TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/15 G314 2224309-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.10.2019
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Entscheidungsdatum

15.10.2019

Norm

BFA-VG §18 Abs3
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §70 Abs3

Spruch

G314 2224309-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des deutschen Staatsangehörigen XXXX, geboren am XXXX, vertreten durch die Rechtsanwältin Dr. Emelle EGLENCEOGLU, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 20.09.2019,

Zl. XXXX, betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu Recht:

A) Die Anträge, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung

zuzuerkennen und dem Beschwerdeführer die Kosten des Verfahrens zuzusprechen, werden als unzulässig zurückgewiesen.

B) Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene

Bescheid dahingehend abgeändert, dass es in Spruchpunkt II. zu lauten hat: "Gemäß § 70 Abs 3 FPG wird dem Beschwerdeführer ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt." und Spruchpunkt III. ersatzlos behoben wird.

C) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF) wurde mit dem seit 23.01.2019 rechtskräftigen Urteil des Landesgerichts XXXX zu einer zweijährigen (Zusatz-) Freiheitsstrafe verurteilt, die er seit XXXX07.2019 im elektronisch überwachten Hausarrest verbüßt. Mit dem Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 17.07.2019 wurde er aufgefordert, sich zur beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu äußern. Er erstattete eine entsprechende Stellungnahme.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein für die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG aberkannt (Spruchpunkt III.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit seinen strafgerichtlichen Verurteilungen begründet. Private oder familiäre Anbindungen stünden dem nicht entgegen, zumal er erst seit Februar 2019 im Bundesgebiet erwerbstätig sei.

Dagegen richtet sich die Beschwerde mit den Anträgen auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung und auf Zuspruch der Verfahrenskosten, mit der der BF primär die Behebung des Aufenthaltsverbots, eventualiter die Erteilung eines Durchsetzungsaufschubs von zwölf Monaten anstrebt. Er begründet die Beschwerde zusammengefasst damit, dass sein Vater in Österreich ein Unternehmen betreibe und seine Schwester hier arbeite. Er selbst habe seit Februar 2019 einen festen Wohnsitz in XXXX und sei als Filialleiter eines XXXX in XXXX erwerbstätig, wobei er schon vorher im Unternehmen seines Vaters mitgeholfen habe. Ihm sei der Vollzug der Freiheitsstrafe in Form des elektronisch überwachten Hausarrests bewilligt worden, was gegen eine Wiederholungsgefahr spreche, zumal er die strengen Voraussetzungen erfülle und einen strukturierten Tagesablauf nachgewiesen habe. Er sei nur einmal straffällig geworden und seit mehr als zweieinhalb Jahren straffrei. Die Behörde habe die vom Strafgericht berücksichtigten Milderungsgründe nicht beachtet. Ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot sei angesichts der engen Anknüpfungen des BF im Inland unverhältnismäßig.

Das BFA legte die Beschwerde samt den Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem Antrag, sie abzuweisen, vor.

Feststellungen:

Der BF kam am XXXX in der deutschen Stadt XXXX zur Welt. Seine Muttersprache ist Deutsch. Er wuchs in Deutschland auf, wo er die Schule besuchte und nach der Reifeprüfung Wirtschaftsingenieurwesen studierte. Dieses Studium hat er bislang noch nicht abgeschlossen. Er ist gesund und arbeitsfähig. Er ist ledig und hat keine Sorgepflichten. Er hat kein Vermögen, aber Schulden von EUR 8.000 für Studiengelder.

Mit dem rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts XXXX vom 28.12.2017, XXXX, wurde er zu einer Geldstrafe von 65 Tagessätzen á EUR 20 verurteilt, weil er am XXXX04.2017 ein Kleinkraftrad ohne Haftpflichtversicherungsschutz unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln lenkte, einen Schlagring, von dem er wusste, dass es sich um eine verbotene Waffe handelt, mit sich führte und unerlaubt Betäubungsmittel (3,95 g Marihuana und 0,98 g Kokain), die er in Österreich gekauft hatte, nach Deutschland einführte.

Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom 25.05.2018, XXXX, in der Fassung des Urteils des Oberlandesgerichts XXXX vom 23.01.2019, XXXX, wurde gegen den BF, der damals noch in Deutschland lebte, wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB (ausgehend von einem Strafrahmen von einem bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe) unter Bedachtnahme auf die Verurteilung durch das Amtsgericht XXXX gemäß §§ 31, 40 StGB eine zweijährige Zusatz-Freiheitsstrafe verhängt. Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass er am XXXX03.2017 in XXXX gemeinsam mit zwei Mittätern versuchte, zwei Personen in deren Wohnräumlichkeiten zu berauben, indem sie den Opfern eine Pistole vorhielten und die Haustüre gegen den Widerstand eines Opfers aufdrückten, um eine unbestimmte Menge Marihuana aus einer zuvor von den Mittätern des BF bei einem Einbruch entdeckten Indoor-Cannabisplantage wegzunehmen. Der BF veranlasste durch sein Klingeln ein Opfer zum Öffnen der Haustüre, verhinderte das Schließen der Türe, indem er seinen Fuß zwischen Türe und Türstock stellte, drückte die Türe gewaltsam auf, um den Tätern das Betreten des Hauses zu ermöglichen, und tat sich während der weiteren Tatausführung durch lautstarkes und aggressives Verhalten hervor. Es blieb beim Versuch, weil die Plantage in der Zwischenzeit abgebaut worden war. Eines der Opfer gab den Tätern Bargeld (ca. EUR 120), das sie später untereinander aufteilten. Die Tat zog für die Opfer, die große Angst hatten und einen Schock erlitten, krankheitswertige Folgen nach sich. Bei der Strafzumessung wurden der Umstand, dass es beim Raub beim Versuch blieb, und der zuvor ordentliche Lebenswandel des BF als mildernd, die Tatbegehung in der Gesellschaft vom Mittätern, die Anwendung beider Begehungsmittel des § 142 Abs 1 StGB (Gewalt und Drohung mit gegenwärtiger Gewalt für Leib und Leben) sowie das Zusammentreffen des Verbrechens des schweren Raubes mit dem verbotenen Besitz einer Waffe laut der Verurteilung durch das Amtsgericht XXXX dagegen als erschwerend berücksichtigt. Die Schuld des BF wurde dadurch erhöht, dass der schwere Raub zum Nachteil von zwei Personen in deren Wohnräumlichkeiten begangen wurde und für die Opfer krankheitswertige Folgen nach sich zog.

Der BF weist keine weiteren strafgerichtlichen Verurteilungen auf. Er wurde in Österreich drei Mal wegen Verkehrsübertretungen zur Geldstrafen verurteilt, und zwar im Jänner 2014 wegen Nichtbeachtung eines Halte- und Parkverbots, im Juni 2014 wegen Überfahrens einer Haltelinie und im August 2017 wegen Fahrens in alkoholisiertem Zustand.

Anfang Februar 2019 verlegte der BF seinen Wohnsitz aus Deutschland nach Österreich, wo er in einer Mietwohnung in XXXX wohnt und in XXXX eine Filiale des Unternehmens seines Vaters, der im Bundesgebiet mehrere XXXX betreibt, leitet. Für diese Vollzeitbeschäftigung bezieht er ein monatliches Nettoeinkommen von ca. EUR 1.500. Er hat in Deutschland und in Österreich Freunde und Bekannte. Die Schwester des BF ist in Österreich erwerbstätig. Am 08.02.2019 beantragte der BF eine Anmeldebescheinigung als Arbeitnehmer, die ihm wegen einer möglichen Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit bislang noch nicht erteilt wurde.

Mit dem Bescheid der Justizanstalt XXXX vom XXXX07.2019 wurde dem BF der Vollzug der Freiheitsstrafe durch elektronisch überwachten Hausarrest, beginnend am XXXX07.2019, bewilligt. Das urteilsmäßige Strafende ist am XXXX07.2021. Gleichzeitig wurde ihm eine Weisung zur Durchführung einer ambulanten Drogentherapie erteilt.

Der BF hat keine weiteren familiären oder sonstigen privaten Anknüpfungen in Österreich.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsakts des BVwG.

Die Feststellungen zur Identität des BF sowie zu seinen persönlichen, familiären und finanziellen Verhältnissen beruhen auf seinem (dem BVwG in Kopie vorliegenden) Personalausweis und den Angaben zu seiner Person in den Strafurteilen und im Bescheid des Justizanstalt XXXX.

Deutschkenntnisse des BF sind aufgrund seiner Herkunft und der in Deutschland absolvierten Ausbildung plausibel, zumal er Deutsch als seine Muttersprache bezeichnet. Seine Ausbildung wird anhand seiner Angaben dazu sowie der vorgelegten Immatrikulationsbestätigung vom 05.04.2018 festgestellt.

