den Schriftsatz-, den Verhandlungs- und den Vorlageaufwand.

(5) Die Höhe des Schriftsatz- und des Verhandlungsaufwands hat den durchschnittlichen Kosten der Vertretung bzw. der Einbringung des Schriftsatzes durch einen Rechtsanwalt zu entsprechen. Für den Ersatz der den Behörden erwachsenden Kosten ist ein Pauschalbetrag festzusetzen, der dem durchschnittlichen Vorlage-, Schriftsatz- und Verhandlungsaufwand der Behörden entspricht.

(6) Die §§ 52 bis 54 VwGG sind auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.

(7) Aufwandersatz ist auf Antrag der Partei zu leisten. Der Antrag kann bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt werden."

Die Höhe der im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG und Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit eines Verhaltens einer Behörde in Vollziehung der Gesetze gemäß Art. 130 Abs. 2 Z 1 B-VG als Aufwandersatz zu leistenden Pauschalbeträge wird in § 1 der VwG-Aufwandersatzverordnung (VwG-AufwErsV), BGBl. II Nr. 517/2013, wie folgt festgesetzt:

"1. Ersatz des Schriftsatzaufwands des Beschwerdeführers als obsiegende Partei 737,60 Euro

2. Ersatz des Verhandlungsaufwands des Beschwerdeführers als obsiegende Partei 922,00 Euro

3. Ersatz des Vorlageaufwands der belangten Behörde als obsiegende Partei 57,40 Euro

4. Ersatz des Schriftsatzaufwands der belangten Behörde als obsiegende Partei 368,80 Euro

5. Ersatz des Verhandlungsaufwands der belangten Behörde als obsiegende Partei 461,00 Euro

6. Ersatz des Aufwands, der für den Beschwerdeführer mit dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens verbunden war (Schriftsatzaufwand) 553,20 Euro

7. Ersatz des Aufwands, der für die belangte Behörde mit dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens verbunden war (Schriftsatzaufwand) 276,60 Euro."

2.2. Im gegenständlichen Verfahren wurde sowohl gegen den im Spruch genannten Bescheid, mit dem die Schubhaft angeordnet wurde, als auch gegen die Anhaltung in Schubhaft Beschwerde erhoben.

Da die Anhaltung in Schubhaft, die nicht von einem Bescheid gedeckt ist, für rechtswidrig erklärt wurde, ist gemäß § 35 Abs. 2 VwGVG die beschwerdeführende Partei die obsiegende und die belangte Behörde die unterlegene Partei.

In der Beschwerde wurde von der beschwerdeführenden Partei beantragt, ihr Kostenersatz im Umfang der anzuwendenden Pauschalersatzverordnung (Schriftsatz- und Verhandlungsaufwand) zuzuerkennen.

Da im gegenständlichen Verfahren die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben konnte, war der von der belangten Behörde als unterlege Partei zu leistende Aufwandersatz auf den Ersatz des Schriftsatzaufwandes der beschwerdeführenden Partei in Höhe von 737,60 Euro zu beschränken.

Ein Kostenersatz für die Behörde besteht nach dem Gesetz in diesem Fall nicht.

3. Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben.

Zu Spruchpunkt B. - Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Wie bereits ausgeführt sind keine Auslegungsfragen hinsichtlich der anzuwendenden Normen hervorgekommen, es waren auch keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen. Die Revision war daher in Bezug auf Spruchpunkt I. nicht zuzulassen. Im Hinblick auf die eindeutige Rechtslage in den übrigen Spruchpunkten war die Revision gleichfalls nicht zuzulassen.

Schlagworte

mangelhaftes Ermittlungsverfahren, Rechtswidrigkeit, Schubhaft

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W171.2219930.1.00

Zuletzt aktualisiert am

03.02.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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