Da sich der BF in seiner Stellungnahme an das BFA als gesund bezeichnete, ist davon auszugehen, dass keine relevanten gesundheitlichen Probleme bestehen. Seine Arbeitsfähigkeit folgt daraus, aus seinem erwerbsfähigen Alter und der aktuell ausgeübten Erwerbstätigkeit.

Die Verurteilung des BF durch das Amtsgericht XXXX ergibt sich aus dem aktenkundigen Strafbefehl vom XXXX12.2017. Die Feststellungen zu der von ihm in Österreich begangenen Straftat, zu seiner Verurteilung und zu den Strafbemessungsgründen basieren auf den Urteilen des Landesgerichts XXXX und des Oberlandesgerichts XXXX. Die Verurteilung wird auch durch eine entsprechende Eintragung im Strafregister belegt. Es sind keine Hinweise auf weitere strafgerichtliche Verurteilungen des BF aktenkundig. Die festgestellten Verwaltungsübertretungen basieren auf dem Schreiben der Bezirkshauptmannschaft XXXX vom 20.02.2019.

Der BF ist laut dem Zentralen Melderegister (ZMR) seit Anfang Februar 2019 mit Hauptwohnsitz in XXXX gemeldet. Davor befand sich sein Wohnsitz - wie aus seinen Angaben und den Strafurteilen übereinstimmend hervorgeht - in Deutschland. Die aktuell vom BF ausgeübte Erwerbstätigkeit beruht auf den Feststellungen im Bescheid der Justizanstalt XXXX, auf dem vorgelegten Einkommensnachweis und auf der mit der Beschwerde vorgelegten Arbeitsbestätigung vom 07.10.2019. Die Angaben des BF zum Unternehmen seines Vaters werden durch die Auszüge aus dem Gewerbeinformationssystem Austria (GISA) untermauert. Es ist nachvollziehbar, dass der BF in Österreich und in Deutschland einen Freundeskreis hat, wie er in seiner Stellungnahme an das BFA behauptet, sodass eine entsprechende Feststellung getroffen werden kann.

Der Antrag des BF auf Erteilung einer Anmeldebescheinigung ist im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR) dokumentiert und geht auch aus dem Schreiben des Bezirkshauptmannschaft XXXX vom 20.02.2019 hervor.

Die Feststellungen zum Vollzug der Freiheitsstrafe und zu der dem BF erteilten Weisung beruhen auf der Vollzugsinformation vom 20.09.2019 und auf dem Bescheid der Justizanstalt XXXX.

Anhaltspunkte für über die Feststellungen hinausgehende familiäre, private, gesellschaftliche oder berufliche Bindungen des BF in Österreich bestehen nicht, zumal laut ZMR weder sein Vater noch seine Schwester eine Wohnsitzmeldung im Bundesgebiet aufweisen.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Aufgrund der in § 18 Abs 5 BFA-VG angeordneten amtswegigen Prüfung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG ist der Antrag des BF, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, weder notwendig noch zulässig und daher zurückzuweisen.

Im Verwaltungsverfahren und im Bescheidbeschwerdeverfahren vor dem BVwG gilt gemäß § 74 AVG iVm § 17 VwGVG der Grundsatz der Selbsttragung der Kosten (siehe Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10 Rz 492, 951). Da die hier anzuwendenden Verwaltungsvorschriften keine entsprechenden Bestimmungen enthalten, besteht kein Kostenersatzanspruch des BF, sodass der darauf gerichtete Beschwerdeantrag ebenfalls zurückzuweisen ist.

Zu Spruchteil B):

Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids:

Als Staatsangehöriger von Deutschland ist der BF EWR-Bürger iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG.

Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen EWR-Bürger, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei einer besonders schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit (so etwa bei einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren) kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs 3 FPG auch unbefristet erlassen werden.

Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 19.02.2014, 2013/22/0309).

Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Art 8 Abs 2 EMRK legt fest, dass der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft ist, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Gemäß § 9 BFA-VG ist (ua) die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 FPG, durch das in das Privat- und Familienleben eines Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration

(Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen.

Da sich der BF erst seit Februar 2019 kontinuierlich im Bundesgebiet aufhält, ist hier der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 zweiter bis vierter Satz FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt") anzuwenden.

Das persönliche Verhalten des BF stellt eine solche Gefahr dar, die Grundinteressen der Gesellschaft an Ruhe und Ordnung, an der Verhinderung strafbarer Handlungen und am Schutz der Gesundheit und der Rechte und Freiheiten anderer berührt, weil er einen arbeitsteilig organisierten bewaffneten Raubüberfall auf zwei Personen in deren Wohnräumlichkeiten beging. Da seine Straftaten noch nicht lange zurückliegen, besteht eine erhebliche Wiederholungsgefahr, zumal er den Raub beging, um Suchtgift zu erbeuten, kurze Zeit später Suchtgift (wenn auch nur in geringer Menge) aus Österreich nach Deutschland einführte sowie eine verbotene Waffe besaß und noch im August 2017 alkoholisiert ein Fahrzeug lenkte. Insbesondere Suchtgiftdelinquenz stellt nach der Rechtsprechung des VwGH ein besonders verpöntes Fehlverhalten dar, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (siehe z.B. VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0249). Die beim BF bestehende Suchtgiftproblematik zeigt sich nicht zuletzt an der von der Justizanstalt XXXX im Zusammenhang mit der Bewilligung des Strafvollzugs durch elektronisch überwachten Hausarrest erteilten Weisung zur Durchführung einer Drogentherapie.

Der Gesinnungswandel eines Straftäters ist grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat (siehe VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0233). Das gilt auch im Fall einer (erfolgreich) absolvierten Therapie (so z.B. VwGH 20.12.2018, Ra 2018/21/0112). Derzeit kann noch nicht von einem Wegfall oder einer wesentlichen Minderung der durch die strafgerichtliche Verurteilung des BF indizierten Gefährlichkeit ausgegangen werden, zumal die Freiheitsstrafe noch nicht (vollständig) vollzogen wurde und er die als notwendig erachtete Drogentherapie noch nicht abgeschlossen hat.

Unter Bedachtnahme auf Art und Schwere der Straftaten, auf das Persönlichkeitsbild, das sich daraus ergibt, und das Gesamtverhalten des BF ist die für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots erforderliche aktuelle Gefährdung von öffentlichen Interessen in maßgeblicher Intensität zu bejahen. Seine schwerwiegende Delinquenz legt nahe, dass von ihm auch zukünftig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung iSd § 67 Abs 1 FPG ausgehen wird, obwohl er ein Ersttäter ist, der aktuell in geordneten Verhältnissen lebt. Aus der Bewilligung der Strafverbüßung in Form des elektronisch überwachten Hausarrests lässt sich keine maßgebliche Minderung der sich aus dem strafbaren Verhalten ergebenden Gefährdung ableiten (so z. B. VwGH 26.06.2019, Ra 2019/21/0118). Aktuell kann dem BF somit noch keine positive Zukunftsprognose attestiert werden.

Aufgrund der Beschäftigung des BF und seines Wohnsitzes in Österreich, wo auch sein Vater und seine Schwester einer Erwerbstätigkeit nachgehen, greift das Aufenthaltsverbot in sein Privat- und Familienleben ein. Dieser Eingriff ist jedoch verhältnismäßig, zumal er seinen Lebensmittelpunkt erst vor wenigen Monaten aus Deutschland hierher verlegte und aufgrund seiner Straffälligkeit ein besonders großes Interesse an der Aufenthaltsbeendigung besteht. Der BF kann die Kontakte zu in Österreich lebenden Bezugspersonen auch durch Telefonate, Briefe und elektronische Kommunikationsmittel (Internet, E-Mail, soziale Medien) sowie durch Besuche außerhalb Österreichs pflegen. Es ist dem volljährigen, gesunden und alleinstehenden BF insbesondere aufgrund seines erst verhältnismäßig kurzen Inlandsaufenthalts zumutbar, sich wieder außerhalb von Österreich niederzulassen und seine Erwerbstätigkeit anderswo fortzusetzen. Das Aufenthaltsverbot wurde somit dem Grunde nach zu Recht erlassen.

Da gegen den BF als Ersttäter eine zweijährige unbedingte Haftstrafe verhängt werden musste, ist aufgrund der beträchtlichen kriminellen Energie, die er bei dem Raubüberfall an den Tag legte, auch keine Reduktion der Dauer des vom BFA mit fünf Jahren bemessenen Aufenthaltsverbots möglich, zumal neben gewichtigen Milderungs- auch erhebliche Erschwerungsgründe vorlagen und ein bis zu zehnjähriges Aufenthaltsverbot möglich gewesen wäre. Das BVwG geht davon aus, dass aufgrund des konkreten Unrechtsgehalts der vom BF in Deutschland und in Österreich begangenen Straftaten unter Berücksichtigung der Strafzumessungsgründe und der Notwendigkeit einer nachhaltigen Abkehr von Suchtgiftaktivitäten ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot notwendig, aber auch ausreichend ist, um der vom BF ausgehenden Gefährlichkeit wirksam zu begegnen. Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist daher nicht korrekturbedürftig.

Zu den Spruchpunkten II. und III. des angefochtenen Bescheids:

Gemäß § 70 Abs 3 FPG ist EWR-Bürgern bei der Erlassung einer Ausweisung von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich. Gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG kann die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot aberkannt werden, wenn die sofortige Ausreise der Betroffenen oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich ist. Einer Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung aberkannt wurde, hat das BVwG diese gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG vom Amts wegen zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des oder der Fremden in den Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2, Art 3 oder Art 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK bedeuten würde oder für ihn oder sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. In der Beschwerde gegen den in der Hauptsache ergangenen Bescheid sind die Gründe, auf die sich die Behauptung des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit stützt, genau zu bezeichnen.

Zur Begründung einer Notwendigkeit der sofortigen Ausreise eines Fremden genügt es nicht, dafür auf eine - die Aufenthaltsbeendigung als solche rechtfertigende - Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch ihn zu verweisen, sondern es ist darüber hinaus darzutun, warum die Aufenthaltsbeendigung sofort - ohne Aufschub und unabhängig vom Ergebnis des Beschwerdeverfahrens - zu erfolgen hat; dazu ist es nicht ausreichend, jene Überlegungen ins Treffen zu führen, die schon bei der Entscheidung über die Verhängung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme selbst maßgeblich waren. Die Notwendigkeit der sofortigen Ausreise als gesetzliche Voraussetzung für die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung betreffend die Beschwerde gegen eine aufenthaltsbeendende Maßnahme erfordert also das Vorliegen besonderer Umstände, die mit den Voraussetzungen für die Aufenthaltsbeendigung als solche nicht gleichzusetzen sind (siehe VwGH 04.04.2019, Ra 2019/21/0053).

Da der BF die Straftaten im März und April 2017 beging und seither nicht mehr straffällig wurde, sondern einer Erwerbstätigkeit nachgeht, in deren Rahmen er sozialversichert ist, und einen ordnungsgemäß gemeldeten Wohnsitz in Österreich hat, sind solche besonderen Umstände hier nicht erkennbar, zumal das BFA die Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubs und die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nur mit der Begehung gerichtlich strafbarer Handlungen begründete, ohne auf die aktuell stabilen Lebensverhältnisse des BF einzugehen. Ihm ist daher in Abänderung von Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen; Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids hat ersatzlos zu entfallen.

Nachvollziehbare Gründe für die beantragte, in § 70 Abs 3 FPG gar nicht vorgesehene Verlängerung des Durchsetzungsaufschubs auf zwölf Monate wurden nicht dargetan. Der Eintritt der Durchsetzbarkeit des Aufenthaltsverbots ist gemäß § 70 Abs 1 letzter Satz FPG ohnedies für die Dauer eines Freiheitsentzugs aufgeschoben, auf den wegen einer mit Strafe bedrohen Handlung erkannt wurde, was auch dann gilt, wenn (wie hier) wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung eine unbedingte Freiheitsstrafe verhängt wurde, die im elektronisch überwachten Hausarrest vollzogen wird.

Da der relevante Sachverhalt aus der Aktenlage und dem Beschwerdevorbringen geklärt erscheint und auch bei einem positiven Eindruck vom BF bei einer mündlichen Verhandlung keine Herabsetzung oder gar ein Entfall des Aufenthaltsverbots möglich wäre, unterbleibt eine (hier gar nicht beantragte) Beschwerdeverhandlung gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG. Von deren Durchführung ist keine weitere Klärung der Angelegenheit zu erwarten, zumal das BVwG ohnedies von den Behauptungen des BF zu seinen privaten, familiären und beruflichen Anknüpfungen im Inland ausgeht, sodass kein klärungsbedürftiges Tatsachenvorbringen erstattet wurde. Aus diesem Grund kann auch die in der Beschwerde beantragte Einvernahme des Vaters des BF als Zeuge unterbleiben.

Zu Spruchteil C):

Die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose und die Bemessung der Dauer eines Einreise- oder Aufenthaltsverbots sind im Allgemeinen nicht revisibel (VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0284 und 10.07.2019, Ra 2019/19/0186). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG an der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung - Entfall, Behebung der Entscheidung,
Durchsetzungsaufschub, Kostenersatz - Antrag, Voraussetzungen,
Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:G314.2224309.1.00

Zuletzt aktualisiert am

03.02.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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